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Ich heiße Mara

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22.05.2017
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Ich heiße Mara

Ich höre die Tür ins Schloss fallen. Endlich ist mein Vater aus dem Haus. Die leuchtenden Ziffern des Radioweckers zeigen 10:43 an. Wow. Er hat es heute tatsächlich geschafft, sich vor 12 Uhr aufzurappeln und einkaufen zu fahren und das an einem Montag – dem für gewöhnlich schlimmsten aller Wochentage. Der „Hausherr“, wie er sich zu nennen pflegt, ist seit 3 Monaten arbeitslos. Ein Ende seiner beruflichen Krise ist noch nicht in Sicht. Aus diesem Grund arbeitet meine Mutter nun fast ununterbrochen sieben Tage pro Woche, um die Familie irgendwie über Wasser zu halten. Dad nimmt sich seither um den Haushalt an. Doch leider eher schlecht als recht: Es fällt ihm schwer, seine momentane Situation zu akzeptieren und anstatt sich für einen neuen Job zu bewerben oder zumindest zu versuchen, den Haushaltspflichten auch nur annähernd nachzukommen, suhlt er sich in Selbstmitleid und verbringt die meiste Zeit im Bett oder auf der Couch vor dem Fernseher. Doch jetzt ist er weg, meine Schwester auf der Uni und meine Mutter schon seit 6:30 im Büro – ich habe das Haus für mich alleine.

Die ziehenden Bachschmerzen, die mich ab und an heimsuchen und mir wieder einmal einen freien Schultag eingebracht haben, lassen Gott sei Dank nach und ich schleiche auf Zehenspitzen aus meinem Zimmer und hinein ins Bad. Wieso ich mich trotz Abwesenheit meiner Familie nur auf Zehenspitzen fortbewege weiß ich nicht genau. Vielleicht einfach eine Vorsichtsmaßnahme – man kann ja nie wissen. Ich schließe die Tür hinter mir ab – noch eine Vorsichtsmaßnahme. Langsam streife ich mir die Socken von den Füßen, ziehe mein Pyjama-Shirt und die lange Jogginghose aus und entledige mich schlussendlich auch meiner Boxershorts. Mein ganzer Körper beginnt zu zittern, zum einen vor Kälte und zum anderen vor Aufregung, doch das ist mir egal. Erst jetzt taste ich nach dem Lichtschalter. Ein Knips und die beiden Lampen an der Decke leuchten auf. Meine noch etwas müden Augen brauchen einige Sekunden, um sich an das grelle Licht zu gewöhnen, doch dann sehe ich mich klar und deutlich im Spiegel. Von Kopf bis Fuß betrachte – nein, analysiere ich meinen nackten Körper. Meine schulterlangen braunen Haare, die großen dunklen Augen, meine schmale Nase, die etwas spröden Lippen, der penibel glatt rasierte, zierliche Oberkörper. Würde man nur die obere Hälfte meines Körpers betrachten, könnte ich tatsächlich für ein Mädchen gehalten werden. Klar, ich habe keine Brüste und nicht wirklich weibliche Rundungen, aber von einer maskulinen V-Form meines Oberkörpers oder sonstigen männlichen Zügen fehlt ebenso jede Spur. Sagen wir, ich sehe aus wie ein 11-jähriges Mädchen vor der Pubertät. Doch leider zeichnet sich von meiner Hüfte an abwärts ein anderes Bild ab: Schuhgröße 45 tragende Füße, maskulin wirkende Beine und ein Penis, der zwar ebenso perfekt rasiert, aber trotz allem nicht zu übersehen und Teil meines Körpers ist. Teil meines 16 Jahre alten männlichen Körpers.

Verdammte Scheiße! Die Bauchschmerzen melden sich zurück und zwar stärker als je zuvor. Der ziehende Schmerz durchstößt meinen Unterbauch wie ein kraftvoller Blitz, dessen enorme Helligkeit jedes menschliche Auge binnen Millisekunden erblinden ließe. Ich krümme mich immer mehr, in der Hoffnung, den Dämonen, die sich gerade über meine Eingeweide hermachen, irgendwie entkommen zu können, doch vergebens. Schließlich sacke ich völlig zusammen und sinke zu Boden. Wie ein kleines Häufchen Elend liege ich nackt auf den kalten Fließen: Die Arme um meine zitternden Beine geschlungen. Wimmernd und flehend, der Schmerz möge endlich an Intensität verlieren. Nach einer gefühlten Ewigkeit beruhigt sich mein Bauch wieder – die Dämonen kriechen in ihre dunklen Höhlen zurück, der Blitz hat meinen Körper verlassen.

Ich rapple mich vorsichtig auf und lehne mich sitzend gegen den Heizkörper, dessen angenehme und wohltuende Wärme sich in mir auszubreiten beginnt. Meine erschöpften Augen schweifen durchs Badezimmer: Die verstaubte Toilette, das fast leergeräumte Handtuchregal, die viel zu selten zur Anwendung kommende Waschmaschine. Alles in allem ein eher trostloses als interessantes Abbild eines Raumes. Doch da fällt mein Blick auf den Schmutzwäsche-Container, der vor Kleidungsmassen beinahe zu zerborsten droht. Unter dem schmuddeligen schwarzen T-Shirt meines Vaters blitzt das türkisfarbene Sommerkleid meiner Schwester hervor. Wenn ich mich recht erinnere, hat sie es vorgestern erst getragen. Die weißen Punkte, das Herz-Dekolleté, der fließende Übergang zwischen dem eng anliegenden oberen Abschnitt und dem ausgestellten Faltenrock, die dünnen Träger, die sich sanft um die Schultern schmiegen – mit einem Wort: traumhaft. Engelsgleich schwebt meine Schwester regelrecht durch den Tag, wenn immer sie sich dieses Kunstwerk eines Kleidungsstücks überstreift.

Wie fremdgesteuert beginnen meine Hände in der Wäschetonne zu wühlen. Mit einem Ruck liegt das Objekt meiner Begierde vor mir. Als ich etwas tiefer in die Weiten des Schmutzwäsche-Behälters eindringe, ertasten meine vor Aufregung zitternden Finger den Verschluss eines BHs. Völlig gedankenlos und von plötzlicher Ekstase getrieben lege ich ihn mir um. Er zwickt ein bisschen, sitzt aber nahezu perfekt. Bis auf die leeren B-Körbchen-Cups natürlich, doch die werden kurzer Hand mit Klopapier ausgestopft. Ich greife nach dem Sommerkleid und schließe die Augen. Behutsam ziehe ich es mir über den Kopf. Jetzt nur nichts kaputt machen. Der Stoff fühlt sich leicht und weich an, fast wie Seide. Ich atme tief ein – das Kleid duftet noch immer nach dem Parfüme meiner Schwester – frisch und blumig. Nur noch der Reißverschluss und – ja, ich stehe fertig eingekleidet inklusive BH vor dem Spiegel. Vorsichtig und beinahe in Zeitlupengeschwindigkeit öffne ich die Augen. Lässt man die Unterschenkel und Füße außen vor, steht nun wahrhaftig ein zierliches schüchternes Mädchen im Badezimmer. Ein braunhaariges Mädchen mit B-Körbchen im wunderschönen Sommerkleid. Begeistert betrachte ich das Spiegelbild. Mein Spiegelbild. Aber es reicht mir nicht.

Mit zittrigen Fingern öffne ich den Hängeschrank über dem Waschbecken. Wie ein Detektiv auf der Suche nach dem entscheidenden Hinweis durchstöbere ich den mir darbietenden Inhalt. Nagellackfläschchen in den verschiedensten Farben, Abschminktücher, eine Nagelfeile und … ein Lippenstift in goldglänzender Hülle. Vorsichtig nehme ich die Kappe ab – der pinkfarbene Lippenstift kommt zum Vorschein. Hunderte Male habe ich meine Schwester bereits dabei beobachtet: Wie eine begnadete Künstlerin ihren Pinsel zielsicher über die Leinwand zieht, taucht sie ihre Lippen Strich für Strich in ein kräftiges Pink – jedes Mal makellos. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken und erschüttert meinen ganzen Körper. Trotz der mich zur Gänze einnehmenden Nervosität versuche ich, es ihr gleich zu tun. Ich setze in der Mitte der Oberlippe an und ziehe den ersten Strich. Um nicht in Unsicherheit und Zweifel zu geraten, ziehe ich sofort den zweiten Strich auf der anderen Seite. Zum Schluss die Unterlippe. Ich trete einen Schritt zurück und betrachte mein Werk. Die Linienführung ist sicher noch ausbaufähig, aber für den ersten Versuch absolut zufriedenstellend. Die Farbe steht mir. Meine Lippen wirken voll und weich. Ich habe Blut geleckt – ich nehme all meinen Mut zusammen und durchforste erneut den Make-Up-Bestand meiner Schwester. Schnell werde ich fündig: Eyeliner und Wimperntusche. Auch was die künstlerische Verschönerung von Augen angeht, habe ich durch das genaue Studieren der Technik meiner Schwester schon einiges lernen können, hoffe ich zumindest. Sie hat über die Jahre ihr Augen-Make-Up immer mehr verbessert und mittlerweile bis zur absoluten Meisterklasse perfektioniert. Ein Blick ihrerseits und man schwebt im siebten Himmel. So behutsam wie möglich hebe ich mein linkes Augenlid hoch und starte den ersten Versuch, einen möglichst geraden Lidstrich zu zeichnen. Er ist geglückt. Voller Freude über mein bislang verstecktes Schmink-Talent mache ich weiter. Ich bin wie im Rausch. Raum und Zeit verschmelzen miteinander, alles um mich herum ist vergessen. Es gibt nur mich, den Spiegel und die Werkzeuge meiner Kunst.

Als nach meinen Lippen nun auch meine braunen Augen im neuen Glanz erstrahlen, krame ich noch Bürste und Blumenhaarspange hervor. Frisch gekämmt bildet die Blume in meinem Haar den krönenden Abschluss. Es ist vollbracht. Die Verwandlung ist vollendet. Aus dem Spiegel strahlt mir ein bezaubernd schönes Mädchen entgegen. Ein Mädchen mit sanften Gesichtszügen, vollen Lippen, glänzendem Haar, langen Wimpern und einem wunderschönen, perfekt sitzenden Sommerkleidchen. Ein engelsgleiches Geschöpf. Ich. Mein wahres Ich.

Durchflutet von Freude und Ekstase macht sich ein Bedürfnis in mir breit: Ich will tanzen und die ganze Welt an meiner zauberhaften Verwandlung teilhaben lassen. Ich will mich nicht länger verstecken. Ich will mein wahres Ich nach außen tragen. Ich will ich sein. Ein 16-jähriges Mädchen. Mara.

Ich stürme aus dem Badezimmer. Dort ist nicht genug Platz für all die positive Energie, die aus mir herausbricht wie ein Schmetterling aus seiner zu eng gewordenen Puppe. Wie ein kleines Kind springe und hüpfe ich im Wohnzimmer herum und fühle mich zum ersten Mal rundum wohl in meiner Haut. Doch mein Freudentanz ist nur von kurzer Dauer, denn plötzlich höre ich den Haustürschlüssel, der im Schloss umgedreht wird. Mein Vater ist vom Einkauf zurück. Den habe ich völlig vergessen. Er darf mich so nicht sehen. Nicht jetzt. Nicht heute. Nicht wenn sonst niemand im Haus ist, um mir Beistand zu leisten. Ich suche fieberhaft nach einem Ausweg aus der mir bevorstehenden Misere, doch ich bleibe stocksteif im Wohnzimmer stehen. Ich habe die Fähigkeit, meinen Körper aus eigener Kraft zu bewegen, verloren.

Polternd und stöhnend bewegt sich mein Vater, beidseitig bepackt mit schweren Tüten, die Treppen hinauf.
„Manuel? Manueeeel? Wo bist du denn, mein Sohn? Hilf mir doch die Einkaufstaschen auszuräumen!“, ruft er im Befehlston.
Ich antworte nicht. Ich mache keinen Mucks, stehe weiterhin wie versteinert mitten im Raum und erwarte das mir drohende Schicksal. In diesem Moment erklimmt Vater die letzte Stufe und betritt außer Atem das Wohnzimmer. Er schaut mich an. Mustert mich von oben bis unten. Sein vor Anstrengung verzerrtes Gesicht zieht sich zu einer wütenden Fratze zusammen. Mit einem Ruck lässt er die vollen Tüten zu Boden fallen und der überwiegende Teil des Einkaufs verteilt sich im Raum, als wollte er sich aus dem Staub machen, um den nun folgenden Wutanfall nicht mitansehen zu müssen.
„Was ist denn in dich gefahren, Manuel?! Bist du völlig bescheuert?!“, schreit mich mein Vater an.
Ehe ich die Möglichkeit habe, mich zu erklären oder auch nur in irgendeiner Weise zu rechtfertigen, brüllt mein Vater weiter: „Du warst ja von Anfang an eine Enttäuschung, aber das schlägt dem Fass den Boden aus! Was soll dieser Tussi-Auftritt? Bist du schwul oder was? Mach deinen Mund auf, verdammt nochmal!!!“
Meine Stimmbänder lassen mich im Stich und ich bringe nur ein zitterndes Flüstern heraus: „Nein … ich, ich bin nicht…ich bin nicht schwul. Ich bin ein M…“
„Ja, was bist du? Was bist du?! Ein Mädchen?! Dass ich nicht lache! Du bist kein Mädchen!“, schneidet mir Vater das Wort ab.
Sein Kopf hat sich rot gefärbt. Er kocht vor Wut. Gerade als ich erneut zu einem Erklärungsversuch ansetzen möchte, bewegt er sich auf mich zu. Wie Frankensteins Monster steht mein Vater vor mir. Schnaubend wie ein provozierter Stier. Jederzeit bereit zum Angriff. Er krallt sich die Blumenhaarspange und reißt sie mir ohne Rücksicht auf Verluste vom Kopf.
„Neeeeeeeein!“, kreische ich voller Entsetzen.
Ich spüre, wie mir die ersten Tränen in die Augen treten. Kochend heiß kullern sie meine Wangen hinunter. Doch mein Vater bleibt eiskalt.
„Na, verläuft deine Schminke? Zerfällt deine makellose Kostümierung langsam? Merkst du endlich, was für eine Scheiße du gebaut hast? Du bist ein Mann, verdammt! Ein beschmierter, in ein Kleid gepresster Mann!“, brüllt er mir erneut ins Gesicht.
Da fasst er mir mit seinen prankenähnlichen Händen ins Dekolleté und zieht mit einem Ruck das gesamte Klopapier aus dem BH.
„Hör sofort aaaaauf!“, schreie ich mir die Kehle aus dem Hals und versuche, mich vor meinem wildgewordenen Vater in Sicherheit zu bringen.
Doch es ist zu spät. Er bekommt das untere Stück des Kleides zu fassen und reißt es mir mit all seiner Kraft vom Leib. Ich stolpere und stürze zu Boden.
„Steh auf, Sohn! Steh auf! Zeig mir deinen Schwanz!“, fordert mich mein Vater mit provokanter Stimme auf.
Doch ich bleibe liegen. Ich bleibe völlig entblößt und gedemütigt auf dem kalten Boden liegen. Ich, das Mädchen gefangen im Jungenkörper. Ich, Mara.

 

Moin Midab

Nur ganz kurz...

Erstmal herzlich willkommen hier.

Interessante Idee.
Hab ich so noch nicht gelesen.

Armer Typ... er ist ein Junge, fühlt sich aber als Mädchen, aber er kann das nicht ausleben, weil sein Vater ein verständnisloser Arsch ist, der seine Familie auch noch vernachlässigt.

Noch ein paar Kleinigkeiten, die ich beim ersten Lesen entdeckt habe:

Dad nimmt sich seither um den Haushalt an
Heißt das nicht „Dad nimmt sich seither dem Haushalt an“?

Bachschmerzen
Bauchschmerzen

auf den kalten Fließen
Fliesen

nach dem Parfüme
Parfüm

Das wars erstmal von mir. Mehr fällt mir im Moment leider nicht ein.
Liebe Grüße,

Anna

 

Hallo Anna,

Vielen, vielen Dank für dein Feedback!

Da sind mir wohl ein paar Schlampigkeitsfehler reingerutscht, dankeschön für's Korrigieren.

Bezüglich des Satzes mit dem Haushalt könntest du recht haben, deine Variante hört sich besser an.

Dass man "Parfüm" ohne "e" schreibt, war mir gar nicht bewusst. Wieder was gelernt. :)

Ein herzliches Dankeschön nochmals und liebe Grüße,
Midab :D

 

Hallo Midab ,

Ich höre die Tür ins Schloss fallen.
Bei der Ich-Perspektive sollte man, finde ich, auf solche Bezeichnungen verzichten wie "Ich sah", "Ich nahm das war" oder "Ich hörte". Wenn du so etwas schreibst wie "Die Tür fällt leise in das Schloss." wirkt das meiner Meinung nach näher am Geschehen.

Er hat es heute tatsächlich geschafft
Du kannst hier das "Er" kursiv schreiben, damit dem Leser klarer wird, dass der Ich-Erzähler an einen besonderen "Er" denkt.

Es fällt ihm schwer, seine momentane Situation zu akzeptieren und anstatt sich für einen neuen Job zu bewerben oder zumindest zu versuchen, den Haushaltspflichten auch nur annähernd nachzukommen, suhlt er sich in Selbstmitleid und verbringt die meiste Zeit im Bett oder auf der Couch vor dem Fernseher.
Bist du wirklich der Meinung, dass deine Figur so denken würde, vor allem nach dem Aufwachen?

Dad nimmt sich seither um den Haushalt an.
So würde jemand eher denken.

Mein ganzer Körper beginnt zu zittern, zum einen vor Kälte und zum anderen vor Aufregung, doch das ist mir egal.
Ich finde, man sollte auch Worte wie "Kälte" oder "Aufregung" vermeiden. Der Leser fühlt sich einfach nicht aufgeregt, wenn du nur das Wort "Aufregung" verwendest. Abgesehen davon gibt es extrem viele unterschiedliche Arten, aufgeregt zu sein. Da reicht es nicht aus, einfach nur das Wort zu schreiben.
Mach so etwas wie "Mein ganzer Körper zittert. Verdammt. Nein, du musst dich jetzt beruhigen. Einatmen ... ausatmen. Einatmen ... ausatmen."
Siehst du? Das wirkt viel intensiver. Anstatt einfach nur ein Wort zu lesen merkst du jetzt richtig, wie der Atem deines Prots schneller wurde und er deswegen etwas verzweifelt ist. :)

lar, ich habe keine Brüste und nicht wirklich weibliche Rundungen, aber von einer maskulinen V-Form meines Oberkörpers oder sonstigen männlichen Zügen fehlt ebenso jede Spur.
Das ist von den Gedanken her schön. Hier passt dieser ausführlicher Stil, weil sich der prot offensichtlich schon sehr ausführlich mit seinem Körper auseinandergesetzt hat.

Verdammte Scheiße! Die Bauchschmerzen melden sich zurück und zwar stärker als je zuvor. Der ziehende Schmerz durchstößt meinen Unterbauch wie ein kraftvoller Blitz, dessen enorme Helligkeit jedes menschliche Auge binnen Millisekunden erblinden ließe. Ich krümme mich immer mehr, in der Hoffnung, den Dämonen, die sich gerade über meine Eingeweide hermachen
Hier versuchst du den Schmerz zu beschreiben. Im Grunde gefällt mir dieser prunkvolle, androgyne Stil. Aber ich würde die Ankündigung "Die Bauchschmerzen melden sich zurück und zwar stärker als je zuvor." rausstreichen, weil das der Leser bei den nächsten Sätzen sowieso merkt.
Das Wort "Schmerz" kannst du genau so wie "Kälte"oder "Aufregung" rauslassen.
Außerdem würde ich mich persönlich davor hüten, zu viele Adjektive zu verwenden, vor allem wenn ich ohnehin schon eine ausgefeilte Metapher verwende. Ich empfehle dir, mal den Absatz durchzugehen und dir die Frage zu stellen "Brauche ich dieses Adjektiv oder dieses Wort allgemein, um das Gefühl Schmerz zu vermitteln, oder lenkt es den Leser nur unnötig ab."

Nervosität
Wieder so ein Wort.

Freude und Ekstase
Schon wieder. Beschreibe doch einfach die Ekstase.

denn plötzlich höre ich den Haustürschlüssel, der im Schloss umgedreht wird. Mein Vater ist vom Einkauf zurück.
Schöne Idee. Ich mag so Geschichten, wo Zeitdruck da ist.

„Was ist denn in dich gefahren, Manuel?! Bist du völlig bescheuert?!“
Das "?!" ist zwar eigentlich richtig, viele Leute denke da aber an einen Cartoon, was ja nicht das Gefühl ist, das du vermitteln wolltest. Du kannst, glaube ich, einfach schreiben: "Was ist denn in dich gefahren, Manuel! Bist du völlig bescheuert!"

Mund auf, verdammt nochmal!!!
Das wirkt auch cartoonartig.

Meine Stimmbänder lassen mich im Stich und ich bringe nur ein zitterndes Flüstern heraus:
Das ist schön.

Was bist du?! Ein Mädchen?!
:hmm:

Er kocht vor Wut.
Dieser Satz kann raus. Der Leser weiß schon, dass er wütend ist.

Wie Frankensteins Monster steht mein Vater vor mir.
Ich finde, dieser Vergleich lenkt einfach nur ab.

ohne Rücksicht auf Verluste
Das würde man meiner Meinung nach nicht in so einer Situation denken. Was soll das überhaupt heißen, ohne Rücksicht auf Verluste?

„Neeeeeeeein!“, kreische ich voller Entsetzen.
Wenn du schon "kreische" schreibst und auch noch ein Ausrufezeichen verwendest, dann ist es doch schon offensichtlich, dass das "Nein" laut geschrien wird und das dein Protagonist verstört ist. Dieses "eeeeeee" und das Wort Entsetzen sind unnötig und lenken den Leser nur ab.

„Hör sofort aaaaauf!“, schreie ich mir die Kehle aus dem Hals
Dasselbe. Er schreit, warum dann noch "aaaaa".

Doch ich bleibe liegen. Ich bleibe völlig entblößt und gedemütigt auf dem kalten Boden liegen. Ich, das Mädchen gefangen im Jungenkörper. Ich, Mara.
Das Ende ist schön, aber ich würde an deiner stelle das "gedemütigt" rauslassen. Die Nacktheit ist meiner Meinung nach ohnehin schon eine Metapher für Erniedrigung.

Die Idee ist sehr schön, aber bei dir hakt es noch an der Sprache, meine ich. Da hilft Schreiben, Kritisieren und Lesen. Hier hast du ein Forum, wo du so viel lesen, kritisieren und schreiben kannst, wie du willst. bemühe dich darum, etwas zu den Kurzgeschichten von den anderen Leuten hier zu schreiben und irgendwann wirst du dann hoffentlich merken, dass du ein besseres Sprachgefühl bekommst.

Liebe Grüße,
alexei

 

Hallo alexei,

Tausend Dank für deine ausführliche Rückmeldung! :)

Dankeschön für die Tipps bezüglich der "Ich sehe/höre/..." - Aussagen und Wörtern wie "Ekstase" oder "Nervosität". Es wäre wohl wirklich angebrachter und spannender gewesen, mich mehr auf die "Ich-Perspektive" einzulassen und die Situationen und Gefühle näher zu beschreiben, als sie einfach mit einem Wort zu benennen. Der Stil des "Inneren Monologs" hat sehr viele Facetten zu bieten, die ich in Zukunft noch viel mehr ausschöpfen könnte und hoffentlich auch werde. ;)

Die Kombination "?!" werde ich zukünftig weglassen, versprochen. Erinnert wirklich eher an Cartoons als an Kurzgeschichten :D Und auch die Aneinanderreihung von gleichen Buchstaben werde ich mir abgewöhnen ;D

Ein riesiges Dankeschön nochmals für dein ausführliches Feedback :D

Ganz liebe Grüße,
Midab

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey, Midab

Deine Geschichte hat mich wirklich gefesselt. V.a. schön fand ich, dass Du die Konfrontation nicht scheust. Sie war so schmerzhaft, dass ich aufhören wollte zu lesen, aber Du bist dabeigeblieben. So muss das! Gut gemacht.

Vom Aufbau habe ich eigentlich nichts anzumerken, außer eine Sache. Deine Prota hat sich schon überall rasiert, sich mit dem eigenen Körper auseinandergesetzt, sich einen neuen Namen gegeben, sich die Haare lang wachsen lassen - und doch scheint es so, als würde sie das erste Mal Frauenkleidung tragen. Das passt in meinen Augen nicht so ganz. Frauenkleidung anziehen, wenn man eine Schwester hat, ist schließlich der kleinste Schritt. Wieso macht sie den zuletzt? Vielleicht schreibst Du besser, dass sie das regelmäßig tut, und jetzt, wo der Vater arbeitslos ist, erwischt wird. Dann müsstest Du kaum etwas ändern.

Übrigens sehe ich, dass Du Dich für alle Vorschläge bedankst, sie aber nicht einarbeitest. Das finde ich als Kritikerin immer etwas frustrierend. Du kannst Deinen Text hier ruhig bearbeiten. Gerade die angemerkten Grammatikfehler ließen sich ja in fünf Minuten korrigieren. Dann stolpert nicht jeder Leser neu darüber.

Jetzt noch ein paar Kleinigkeiten:

Ein 16-jähriges Mädchen.
Er hat es heute tatsächlich geschafft, sich vor 12 Uhr aufzurappeln und einkaufen zu fahren und das an einem Montag – dem für gewöhnlich schlimmsten aller Wochentage. Der „Hausherr“, wie er sich zu nennen pflegt, ist seit 3 Monaten arbeitslos.
Sagen wir, ich sehe aus wie ein 11-jähriges Mädchen vor der Pubertät. Doch leider zeichnet sich von meiner Hüfte an abwärts ein anderes Bild ab: Schuhgröße 45 tragende Füße, maskulin wirkende Beine und ein Penis, der zwar ebenso perfekt rasiert, aber trotz allem nicht zu übersehen und Teil meines Körpers ist. Teil meines 16 Jahre alten männlichen Körpers.

Zahlen werden in Geschichten ausgeschrieben. Ich finde, bei Uhrzeiten (10:43, 6:30) ist es okay, aber alle anderen Zahlen bitte als Wort schreiben.

Engelsgleich schwebt meine Schwester regelrecht durch den Tag, wenn immer sie sich dieses Kunstwerk eines Kleidungsstücks überstreift.

"wann" statt "wenn".

Wie fremdgesteuert beginnen meine Hände in der Wäschetonne zu wühlen. Mit einem Ruck liegt das Objekt meiner Begierde vor mir. Als ich etwas tiefer in die Weiten des Schmutzwäsche-Behälters eindringe, ertasten meine vor Aufregung zitternden Finger den Verschluss eines BHs.

Hier passen die Bewegungen Deiner Prota nicht zum vorher beschriebenen Setting. Das Kleid guckt schon raus, warum also wühlt sie? Und am Ende zieht sie doch. Passt nicht. Erst am Kleid ziehen, dann wühlen. Nicht wühlen, am Kleid ziehen - denn warum sollte man vorher umrühren, bevor man sich das nimmt, was eh schon rausguckt? -, dann wieder wühlen, dann ertasten ... und dann kommt schon anziehen. Du musst Dir die Bewegung wirklich vorstellen. So wie ich mir das vorstelle, wie Du es beschreibst, verhält Deine Prota sich wie jemand, der mit seinen Armen nicht richtig umgehen kann.

das Kleid duftet noch immer nach dem Parfüme meiner Schwester

"Parfüm"

Vorsichtig und beinahe in Zeitlupengeschwindigkeit öffne ich die Augen.

"Zeitlupengeschwindigkeit" ist doppelt gemoppelt. "Zeitlupe" reicht.

Wo bist du denn, mein Sohn?

Wer sagt denn so was im Real Life? Schreibst Du das, falls wir nicht verstanden haben sollten, dass "Dad" der Vater von Mara ist?

Generell möchte ich mich dem schon Gesagten anschließen: Ich freue mich, dass Du die Konfrontation suchst, aber der Dialog ist total ... comichaft, das trifft es wirklich gut. Deine Prota schreit: "Neeeein", und ihr Vater nennt sie: "Mein Sohn." (Ich sage das mit tiefer Stimme bedeutungsschwanger vor mich hin.) Überlege Dir auch hier, wie sich das abspielt. Versuche, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Ich weiß, Eskalationen in Streitigkeiten zu beschreiben, ist sehr schwierig, weil man sich oft unsicher ist, wann das Ausmaß an Spannung erreicht ist, dass Gewalttätigkeit logisch erscheint. Alles, was passiert, ist okay geschrieben. Aber der Dialog ist an vielen Stellen totaler Quatsch.

Dass Deine Prota pathetische Sachen kreischt, obwohl sie davor zur Salzsäule erstarrt war ... na ja. Du vermischst Erstarren mit Ausrasten. Das passt nicht. Ich sehe zwei eindrucksvolle Szenarien, über die Du nachdenken solltest. 1. Deine Prota versucht, auf ihr Zimmer zu fliehen, wird dabei aber gesehen, und ihr Vater folgt ihr. Hier könntest Du Handgreiflichkeiten ohne großen Dialog einleiten. 2. Deine Prota ist vollkommen erstarrt, kriegt keinen Ton heraus und muss einfach alles mit sich machen lassen.

Es ist Deine Geschichte. Make it work!

Viele Grüße,
Maria

PS: Einfach auf "Bearbeiten" drücken und die Korrekturen einarbeiten. ;) Bin gespannt, was Du draus machst.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Midab,

Ich sag jetzt einfach auch mal meine Meinung. Werde dabei aber nicht auf Flüchtigkeitsfehler eingehen, denke, die wurden zur Genüge aufgezählt.

Endlich ist mein Vater aus dem Haus. Die leuchtenden Ziffern des Radioweckers zeigen 10:43 an. Wow. Er hat es heute tatsächlich geschafft, sich vor 12 Uhr aufzurappeln und einkaufen zu fahren und das an einem Montag – dem für gewöhnlich schlimmsten aller Wochentage. Der „Hausherr“, wie er sich zu nennen pflegt, ist seit 3 Monaten arbeitslos. Ein Ende seiner beruflichen Krise ist noch nicht in Sicht. Aus diesem Grund arbeitet meine Mutter nun fast ununterbrochen sieben Tage pro Woche, um die Familie irgendwie über Wasser zu halten. Dad nimmt sich seither um den Haushalt an. Doch leider eher schlecht als recht: Es fällt ihm schwer, seine momentane Situation zu akzeptieren und anstatt sich für einen neuen Job zu bewerben oder zumindest zu versuchen, den Haushaltspflichten auch nur annähernd nachzukommen, suhlt er sich in Selbstmitleid und verbringt die meiste Zeit im Bett oder auf der Couch vor dem Fernseher.

Erstmal finde ich es gut, unter Berücksichtigung des großen Ganzen, dass du deine Geschichte im Präsens verfasst hast: Das sorgt dafür, dass man sich mitten im Geschehen wähnt und wenn alles auf ein so emotionales Ende herausläuft, hat das natürlich auch eine entsprechende Wirkung. Darüber hinaus zeichnest du in diesem ersten Absatz ein sehr deutliches Bild: Ein frustrierter Mann mittleren Alters, der sich selbst als das Familien-Oberhaupt deklariert, obwohl er eigentlich nur zuhause faulenzt und sich seiner vermeintlichen Männlichkeit erfreut. Also, ich weiß nicht, wie es dir geht, aber in meinen Ohren klingt das nach einem Set-Up für eine typische Outing-Geschichte eines jungen männlichen Teenagers. Die dann ja auch kommt. Aber Klischee muss ja nicht schlecht sein, schauen wir mal, was jetzt passiert.

Die ziehenden Bachschmerzen, die mich ab und an heimsuchen und mir wieder einmal einen freien Schultag eingebracht haben, lassen Gott sei Dank nach und ich schleiche auf Zehenspitzen aus meinem Zimmer und hinein ins Bad. Wieso ich mich trotz Abwesenheit meiner Familie nur auf Zehenspitzen fortbewege weiß ich nicht genau. Vielleicht einfach eine Vorsichtsmaßnahme – man kann ja nie wissen. Ich schließe die Tür hinter mir ab – noch eine Vorsichtsmaßnahme. Langsam streife ich mir die Socken von den Füßen, ziehe mein Pyjama-Shirt und die lange Jogginghose aus und entledige mich schlussendlich auch meiner Boxershorts. Mein ganzer Körper beginnt zu zittern, zum einen vor Kälte und zum anderen vor Aufregung, doch das ist mir egal. Erst jetzt taste ich nach dem Lichtschalter. Ein Knips und die beiden Lampen an der Decke leuchten auf. Meine noch etwas müden Augen brauchen einige Sekunden, um sich an das grelle Licht zu gewöhnen, doch dann sehe ich mich klar und deutlich im Spiegel. Von Kopf bis Fuß betrachte – nein, analysiere ich meinen nackten Körper. Meine schulterlangen braunen Haare, die großen dunklen Augen, meine schmale Nase, die etwas spröden Lippen, der penibel glatt rasierte, zierliche Oberkörper. Würde man nur die obere Hälfte meines Körpers betrachten, könnte ich tatsächlich für ein Mädchen gehalten werden. Klar, ich habe keine Brüste und nicht wirklich weibliche Rundungen, aber von einer maskulinen V-Form meines Oberkörpers oder sonstigen männlichen Zügen fehlt ebenso jede Spur. Sagen wir, ich sehe aus wie ein 11-jähriges Mädchen vor der Pubertät. Doch leider zeichnet sich von meiner Hüfte an abwärts ein anderes Bild ab: Schuhgröße 45 tragende Füße, maskulin wirkende Beine und ein Penis, der zwar ebenso perfekt rasiert, aber trotz allem nicht zu übersehen und Teil meines Körpers ist. Teil meines 16 Jahre alten männlichen Körpers.

Formulierungen wie "Sagen wir" erwecken bei mir immer den Eindruck, dass der Protagonist mit mir spricht, beziehungsweise ein Publikum hat. In diesem Fall finde ich das unangemessen, weil es ja um seine eigene Gefühlswelt geht; ein sehr intimes Thema, das er, zumindest in diesem Abschnitt, bestimmt (noch) nicht mit der ganzen Welt teilen möchte. Was uns zum nächsten Punkt bringt: Du charakterisierst Manuel hier als jemanden, der nicht wirklich versucht, seine Gefühle oder unterbewussten Handlungen zu ergründen (
Wieso ich mich trotz Abwesenheit meiner Familie nur auf Zehenspitzen fortbewege weiß ich nicht genau. Vielleicht einfach (..)
"), sondern erstmal nur empfindet. Das ist ja auch ok, behalten wir es mal im Hinterkopf. Außerdem hast du jetzt zwei Absätze eigentlich nur beschrieben, einmal Manuels Körper, einmal die Lebensrealität seines Vaters, und dafür (richtigerweise) kurze, sachliche Sätze und in diesem Absatz auch ein paar Aufzählungen benutzt. Das wird dir im nächsten Absatz gleich zum Verhängnis.

Verdammte Scheiße! Die Bauchschmerzen melden sich zurück und zwar stärker als je zuvor. Der ziehende Schmerz durchstößt meinen Unterbauch wie ein kraftvoller Blitz, dessen enorme Helligkeit jedes menschliche Auge binnen Millisekunden erblinden ließe. Ich krümme mich immer mehr, in der Hoffnung, den Dämonen, die sich gerade über meine Eingeweide hermachen, irgendwie entkommen zu können, doch vergebens. Schließlich sacke ich völlig zusammen und sinke zu Boden. Wie ein kleines Häufchen Elend liege ich nackt auf den kalten Fließen: Die Arme um meine zitternden Beine geschlungen. Wimmernd und flehend, der Schmerz möge endlich an Intensität verlieren. Nach einer gefühlten Ewigkeit beruhigt sich mein Bauch wieder – die Dämonen kriechen in ihre dunklen Höhlen zurück, der Blitz hat meinen Körper verlassen.

Im Vergleich zu den sachlichen ersten beiden Teilen wirkt dieser Anfang in meinen Ohren ziemlich übertrieben und verkrampft extrem. Gerade der Switch zwischen sachlichen Feststellungen und dem Konjunktiv wird dir hier zum Verhängnis:
Der ziehende Schmerz durchstößt meinen Unterbauch wie ein kraftvoller Blitz, dessen enorme Helligkeit jedes menschliche Auge binnen Millisekunden erblinden ließe
Auch Dämonen finde ich ein bisschen sehr dick aufgetragen. Es geht nur um Bauchschmerzen! So entsteht der Eindruck, dass Manuel mehr leidet als James Bond in dieser einen Folterszene. Wenn dem wirklich so ist, würde ich an Manuels Stelle mit diesen "Bauchschmerzen" mal ganz dringend zum Arzt gehen (:

Ich rapple mich vorsichtig auf und lehne mich sitzend gegen den Heizkörper, dessen angenehme und wohltuende Wärme sich in mir auszubreiten beginnt. Meine erschöpften Augen schweifen durchs Badezimmer: Die verstaubte Toilette, das fast leergeräumte Handtuchregal, die viel zu selten zur Anwendung kommende Waschmaschine. Alles in allem ein eher trostloses als interessantes Abbild eines Raumes. Doch da fällt mein Blick auf den Schmutzwäsche-Container, der vor Kleidungsmassen beinahe zu zerborsten droht. Unter dem schmuddeligen schwarzen T-Shirt meines Vaters blitzt das türkisfarbene Sommerkleid meiner Schwester hervor. Wenn ich mich recht erinnere, hat sie es vorgestern erst getragen. Die weißen Punkte, das Herz-Dekolleté, der fließende Übergang zwischen dem eng anliegenden oberen Abschnitt und dem ausgestellten Faltenrock, die dünnen Träger, die sich sanft um die Schultern schmiegen – mit einem Wort: traumhaft. Engelsgleich schwebt meine Schwester regelrecht durch den Tag, wenn immer sie sich dieses Kunstwerk eines Kleidungsstücks überstreift.

Jetzt hast du einen guten Kompromiss zwischen emotionalen und sächlichen Beschreibungen gefunden: Die Eigenschaften des Kleides werden gut herausgestellt und mit ein paar "anschaulichen" Adjektiven/Verben greifbar gemacht:
Die weißen Punkte, das Herz-Dekolleté, der fließende Übergang zwischen dem eng anliegenden oberen Abschnitt und dem ausgestellten Faltenrock, die dünnen Träger, die sich sanft um die Schultern schmiegen – mit einem Wort: traumhaft
Gefällt mir gut. Auch "engelsgleich" passt gut, obwohl es natürlich übertrieben ist: Immerhin geht es jetzt um Manuels Gefühlswelt und die überströmt ihn im Folgenden ja komplett. Noch dazu ist er - wie wir bereits konstatiert haben - ein Mensch, der mehr empfindet als ergründet.

Wie fremdgesteuert beginnen meine Hände in der Wäschetonne zu wühlen. Mit einem Ruck liegt das Objekt meiner Begierde vor mir. Als ich etwas tiefer in die Weiten des Schmutzwäsche-Behälters eindringe, ertasten meine vor Aufregung zitternden Finger den Verschluss eines BHs. Völlig gedankenlos und von plötzlicher Ekstase getrieben lege ich ihn mir um. Er zwickt ein bisschen, sitzt aber nahezu perfekt. Bis auf die leeren B-Körbchen-Cups natürlich, doch die werden kurzer Hand mit Klopapier ausgestopft. Ich greife nach dem Sommerkleid und schließe die Augen. Behutsam ziehe ich es mir über den Kopf. Jetzt nur nichts kaputt machen. Der Stoff fühlt sich leicht und weich an, fast wie Seide. Ich atme tief ein – das Kleid duftet noch immer nach dem Parfüme meiner Schwester – frisch und blumig. Nur noch der Reißverschluss und – ja, ich stehe fertig eingekleidet inklusive BH vor dem Spiegel. Vorsichtig und beinahe in Zeitlupengeschwindigkeit öffne ich die Augen. Lässt man die Unterschenkel und Füße außen vor, steht nun wahrhaftig ein zierliches schüchternes Mädchen im Badezimmer. Ein braunhaariges Mädchen mit B-Körbchen im wunderschönen Sommerkleid. Begeistert betrachte ich das Spiegelbild. Mein Spiegelbild. Aber es reicht mir nicht.

Sehr schön! Den gerade gelobten Stil behältst du bei und gewährst uns so einen Einblick in Manuels Gefühlsleben. Das "Aber es reicht mir nicht" am Ende ist außerdem ein guter Cliffhanger.

Mit zittrigen Fingern öffne ich den Hängeschrank über dem Waschbecken. Wie ein Detektiv auf der Suche nach dem entscheidenden Hinweis durchstöbere ich den mir darbietenden Inhalt. Nagellackfläschchen in den verschiedensten Farben, Abschminktücher, eine Nagelfeile und … ein Lippenstift in goldglänzender Hülle. Vorsichtig nehme ich die Kappe ab – der pinkfarbene Lippenstift kommt zum Vorschein. Hunderte Male habe ich meine Schwester bereits dabei beobachtet: Wie eine begnadete Künstlerin ihren Pinsel zielsicher über die Leinwand zieht, taucht sie ihre Lippen Strich für Strich in ein kräftiges Pink – jedes Mal makellos. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken und erschüttert meinen ganzen Körper. Trotz der mich zur Gänze einnehmenden Nervosität versuche ich, es ihr gleich zu tun. Ich setze in der Mitte der Oberlippe an und ziehe den ersten Strich. Um nicht in Unsicherheit und Zweifel zu geraten, ziehe ich sofort den zweiten Strich auf der anderen Seite. Zum Schluss die Unterlippe. Ich trete einen Schritt zurück und betrachte mein Werk. Die Linienführung ist sicher noch ausbaufähig, aber für den ersten Versuch absolut zufriedenstellend. Die Farbe steht mir. Meine Lippen wirken voll und weich. Ich habe Blut geleckt – ich nehme all meinen Mut zusammen und durchforste erneut den Make-Up-Bestand meiner Schwester. Schnell werde ich fündig: Eyeliner und Wimperntusche. Auch was die künstlerische Verschönerung von Augen angeht, habe ich durch das genaue Studieren der Technik meiner Schwester schon einiges lernen können, hoffe ich zumindest. Sie hat über die Jahre ihr Augen-Make-Up immer mehr verbessert und mittlerweile bis zur absoluten Meisterklasse perfektioniert. Ein Blick ihrerseits und man schwebt im siebten Himmel. So behutsam wie möglich hebe ich mein linkes Augenlid hoch und starte den ersten Versuch, einen möglichst geraden Lidstrich zu zeichnen. Er ist geglückt. Voller Freude über mein bislang verstecktes Schmink-Talent mache ich weiter. Ich bin wie im Rausch. Raum und Zeit verschmelzen miteinander, alles um mich herum ist vergessen. Es gibt nur mich, den Spiegel und die Werkzeuge meiner Kunst.

Ich verzichte mal darauf, meine angeführten Punkte dick zu markieren, ich denke, ich habe klar gemacht worauf ich hinauswill. Der Absatz ist also auch sehr schön, natürlich übertrieben (
Raum und Zeit verschmelzen miteinander, alles um mich herum ist vergessen. Es gibt nur mich, den Spiegel und die Werkzeuge meiner Kunst.
) , aber so erlebt es der Manu halt gerade und Themen wie die eigene Sexualität können die Gefühle auch schon mal so in die Höhe treiben, wie wir wahrscheinliche alle wissen. Auch das Präsens kommt dir hier zugute, da es für den Leser so sehr nahbar erscheint.

Als nach meinen Lippen nun auch meine braunen Augen im neuen Glanz erstrahlen, krame ich noch Bürste und Blumenhaarspange hervor. Frisch gekämmt bildet die Blume in meinem Haar den krönenden Abschluss. Es ist vollbracht. Die Verwandlung ist vollendet. Aus dem Spiegel strahlt mir ein bezaubernd schönes Mädchen entgegen. Ein Mädchen mit sanften Gesichtszügen, vollen Lippen, glänzendem Haar, langen Wimpern und einem wunderschönen, perfekt sitzenden Sommerkleidchen. Ein engelsgleiches Geschöpf. Ich. Mein wahres Ich.

Siehe oben. Der Eindruck von Manuel, den du aufgebaut hast, wird fortgeführt, find ich jut und schön.

Durchflutet von Freude und Ekstase macht sich ein Bedürfnis in mir breit: Ich will tanzen und die ganze Welt an meiner zauberhaften Verwandlung teilhaben lassen. Ich will mich nicht länger verstecken. Ich will mein wahres Ich nach außen tragen. Ich will ich sein. Ein 16-jähriges Mädchen. Mara.

Mhmm, wir wissen ja mittlerweile, dass Manuel ein sehr spontaner und empfindsamer Mensch ist. Aber das ist mir hier doch zu plötzlich: Ich bezweifle stark, dass es "betroffene" Menschen gibt, die einfach, ohne richtig darüber nachzudenken, ihren Gefühlen entsprechend handeln und dann gaaanz plötzlich wissen, dass sie das mit der ganzen Welt teilen wollen. So ein Outing dauert Jahre und beinhaltet immer wiederkehrendes Grübeln über die eigene Gefühlswelst - bei dem einen mehr, bei Manuel weniger. Aber so wenig ist dann doch zu viel des Guten! Ich hoffe, du verstehst, was ich meine.

Ich stürme aus dem Badezimmer. Dort ist nicht genug Platz für all die positive Energie, die aus mir herausbricht wie ein Schmetterling aus seiner zu eng gewordenen Puppe. Wie ein kleines Kind springe und hüpfe ich im Wohnzimmer herum und fühle mich zum ersten Mal rundum wohl in meiner Haut. Doch mein Freudentanz ist nur von kurzer Dauer, denn plötzlich höre ich den Haustürschlüssel, der im Schloss umgedreht wird. Mein Vater ist vom Einkauf zurück. Den habe ich völlig vergessen. Er darf mich so nicht sehen. Nicht jetzt. Nicht heute. Nicht wenn sonst niemand im Haus ist, um mir Beistand zu leisten. Ich suche fieberhaft nach einem Ausweg aus der mir bevorstehenden Misere, doch ich bleibe stocksteif im Wohnzimmer stehen. Ich habe die Fähigkeit, meinen Körper aus eigener Kraft zu bewegen, verloren.

Acchhh, der Vater, der sich richtig männlich und heterosexuell fühlt, erwischt jetzt seinen Sohn in Frauenklamotten. Alsoo damit habe ich ja gaaaar nicht gerechnet.

Polternd und stöhnend bewegt sich mein Vater, beidseitig bepackt mit schweren Tüten, die Treppen hinauf.
„Manuel? Manueeeel? Wo bist du denn, mein Sohn? Hilf mir doch die Einkaufstaschen auszuräumen!“, ruft er im Befehlston.
Ich antworte nicht. Ich mache keinen Mucks, stehe weiterhin wie versteinert mitten im Raum und erwarte das mir drohende Schicksal. In diesem Moment erklimmt Vater die letzte Stufe und betritt außer Atem das Wohnzimmer. Er schaut mich an. Mustert mich von oben bis unten. Sein vor Anstrengung verzerrtes Gesicht zieht sich zu einer wütenden Fratze zusammen. Mit einem Ruck lässt er die vollen Tüten zu Boden fallen und der überwiegende Teil des Einkaufs verteilt sich im Raum, als wollte er sich aus dem Staub machen, um den nun folgenden Wutanfall nicht mitansehen zu müssen.
„Was ist denn in dich gefahren, Manuel?! Bist du völlig bescheuert?!“, schreit mich mein Vater an.
Ehe ich die Möglichkeit habe, mich zu erklären oder auch nur in irgendeiner Weise zu rechtfertigen, brüllt mein Vater weiter: „Du warst ja von Anfang an eine Enttäuschung, aber das schlägt dem Fass den Boden aus! Was soll dieser Tussi-Auftritt? Bist du schwul oder was? Mach deinen Mund auf, verdammt nochmal!!!“
Meine Stimmbänder lassen mich im Stich und ich bringe nur ein zitterndes Flüstern heraus: „Nein … ich, ich bin nicht…ich bin nicht schwul. Ich bin ein M…“
„Ja, was bist du? Was bist du?! Ein Mädchen?! Dass ich nicht lache! Du bist kein Mädchen!“, schneidet mir Vater das Wort ab.
Sein Kopf hat sich rot gefärbt. Er kocht vor Wut. Gerade als ich erneut zu einem Erklärungsversuch ansetzen möchte, bewegt er sich auf mich zu. Wie Frankensteins Monster steht mein Vater vor mir. Schnaubend wie ein provozierter Stier. Jederzeit bereit zum Angriff. Er krallt sich die Blumenhaarspange und reißt sie mir ohne Rücksicht auf Verluste vom Kopf.
„Neeeeeeeein!“, kreische ich voller Entsetzen.
Ich spüre, wie mir die ersten Tränen in die Augen treten. Kochend heiß kullern sie meine Wangen hinunter. Doch mein Vater bleibt eiskalt.
„Na, verläuft deine Schminke? Zerfällt deine makellose Kostümierung langsam? Merkst du endlich, was für eine Scheiße du gebaut hast? Du bist ein Mann, verdammt! Ein beschmierter, in ein Kleid gepresster Mann!“, brüllt er mir erneut ins Gesicht.
Da fasst er mir mit seinen prankenähnlichen Händen ins Dekolleté und zieht mit einem Ruck das gesamte Klopapier aus dem BH.
„Hör sofort aaaaauf!“, schreie ich mir die Kehle aus dem Hals und versuche, mich vor meinem wildgewordenen Vater in Sicherheit zu bringen.
Doch es ist zu spät. Er bekommt das untere Stück des Kleides zu fassen und reißt es mir mit all seiner Kraft vom Leib. Ich stolpere und stürze zu Boden.
„Steh auf, Sohn! Steh auf! Zeig mir deinen Schwanz!“, fordert mich mein Vater mit provokanter Stimme auf.
Doch ich bleibe liegen. Ich bleibe völlig entblößt und gedemütigt auf dem kalten Boden liegen. Ich, das Mädchen gefangen im Jungenkörper. Ich, Mara.

Den letzten Satz (
Ich, Mara.
) finde ich sehr schön. Zeigt, dass man so grundlegende Dinge wie die geschlechtliche Identität nicht ändern kann, egal, wie viel man prügelt. Alles davor ist aber ein wenig langweilig: Acchhh, jetzt rastet dieser Vater auch noch aus und wird handgreiflich. Also damit hätte ich bei diesem Set-Up ja wieder gaaaaaar nicht gerechnet. Das Präsens funktioniert aber wie gesagt gut.

Fazit: Das Set-Up ist mir zu klischeehaft und vorhersehbar, der Charakter von Manuel wird dafür trotz der Kürze sehr schön herausgearbeitet, aufgebaut und beibehalten, sieht man mal von der in meinen Augen unrealistisch schnellen Akzeptanz seiner selbst ab. Abseits von den Bauchschmerzen straight aus der Hölle verirrst du dich auch im Stil nie, die passende Zeitform wird gut beibehalten. Die Kluft zwischen Sächlichkeit und Emotionalität wirkt anfangs zwar etwas komisch, ist für die Skizze von Manuel unabdingbar und daher vollkommen in Ordnung. Eine Geschichte mit Potenzial, die durch das langweilige und berechenbare Set-Up etwas verhunzt wird. Schade.

Viele liebe Grüße und hoffentlich lese ich bald mal wieder was von dir
RobotBoy

 
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Hey
Erstmal was für eine unglaubliche Geschichte ist das bitte :D Ich bin Buchbloggerin und Rezensiere dem entsprechend auch viele Bücher und ich hab noch keines gelesen das diese Thematik beinhaltet. Einfach großartig. Ich kann dir sagen damit hast du auf jeden Fall ein Nerv getroffen der es verdient hat mal angesprochen zu werden.
Ich freue mich auf jeden Fall mehr von dir zu lesen.

Ich hoffe das es in der Gesellschaft irgendwann Akzeptiert wird wenn man sich im Falschen Körper befindet und das ein Junge nicht immer gleich Junge ist nur weil er die äußeren Erscheinungsmerkmale hat.

Die kleine Flüchtigkeitsfehler wurden ja schon genannt also brauche ich diese ja nicht nochmal zu nennen, auch die ganzen Kritik punkte die ebenfalls meine sind zum teil stehen hier schon sehr viel. Du hast auf jeden Fall eine neue Leserin gefunden. Mich! :D trotz der Kritikpunkte die hier ja wie gesagt schon mehrfach aufgelistet wurden finde ich die Geschichte sehr bewegen einfach der Thematik wegen. Danke dafür

 

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