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Ich kann es

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05.01.2009
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Ich kann es

Der Fernseher lief, doch es kam nichts, was ihn interessierte. „Warum ist mein Leben
nur so ermüdend?“ fragte er sich. „Noch nicht einmal der vermeintliche König der Unterhaltungsindustrie ist dazu im Stande, mich zu erheitern.“
Er beschloss, seine abgetragene Cordhose und seine Stoffjacke, deren Reißverschluss er aufgrund der vielen Jahre, die sie ihm treu zur Seite stand, nur noch mit Mühe schließen konnte, anzuziehen. „Morgen geh ich mir neue Klamotten kaufen“, dachte er. Und kaum war der Gedanke laut ausgesprochen, da geriet er auch schon wieder in Vergessenheit, denn wirklich Wert auf sein Äußeres legte er schon lange nicht mehr. Mindestens aber schon seit dem Zeitpunkt, da ihn seine Frau verlassen hatte. Sie begann ihn zu lieben wie er war und hörte auf ihn zu lieben wegen dem, was er war. Sie verließ ihn ohne große Reden zu schwingen und mit der Zeit verblich für beide die Erinnerung an den anderen, wie das mit Kreide auf die Straße gemalte Herz für die große Liebe im Kindesalter.
Nachdem es ihm dann endlich gelang, den Reißverschluss seiner Jacke zu schließen, verließ er sein Ein-Zimmer-Apartment und begann ziellos durch die Gegend zu trotten. Zwar war er sich über das Ziel seines Spaziergangs bewusst, doch über welche Umwege er seine Stammkneipe „Chez Boozaulay“ erreichen würde, überließ er seinen niederen Instinkten, denn er wusste, dass sein Unterbewusstsein ihn auf jeden Fall dort landen ließ, selbst wenn er dermaßen in Gedanken versunken war, dass er kaum noch was von den schäbigen, rußgeschwärzten Häusern und allem, was in und um dieselbigen geschah, wahrnahm. Er war sogar dazu im Stande, sich den Straßenverkehr zu einer Philharmonie „zurechtzudenken“, die mit Engelstrompeten und Teufelsposaunen aus Stahl den Walkürenritt schmetterte. Denn trotz seiner ruhigen, introvertierten Art liebte er die donnernden, schweren, schmetternden Klassikkompositionen von Wagner. So ritt er nun mit den Walküren durch sein Viertel und fand sich plötzlich im „Chez Boozaulay“ am Tresen wieder.
„Trinkst‘n, Stu?“ fragte ihn Ivan der Wirt, von dem man aufgrund seiner mächtigen Statur und seinem überdimensional großen Kopf annahm, er könnte es leicht mit einem ausgewachsenen Grizzly aufnehmen. Und das musste wahrscheinlich in dieser heruntergekommenen Beiz auch sein, wollte man seine Ruhe vor besoffenen Arschlöchern, die sich wichtig machen mussten um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Ivan lächelte nie. Er war starr wie Eis. Trotzdem fand Stu ihn auf seine Art sympathisch, auch wenn ihm bewusst war, dass sie niemals Freunde werden würden. Immerhin gab Ivan ihm was er wollte, solange er zahlen konnte. „Gib mir‘n Bier und irgend‘nen billigen Fusel, der mich vergessen lässt“ erwiderte Stu. Ivan gab ihm zu seinem Bier einen Wodka. „Is‘ aus meiner Heimat, hilft da Tausenden oder wahrscheinlich eher Millionen, zu vergessen“. Stu bedankte sich mit einem kaum zu erkennenden Kopfnicken, trank den Wodka mit einem Zug aus und kippte noch im selben Augenblick einen großen Schluck Bier hinterher.
Ein anderer Gast, den Stu bisher nicht wahrgenommen hatte, fragte ihn, ob er auch von der Arbeit komme und nun trinkt um sich zu entspannen. „Nein, erstens arbeite ich nicht, zweitens bin ich immer entspannt“ antwortete Stu knapp und hoffte, damit seinem Gegenüber sein Desinteresse an einem Gespräch vermittelt zu haben. Der ließ jedoch nicht locker. „Na warum trinkst‘n dann? Irgend‘nen Grund musste ja wohl ham!?“ Stu hasste solche Gespräche, die ja sowieso nur in der üblichen Phrasendrescherei enden. Also überlegte er kurz und antwortete: „Weil ich’s kann!“ Der andere Gast sah ihn verdutzt an, bezahlte und verließ mit einem verachtenden Kopfschütteln das „Chez Boozaulay“.
Ab diesem Zeitpunkt munkelte man, Ivan hätte nach diesem Ereignis für den Bruchteil einer Sekunde seine Mundwinkel einige wenige Millimeter nach oben gezogen, sodass ein Lächeln im Ansatz erkennbar war. Bestätigt hat sich dies jedoch nie. Stu verlangte mehr Wodka und nachdem er die Flasche geleert hatte ging er nach Hause, legte sich glücklich und besoffen ins Bett, sagte laut „weil ich’s kann!“ und schlief lächelnd ein.

 

Ich habe das Gefühl große Kunst vor mir zu haben, denn ich finde es gut und weiß nicht warum. Das Thema scheint belanglos und doch bin ich motiviert es zu lesen, möchte wissen wie es weitergeht. Große Klasse. Die Umsetzung dieser Idee ist dir sehr gut gelungen.

 

Hallo Dude,

eine schöne Geschichte, obwohl es streng genommen keine Geschichte (kein Konflikt, kein Plot), sondern eher eine Schilderung ist, aber schön zu lesen und ein paar bemerkenswerte Formulierungen und Gedanken darin. Danke!

Lg,
catlucy

 

Hi The Dude,

also im Gegensatz zu meinen Vorrednern bin ich jetzt weniger begeistert.

Das mag vielleicht daran liegen, dass ich mit dem Inhalt Deiner Geschichte nicht wirklich viel anfangen kann.
Irgendwie lässt sich dieser Stu ja nur hängen, geht in die Kneipe, besäuft sich bei seinem unsympathischen Wirt, den er nicht zum Freund haben will, lässt einen Mitmenschen, der ein Gespräch mit ihm anfängt, sehr unfreundlich abblitzen und geht am Ende heim, um sich seinen Rausch auszuschlafen. Toll!

Die KG ist zwar ganz flüssig geschrieben, aber sowohl die Personen als auch der Inhalt der Geschichte lassen mich irgendwie kalt, es kommt nichts rüber. Mit der "Kneipenkultur" kann ich sowieso nichts anfangen, Alkohol trinke ich fast keinen, ich verbringe meine Freizeit eben anders, möglicherweise liegt's ja daran, dass mich Deine KG nicht berührt.

LG
Giraffe.

 
Zuletzt bearbeitet:

@giraffe
mag ja sein, dass es dich kalt lässt, jedoch schildere ich hier ein teil meiner/unserer realität. es gibt nun mal solche leute, die in gewissen situationen misanthrop erscheinen und lieber ihre ruhe haben. das leben ist eben nicht für jeden ne torte mit puderzucker drauf.
ich finde es ok, dass dich die geschichte nicht berührt, denn so kann ich mir wenigstens sicher sein, dass du nicht von solch "seltsamen" leuten umgeben bist und das freut mich für dich :-) andererseits muss ich sagen, dass es manchma recht interessant is, in die dorfkneipe zu gehen um "milieustudien" zu betreiben und geschichten, die ähnlich sind, miterleben kann. also probiers doch einfach ma aus und schildere uns dein erlebnis ;-)

 

Hey dude,
und willkommen auf kg.de.

Leider wird mein erster Kommentar an dich ein derber Verriss. Ich hoffe, du verkraftest das ;)

Anfangen möchte ich mit einem Satz von dir

muss ich sagen, dass es manchma recht interessant is, in die dorfkneipe zu gehen um "milieustudien" zu betreiben und geschichten, die ähnlich sind, miterleben kann. also probiers doch einfach ma aus und schildere uns dein erlebnis

hier verwechselst du etwas: es geht hier nicht darum irgendwelche Erlebnisse zu schildern, sondern um Kurzgeschichten. Beides mag manchmal Hand in Hand gehen, hier funktioniert es zumindest nicht.

In meinen Augen funktioniert das nicht, weil du nichts zu erzählen hast.
Ein sich selbst bemitleidender typ, der nicht mit seinem Leben anzufangen weiß. Aha. Klar kennt man solche Menschen, aber die geben nur dann wirklich was für eine Geschichte her, wenn auch etwas passiert, dass es lohnt, erzählt zu werden. Das kann ich hier nicht erkennen.
Blasse Typen, in die aufgrund der schablonencharakterisierung kein einfühlen möglich ist, Kein konflikt, keine Spannung.
Und mal im Ernst: Willst du wirklich auf die verbrauchte Pointe am Ende hinaus?

Erzählt finde ich das ganze auch recht schlampig. Dieser Satz steht dafür Pate:

Zwar war er sich über das Ziel seines Spaziergangs bewusst, doch über welche Umwege er seine Stammkneipe „Chez Boozaulay“ erreichen würde, überließ er seinen niederen Instinkten, denn er wusste, dass sein Unterbewusstsein ihn auf jeden Fall dort landen ließ, selbst wenn er dermaßen in Gedanken versunken war, dass er kaum noch was von den schäbigen, rußgeschwärzten Häusern und allem, was in und um dieselbigen geschah, wahrnahm.
Das ist ein ungetüm, der vermutlich so runtergeschrieben wurde, wie er dir eben in den Sinn kam. So wirkt im Großen und Ganzen die gesamte Geschichte auf mich.
Wo Junner hier die "große Kunst" sieht, ist mir schleierhaft.

Am besten liest du dich hier erstmal ein bisschen um und wirst selbst als Kommentator aktiv. Dabei lernt man unter Garantie am meisten. Außerdem gebietet es die Höflichkeit, auch auf die anderen Kritiker einzugehen, die sich zu deiner kg gemeldet haben. ;)

so oder so noch viel Spaß hier

grüßlichst
eltenläufer

 

Hallo Dude,
Deine Geschichte ist exemplarisch für eine bestimmte Schreibauffassung: Jemand hat ein starkes Gefühl oder befindet sich in einer bestimmten Stimmung und möchte darüber schreiben. Wenn es in die fatalistische oder misanthrope Richtung geht, startet der Schreiberling häufig mit einer Aufzählung von vermeintlich passenden Situationen, sucht sich das passende Ambiente und zählt die Situationen mehr oder weniger einfach auf. Mir kommt das wie dei berühmte Holzhammermethode vor,('kapier doch, wie schlimm alles ist'). Doch bei einem solchen Abriss wird eben meist keine Geschichte erzählt, sonderen eine Bestandsaufnahme gemacht; manchmal noch im Strassenjargon mit eingebauter Schlampigkeit. Das ist schade, weil es nicht fesselt, es werden keine Personen lebendig, die ja dieses Gefühl transportieren könnten, es entsteht kein Spannungsbogen, nichts, woran man sich nach dem lesen noch erinnern könnte. So empfinde ich Deine Geschichte auch.
LG,
Jutta

 

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