Ich liebe dich
Ich liebe dich
Goldenes Licht drang in das kleine Zimmer. Die Sonne war gerade erst aufgegangen. Die Strahlen, die der warme Sommermorgen aussandte, fielen sanft auf ihr Gesicht.
Ihr Gesicht.
Er blickte sie aus einer Ecke des Raumes an und musterte ihr friedliches Antlitz.
Sie sah aus wie ein Engel, fand er.
Er bewunderte die dünnen, braunen Haare, auch wenn sie im Moment ein wenig zerzaust auf ihrem Kopf lagen. Die zierlichen Schultern, die schlanken Beine, ihr blasses Gesicht...
Alles an ihr war unendlich schön. Wie viel Schönes gab es schon in seiner Welt?
Er stellte sich ihre ernsten, dunklen Augen vor. Scheu wie ein Reh...
Er war voll von Liebe zu ihr. Eine zarte Blume in einer felsigen Landschaft...
Am liebsten hätte er sie berührt, wäre langsam über ihre wundervollen Haare gestrichen. Ihr Gesicht in seinen Händen gehalten und sie einfach nur angesehen.
Sanft hätte er auch den blauen Fleck auf ihrer Schulter gestreichelt und den großen Bluterguss auf ihrem schönen Schenkel einfach geküsst.
Er wollte sie in den Arm nehmen und sie wiegen. Und hoffen dass der Schmerz so vergeht...
'Hab keine Angst, mein Engel'
Doch er durfte den friedlichen Schlaf nicht stören.
Denn dann hätte sie die müden Augen aufgeschlagen und die Furcht in ihrem Blick wäre wieder da.
Dazu die Demut und das Flehen. Er kannte diesen Blick so gut. Zu gut.
Er wollte ihn nie wieder sehen.
Trotzdem würde sie ihn ansehen, mit gehetztem Blick, und sich fragen, ob sie erneut etwas zu befürchten hatte.
'Nein, mein Schatz, hab keine Angst! Ich werde dir nie wieder weh tun!'
Doch sie würde es nicht glauben. Sie kannte die Wahrheit besser.
So gerne würde er sie umarmen, sie ganz fest halten.
Aber dann würde er ihr Zittern spüren, mit der Gewissheit, dass die Furcht in ihrem Blick nicht verschwunden war. Und auch nicht verschwinden wird...
Dabei wollte er doch ihre Nähe spüren, ihr Liebe geben, ihre wundervolle Zuneigung erhalten.
Sie umarmen und dabei wissen, dass sie ihm vertraut. Er wollte sie beschützen vor allem Bösen in dieser schrecklichen Welt.
Doch wie beschützte man jemanden vor sich selbst?
Ihre Gutmütigkeit, ihr sanftes Wesen. Er hatte das alles nicht verdient. Er sollte sie fort von sich schaffen.
Doch der Gedanke ohne sie zu leben brachte ihn beinahe um den Verstand...
Die zierliche Frau auf dem Bett begann nun, sich zu bewegen. Sie öffnete die Augen und da war er, dieser Blick...
Er sah, dass eines ihrer Augen geschwollen war... Es war blutunterlaufen...
Er konnte es nicht länger ertragen... Er musste hier raus...
Schnell verliess er das Zimmer und er hatte wieder nichts gesagt...
Nicht gesagt, dass es ihm leid tat... Ihr nicht gesagt, wie sehr er sie liebte...
Keine Schwäche zeigen...
Nach einigen Minuten hörte man die Wohnungstür knallen. Er würde jetzt wieder zur Arbeit gehen, ganz allein mit seinen Gedanken... Später wird man einfach so tun als wäre nichts gewesen... Sie würde schüchtern lächeln und ihm sein Essen kochen...
Seine Gefühle kehrten zurück in den Zwinger...
Seine Trauer und die Wut auf sich selber über seine Unfähigkeit zu sprechen wurden eingesperrt.
Er wird die Gedanken wieder verdrängen, sie nicht aufwühlen, einfach aus seinem Kopf ausblenden...
Seine Wut auf sich selbst würde wieder Zeit haben zu brüten... Ganz still, in seinem tiefsten Innern, bis so viel da ist, dass er es nicht länger halten kann. Dann wird es wieder von vorne beginnen... Die Abgründe werden sich erneut öffnen und es wird aus ihm heraus brechen. All die Verzweiflung über seine Unfähigkeit... Zorn über Art wie ihm das Leben mitspielt, die Schufterei, das Nicht-Verstanden werden...
Eine tickende Bombe.
Er wird sie schlagen... Immer wieder... Ein falsches Wort und er kann sich nicht mehr kontrollieren. Ihre zarte Blüten werden zerknicken. Das wusste er.
Sie wird welken...
Doch sie wird ihn niemals verlassen... So scheu wie ein Reh...
Denn sonst wäre sie ganz allein... Allein in der großen Welt... Da würde sie verloren gehen.
Sie braucht etwas zum festhalten, also wird sie immer aufs Neue lernen ihr Leid zu ertragen.
Alle werden lernen zu schweigen, denn vielleicht ist es dann nur halb so schlimm...
Und sie wird unter ihm leiden, obwohl er doch weiss, dass sie das Wundervollste ist, was ihm jemals hätte begegnen können...