Ich schaue meinem Begräbnis zu
Ich stehe in absoluter Finsternis und unendlicher Leere. Von Orientierung rein gar nichts. Abgründe umgeben mich und worauf ich stehe und ob ich bestehe, es lässt sich nicht feststellen. Dort wo weder Vorn noch Hinten ist, eben dort schwebt und webt, flüstert und wabert etwas entsetzliches. Die Angst erlaubt es nicht mich abzuwenden, denn wer weiss was dann hinter meinem Rücken passiert ! Aber was heisst hier Rückseite ?
Dichteste Finsternis. Kein Eingang, kein Ausgang, kein Fenster, nicht der geringste Anhaltspunkt. Nur tiefströmende Unergründlichkeit und dennoch lastende Enge. Feuchte Kälte behaucht mich und ein Seufzen veratmet im ewigen Kerker.
Und tatsächlich. Da vorne, der Skelettmann. Fahl glimmend geht ein weissgräuliches Schimmerlicht von ihm aus. Ein spitzer Schrei beendet die Stille und durchschneidet die kalte Dunkelheit. Das schaurig entfärbte Totenbgebilde setzt sich in Bewegung und schreitet auf mich zu und erzeugt mit seinen Knochenfüssen ein fürchterliches Echo, welches zu infernalischem Lärm anschwillt, der sich schliesslich mit dem hart-hohlem Klang von Knochen, berstenden Steinen und Streichen scharfkantiger Eisen vermischt. Alles vermengt sich mit schwerwuchtigem Donnern und gellenden Schreien zu einem einzigen, alles mitreissenden Wahnsinn - und doch - diese Ewigkeitsstille ! Stiche durchzucken meinen Kopf, sie wandeln sich zu blendender Helligkeit und doch herrscht Blindheit. Grauenhafte Kälte lässt mich zittern und es zittert bis zur Überhitzung. Vertrauliche Gerüche von feuchtem, bemoostem Gestein, frühlingshafter Taufrische, fruchtbarem Humus und alten Wurzeln geben einen Atemzug lang Hoffnung, doch binnen kurzem werden Gerüche von grausamer Schärfe in mein Inneres gedrückt. Verbrannte Gifte, agressive Gase pfeifen im Gehirn umher und zähflüssige Rinnsale überziehen beissend meine Haut und dringen in jede Ader ein.
Ich schaue meinem Begräbnis zu. Dies und das wird geredet, diese und jene Gedanken steigen auf, bleiben was sie sind oder artikulieren sich zu Fragen. Tröstungen, Vermutungen und Vorurteile werden gesprochen, manchmal vorsichthalber nur gedacht, hin und wieder ein kleiner Nekrolog gehalten. Zwei, drei Feststellungen, immer wieder Missverständnisse, manchmal Übereinstimmungen und Bestätigungen. Knappe oder weitschweifige Kommentare die allesamt von Unverständnis zeugen.
Ich schaue meinem Begräbnis zu. Nun ist alles zu Ende. Ich bleibe noch eine Weile auf dem Friedhof. Auf meinem Stein steht:
‘Er wurde geboren um zu suchen und starb bevor er fand.’
Ich schaue auf mein Grab und sehe: Dort liegen begraben all meine Träume.