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Ich

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23.03.2009
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Ich

Meine Faust trifft dich mitten ins Gesicht. Dein Kopf schnappt zurück, Blut schießt aus deiner Nase und du fällst getroffen zu Boden. Um uns ist es dunkel. Während du langsam gen Boden zusammensackst und mein Schwarz mit deinem Rot vermischst, schaue ich auf meine Hand. Vieles hat sie bisher geleistet, getan und verursacht.
Doch stets tat sie nur, was du ihr befahlst. Sie wollte impulsiv sein, zeigen, was ich denke. Doch ich habe es ihr nicht erlaubt.
Seit langer Zeit habe ich das nun wieder getan.
Während du zu Boden fällst blicke ich auf meine Hand, sehe, wie sie an den Knöcheln rot wird und zu schmerzen beginnt. Ein schönes Gefühl.

Du stehst mir seit einer unmessbar langen Zeit an diesem Ort gegenüber, seit du plötzlich aus der Dunkelheit zu mir gekommen bist.
Manchmal lachst du über mich, manchmal sprichst du auf mich ein, manchmal starrst du mich nur an. Währenddessen tat ich nichts. Ich versuchte nur noch selten mit dir zu reden, denn wenn ich es tat wurdest du nur noch lauter und unerträglicher. Deine Stimme würde bohrender, heller, einnehmender werden. Deswegen richtete ich mich nach dir, tat was du sagtest, immer. Es war der einzige für mich akzeptable Weg.
Gelegentlich vergaß ich fast, dass auch ich noch an diesem Ort bin. Du warst so laut, so überzeugend, hast diesen so sehr für dich eingenommen, dass es mir nicht in den Sinn kam, dir zu widersprechen. Es wäre schwer, vielleicht sogar gefährlich. Es würde wieder Kraft kosten.
Und so unterdrückte ich die Impulse meines Körpers. Sie kamen immer wieder, als wollte er mir beweisen, dass es mich noch gibt. Immer wieder zuckte meine Hand hervor, bewegten sich meine Beine ohne dass ich es merken würde ei nen Schritt auf dich zu.
Doch jeder Schritt, jede Zuckung riss mich aus meiner Lethargie und ließ mich erschrocken in deine Augen blicken. Wenn ich in deine starrenden Augen sah wusste ich, dass ich dir zu folgen hatte. Ich versteckte meine Hand hinter meinem Rücken und tat zwei Schritte zurück wenn ich einen nach vorne gegangen war.

Wie ich dich nun fallen sehe, langsam, besiegt, muss ich anfangen zu lachen. Ich lache über dich, über mich, über uns.
Ich lache über dich, der immer so stark, so unangreifbar wirkte, aber doch so schwach und dessen Existenz so sinnlos war.
Ich lache über mich, der immer so folgsam war, ohne zu merken, wie einfach es doch ist sich zu befreien.

Während du zu Boden fällst, strauchelst du mit deinen Armen. Du willst dich auffangen, doch ich weiß, dass es dir nicht gelingen wird.
Ich gehe auf die Knie und betrachte dein rotes Blut, dass meine Dunkelheit verschönert. Ich streiche mit der Hand hindurch, stehe wieder auf und betrachte das Rot auf meiner Hand. Ich führe sie zu meinem Mund und schmecke daran. Das Gefühl ist berauschend.
Ich fühle mich so unglaublich frei, wie ich es früher noch tat, bevor du hierher kamst und begannst, auf mich einzureden. Dein Blut ist meine Befreiung.
Ich spüre, wie ich beginne, mich zu verändern. Stets glaubte ich, du würdest so aussehen wie ich, dass sich dein Aussehen dem Meinen anpassen würde.
Doch nun wird meine Haut wieder heller, meine Hände größer, meine Augen blauer. Ich war es, der sich veränderte. Immer mehr wurde ich zu einem Abbild deiner Selbst. Jetzt werde ich wieder ich.

Du hast es übertrieben. Während man auf mich einredete, mich anschrie und enttäuschte gingen meine Füße näher auf dich zu und wollten meine Hände dich zu Fassen bekommen. Währenddessen sahst du mich nur an, so selbstgefällig wie du es immer tatest und sprachst weiter auf mich ein. Wieder wurde ich langsamer, weil ich meinen Körper stoppen wollte. Du hattest sicher Recht, ich sollte keine Probleme machen.
Doch als ich es versuchte wurde der Lärm nur noch lauter. Du sagtest ich solle ihn ignorieren, es gäbe schon einen Grund warum es ihn gibt. Sicher wäre ich auch irgendwie selbst Schuld.
Ich konnte nun wieder zurückgehen, dich reden lassen und hätte mich selbst wieder verstecken können, wie ich es seit so langer Zeit schon tat.
"Der Lärm würde irgendwann aufhören", sagst du.
"Das wird er, doch er wird immer und immer wiederkommen", sage ich.

Während die Dunkelheit um mich herum immer dunkler, die Stimmen immer unerträglicher und lauter wurden und ich immer wütender wurde, wurde ich schneller. Immer schneller ging ich auf dich zu, bis ich irgendwann rann und schrie. Ich schrie meine Wut in die Dunkelhaut, holte mit der rechten Hand aus und schlug dir die Faust noch im Lauf ins Gesicht.

Dein Fall endet und du schlägst auf den Boden auf. Wie ich nun an mir heruntersehe merke ich, dass ich keinerlei Ähnlichkeit mit dir habe.
Lächelnd sehe ich meine eigene Hand, meine eigenen Beine, meinen eigenen Körper an.
Ich bin wieder ich.
Während das Gebrüll immer lauter wird richte ich mich auf. Dein Blut tropft an meiner Hand herunter.
Ich hätte mich versteckt, wie du es mir gesagt hättest, zurückgesteckt, alles dafür getan, mich anzupassen und nicht aufzufallen, so wie du es immer wolltest.
Doch stattdessen brülle ich lauter als es all eure Stimmen zusammen vermögen, brülle mir alles aus dem Leib, werde nicht aufhören, bevor ihr alle still seid.
Ich bin nicht angepasst. Ich bin nicht wie ihr.
Ich bin ich.

 

Hallo Ristas,

der Weg zu sich selbst ist manchmal mühsam und bedarf einiger Emanzipationskämpfe. Das hast du legitim mit einem ganz profanen Fausthieb darzustellen versucht. Soweit hat es mir thematisch gefallen, sprachlich und in der Gestaltung leider nicht.
Dazu gibt es zu viele Anmerkungen:

Doch stets tat sie nur das, was du ihr befahlst.
"das" um der Sprachmelodie willen streichen.
Sie wollte impulsiv sein, zeigen, was ich denke.
Das liest sich für mich unfreiwillig komisch, da es sich ja (auch willentlich) auf die Hand bezieht. Die kann man so natürlich schon mal personifizieren, aber in dieser Konstellation habe ich dann entweder eine zuckende immer gebremste Hand oder den Film "Idle Hand" mit Devon Sawa vor Augen. Ich weiß trotz der Gewaltbeschreibung nicht, ob du solche Assoziationen wolltest.
Wie fühlt es sich an?
Ich kann es nicht beschreiben.
Oh nein. Erst eine rhethorische Frage und dann auch noch die Antwort, keine Antwort zu haben.
Während dein Körper zu Boden fällt schaue ich meine Hand weiter an, wie sie an den Knöcheln langsam rot wird und zu schmerzen beginnt.
Das ist in der Formulierung leider einfach umständlich und unschön. Und in diesem Kontext passt die Personifizierung des Körpers auch nicht, denn was war mit dem Du, wenn nur dessen Körper zu Boden gefallen ist?
Noch schlimmer finde ich aber den zweiten Teil (eigentlich den dritten, wenn du das notwendige Komma nach "fällt" gesetzt hättest) des Satzes, denn "wie" ist nicht nur eine grammatisch falsche Einleitung, sondern in diesem Fall auch unsinnig, denn "die an den Knöcheln ..." ist doch verdichteter, obwohl simpler. "schaue ... weiter an" ist reiner Umgangsslang.
Ein schönes Gefühl.
Das sagt so gut wie nichts aus.
Du stehst mir seit einer unmessbar langen Zeit an diesem Ort gegenüber, seit du plötzlich aus der Dunkelheit zu mir gekommen bist.
An diesem Satz ist nicht wirklich etwas falsch, ihm fehlt nur leider die Melodie durch doppelte oder auch widersprüchliche Informationen, die nicht klar ausdrücken, was ausgedrückt werden soll. Die als ewig empfundene Zeit hat eine klare Grenze. Vorschlag: Du stehst mir gegenüber, seit du vor nicht zu ermessender Zeit plötzlich aus der Dunkelheit gekommen bist.
manchmal sprichst du auf mich ein
Der Volksmund verwendet nicht umsonst "redest auf mich ein", denn zu einem Gespräch, von dem "sprechen" kommst, gehören zwei. Die Konnotation ist eine andere.
Währenddessen tat ich nichts.
Warum hier der Tempuswechsel?
Deine Stimme würde bohrender, heller, einnehmender werden.
Warum hier der Konjunktiv? Und wenn schon der Konjunktiv, ist "werden" redundant. Aber ich würde die ganze Passage in der Gegenwart belassen, auch weil du die zuvor erwähnte "Erfahrung" mit dem Konjunktiv zunichte machst. Es liest sich, als hätte er es nie probiert, nicht selten, und seine Angst basierte nur auf Annnahmen, nicht auf Erfahrungen.
Deswegen richtete ich mich nach dir, tat was du sagtest, immer. Es war der einzige für mich akzeptable Weg.
Hier hast du mit dem gewählten Tempus zwar recht, aber natürlich ein Problem, weil er so uneinheitlich ist. Der Satz bezieht sich deutlich auf die Situation vor dem zu Beginn beschriebenem Schlag. Ach die ganze Szene.
Gelegentlich vergaß ich fast, dass auch ich noch an diesem Ort bin.
und hier ist der Tempus schlicht falsch, denn wenn "vergaß", dann auch "war", nicht "bin".
Ich versteckte meine Hand hinter meinem Rücken
Wieder so eine ungewollte Assoziation: "Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben"
Wie ich dich nun fallen sehe
"Als", nicht "wie"
Ich lache über dich, der immer so stark, so unangreifbar wirkte, aber doch so schwach und dessen Existenz so sinnlos war.
"aber doch so schwach" bezieht sich immer noch auf "wirkte". Ist das gewollt?
Ich gehe auf die Knie und betrachte dein rotes Blut, dass meine Dunkelheit verschönert
welche Farbe sollte das Blut denn sonst haben? Blau?; Blut, dass
Das Gefühl ist berauschend.
Auch eine recht aussagelose Beschreibung.
Ich spüre, wie ich beginne, mich zu verändern.
"wie" ist die falsche Einleitung, denn sie würde eine Beschreibung der Art und Weise erfordern, die ausbleibt. "wie" ist keine Alternative zu "dass", das du zwar auch viel zu häufig verwendest, das aber hierher gehört. Oder poetischer: Ich spüre den Anfang meiner Veränderung; Ich spüre den Wandel, der in mir keimt ...
Immer mehr wurde ich zu einem Abbild deiner Selbst
Auch hier: Warum so umständlich? Warum nicht einfach: Immer mehr wurde ich zu deinem Abbild?
Während man auf mich einredete, mich anschrie und enttäuschte gingen meine Füße näher auf dich zu und wollten meine Hände dich zu Fassen bekommen
Im Timing ungeschickt, denn wenn du im Absatz zuvor von der Befreiung des Ich schreibst, die das Blut des Gegenüber bedeutet, lässt sich die natürlich schlecht vermitteln, wenn es hier nicht Herr seiner Körperteile ist und die Schläge selbst ausführt. Dass die Szene wieder vor dem Schlag spielt, wird erst später deutlich.
Wie ich nun an mir heruntersehe merke ich
"Als" statt "wie", "hinunter" statt "herunter", und müsste er für die Feststellung nicht in einen Spiegel sehen?
Dein Blut tropft an meiner Hand herunter
wieder "hinunter"
Ich bin nicht angepasst. Ich bin nicht wie ihr.
Das würde ich weglassen, weil es immer eine Anmaßung darstellt, alle anderen als angepasst zu bezeichnen und es darum ja auch nicht geht. Es geht um die Befreiung, um den Weg zum Ich. Dazu reicht es, sich von dem Gegenüber abzugrenzen. Außerdem ist es wieder so eine entsetzlich angepasste 08/15 Aussage.

Lieben Gruß
sim

 

Hey Sim,

eine etwas verspätete Antwort, tut mir leid (:

Vielen, vielen Dank für deine sehr ausführliche Kritik und dass du dich so ausgiebig damit beschäftigt hast. Kann dir eigentlich bei allem zustimmen und habe die Geschichte in meinen Unterlagen auch schon etwas verändert. Das wird hier auch noch nachgeholt.

Tatsächlich habe ich "Ich" auch für mich selbst als "unsauberste" Geschichte gesehen. Ich wusste, was ich schreiben wollte aber bin nie auf einen einheitlichen Konsens gekommen und war am Ende irgendwie einfach froh, dass ich die Geschichte zu Papier gebracht habe. Eigentlich auch absolut nicht meine Art. Die vielen, unbeabsichtigten Zeitsprünge sind da ja der perfekte Indikator für (:

Also, nochmal einen großen Dank an dich (:

Gruß,
Ristas

 

Hi Ristas,

ich muss sagen, mir hat deine Geschichte ziemlich gut gefallen. An einigen Stellen mehr, an anderen weniger, aber im Ganzen finde ich sie sehr interessant und gut zu lesen.
Ich weiß nicht, warum, aber mein erster Gedanke beim Lesen was Sigmund Freud, erst danach habe ich an sims Bild von Selbstständigkeit gegen die anderen gedacht. Ich hatte zuerst das Bild von einem Ich im Kopf, das gegen sein Es (bei dir das Du) und sein Über-Ich (deine "anderen") kämpft, um wirklich Ich zu werden. Jetzt, wo ich sims Interpretation kenne, finde ich beides passend.
Gut geschrieben :)

lG
nice freak

 

Hallo Ristas,

du hast eine sehr schöne und eindringliche Geschichte geschrieben. Du kannst sicher das eine oder andere besser formulieren, manche Stellen fände ich knapper besser, andere verstehe ich auf Anhieb nicht, da müsste mehr Klarheit geschaffen werden. Man muss den Text zweimal lesen, dagegen spricht ja auch nichts, erst recht nicht bei einem so komplexen Thema. Jedenfalls hast du deine Idee wirkungsvoll umgesetzt.

Grüße
Anhora

 

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