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Identität

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23.04.2020
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Identität

Ein Samstagmorgen im März 2007.
Sie saß mit ihrem Espresso am Küchentisch, blickte hinaus in den mit Blumen gesäumten Garten und fühlte sich rundum wohl. Gestern war die Putzfrau da, die Villa glänzte. Der Gärtner hatte ebenfalls ganze Arbeit geleistet und der Frühling spielte seinerseits auch mit in diesem Jahr und schmückte den weitläufigen Garten. Das Leben war schön. Sie lebte ihren Traum.
Ihr Mann war bereits nach dem Frühstück zum Golfen gefahren. Er fehlte ihr nicht. Eigentlich nie.
Die Faszination war vorbei. Das privilegierte Leben blieb. Er war erfolgreicher Anwalt und zählte mittlerweile eine ganze Liste der Münchner Prominenz und Schickeria zu seinen Klienten.
Ein eindeutiger Ehevertrag machte ihr dieses süße Leben mit all dem Glanz und Luxus, auf den sie einfach nicht mehr verzichten könnte, nicht anders möglich.
Sie war 40, hatte nichts gelernt. Die Kinder, Tochter 19, Sohn 21 studierten in anderen Orten und kamen nur noch selten für einen Wochenendbesuch nach Hause.
Sie kam aus ärmlichen Verhältnissen. Hatte keinerlei intellektuellen Anspruch an sich selbst gehabt. Ihr Ziel, attraktive Anwaltsgattin in der High Society, hatte sie erreicht.

Vor ihr lag das Handy, dass sie vorhin beim Briefkasten auf der Straße fand. Sie nahm es zur Hand und wollte nach Hinweisen suchen, um den Besitzer zu ermitteln.
Nichts anderes war jedoch drauf als unzählige Fotos. Ihr Herz fing an zu rasen. Das Handy fiel ihr aus den Händen.

*******​

Er ist 23 Jahre alt. Bei der Kripo in München beschäftigt. Sportlich, intelligent, erfolgreich.
Dass eine Kindheit und Jugend in zahlreichen Heimen und bei unterschiedlichen Pflegefamilien hinter ihm liegt, voller Einsamkeit, Enttäuschungen und Schmerz, weiß keiner.
Er fühlt so viele seelische Defizite, traut sich keine Partnerschaft zu, kann nur schlecht Nähe zulassen und Vertrauen aufbauen. Er leidet so unglaublich darunter und will wissen, wem er diese prägende Vergangenheit zu verdanken hat. Seit 5 Jahren lässt ihn dieser Entschluss nicht los. Er recherchiert in jeder freien Minute. Seine Unterlagen im ersten Heim waren der Ausgangspunkt:
Er wurde am 8. August 1984 in der Nacht im Englischen Garten von einem Spaziergänger gefunden. Er war in keine Decke gewickelt, lag nackt im Gebüsch. Auf seinem linken Unterarm stand mit schwarzem Filzstift geschrieben:
Paul, geb. 8.8.1984

Gelernt ist gelernt. Seine Recherche war endlich erfolgreich. Er fand die Frau, die ihn geboren hatte: eine Schickeria-Tussi in Grünwald, große Villa, Anwaltsgatte, 2 erwachsene Kinder.
Er beobachtete sie über Wochen und Monate.Seine Mutter, seine Halbgeschwister, seine Familie.
Der Schmerz, den er dabei verspürte und die alten Wunden der Kindheit und Jugend, die aufgerissen wurden, wuchsen immer mehr, ja wurden beinah unerträglich. Das einzige Pflaster, das seine verletzte Seele lindern könnte, hieß für ihn Rache.
Er begann seinen ins kleinste Detail ausgearbeiteten Plan damit, dass er sie vor ihrem Briefkasten ein Handy finden ließ.

*******​

Sie nahm zitternd das Handy wieder zur Hand. Nichts anderes war drauf als unzählige Fotos von ihr und ihrer Familie an allen möglichen Orten. Panische Angst machte sich in ihr breit als sie das Foto eines nackten Babys im Unterholz sah. Wie kann das sein? Wie kam der Schriftzug auf den Unterarm? Konnte nur ihr damaliger Exfreund gewesen sein. Aber der war längst tot. Von ihm würde sie keine Antwort bekommen können.

Dieses vor 23 Jahren entsorgte Kind mußte überlebt haben und hatte sie jetzt gefunden. Mist! Damit hatte sie niemals gerechnet nach so langer Zeit. Den reichen Anwalt, den sie sich damals geangelt hatte, hätte sie mit dem Kind nie an sich binden können. Hätte er sich bestimmt niemals ein zweites Mal mit ihr getroffen, wenn er erfahren hätte, dass sie gerade vor knapp 4 Wochen ein Kind zur Welt gebracht hatte. Ein Kind, dass aus einer jugendlichen Beziehung mit einem Fliesenleger entstanden war.

Kurz hatte sie damals, als sie von der Schwangerschaft erfuhr, geglaubt, aus ihrem Ex könne tatsächlich der Mann werden, den sie sich immer erträumt hatte. Ein erfolgreicher und wohlhabender Unternehmer. Er hatte nämlich größere Hoffnungen in die Beziehung gehabt und wollte sich als Fliesenleger selbstständig machen, um seiner Jugendliebe und dem bevorstehenden gemeinsamen Kind ein sorgloses Leben bieten zu können.
Nur holte ihn sein Alkoholproblem leider immer wieder ein und ein Auftrag nach dem anderen scheiterte an Unzuverlässigkeit, Mangel an Qualität und immer häufiger auch an Trunkenheit während der Arbeit. Der Traum von Selbstständigkeit war innerhalb weniger Monate bereits ausgeträumt und der Geburtstermin seiner Freundin rückte immer näher.
Sie stritten sich nun täglich mehrmals und die Erkenntnis, dass sie mit dem Balg, den sie nun in Kürze gebären wird, niemals jemand neuen und wohlhabenden kennenlernen und gar an sich binden können wird, machte sich in ihr breit. Nun ja, bis zu dem Abend 3 Wochen nach der Geburt, an dem sie aus ihrem Leben endlich mal wieder ausbrechen wollte und sich schick machte für einen der angesagten Münchner Clubs. Immer wieder hatte sie in der Vergangenheit mit ihrem Aussehen, der tollen Figur, ihrer gelockten Mähne den Männern in solchen Clubs den Kopf verdreht. Meist jedoch nur für den einen Abend.

Ausgerechnet 3 Wochen nach der Geburt ihres Sohnes passierte es dann. Ein aufstrebender Junganwalt aus wohlhabender Familie biss an. Dieses Mal konnte sie den Fisch tatsächlich auch an Land ziehen. Er meldete sich bei ihr 4 Tage später und lud sie zum Essen ein.
Diese Chance musste sie ergreifen. Das war ihr augenblicklich klar. Das Kind musste weg.

Das klappte einfacher als sie dachte. Mit ihrem Ex machte sie endgültig Schluss. Ihm missfiel der Gedanke seinen Sohn einfach irgendwo draußen auszusetzen sehr, als sie ihm auch noch klar machte, dass sie das Kind nicht behalten will, ja es regelrecht sofort loswerden will. Sie überzeugte ihn jedoch, dass sie das Baby an einen sicheren Ort in der Stadt bringen wird, an dem es bestimmt in kurzer Zeit von jemandem entdeckt werden würde.
Seine Alkoholsucht war nun soweit fortgeschritten, dass er sich keinesfalls in der Lage sah, sich in irgendeiner Form um seinen Sohn kümmern zu können. Er schaffte es immer öfter morgens nicht einmal mehr aus dem Bett zu kommen. Versagt hatte er. Solch einen Vater will und braucht doch keiner dachte er. Und so hegte er zumindest den kleinen Hoffnungsschimmer, dass jemand seinen Sohn schnell entdecken würde und er in eine Familie kommt, die ihm das Zuhause bietet, dass er nicht konnte.
Er musste sich aber noch einmal ganz alleine von seinem Paul verabschieden und so folgte er seiner Ex heimlich in den Englischen Garten. Als sie weg war beugte er sich zu seinem Sohn hinunter und sagte ihm unter Tränen wie lieb er ihn hatte und dass er ihm hoffentlich eines Tages verzeihen möge. Er schrieb den Namen und den Geburtstag seines Sohnes auf dessen kleinen Unterarm. Zumindest sollte so nicht irgendein Baby gefunden werden, sondern sein kleiner Paul.


********​

Er beobachtete sie weiter. Sie begann zu trinken. Nicht mehr nur abends ein bis zwei Gläschen Wein. Die erste Rotweinflasche war nun öfter schon am frühen Nachmittag leer.
Sie vernachlässigte sich. Wurde auch immer öfter psychisch auffällig. Der Anwaltsgatte finanzierte eine Entziehungskur, eine psychosomatische Behandlung, sogar eine Yogawoche in Andalusien. Alles vergebens.

Die Fotos, die er heimlich von ihr machte, als sie randvoll mit Tabletten und Alkohol durch den Grünwaldpark torkelte, waren Balsam für seine Seele. Er verspürte eine unglaubliche Genugtuung jedesmal wenn er sie wieder ein Handy mit neuen Fotos ihres nun immer verwahrlosteren Selbst finden ließ. Er genoß auch die Zeitungsartikel der Münchner Boulevardpresse, die nun immer häufiger von den Eskapaden der Gattin des Münchner Star- und Schickeriaanwalts schrieb. Jetzt war er nicht mehr der einzige, der ihr auf Schritt und Tritt folgte. Sie wurde regelrecht gejagt, hatte keine Chance sich in die Anonymität zu retten.

Nie kam ihm der Gedanke nun Gnade walten zu lassen. Als sie völlig am Boden war, ihr schlussendlich die Hand zu reichen und Versöhnung anzubieten.
Nein! Sie hatte ihn nicht abgegeben. Sie hatte ihn weggeschmissen!
Er brauchte einzig Rache. Zu tief saß der Schmerz um eine verlorene Kindheit und Jugend. Er war regelrecht besessen davon.

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Sie konnte und wollte niemandem erzählen, wie es zu ihrem Absturz kam. Ließ alle in dem Glauben eine Psychose hätte sie befallen. Die Lüge war ihr lieber als mit der Wahrheit rauszurücken. Schließlich hatte sie doch über die vielen Jahre ihre Vergangenheit, das Leben in Armut, dieses Baby, ganz weit von sich geschoben, es verdrängt, so weit in die hinterste Ecke ihres Gedächtnisses verbannt, dass es ihr regelrecht vorkam, als ob es gar nicht mehr ein Teil ihres Lebens war. Die Tabletten und der Alkohol verhalfen ihr schließlich diese Lüge vollständig als Wahrheit für sich zu etablieren.

Einige Jahre halfen ihr noch das Mitleid einzelner Bekannten und Freunde, Obdach und kleinere Jobs zu finden. Ihr Anwaltsgatte hatte sich inzwischen seit einigen Jahren von ihr scheiden lassen, als er einfach keine Erklärung und auch keine Rechtfertigung mehr für ihr Verhalten, die Alkoholsucht, die immer häufigeren Eskapaden finden konnte. Dank dem Ehevertrag war er ihr auch nichts schuldig. Er zahlte ihr eine kleine Summe monatlich an Unterhalt, vorwiegend aus Mitleid und der gemeinsamen Kinder zu liebe. Aber die Alkoholsucht ließ ihr nicht viel davon übrig. Ladendiebstahl, Erregung öffentlichen Ärgernissen und schließlich Prostitution und Obdachlosigkeit machten ihr Leben nun aus.

13 Jahre dauerte ihr Absturz jetzt schon. Sie fühlte nichts mehr. Nicht dass sie jemals eine emphatische Person gewesen wäre, die tiefgründigere Gefühle empfinden konnte, jemand der reflektieren und Reue zeigen konnte. Das war sie nie. Aber nun funktionierte sie nur noch schier mechanisch. Sie existierte.

Jetzt, Ende März 2020 waren die Nächte draußen immer noch sehr kalt. Hohes Fieber ließ sie in ihrem Schlafsack schwitzen. Betäubt vom Alkohol und Fieber zog sie sich nackt aus und legte sich so auf den kalten Boden und glitt schließlich in den Schlaf.

********​

Die Straßen Münchens waren in dieser Frostnacht wie ausgestorben. Eine Corona-Pandemie hatte die Welt erfasst. Das Leben stand nun seit fast 2 Wochen regelrecht still.
Er kannte den Schlafplatz seiner Mutter im Gebüsch im Englischen Garten nur zu gut.
Als er heute Nacht zu ihr schlich, um sie zu fotografieren, fand er sie tot. Splitternackt auf dem Boden.

Er kramte in seinem Rucksack und holte einen schwarzen Filzstift hervor. Dann schrieb er auf ihren linken Unterarm:
Carola, geb. 14.06.1967

Er gönnte sich noch dieses letzte Foto. Zuhause druckte er es aus und heftete es ab neben seines aus den Heimunterlagen.

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Am Morgen fand der Ordnungsdienst die Leiche im Park. Die Zeitungen am nächsten Tag waren voll damit. Er verschlang jede einzelne Schlagzeile, jeden Artikel. Er hatte das Gefühl jetzt könne er endlich anfangen zu leben.
Er glaubte fest daran!

 

Hallo @a writing owl

und herzlich willkommen bei uns!

a writing owl
22.04.2020

Identität


Ich hab die ersten Zeilen mal entfernt. Ist ja doppeltgemoppelt.

Vielleicht magst du nochmal über deinen Text schauen und ein paar Leerzeilen entfernen?

Viele Spaß bei uns und liebe Grüße,
Nichtgeburtstagskind

 

Hallo @a writing owl

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a writing owl
22.04.2020

Identität


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Viele Spaß bei uns und liebe Grüße,
Nichtgeburtstagskind


Hi, vielen Dank für den Gruß und die Kritik! Ich werde die Leerzeilen noch entfernen!
Lieben Gruß,
a writing owl

 

Hi Rob,

vielen Dank für die hilfreiche Kritik und deine schönen Anregungen meine Kurzgeschichte etwas spannender und interessanter zu gestalten.
Ich werde es mir zu Herzen nehmen und bei Gelegenheit ein wenig umschreiben.

Liebe Grüße,
a writing owl

 

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