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Igeleskapaden
"Das ist ja wohl die Höhe!"
Fassungslos sammelte Paul seine heruntergefallenen Einkäufe ein und fluchte dabei über den Igel. Die Dose mit den Erbsen und Möhrchen wies eine immense Delle auf. Neugierig starrte der Igel sie an.
"Mach bloß, dass du dich weg machst. Hast schon genug Unheil angerichtet."
Pauls Rücken schmerzte. Dieses Alter war eine Schande. Wenn Margrit die kaputte Dose sah, würde sie bestimmt wieder mit ihm schimpfen. Und das alles wegen dieses frechen Igels.
"Brauchst mich gar nicht so anzustarren. Ich werde dich dafür sicher nicht auch noch belohnen", fuhr Paul den Igel an, während er die Einkäufe zurück in seinen Korb legte.
Das Tier machte irgendein Igel typisches Geräusch und kletterte auf Pauls linken Fuß. Dort blieb es sitzen und schaute zu ihm auf.
"Hör mal, ich kann dich kleinen Racker nicht mitnehmen. Das geht nicht."
Mit seiner winzigen Stupsnase drängte das Tier gegen Pauls Hose, und machte dabei noch so ein weiteres, putziges Igel Geräusch.
"Na, du bist mir ja vielleicht einer. Na gut, komm in meinen Korb, und dann schauen wir mal, was Margrit sagt."
Als der Rentner die Tür der kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung aufschloss und öffnete, roch es nach herrlichem Erbseneintopf. Sein Magen knurrte.
"Schatz, bist du in der Küche?"
"Ja, Schatz", kam es melodisch zurück.
Margrit schaltete die Herdplatte auf höchste Stufe und gab ihrem Mann einen Kuss.
"Du warst aber lange weg", stellte sie fest.
"Ich habe jemanden mitgebracht."
Bei dem fragenden Blick seiner Frau musste er grinsen.
"Moment, ich hole ihn. Er ist noch im Korb."
"Paul Heinrich Zapfenberg, du machst mir Angst."
Der Rentner musste lachen. - "Keine Sorge. Du wirst ihn sicher mögen."
Als er mit dem Igel auf den Händen zurück in die Küche kehrte, fing Margrit über beide Ohren an zu strahlen.
"Och, ist der süß. Ich kann es nicht glauben. So süß."
"Der Igel wohnt jetzt hier", bemerkte Paul und setzte das Tier vorsichtig auf dem Tisch ab. Dort rollte es sich zusammen und zitterte.
"Oh, ich glaube, er hat etwas Angst. Wo hast du den denn her?"
"Der ist mir beim Tengelmann einfach so vor die Füße gelaufen. Den ganzen Einkauf hab ich vor Schreck fallen lassen."
Margrit schien gar nicht zu hören, was ihr Mann sagte. Sichtlich begeistert betrachtete sie das Tier, welches vorsichtig die Kugelposition verließ, und Margrit aus neugierigen Knopfaugen heraus betrachtete.
"Huch, du bist aber ein ganz schön stacheliger Zeitgenosse", sagte sie, als sie mit ihren Fingern langsam über den fasziniert dreinblickenden Igel strich.
Sofort kuschelte sich das Tier an Margrits Hand. Es wirkte, als würde es lächeln.
"Ich hab überlegt, ob wir ihn Adolf nennen."
Margrit winkte ab. - "Ach, du alter Nazi. Kommt ja gar nicht in Frage. Außerdem wissen wir nicht, ob es ein er ist."
"Na, was denn sonst", empörte sich Paul.
Die Türklingel ging.
"Nanu, Herbert ist aber heute früh dran."
"Hat bestimmt wieder die Vorlesungen geschwänzt, der Lümmel." - Plötzlich trieb es Paul die Zornesröte ins Gesicht. Der eigene Sohn ... Student! Das musste man sich mal vorstellen.
"Hallo Mama", rief er freudig, dann, den Blick auf seinen Vater gerichtet: "Papa."
Und wie er wieder aussah. Sowas hätte es damals aber nicht gegeben, dachte Paul.
"Ich habe einen Igel Einzug halten lassen."
Herbert nickte und setzte sich an den Tisch. - "Ich seh schon. Wo hast du den denn her?"
"Der ist mir beim Tengelmann gleich vor die Füße gelaufen. Die ganzen Einkäufe habe ich vor Schreck ..."
"Und, was macht das Studium, mein Schatz?"
Margrit unterbrach den Satz. Das war so eine Sache, die Paul nicht so ganz zu schätzen wusste. Und überhaupt: Was sollte das Studium schon machen? Designergedöns. Solche Floskeln setzte man den jungen Leuten heute in den Kopf.
"Der ist aber süß", sagte Herbert und streckte den Arm in Richtung des Tieres aus.
Der Igel erschrak und sprang auf die Anrichte, von wo aus er panisch den Topf hochhastete, seitlich wegrutschte, erneut sprang, und schließlich im Erbseneintopf landete. Diesesmal klang das Geräusch nicht ganz so putzig.
Paul war sofort zur Stelle und griff ohne zu überlegen in das kochende Essen, um das unter Zuckungen stehende, sterbende Tier heraus zu ziehen.
"Scheiße, ist das heiß."
Er schleuderte den vor Hitze glühenden Igel in Richtung Herbert, rutschte aus, und riss den Topf mit sich zu Boden. Ein Schwall heißer Suppe ergoss sich über Margrits Gesicht, während Paul den restlichen Inhalt über sich selbst verschüttete. Augenblicklich lief seine Haut rot an und es roch nach verbranntem Fleisch.
Margrit ging in die Knie und hielt sich beide Hände vor die zerstörten Augen. Dann schrie sie. Auch Paul schrie.
Herbert stand auf, und rutschte auf dem Weg zum Telefon auf dem Igel aus. Sein Schädel schlug gegen den seiner Mutter.
"So ein Mist", rief er noch.
Der halb totgetrampelte Igel indess schlitterte über Blut und Erbsensuppe Richtung Tür, wobei er in das Kabel des noch in der Steckdose befindlichen Bratenschneiders geriet, mit dem Margrit die grobe Wurst zum Eintopf zerkleinert hatte. Wild drehend schleuderte das Gerät auf alle Beteiligten zu, und zerschnetzelte Herberts Nase, ehe es wie von Sinnen in Pauls Unterkiefer eindrang.
Mit ihrem letzten Augenlicht konnte Margrit den herunterfallenden Einkaufskorb sehen. Sie fragte sich, warum ihr Mann eine Heckenschere gekauft hatte, die sich just in dieser Sekunde in ihre rechte Brust bohrte.
Dann sah sie die Delle in der Erbsen und Möhrchen Dose.