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Ihr Gesicht
Zu ihren Füssen klebte der nasse Kies an ihren Sohlen; blickte sie nach Oben, so sah sie den Himmel; Wolkenfetzen, in Tinte getaucht, jagten andere und weinten, sowie sie weinte.
Ihre Tränen waren schwarz von ihrem Augen Make-up, mischten sich mit dem Sommerregen.
Weinte sie überhaupt?
Ihre Schritte waren langsam und ihre Beine schwer, zu weit war sie schon gelaufen, weggelaufen vor sich selbst, ihren Tränen, ihrem Leben und den Menschen.
Er sah sie schon vom Weiten, stieg von seinem Fahrrad und überquerte die Straße, die ebenso schwarz war, wie es der Kiesweg war, auf dem sie ging.
Auf dem Kiesweg ließ er das Fahrrad stehen.
Sie sah in die Ferne und sah nichts.
Fragte sich nur, warum der Regen nicht schwarz war. Ging weiter.
Er kam ihr entgegen, blieb kurz vor ihr stehen, blickte auf sie herunter. Sie starrte auf seine Brust, wusste nicht was zu tun war, dachte an alles und nichts.
Eine warme Hand legte sich auf ihren kalten, nassen, mit einem schwarzen Mantel geschützten Rücken, presste sie vorsichtig an sich.
Sie spürte seine Wärme, durch den Stoff, auf ihrer nassen Haut, lehnte ihren Kopf an seine Brust, kraftlos.
Ein Rinnsal aus Tränen, in schwarz gefärbt und Regenperlen flossen von seiner Jacke, versiegte auf der Verlängerung des Himmels.
Beide wagten es kaum zu atmen, wollten kein Geräusch erzeugen, den Moment malen, in Stein meißeln, in Wachs gießen, in Gläser abfüllen.
Immer und immer wieder erleben.
Seine Hände begannen zu zittern, er strich ihr über den Rücken, sie blieb stumm, bewegungslos, wie sie es Beide vor wenigen Momenten gewesen waren.
Dann entließ er sie aus seiner Umarmung, sah ihr ins Gesicht.
Schwarze Spuren, der fließenden Tränen, auf ihren Wangen, ihr wahres Gesicht.
Sie spürte die Kälte der Einsamkeit auf ihrer Brust und ihrem Rücken, wo seine Hände geruht hatten.
Er hob eine Hand, fuhr mit einem Finger durch die Tränen, unterbrach den Fluss, sie schloss die Augen, spürte nur die Berührung, die Wärme.
Ein Schluchzen drang aus ihrer Kehle, brach sich im Regen, verlor sich in den Wolken.
Als sie die Augen wieder öffnete, war sie allein, nur der Regen, ihr stetiger Gefährte, prasselte mit einem angenehmen Rhythmus auf sie herab.
Sie hob ihre Hand, fuhr über ihre Wange, spürte Kälte, sah ihre Tränen.
Mit dem Ärmel ihres Mantels wischte sie über ihre Augen, tilgte das Schwarz von ihrer weißen Haut; die Tränen, die Trauer, ihr Leben.
Dann ging sie weiter, machte größere, mutigere Schritte, die dennoch weglaufen bedeuteten.
Auf der anderen Straßenseite stieg er von seinem Fahrrad ab, sah ihr ins Gesicht.
Sie sah ihn nicht, sah den Regen, die Tränen oder nichts.
Er sah sie weiter an, sah keine Tränen, kein schwarz - ihr wahres Gesicht, dachte er.