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Ika - Das Lied vom Tintenfisch

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02.07.2019
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Anmerkungen zum Text

Diese Geschichte gehört zu einer vierteiligen Sammlung an Geschichten, die im alten Japan spielen.

Ika - Das Lied vom Tintenfisch

Akane und Sayuri kletterten recht unbeholfen den schwer erklimmbaren Felsen zu der Stelle hinauf, an der die Katapulte ein großes Loch in die Festungsmauer geschlagen hatten. Sie kamen sich selbst noch immer seltsam vor in ihrer Männerkleidung, was jedoch nicht so befremdlich auf sie wirkte wie ihr kurzgeschnittenes Haar, um für oberflächliche Blicke auf andere wie Männer zu erscheinen. Zudem hatten sie ihre Gesichter ein wenig mit Ruß verschmutzt, um ihre zarten Gesichtszüge zu verbergen. Akane, die ältere und robustere der beiden flüchtigen Konkubinen, ermahnte ihre Gefährtin wieder und wieder, mit ihr Schritt zu halten und kein weibisches Klagen anzustimmen. Sayuri war jedoch mehr vertraut mit Bettgeräkel, mit anregenden Düften und feiner Seide. Sie war eine Liebeskünstlerin durch und durch, genau wie Akane in jüngeren Jahren, bevor sie dem tyrannischen Daimyô, aus dessen Anwesen beide fliehen konnten, zu alt geworden war. Doch selbst Akane zählte nicht mal 30 Jahre. Sayuri befand sich mit ihren 17 Jahren mitten in der Lebenszeit, in der Frauen nach Meinung vieler Männer am begehrenswertesten waren. Die situationsbedingte Freundschaft der beiden Frauen hatte sie durch dichte Wälder und kleine Siedlungen geführt, bis hierher, in Küstennähe, wo sie den Ausgang der Schlacht zwischen diesen beiden Fürstenhäusern geduldig abgewartet hatten, um anschließend das Leichenfeld sowie die erschöpften Grüppchen an Überlebenden zu umgehen. Überraschend hatte sich die Gelegenheit geboten, die Festung zu infiltrieren, doch wussten sie noch nicht, wie viele Menschen sich noch darin befanden. Sie hatten einen Strom an Bediensteten beobachtet, die in Panik aus dem Haupttor geflohen waren. Meistens galt dies als Zeichen, dass der hier herrschende Daimyô Harakiri begangen hat.

Es begann zu regnen, genau wie bei ihrer Flucht aus der heimischen Burg vor einer Woche. Akane wurde vom Daimyô mit dem Tode am Kreuz bedroht, und Sayuri drohte die Ermordung durch eine andere, noch jüngere Konkubine. Also hatten sie beschlossen, sich als Männer auszustaffieren und klammheimlich das Weite zu suchen, bar jeder Hoffnung, irgendwo gefahrlos Fuß fassen zu können. Sie befanden sich auf einem Himmelfahrtskommando.

Die Trümmersteine der zerstörten Festungsmauer wurden spiegelglatt im Regenguss, was Sayuri in ernste Schwierigkeiten brachte. Sie strauchelte und signalisierte Akane, dass sie nicht mehr weiterkonnte.

„Willst du ein warmes Bett? Eine Schale Reis? Ein Bad? Dann nimm dich gefälligst zusammen!“ schimpfte Akane.

„Warum sind wir nicht durch das Haupttor gegangen? Diese Kletterei ist doch lächerlich!“

„Dummchen, weil die Möglichkeit besteht, dass sich dort immer noch Leute befinden!“

„Aber warum haben die Feinde die Mauer kaputtgeschlagen, wenn die Schlacht ganz woanders stattgefunden hat?“

„Meine Güte, du weißt anscheinend überhaupt nichts über das Kriegshandwerk.“

„Nein, natürlich nicht! Ich bin eine Frau! Wie du!“

„Die Armee hat beim Katapultangriff einen Ausfall gewagt und die Schlacht in die Ebene verlagert. Nun, leider hat das nichts genützt ...“

„Woher sollen wir wissen, dass die Festung leer ist? Und wenn nicht – woher willst du wissen, dass sie uns nicht umbringen?“

„Wenn sie uns erwischen, falls überhaupt noch jemand da ist, sagen wir einfach, wir seien Bauern, die sich nach einem neuen Herrn erkundigen wollen.“

„Und wenn wir als Frauen erkannt werden?“

„Dann erzählen wir eine halbe Wahrheit. Dass wir Bauersfrauen wären, die sich verkleidet haben, um nicht vergewaltigt zu werden.“

„Und wenn sie uns daraufhin dennoch vergewaltigen?“

„Dann müssen wir das eben über uns ergehen lassen. Und nun spute dich! Wir haben es ja gleich geschafft.“

Sayuri seufzte.

Die beiden Frauen erreichten das Innere der Festung, am Ende ihrer Kräfte. Hoffnungsvoll sahen sie zum Turmbau empor, dem Sitz des Daimyô, der die nahe Schlacht verloren hatte. Kein Licht war zu sehen. Alles schien verlassen und still. Vorsichtig schlichen die Frauen in das Gebäude. Ins Trockene. Sie sahen sich fragend in die Augen und wagten ein dünnes Lächeln. Immerhin hatten sie es durch das gefahrvolle Land bis hierher geschafft. Akane tätschelte lobend Sayuris Schulter. Die Jüngere hätte beinah zu weinen begonnen.

Nur der eigene Atem war zu hören. Die Inneneinrichtung schien intakt und sauber, so als ob nichts geschehen wäre. Akane fand, dass ein so unberührtes Inneres angesichts der großen Tragödie immer etwas unheimlich wirkte. Wenigstens gemordete Diener oder enthauptete Gefolgsleute, die Harakiri begangen hatten, konnte man erwarten. Nichts dergleichen war zu finden. Doch einige umgestoßene Kerzenhalter und zerschelltes Geschirr auf dem Boden bewiesen, dass alle in Hast und Panik geflohen sein mussten.

Immer noch leise und auf Zehenspitzen gingen die beiden Frauen die Treppe zu den Privatgemächern des Daimyô hinauf. Plötzlich vernahmen sie, völlig verblüfft, einen hellen, zarten Laut, einen klagenden, anhaltenden Ton. Sayuri dachte im ersten Moment, es könnten Jammerlaute einer zurückgelassenen Konkubine sein, doch dann erkannten beide, dass es sich um eine Flöte handelte, eine Shakuhachi. Irgendjemand befand sich dort oben und machte Musik …

Und allein die Vorstellung, dass jemand im Angesicht all der tragischen Ereignisse die Muße besaß, sich einem banalen Flötenspiel zu widmen, verwirrte Akane und Sayuri, denn es passte ganz und gar nicht zu der allgemeinen Weltuntergangsstimmung. Oder doch?

Vielleicht passte es umso mehr.

Die Flöte spielte nun eine langgezogene, wehmütige Melodie, die sich jedoch veränderte, als Akane und Sayuri das oberste Stockwerk erreichten. Nun stimmte das Instrument heitere Töne an, ja beinah euphorische, und Sayuri fand:

„Das ist beruhigend … Nicht wahr?“

„Wir werden sehen. Lass uns nicht zu voreilig erleichtert sein …“

Die Frauen schlichen vorsichtig auf die Gemächer zu. Die Schiebetüren standen weit offen. Der kühle Wind fegte durch alle Räume und erzeugte ein nervöses Klappern in den fragilen Papierwänden.

Das Flötenspiel musste aus dem Zimmer kommen, in dem der Daimyô Gäste empfangen hatte. Meist waren dies größere Räume, und ein Flötenspieler würde dort die beste Akustik vorfinden.

Der Flötenspieler saß zur Mitte der Stirnseite des Raumes, dort wo normalerweise der Daimyô und seine Frau bei Empfängen saßen. Akane und Sayuri sahen einen hageren, schmutzigen Mann mit unsauberem Bartwuchs und zerschlissener Kleidung, der im Schneidersitz hockte und ganz in sein Spiel vertieft war, denn er hielt die Augen geschlossen.

Sayuri schaute Akane fragend an. Akanes Gesicht verriet nun die aufkeimende Erleichterung, und das beruhigte Sayuri. Die Jüngere vertraute dem Urteilsvermögen der Älteren. Ein einziger Blick von ihr schien zu sagen: Mit dem Kerl werden wir fertig.

Als die beiden Frauen näher an den Flötenspieler herantraten, knarrten die Dielen, worauf der Mann die Augen aufriss und in seinem Spiel innehielt. Nach zweimaligem Zwinkern, so als wollte er seine Wahrnehmung reinigen, sagte er mit einer durchdringenden Stimme:

„Liebe Damen … So süß herausgeputzt seid ihr!“

Diese ironische Bemerkung brachte die Frauen zum Schmunzeln, denn sie sahen in ihrer lumpigen Verkleidung nicht viel anders aus als der Flötenspieler. Er schlussfolgerte:

„Ich verstehe. Männermaskerade. Da Männer im 'Nô'-Theater als Frauen spielen, ist es nur gerecht, wenn sich auch mal die Weiber wie Männer ausstaffieren. Kommt doch näher! Ich komponierte gerade eine Art Pausengesang, ein Zwischengedicht, ein kleines Fazit zum Ausgang der Schlacht.“

„Gehörst du zum Inventar diesesHauses?“ fragte Akane.

„Inventar? Ich bin Shin, der Flötenspieler. Ich gehöre nirgendwo hin. Doch man gab mir Sake und ein wenig Beifall, bevor der Tumult losging. Niemand hat auf mich geachtet, als alles losgerannt ist. Nun warte ich auf die Sieger. Doch ich glaube, es wird niemand kommen. Und ihr? Woher kommt ihr zwei Süßen?“

Sayuri wollte ihm antworten, doch Akane kam ihr zuvor:

„Wir sind Witwen, Gefährtinnen des Schicksals. Unsere Männer waren Handwerksleute aus dem Süden.“

„Witwen, soso … Witwenwitwenwitwenwitwen …“

„Ja genau. Unsere Ehemänner wurden von Banditen getötet, die unser Dorf überfallen haben. Wir beide konnten rechtzeitig fliehen ...“

Shin kicherte, so als hätte er ein Gespür dafür, wenn jemand log. Akane und Sayuri warfen einander Blicke zu, während Shin aufsprang, seine Knie gymnastisch durchdrückte und fragte:

„Wollt ihr Witwen vielleicht ein bisschen Reiskuchen? Und Tee?“

Shin grinste wie ein trotteliger Diener und wackelte erratisch mit dem Kopf.

Die Frauen, verwirrt über Shins unbekümmertes Gemüt angesichts all der dramatischen Geschehnisse, nickten ihm zögerlich zu. Sie folgten ihm in die Küche.

Wie Akane und Sayuri schnell erkannten, war Shin nicht ganz richtig im Kopf. Doch er schien kein hinterlistiger oder böser Charakter zu sein, vielleicht ein wenig unberechenbar, aber einigermaßen leicht im Zaume zu halten. Vielleicht, so dachte Akane, könnte man mit ihm sogar vernünftig reden. Und er wirkte auch nicht ganz unerfahren in der Beobachtung von Schlachten und deren Folgen. Man konnte nicht genau sagen, wie alt er war, und selbst er wusste nicht so recht, woher er eigentlich kam. Bei einer längeren Unterhaltung bei Tee und Reiskuchen hörten die Frauen einige Dinge aus Shins Erzählungen heraus, die vermuten ließen, dass er viel älter war als er aussah.

Und tatsächlich berichtete er von Schlachten, die weit zurücklagen, so weit, dass er sie kaum persönlich erlebt haben konnte. Er behauptete sogar, den alten Dramatiker Zeami Motokiyo persönlich gekannt zu haben, einen der legendärsten Männer des Theaters, der vor über hundert Jahren gestorben war. Darüber hinaus schwärmte Shin von der Schönheit der legendären Samurai-Kämpferin Tomoe Gozen und ihrem Herrn Yoshinaka, dem Shin nach eigener Aussage persönlich gedient hatte. Doch das war nicht möglich, denn diese Ära lag bereits vierhundert Jahre zurück.

Akane und Sayuri hörten dem Flötenspieler zwar geduldig zu, mussten sich aber baldmöglichst besprechen, wie sie weiter vorgehen sollten. Sie erwarteten, dass die Festung in Kürze von den feindlichen Truppen eingenommen werden würde. Man musste sich entscheiden, ob man es riskierte, einfach an Ort und Stelle zu bleiben und sich der Gnade der Sieger auszuliefern, oder ob man erneut flüchten wollte. Die Frauen wisperten miteinander, während Shin noch einen alten Reiskuchen in sich hineinstopfte. Natürlich hörte er den Frauen genau zu und verstand jedes Wort, obwohl sie flüsterten.

„Keine Angst, liebe Witwenweiber. Es wird niemand kommen, bis auf die überlebenden Ashigaru des toten Daimyô. Nur Fußsoldaten, Buben mit Gewehren, keine Samurai. Männer mit Feuerrohren, ohne die sie sich ziemlich hilflos fühlen. Haben sie ihre Flinten nicht zur Hand, greifen sie nach jedem Saum, jeden Zipfel vom Rock eines Höhergestellten, um gesagt zu bekommen, was sie zu tun haben. Arme Kreaturen. Geboren um zu gehorchen. Aber wenn niemand mehr da ist, der ihnen Befehle gibt? Hm … Für Harakiri fehlt ihnen der Schneid. Und keiner von ihnen taugt dazu, die anderen anzuführen. Wenn ich ehrlich bin, was ich eigentlich immer bin, außer ich lüge, und auch dann sage ich meistens die Wahrheit, wenn auch nur meine eigene, hihi, dann habe ich in meiner tiefsten Seele darauf gehofft, ein einziges Mal den Duft der Führerschaft schnuppern zu können. Ja, verehrte Muschelmösen, ich wollte mich ihnen präsentieren und nur zum Spaß so tun, als sei ich ihr Befehlshaber. Leider sehe ich nicht wie ein Befehlshaber aus. Nichts für ungut, aber ihr denkt sicher, ich sei dumm. Nein, oh nein, auch ich weiß, dass ich aussehe wie ein Hund, den man durch Kuhscheiße gezogen hat. Tja, und da liegt das Problem ...“

Sayuri sagte:

„Du meinst also, dass ein paar von den Überlebenden hierher zurückkehren? Werden sie denn nicht von den Siegern hingerichtet?“

„Einige schon, ganz sicher. Aber eine Schlacht ist wie eine Zimmermannswerkstatt. Es fallen viele Späne. Es bleiben immer ein paar Versprengte übrig, die ihre Beine in die Hand nehmen, und gerade in diesem speziellen Fall ist es sehr wahrscheinlich, weil die Sieger die Burg nicht einnehmen werden. Ist zu weit abgelegen, hat keinerlei strategischen Wert. Ist zu teuer und zu aufwändig, sie in Schuss zu halten. Und es gibt keine Reisfelder in der Gegend.“

Akane war erstaunt, dass dieser Shin bei all seinen wirren Erzählungen, die eigentlich kaum stimmen konnten, immer wieder Dinge sagte, die Hand und Fuß hatten. Man musste sich nur die Mühe machen, die vernünftigen Dinge von den Märchen zu trennen. Sayuri, die eigentlich immer Akane das Feld überließ, wenn es um vernünftige Entscheidungen ging, schlug vor:

„Lieber Shin, Akane und ich verfolgten ja ohnehin den Plan, uns wieder als richtige Frauen herauszuputzen. Auch wir sehen gerade aus wie dreckige Hunde, und wir stinken gewiss nicht weniger streng als du. Wir könnten dich baden, werter Shin, dich rasieren und salben. Und dann, wenn die armen Teufel hier eintreffen, kannst du ihnen mit neuer, frischer Fassade ein Liedchen spielen.“

Shin riss vor Begeisterung die Augen auf. Akane hegte den Verdacht, dass Sayuri sich auf diesen Verückten einlassen wollte, und das machte sie ein wenig wütend:

„Sayuri, ich denke der Mann findet alleine in den Badezuber. Er braucht deine Hilfe nicht.“

„Oh doch, die brauche ich allerdings!“ rief Shin sehr laut. „Ich habe mich gewiss seit einem Jahr nicht mehr gebadet! Ich weiß doch gar nicht mehr, wie man das macht!“

„Aber an Dinge, die noch viel weiter zurückliegen, erinnerst du dich gut, hm? An Dinge, die vor deiner Geburt geschehen sind …?“

„Nein, nur an Dinge, die ich erlebt habe.“

Akane und Sayuri sahen den Flötenspieler teils verblüfft, teils amüsiert an. Sie konnten nicht leugnen, einigermaßen froh darüber zu sein, dass sie an einen so redseligen und harmlosen Spinner geraten waren. Ihn konnten sie leicht um den Finger wickeln. Akane dachte laut:

„Wenn wir Shin vorschicken, diese Männer eine Weile zu beschäftigen, mit was auch immer, könnten wir eine Weile hierbleiben, uns ausruhen und nachdenken ...“

„Ja, Akane. Baden wir ihn, putzen wir ihn heraus. Ich denke es gibt hier noch genug edle Kleider in den Schränken.“

„Redet ihr immer in der dritten Person über jemanden, der mitten im Raum sitzt? Hm?“

„Entschuldige, edler Shin“ sagte Akane sanft und verbeugte sich. Shin drückte stolz sein Kreuz durch und sagte:

„Es wäre mir eine Ehre, euch den Rücken freizuhalten, liebe Gänse. Nicht oft bekommt einer wie ich, wahrlich außer seiner üblichen Betätigung des Flötenspiels, die Ehre, von Nutzen zu sein. Ich heiße die Gelegenheit willkommen.“

Von zwei schönen Frauen gebadet zu werden, ist nicht zwingend das Vorspiel für erotische Situationen. In diesem Fall jedoch waren sich die beiden Frauen sicher, dass Shin von ihnen fordern würde, ihm zu Willen zu sein, sobald er getrocknet und rasiert war. Doch sie täuschten sich. Akane hatte Sayuri mit Shin alleingelassen und erwartete sie nicht vor einer Stunde zurück. Doch zu Akanes Überraschung erschien Sayuri nach nur fünf Minuten in den Gemächern der Frauen und sagte verblüfft:

„Er will nicht.“

„Er will nicht? Ist das überhaupt ein Mann?“

„Er gibt vor, einer Chinesin namens Chen Lu versprochen zu sein. Sie war einst mit einem Tintenfisch vermählt, bis sie eines Tages Shins Flöte hörte und fortan nur noch den Drang verspürte, sich mit der Flöte oder ihrem Spieler zu vereinen. Und tatsächlich hatte Shin, damals noch ein normaler junger Mann, sich mit der Frau gepaart, oder mittels seiner Flöte. Aber dann erreichte ihn eine Botschaft vom Kaiserreich der Tintenfische, direkt aus dem Meer, und er musste zurück nach Japan. Die Tintenfische waren eifersüchtig, und deshalb haben sie ihm befohlen, sich zunächst auf den Inseln eigene Fangarme zu verdienen … Etwa in der Art hat er es erklärt.“

„Dieser Mann ist ein Wahnsinniger, Sayuri.“

„Nur ein halber Wahnsinniger, Akane. Manches was er sagt ergibt Sinn. Er ist nicht ganz frei von Vernunft.“

„Beten wir, dass seine vernünftige Seite uns Nutzen bringen wird und sein Wahnsinn uns lediglich zum Lachen.“

„Gesäubert und bartfrei sieht er fast gut aus. Ich war wirklich etwas enttäuscht, dass er mich abgewiesen hat. Doch die Art, wie er es getan hat, war gütig und ließ dennoch durchblicken, dass er mich anziehend findet.“

„Jeder Mann findet dich anziehend, Sayuri. Du brauchst dir darauf nichts einbilden, denn es hat nichts mit dir persönlich zu tun. Männer interessieren sich nicht für dich als Person.“

„Er schon. Shin ist anders als der übliche Mann. Er fragte mich nach meinen Träumen und ob ich schon mal länger als fünf Tage Schnupfen hatte.“

„Und deshalb ist er halb wahnsinnig, Sayuri.“

Beide lachten und beschlossen, sich ebenfalls zu baden und endlich wie Frauen zu kleiden, was einer kleinen Wiedergeburt gleichkam.

Inklusive der roten Farbtupfer auf der Stirn über den Augenbrauen und dem Bemalen der Zähne mit schwarzer Farbe, brachten sie sich nach all den Tagen der rastlosen Wanderschaft erneut in die Form, die ihr Inhalt war – ins Frausein, ins Schamvolle, angefüllt mit Andeutungen des Schamlosen, in die weichen, leisen Kleider von Dienenden, in denen nun jedoch Bestimmende wohnten. Ihr viel zu kurzes Haar toupierten sie, steckten es geschickt zusammen, wobei sie übergroße Schildkrötenkämme benutzten und ebenso übergroße Zierknoten banden. Ironisch an den Bemühungen war, dass sie nun erneut etwas an ihrem Äußeren vortäuschten, um die alte Täuschung zu bemänteln. Doch beide wussten natürlich, dass beinah alles im Leben aus Lug und Trug bestand und die einzig bedeutende Kunst die der perfekten Lüge war.

Akane und Sayuri stand ein breites Angebot an Kimonos zur Verfügung, und sie konnten frei wählen.

Die Anprobe all der Seiden- und Brokatkleider dauerte Stunden.

Gierig nach Sinnesfreude parfümierten sie ihre Hälse und sogen die Düfte so inbrünstig auf, dass sie davon beinah in Ohnmacht fielen. Die aus dem Anwesen geflüchteten Konkubinen hatten eine Vielfalt an Annehmlichkeiten für Akane und Sayuri zurückgelassen. Und da sie nur zu zweit waren, fühlten sie sich wie die Ehefrauen eines Daimyô, wie Damen des höchsten Standes.

Shin trug einen viel zu weiten, sonnengelben Kimono des toten Kriegsfürsten, hatte ein glattrasiertes Gesicht und zum Zopf gebundenes Haar neben einer rasierten Stirn. Seine neue Erscheinung wirkte trotz des feinen Tuches ein wenig verwegen. Er sah aus wie ein grimmiger Usurpator, ein Mörder oder Verräter, und nur sein schräges, zuckendes Grinsen und die kleine Flöte, die er immer lässig zwischen den Fingern geklemmt hielt und manchmal kreisen ließ, verrieten, dass er ein ganz anderer war, ein gutmütiger Hochstapler mit einem Knick im Geist.

Alle Drei trafen sich in der intimeren Atmosphäre des recht kleinen Aufenthaltsraumes, an den mehrere andere, noch kleinere Räume angrenzten – eine Kammer für stets bereitstehende Diener, und auch das Schlafgemach.

Shin reinigte seine Flöte mit ein wenig Öl, während er die Gesellschaft der beiden schönen Frauen genoss, die mit gestreckten Rücken vor ihm hockten.

„Also, liebe Fischmädchen, verehrte fleischerne Porzellanvögelchen, was wollen wir den Soldaten erzählen?“ fragte er in einem Ton, der andeutete, dass er selbst schon längst eine Antwort darauf gefunden hatte. Sayuri sagte nachdenklich:

„Sie sind bestimmt müde und sehr verstört, völlig niedergeschlagen und ratsuchend.“

„Richtig!“ rief Shin und kicherte. Akane warf ein:

„Falls sie nicht sofort Selbstmord begehen, werden sie doch danach trachten, die Gemächer ihres dahingeschiedenen Herrn weiterhin zu schützen. Sie könnten uns töten.“

„Nein,“ widersprach Shin, „das werden sie nicht, solange sie verzaubert sind. Ich werde eines der geheimen magischen Lieder spielen. Es ist mir bereits vom Kaiserreich der Tintenfische erlaubt worden. Das wird die Soldaten gefügig machen, und der Bann wird sie dazu bringen, alles zu tun, was wir wünschen. Sie werden glücklich sein und mir glauben, wenn ich ihnen erzähle, ich sei der verschollene Vetter des Daimyô, soeben aus China angereist und willens, die Burg wieder instand zu setzen.“

Akane wiederholte mit großer Skepsis:

„Geheime magische Lieder?“

Shin lächelte mit seinen schiefen, tiefgelben Zähnen, setzte mit einer auffallend schrägen Haltung die Flöte an die Lippen und spielte zwei Töne, die in einer ausladenden, kreisenden Klangwelle durch den Raum schwebten und dermaßen betörend klangen, dass den beiden Frauen sofort die Tränen in die Augen schossen. Sayuri begann zu schluchzen und verbarg das Gesicht hinter ihren kleinen Händen. Akanas Gesichtszüge zitterten, während ihr die Tränenrinnsale über die frisch geschminkten Wangen liefen. Sie stotterte in absoluter Verblüffung:

„Wie machst du das?“

„Hihi … Hihi … Hihi … Jede Schwingung hat einen Bruder, die geheime Welle unter der Welle, an die wir alle gewöhnt sind. Sie zu kontrollieren bedeutet, eine große Verantwortung zu tragen. Trotz meines kleinen Wahnsinns, der vermuten lässt, ich würde meine Gabe über Gebür strapazieren, besitze ich die eiserne Disziplin, sie nur dann einzusetzen, wenn daraus ein vernünftiger Nutzen für mehrere Personen herausspringt. Und in diesem Fall sind die Mehreren ihr zwei Kusstäubchen. Es wird mir eine Ehre und ein Vergnügen sein, für euch die dummen Ashigaru zu bändigen, und zugleich werde ich den kleinen Männern ein wenig Trost und Frieden schenken und sie vom Grauen des Schlachtfeldes ablenken.“

Sayuri, die ihre Tränen trocknete, sagte mitleidig:

„Sicher sind sie voller Angst, die Feinde könnten ihnen bis hierher folgen, und gewiss hat niemand von ihnen in letzter Zeit eine Frau umarmt ...“

Akane schickte einen strengen Blick zur liebeswilligen Freundin:

„Du wirst dich nicht an sie verschenken, Baita!“

„Nenn mich nicht so, denn auch du bist eine Hure, alte Schwester.“

Akane fühlte sich nicht beleidigt, eher geschmeichelt, weil sie in Sayuris Augen noch immer eine Hure, eine Konkubine und sogar eine Schwester war. Und da sie immer noch unter dem Eindruck von Shins magischen Tönen stand, konnte sie erst recht nicht sauer auf die junge Freundin sein. Sie sandte ihr einen aufreizenden Blick, der Sayuri sehr überraschte. Dann sagte Akane ruhig und überlegt:

„Wir werden im Hintergrund bleiben und alles sorgsam überwachen. Mir schwant, wir können aus dieser Situation unseren Nutzen ziehen und eine Weile von den Diensten der Ashigaru profitieren. Sie könnten neue Reisfelder bestellen und Fisch fangen. Wenn unser lieber, halb wahnsinniger und unsterblicher Shin recht hat mit seiner Gabe, können wir es uns hier zunächst mal gemütlich machen.“

Shin, wachsam seine Blicke von einer Frau zur anderen wandern lassend, legte ein breites Grinsen auf und verbeugte sich mit einer langsamen, dezenten Kopfbewegung. Die Frauen starrten ihn an, wohlwissend, dass dieser halb Wahnsinnige das Schicksal in seinen Händen, oder vielmehr in seinem kleinen Instrument aus Bambus hielt.

Schon bald konnte man von den Gemächern aus die nervösen Stimmen der überlebenden Ashigaru hören, die sich mit ihren Arkebusen im Hof der Festung einfanden. Akane und Sayuri riskierten einen Blick durch die Fensterläden. Sie sahen von oben nur die Masse der kreisrunden Kegelhüte, die typische Kopfbedeckung der Gewehrschützen. Es waren ihrer vielleicht 30 Überlebende, sehr wenige für eine Schlacht dieser Größenordnung. Der Klang des hektischen Debattierens drang zu den Frauen empor. Die Männer diskutierten, wie nun zu verfahren sei, doch man konnte heraushören, dass sie sich in der Burg sicher fühlten und der Feind mit seinen Truppen bereits abgezogen war.

„Sie brauchen zunächst einmal Hoffnung ...“ flüsterte Akane. Sayuri nickte, wand jedoch ein:

„Schwer vorstellbar, dass der Irre in der Lage sein soll, diese Meute in Schach zu halten, und das mit einem einfachen Flötenspiel.“

Akane war etwas überrascht von Sayuris Zweifeln, hatte sie doch beim Klang von Shins Melodie hemmungslos geweint. Doch bevor sie ihre junge Gefährtin beruhigen konnte, ertönte schon der erste, himmlische Ton aus Shins Instrument und setzte sich wie ein süßer Nebel über den ganzen Hof herab. Shin hockte im Schneidersitz auf dem Balkon, von wo aus der Daimyô üblicherweise seine Ansprachen hielt. Sofort hörten die Männer im Hof zu reden auf und starrten hinauf zum Balkon. Shin blies eine herzzerreißende Melodie mit einigen dramatischen Tonhöhewechseln, ließ sanfte Klänge auf kräftige, melodramatische folgen und verwob alles zu einer Ode an die Versöhnung, und an die Erlösung. Die Männer machten „Oh“ und „Ah“, manche knieten nieder und nahmen sich die Hüte von den Köpfen. Manche fingen an zu beten. Einer konnte sein Wasser nicht halten.

Sayuri und Akane stellten verblüfft fest, dass sie selbst, im Gegensatz zu vorher, nun überhaupt nicht berührt wurden von Shins Musik. Anscheinend besaß er die Gabe, seine Kunst direkt auf gewisse Menschen wirken und andere davon unberührt zu lassen. Es war ihnen ein Rätsel, wie so etwas zustande gebracht werden konnte.

„Geh auf den Balkon und sag ihm, dass er den Männern gut zureden soll. Er soll ihnen sagen, dass sie nun als Bauern und Fischer für uns arbeiten, und nicht länger als Soldaten!“

„Ja, Akane!“

Doch bevor Sayuri sich auf den Weg machen konnte, gellte Shins laute Stimme über den Hof:

„Verehrte Ashugari! Ihr habt tapfer gekämpft. Doch nun gebietet euch des Daimyôs Vetter Shin, die Waffen abzulegen und euch für Taten des Friedens bereit zu stellen.“

Shin blickte in die teils ungläubigen Gesichter dort unten im Hof.

„Ja, ihr habt recht gehört: Ich bin Shin, Vetter des Daimyô und soeben vom Festland herüber gekommen, um euren ehrenwerten Herrn zu besuchen. Doch was ich vorfand, hat mein Herz gebrochen. Die Schlacht ist verloren, mein Vetter im Jenseits, sowie viele seiner tapfersten Krieger … Lasst uns trauern, indem wir in Treue und Loyalität sein Anwesen wieder zur Blüte verhelfen. Es soll künftig dazu dienen, das Andenken aller Gefallenen zu ehren, die Ehre zu vermehren durch Frieden, Frieden zu ehren durch das Andenken an die Geköpften und Erschossenen, und … Ruhe! … Die Ahornbäume zu umarmen, den Reis zu küssen, mit Kirschblüten die Fische zu bezaubern und das Wasser zu kitzeln ...“

Akane schimpfte:

„Er dreht durch!“

Sayuri nickte:

„Zuerst machte er es recht gut, aber nun spricht er wirres Zeug!“

Doch zur Verwunderung der Frauen jubelten die Männer auf, und man konnte deutlich den sehnsüchtigen Ausdruck ihrer Gesichter sehen, Gesichter von Männern, die sich nichts mehr wünschten als Führung. Shin sprach:

„Ab heute übernehme ich, Shin, die Herrschaft über dieses Anwesen und erkläre es zu einem souveränen Staat, der durch die umliegenden Reisfelder begrenzt wird, die es noch nicht gibt. Es ist unerlässlich, für unser Zusammenleben, in dem jeder den ihm zugeteilten Zielen dient, Regeln aufzustellen. Es werden einfache Regeln sein, so einfach, dass auch Tintenfische sie befolgen könnten. Jawohl, Tintenfische! Jeder Soldat, das heißt ab nunmehr jeder Bauer und Fischer, hat bei Regen ein Gebet an den großen Tintenfisch zu richten, in achtfacher Ausführung, für jeden Arm des Tintenfisches.“

Sayuri und Akane schlugen die Hände vor ihre Gesichter. Akane seufzte:

„Dieser Wahnsinnige wird unser Verderben sein! Er lässt uns alle mit seinem Schwachsinn auffliegen.“

„Aber schau, Akane, die Männer hören aufmerksam zu!“

Shin sprach:

„Jeder Soldat muss einmal am Tag zu einer von ihm gewählten Stunde in ein selbstgegrabenes Erdloch urinieren. Und dann, damit wir das auch kontrollieren können, platziere dieser einen kleinen Wimpel an den Rand des Erdlochs! … Still, ihr Narren! … Ferner: Männer mit Vornamen, die auf 'A' enden, haben sich die Kleidung blau zu färben! Männer mit anderen Namensendungen färben sich die Kleidung gelb! Die Wimpel sind bitte in der entsprechenden Farbe gemaß des Vornamens aufzustellen … Und: Alle vier Tage haben sich die Soldaten im Hofe einzufinden und eine Stunde lang dem Flötenspiel zu lauschen, dem langen Lied vom Tintenfisch, der einst meiner Liebe von jenseits des Meeres gehörte! Ich werde zu diesem Anlass eine Kabuki-Maske auflegen. Und das Wichtigeste: Alle blauen Männer sind ab heute Bauern und bestellen die Reisfelder, und alle gelben sind Fischer und fangen Fisch! Aber keinen Tintenfisch! Das ist verboten! Nun geht und folgt den Regeln, zeigt eurem Herrn im Jenseits, dass ihr noch immer auf dem rechten Weg seid!“

Shin stieß erneut in seine Flöte, stimmte einen dramatisch ansteigenden Ton an, und die Männer jubelten, warfen ihre Gewehre weg und gingen sofort an die Arbeit.

Gebannt beobachteten die Frauen, wie die Soldaten sich bereitmachten, um auf den Feldern zu arbeiten oder zum Ufer zu eilen, um die Fischerboote flott zu machen. Einer grub schnell ein kleines Loch in den Boden und füllte es mit seinem Wasser. Noch vor dem Aufbruch wurde Farbe herbeigeholt, worauf die Männer sich nach Vornamen geordnet aufstellten, um bemalt zu werden. Shin kicherte und ging wieder ins Innere der Burg.

„Wie hast du das geschafft? Haben deine Melodien eine solch unglaubliche Macht?“

„Sie haben diese Macht, aber nur bei denjenigen, die sich entsprechende Weisungen ersehnen. Soldaten gehen darin auf, Befehle zu folgen, und je undurchsichtiger die Befehle sind, desto eher sind sie gewillt, an einen höheren, ja göttlichen Sinn zu glauben. Nichts ist so leicht zu steuern wie der Mensch, denn er umgeht mit aller Anstrengung jeden Moment, den er zum Nachdenken nutzen könnte. Verzeiht, meine Lieben, aber ich werde mich nun zur Küste begeben. Es ist an der Zeit, ein Lied an den Ozean zu senden, um die Wellen anzuflehen, meine geliebte Chen Lu zu mir zu bringen!“

„Aber Shin,“, sagte Sayuri, „du bist verrückt! Die Wellen werden sie nicht einfach anspülen! Du sagst weise Dinge über die Menschen, aber du selbst hast die Fähigkeit zu denken verloren oder nie besessen! Deine Liebe wird nicht kommen!“

„Hihi ...“ machte Shin und sagte:

„Na und?“

„Was hat es mit diesem Blödsinn vom Tintenfisch auf sich?“ wollte Akane wissen,

„Das ist ganz einfach. Der Tintenfisch hat viele Arme, aber keine Knochen. Die Arme gelangen überall hin, in die Gedanken der Menschen … In Wahrheit ist der Geist des Menschen ein Tintenfisch, denn er hat seine Gedanken oft überall, aber ganz ohne Knochen, ohne Festigkeit oder Substanz. Ich werde den großen Tintenfisch erwecken ...“

Und schon hüpfte er davon.

Es gelang den Frauen, sich den Soldaten als Schwestern des Shin auszugeben, und sie ließen sich nach Wunsch mit Speis und Trank bewirten. Akane und Sayuri bekamen nach langer Zeit wieder das Gefühl, ihres Standes angemessen behandelt zu werden, und sogar noch mehr. Für die fleißigen Männer waren sie keine Konkubinen eines Daimyô, sondern besaßen nun selbst den Status von Befehlsgebern. Beinah wirkte es so, als wären sie Kaiserfrauen oder gar Göttinnen.

Jeder Wunsch wurde ihnen erfüllt, was die beiden Frauen mitunter zu zweifelhaften Handlungen verführte. Einmal erlaubten sie sich, einen der Männer, der einen Befehl nicht verstanden hatte, durch zwei andere hinrichten zu lassen, was auch prompt ausgeführt wurde. In völliger Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid ihres Kameraden quälten sie ihn mit langen Ruten, bevor sie ihm jubelnd in den Kopf schossen. Einen recht ansehnlichen Ashigaru wollten sie als Lustknaben verwenden, doch als sie feststellten, dass der Soldat keinerlei Kenntnisse in Dingen der Liebe besaß, kastrierten sie ihn im Schlaf, worauf er langsam verblutete. Den anderen erzählten sie, sein Gemächt wäre durch zu starke Erregung explodiert.

Shin kam zeitweise vorbei und schaute nach dem Rechten, doch meist verweilte er am Strand und wartete auf das Schiff, das seine geliebte Chen Lu zu ihm bringen sollte. Sayuri und Akane hatten ihm mehrere Male gesagt, dass er wohl vergeblich wartete, doch Shin ließ sich nicht beirren. Den beiden Frauen schien es, als wäre er durch eine seiner eigenen Melodien verzaubert worden.

Shin jedoch war es nicht entgangen, wie kapriziös die Frauen mit ihrer Macht umgingen, spottete hinter ihren Rücken über sie und mutmaßte, dass sie wohl große Ambitionen hegten, sich so töricht wie Männer zu verhalten. Er saß oft am Ufer des Meeres und fragte sich, ob er als Unsterblicher je in den Genuss kommen würde, Zeuge einer menschlichen Besinnung zu werden. Denn das Besinnungslose war die eigentliche Natur des Menschen und stand damit im krassen Gegensatz zur Be-sinnlichkeit von Tieren, wobei die Tintenfische die weisesten waren, noch weiser als Regenwürmer. Shin unterhielt sich mittels seiner Flöte manchmal mit Delphinen und auch mit Walen, teilte ihnen seine Sorgen mit, und sie ihm die ihren. Meerestiere kannten viele Welten außer der irdischen und sprachen oft von unbekannten Völkern, die im Himmel wohnten, auf anderen Gestirnen, und die ganz andere Musik hörten als die Menschen.

All das war sehr interessant, doch Chen Lu ließ sich immer noch nicht blicken.

Akane und Sayuri, die sich nun viel mehr mochten als zu Beginn, schliefen gemeinsam auf einem Bett, schenkten sich Zärtlichkeit und steigerten sich in phantasievolle Träume von einer schönen Zukunft hinein. Vielleicht würde irgendwann jemand kommen, jemand Seriöses, der das Anwesen übernehmen könnte. Und dem würden sie dann dienen. Gewagter gestaltete sich ihre Vorstellung von einer eigenen Armee, der Gründung eines eigenen Fürstenhauses, das den anderen in nichts nachstand. Sie selbst könnten wie Daimyôs sein, und als sie lachend, einander umarmend, darüber witzelten, rechtfertigten sie ihre mutigen Gedankenspiele mit der Tatsache, dass sie ja bereits als Männer verkleidet gewesen waren. Sie spielten Mann und Frau und Frau und Mann. Doch in den stillsten Momenten, in dunkelster Nacht, erinnerten sie sich an die herzzerreißenden Töne, die Shin ihnen vorgespielt hatte, und wie Verdurstende wünschten sie sich, er würde sogleich kommen und erneut etwas für sie spielen …

In der Tat: In einer nebelumhüllten Vollmondnacht geschah etwas, das genau den Wunschträumen der beiden Frauen entsprach. Zunächst nur schemenhaft, doch alsbald gestochen scharf und imposant manifestierten sich in ihrem Schlafgemach zwei überlebensgroße Samurai, deren Rüstungen wie eigenständige Organe im Zwielicht pulsierten und wie schwitzende Haut glänzten. Als sie sich langsam aus den Panzerungen schälten, verströmten sie einen wilden, unwiderstehlichen Duft, der dem Moschus vom Festland in nichts nachstand, bis sie glatten Leibes zu ihnen auf das Bett krochen und sich ihrer annahmen, unnachgiebig, kraftstrotzend, stramm im Fleische und völlig entfesselt in ihren Küssen und Berührungen. Akane und Sayuri entfachten einen Zweierchor des Gekreisches aus ungezügelter Lust, während sie Körpersäfte versprühend durchgewalgt wurden von ihrer eigenen Sehnsucht, der Shin mit fast unhörbar hoch gespielten Melodien Besänftigung schenkte. Doch nur für eine sehr kurze Zeit, denn länger hätten die Frauen diese Gipfel der Wonne kaum überlebt.

Völlig verwirrt, beinah irre, erwachten sie aus diesem gewaltsamen Traum des Glücks, lagen verkeilt und entblößt im Mondlicht, schwer keuchend und um einen Nachschlag bettelnd. Sie fragten sich, ob die beiden Männer wirklich dagewesen waren, denn es schien unfassbar, dass eine Illusion derart wahrhaftig erscheinen konnte.

Einige Abende später jedoch beobachteten sie bei den Ashugari, was Shins Musik alles bewirken konnte.

Im Hofe fand eine etwas andere Kabuki-Vorstellung statt. Alleiniger Darsteller war Shin, der zwei Stunden lang in die Flöte blies, der die Soldaten brav und andächtig zuhörten. Während die vielen Kerzen die Szenerie des Hofes flackernd erhellten und ein sanfter Wind die Fahnen und Tücher zu Wellenbewegungen verführte, manifestierten sich zwischen den Feuern in der Dunkelheit die verborgenen Wünsche aller Anwesenden, gaben ihnen den Eindruck, dass ihre Sehnsüchte erfüllt seien, und ihre Begierden gestillt.

Ein junger Soldat mit gelber Kleidung erblickte seine verstorbene Schwester, die glücklich und lachend ihr geliebtes Schneeäffchen in den Armen hielt. Ein anderer Soldat sah seine beiden Kinder, die er für tot gehalten hatte. Sie lachten und tanzten um ihn herum, hatten vor Vergnügen gerötete Gesichter und küssten ihn, was ihn in eine wundervolle Ohnmacht sinken ließ.

Es erschienen Shinto-Götter, schwebend über dem Hof und Farben versprühend. Sie gröhlten und röhrten wie Hirsche, ließen goldene Regentropfen versprühen, schlugen Purzelbäume und segneten die Soldaten, die vollkommen verzückt lachten und weinten.

Schalen mit den süßesten Kirschen erschienen zwischen den Sitzplätzen der Männer, und darüber hinaus blutjunge Konkubinen aller Art, auch solche, von denen bisher nur erzählt worden war – Mädchen mit blonden Haaren und blauen Augen, vom anderen Ende der Welt. Wahrscheinlich wussten einige Klügere der Soldaten, dass all diese Erscheinungen nicht real waren, doch erzeugten sie derart große Verzückung, dass man es nicht für wichtig erachtete, ob sie echt waren oder nicht. Die überbordende Sehnsucht nach Schönheit, Segnung und Sinnesfreude ließ die Männer gleichgültig gegenüber der Wahrheit, ja sie wollten die Wahrheit sogar gänzlich vergessen. Und sie waren dem „Vetter des Daimyô“, dem magischen, halb wahnsinnigen Shin für immer dankbar für alle diese Zauber.

„Mutter … Du lebst ...“ wimmerte ein junger Soldat, dem plötzlich die Frau gegenübersaß, die ihn einst geboren hatte. Sie schloss ihn in die Arme, worauf der junge Soldat wieder zum säugenden Neugeborenen wurde, zumindest in seiner Einbildung. Er nuckelte an einer imaginären Zitze und krümmte seinen Leib zusammen, rülpste zufrieden und schlief ein.

Es gab Soldaten, die sahen Schalen voller Goldstücke, sahen schneeweiße Katzen mit gespaltenen Schwänzen, die sich in Karaffen voller Sake verwandelten und daraufhin in geschmeidige Mädchen, die zu silbernen, duftenden Rauchschwaden wurden, die den Männern in die Poren drang und sie mit ungekannten Ekstasen ausfüllten.

Sayuri und Akane beobachteten vom Balkon aus, wie sich die Männer im Hof benahmen, während Shin einfach nur seine Flöte spielte. Die Frauen konnten die Visionen nicht sehen, aber sie wussten, was Shin bei den Männern erzeugte.

„Es ist mir unheimlich“ sagte Sayuri finster. Akane nickte:

„Ja, du hast recht. Es ist krank, abartig, fehlgeleitet … Egal wie putzig wir ihn finden und wie dankbar wir ihm sind, uns geholfen zu haben … Er muss damit aufhören.“

„Oder er muss auch für uns seinen Zauber entfachen, so wie zu Anfang, als er seine Kunst vor uns bewiesen hat. Gib es zu: Auch du hast große Sehnsucht nach den Tönen …!“

„Mag sein … Aber liebe Sayuri, wir beide haben uns. Uns zwei. Wir brauchen seine Phantasie nicht. Und wenn ich mir diese armen Kerle dort anschaue, kommt mir nur ein Gedanke: Es wird böse enden. Erst recht, wenn sie von ihren Wonnen erwachen. Es kann nicht gut gehen.“

„Aber du kannst einem Irren keine Befehle geben. Genauso wenig könntest du dem Wind befehlen.“

„Dann müssen wir uns überlegen, wie wir ihn unbemerkt ausschalten.“

„Und was dann?“

„Dann, liebe Sayuri, müssen wir wieder einmal fliehen.“

Mit tiefer Zufriedenheit und voller Wärme in den Herzen gingen die Männer in ihre Baracken zu Bett.

Sayuri und Akane nahmen sich vor, ein letztes Mal im Schutze der irregeführten Soldaten und hinter Shins Zauber zu schlafen, um sich für den nächsten Tag zu stärken, damit ein Plan erstellt werden konnte, sich des Flötenspielers zu entledigen.

In der Nacht erwachten beide zugleich von verschiedenartigen Lauten aus dem Hof. Es schien, als würden die Soldaten noch immer im Eindruck der Visionen stehen. Einige schrien, andere riefen laut nach einem Gott, und dann war es wieder still, doch nur für wenige Minuten.

Ein bedrohliches Knarren ertönte im Schlafgemach der Frauen, begleitet von einem verräterischen Rascheln und dem Klang eines tiefen Knurrens. Sayuri und Akane schlugen die Augen auf, und vor ihrem Bett, mitten im Raum, stand ein in voller Rüstung gekleideter, großer Samurai in rotem Harnisch, grimmig und in seiner Bedrohlichkeit über alle Maßen begehrenswert. Wie auf einem Schlachtfeld ließ er seine dunklen Augen unter dem reich verzierten Helm umherwandern. Sein Atem stieß Dampf in den Raum wie ein großes Ross, und seine Rüstung knirschte.

Akane flüsterte Sayuri, die sie fest umklammert hielt, mit zitternder Stimme zu:

„Das ist schon wieder ein Trugbild, Sayuri. Lass dich nicht täuschen! Anscheinend glaubt Shin, wir hätten nicht begriffen, wie sein Zauber wirkt.“

„Ich weiß, Akane. Wir müssen wegschauen. Sonst ergreift uns der Zauber, und wir sind verloren ...“

Die Frauen schlossen ihre Augen und warteten ab, bis die Vision verschwand. Doch die Gestalt des Samurai grunzte nur missgestimmt, und Akane glaubte tatsächlich, seinen Geruch wahrzunehmen. Er roch nach Blut und Leder.

„Lass die Augen geschlossen, Sayuri, egal was passiert!“

Dann hörten sie, wie das Schwert des Samurai aus dem Schaft gezogen wurde. Sayuri sagte noch einmal:

„Ja, die Augen geschlossen halten! Es wird vorübergehen ...“

„Herr, es gibt keine Überlebenden innerhalb der Burg.“

„Die Gefangenen erzählten etwas von einem Vetter des alten Daimyô, der Flöte spielte, und von zwei Schwestern.“

„Um die Schwestern habe ich mich gekümmert. Einen Flötenspieler habe ich nicht gesehen.“

„Lass die Männer weiter suchen. Er kann nicht weit sein.“

„Herr, sollen wir diese Festung wirklich besetzen?“

„Sie ist ein direkter Zugang zum Meer. Es gibt einen Hafen. Wir können annehmen, dass es einen Kontakt zum Festland gab. Vielleicht existiert ein Handelsvertrag. Warten wir ab, was vom Meer kommt. Das Wasser ist geduldig, und wir folgen seinem Beispiel.“

„Wir können hier nicht herumsitzen und auf das Wasser starren! Lassen wir eine kleine Gruppe hier, wir anderen ziehen weiter. Shôgun Tokugawa wünscht, dass wir das Land so schnell wie möglich befrieden.“

Die wenigen gefangenen Ashigaru standen noch immer unter dem Eindruck des Flötenspiels und lächelten verklärt, als man sie in Ketten abführte. Einer von ihnen bestand darauf, ein Erdloch zu graben und hinein zu urinieren. Man enthauptete ihn.

Das Anwesen des Daimyô, in dem die Frauen und der Flötenspieler gewohnt hatten, wurde abgebrannt. Den Rauch des Feuers konnte man noch von weit hinter den Bergen aufsteigen sehen.

Jede finstere Nacht geht einmal vorbei, und der Morgen, dessen Sonne hinter den Bergen emporkroch, setzte ein flirrendes Lichterspiel nieder auf den ruhigen Spiegel des Pazifik. Die roten Wipfel der Ahornbäume glitzerten wie frische Blutstropfen im Morgentau, und all die Soldaten waren ihren Befehlshabern wieder ins Landesinnere gefolgt, bis auf ein paar Mann, die an der kleinen Anlegestelle auf Handelsschiffe warteten, die man dort anzukommen vermutete. Sie spielten Würfel und erfreuten sich daran.

Akane und Sayuri saßen im Lotussitz am Ufer und sahen den Männern zu, wie sie etwas später unter freiem Himmel Reis kochten und ihre Rüstungen reinigten. Die Frauen waren höchst elegant herausgeputzt, in sich ruhend und allem überlegen.

„Sieh nur, sogar jetzt versucht man, uns zu verzaubern.“ sagte Sayuri und zeigte auf zwei hohe Pfähle, die vor dem Tor der brennenden Festung standen. Akane nickte. Auf den Pfählen steckten ihre eigenen beiden Köpfe, mit trübem Blick, sauber abgetrennt von den Leibern. Das kurze Haar zerzaust.

“Sieh nur, wie er uns aussehen lässt! Das ist eine Frechheit ...“

„Warum ist Shin so garstig zu uns? Weshalb will er uns glauben machen, wir seien tot?“ fragte Sayuri.

„Vergiss nicht, er ist halb wahnsinnig. Er hat uns überlistet, ist verschwunden und hat uns mit diesem völlig durcheinander geratenen Anwesen alleingelassen. Wir brauchen neue Diener.“

„Ich gehe nicht mehr auf Wanderschaft, Akane.“

„Nein, wir bleiben für immer hier. Schau nur, die Männer am Ufer spielen wieder Würfel. Ob sie tatsächlich glauben, dass hier Schiffe aus China anlegen?“

„Vielleicht sind sie ebenfalls vom Tintenfisch-Unsinn vernebelt worden, wie all die anderen … Oh Akane, schau nur, dort im Dunst über dem Wasser … Ein Schiff!“

Und tatsächlich näherte sich ein imposant geschmücktes Schiff, reich verziert, mit Blattgold auf den Applikationen, und es wirkte so, als führe es ohne jeglichen Wind, ohne Ruder.

Die Soldaten spielten weiterhin ihr Würfelspiel und schienen die reich geschmückte Delegation nicht zu beachten, die nun am Pier von Bord ging.

„Oh sieh nur, jene Männer sehen es gar nicht ...“

„Ja, Sayuri … Es gibt nur zwei Möglichkeiten … Entweder sie sind ebenfalls verzaubert worden, oder wir sind es. Es könnte möglich sein, dass es nur eine Vision ist, so wie der Samurai von letzter Nacht. Oder alles ist wahr, einfach alles, und auch dass wir tot sind und unsere wahren Köpfe dort auf den Pfählen gepflanzt sind.“

„Wenn alles wahr ist, dann sind wir sowohl tot als auch lebendig.“

Schließlich sahen sie, wie eine wunderschöne, anmutige Dame auf sie zuschritt. Ihr Kleid und ihre Gesichtsfarbe ließen keinen Zweifel daran, dass es sich um eine stolze Chinesin handelte. Auf ihrem Gewand war die Gestalt eines großen, blauen Tintenfisches gestickt.

Lächelnd, aber auch ein wenig traurig, verbeugte sie sich vor Sayuri und Akane und sagte mit starkem Akzent, während die Männer weiterhin unbeirrt ihrem Würfelspiel frönten:

„Mein Name ist Chen Lu. Guten Morgen, liebe Frauen. Sagt mir, seid ihr vielleicht einem etwas wirrköpfigen Flötenspieler begegnet?“

Hastig durch das Unterholz rennend, springend, kletternd, mit wimmernden Lauten und geröteten Augen, floh Shin von dem Ort, den er verzaubert hatte. Manchmal konnte er nicht sicher, sein, ob nur er selbst es war, der alles auf den Kopf gestellt hatte, oder nur diese mysteriöse Flöte, von der er nicht mehr weiß, wie sie einst in seinen Besitz gekommen war. An alles konnte sich Shin erinnern, nur nicht daran, wer ihm in grauer Vorzeit dieses Instrument geschenkt hatte. Trotz seiner hohen Kunst geriet er manchmel selbst in Zweifel, wie viel von dem, was geschah, nur Zauberei war und wie viel davon berührbare, hölzerne Wahrheit. Es schien ziemlich sicher, dass die Festung letztlich doch von feindlichen Truppen eingenommen worden war. Und plötzlich gab es nicht nur zwei Frauen, sondern vier. Zwei davon waren enthauptet worden. Und wo waren all die Kirschen und Goldmünzen hin? Warum sind all die Wesen und Götter geflohen? Shin setzte sich an einen kleinen Bach und wusch sein Gesicht so lange, bis es von der Kälte des Wassers taub wurde.

„Deshalb bin ich, wie ich bin … Deshalb bin ich nicht mehr als ein halb wahnsinniger Flötist. Niemals werde ich aus dem Spalt zwischen Vernunft und Zauberei entrinnen, werde immer wie ein Nähfaden zwischen beidem gefangen sein, beide Seiten zusammenhaltend, aber unfähig, mich selbst daraus zu entwirren.“

Shin raffte sich auf und schüttelte den Kopf:

„Weiter, immer weiter. Wie immer den vielen Armen folgen ...“

 

an der die Katapulte ein großes Loch in die Festungsmauer geschlagen hatten

Ich würde eher davon ausgehen, dass die Geschosse der Katapulte große Löcher hinterlassen haben, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass Katapulte dafür bekannt sind, als Schlagwaffen zu fungieren. Mit dem Wort "geschlagen" habe ich auch so meine Probleme - Geschossen schlagen ein, aber schlagen nicht. In diesem Fall ist das nicht mal unwichtig, darum führe ich das auch so großzügig aus.

Meistens galt dies als Zeichen, dass der hier herrschende Daimyô Harakiri begangen hat.

Nix verkehrt mit dem Satz, ich zitiere ihn nur als Abschluss des ersten Absatzes. Du fängst mit einer ziemlich interessanten ersten Zeile an und verfällst dann in einen sehr langweiligen Expositionsblock über die zwei Frauen. Ich würde gern mehr über ihre Flucht wissen, den Abstieg, die Infiltration, wieso wird das alles nur umrissen? Ja, in medias res, aber meine Güte, wenn ich sehe, was da alles übergangen wurde, ärgere ich mich! Ich hoffe, dass das, was jetzt kommt, genauso spannend wird, wie das, was du übersprungen hast.

Es begann zu regnen, bla bla bla Exposition bla bla bla

|=(
for fucks sake.

Die Trümmersteine der zerstörten Festungsmauer wurden spiegelglatt im Regenguss, was Sayuri in ernste Schwierigkeiten brachte. Sie strauchelte und signalisierte Akane, dass sie nicht mehr weiterkonnte.

Der markierte Teil kann ohne schlechtes Gewissen raus. Das zeigst du uns schließlich eine Zeile weiter. Anstatt mir zu erzählen, dass sie in SChwierigkeiten ist, solltest du es mir zeigen. Lass sie abrutschen. Das zieht mich dann eher rein, als ein Autor, der mir sagt, dass sie Probleme hat.

Vorsichtig schlichen die Frauen in das Gebäude.

Du musst uns nicht sagen, dass sie vorsichtig schleichen. Schleichen an sich ist ein vorsichtiger Vorgang - erwähnenswert wäre es nur dann, wenn sie die Angewohnheit hätten, mit einem Kochlöffel auf einen Eisentopf zu schlagen, während sie schleichen. Kurz: Vorsichtig kann weg.

Sie sahen sich fragend in die Augen und wagten ein dünnes Lächeln.

"fragend" ist an dieser Stelle nichts anderes als ein Füllwort. Es erfüllt keinen Zweck. Weg damit!

Wenigstens gemordete Diener oder enthauptete Gefolgsleute, die Harakiri begangen hatten, konnte man erwarten.

Ermordete Diener. Und ja, ich gebe Akane recht. Ein gewisses Blutbad darf man doch erwarten, oder? Die Armeen damals haben noch nie was von Anstand gehört!

Doch einige umgestoßene Kerzenhalter und zerschelltes Geschirr auf dem Boden bewiesen, dass alle in Hast und Panik geflohen sein mussten.

Das ist Autorenwissen. Ein umgestoßener Kerzenhalter und zerschelltes Geschirr bedeutet noch lange nicht Hast und Panik. DAs kann auch bedeuten, dass sich einer in der Nacht den Zeh angestoßen hat, woraufhin der Kerzenhalter umgefallen ist und Teller zerkloppt hat. Alternativ kann auch einer mit einem Kerzenhalter bewaffnet in die Küche gekommen sein, weil Teller schon immer seine größten Feinde waren. Höchst unwahrscheinlich, aber hey. Mir reicht es nicht, dass wegen diesen zwei Dingen auf Panik und Flucht geschlossen wird. Da kann alles Mögliche passiert sein. Da fehlt noch Fleisch an der Suppe.

Immer noch leise und auf Zehenspitzen

"auf Zehenspitzen" reicht vollkommen aus. Das ist leise, wenn sie nich tgerade auf einem riesigen Bodenklavier entlang laufen.

Sayuri dachte im ersten Moment, es könnten Jammerlaute einer zurückgelassenen Konkubine sein, doch dann erkannten beide, dass es sich um eine Flöte handelte, eine Shakuhachi.

Darüber musste ich lachen. Eine Shakuhachi klingt nicht mal annähernd wie Jammerlaute. Das ist ja schon eine Beleidigung für dieses Instrument!

Irgendjemand befand sich dort oben und machte Musik …

Der Satz kann komplett weg. Das ist ja wohl offensichtlich, wenn du schreibst, dass da jemand Shakuhachi spielt. Na gut, es kann ja auch sein, dass da oben einer seinen MP3-Player vergessen und nur die Kopfhörer mitgenommen hat, aber ich gehe davon aus, dass wir in der Sengoku-Ära sind.

„Ich verstehe. Männermaskerade. Da Männer im 'Nô'-Theater als Frauen spielen, ist es nur gerecht, wenn sich auch mal die Weiber wie Männer ausstaffieren.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwer so redet. Einerseits will er hochtrabend klingen, andererseits benutzt er herabwertendes Vokabular wie "Weiber", das passt nicht. Im Übrigen habe ich schon eine Animefigur vor Augen, die "Mh! Narohudo ne! Mannarumasukuradu!" brüllt.

„Also, liebe Fischmädchen, verehrte fleischerne Porzellanvögelchen, was wollen wir den Soldaten erzählen?“

Hier wache ich langsam wieder aus der Trance auf, in die du mich geschrieben hast. Es passiert herzlich wenig, aber dafür gefallen mir die Dialoge gut und auch, wie sie die Figuren, besonders Shin, charakterisieren. Jetzt hoffe ich trotzdem, dass langsam mal etwas passiert, denn langsam ist's ermüdend über Düfte, Kimonos, Baderituale und Make Up zu lesen.

„Falls sie nicht sofort Selbstmord begehen,

Ja, um Himmels Willen, war das damals wirklich so schlimm in Japan? Das ist eine ernst gemeinte Frage, denn ich weiß das nicht. Das liest sich ja, als hätten die sich dort am laufenden Band selbst umgebracht. War der rituelle Selbstmord damals wirklich so verbreitet?

„Nein,“ widersprach Shin, „das werden sie nicht, solange sie verzaubert sind. Ich werde eines der geheimen magischen Lieder spielen.

Oh nein, bitte nicht. Der Text gefällt mir bisher so gut, weil er mir ein realistisches Bild vom feudalen Japan vermittelt. Bitte keine Magie. Oh Gott, bitte, lass das nur einen Aberglaube sein!

Akane war etwas überrascht von Sayuris Zweifeln

Ich aber auch, machte Sayuki doch bisher den Eindruck, als wäre sie voll auf der Seite von Shin.

Soldaten gehen darin auf, Befehle zu folgen, und je undurchsichtiger die Befehle sind, desto eher sind sie gewillt, an einen höheren, ja göttlichen Sinn zu glauben. Nichts ist so leicht zu steuern wie der Mensch,

Ich weiß, dass das satirisch überzogen ist, aber ... auch ein wirklich dummer Mensch würde zumindest "Warum?" fragen. Einige von den Sachen, die er ihnen aufgetragen hat, ergeben ja wirklich überhaupt keinen Sinn. Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle Soldaten damals geistig umnachtet gewesen sind und diesen Unsinn ohne Wenn und Aber mitgemacht hätten.

*****

Du merkst sicher, dass meine Anmerkungen immer weniger geworden sind - das liegt daran, dass mich der Text dann komplett gepackt hatte. Was für eine wunderschöne Geschichte das geworden ist! Es hat mich dann auch nicht mehr gestört, dass Shin mit irgendwelcher Magie herumhantiert hat, schließlich war die wichtig für die Ambiguität des Textes, und das Geschwurbel des Flötenspielers hat für mich nach und nach mehr Sinn ergeben.

Allerdings siehst du, dass ich gerade zu Beginn der Geschichte viel auszusetzen hatte. Leider kommt der Text nur schwer in Fahrt und irgendwie scheints mir, als hätte den Anfang ein anderer Autor geschrieben. Da stecken Flüchtigkeitsfehler drin, manche Stelle sind nicht ausgefleischt, interessante Sachen werden übersprungen. Einiges davon könntest du munter weg streiche, um zum Eingemachten zu kommen, denn die zweite Hälfte der Geschichte ist richtig, richtig gut. Umso ärgerlicher, dass der Aufbau bis dahin so lange dauert.

Mein Hinweis an dich ist also, den Rotstift anzusetzen und den Text zu kürzen, damit er sich auf das Wesentliche konzentriert - und das ist nun mal die Geschichte um Shin, Akane und Sayuri. Mir hat es gefallen, dass die beiden Damen nicht als weise Retter dargestellt, sondern von der Macht korrumpiert wurden. Das ist ganz erfrischend zu lesen und herrlich menschlich, dass du die Damenwelt als das darstellst, was sie nun mal sind: Menschen! Ich habe oben zwar bemängelt, dass mir die Soldaten ein bisschen zu blöde sind, aber im Gesamtbild ist das eine durchaus sinnvolle Darstellung. (Halte die Soldaten mit stimmungsvollem "Was wäre wenn" bei Laune, dann machen die jeden Quark mit)

Danke, Guido, das habe ich wirklich gerne gelesen.

 
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Mein Hinweis an dich ist also, den Rotstift anzusetzen und den Text zu kürzen, damit er sich auf das Wesentliche konzentriert - und das ist nun mal die Geschichte um Shin, Akane und Sayuri. Mir hat es gefallen, dass die beiden Damen nicht als weise Retter dargestellt, sondern von der Macht korrumpiert wurden. Das ist ganz erfrischend zu lesen und herrlich menschlich, dass du die Damenwelt als das darstellst, was sie nun mal sind: Menschen! Ich habe oben zwar bemängelt, dass mir die Soldaten ein bisschen zu blöde sind, aber im Gesamtbild ist das eine durchaus sinnvolle Darstellung. (Halte die Soldaten mit stimmungsvollem "Was wäre wenn" bei Laune, dann machen die jeden Quark mit)

Danke, Guido, das habe ich wirklich gerne gelesen.

Ich danke Dir für diese umfangreiche Kritik!


Mir ist aufgefallen, dass Du ein sehr realitätsbezogener Mensch bist. Dementsprechend fallen auch Deine Kritikpunkte aus. So eine Geschichte darf redundant sein, Situationen dürfen sich dehnen und eine Flöte kann Jammerlaute erzeugen, gerade wenn Shin sie spielt.

Und ja, es ist eine Art Märchen, und ich muss demütig zugeben, dass diese Art der Literatur ansonsten nicht mein Ding ist, obwohl ich früher auch viel Horror geschrieben habe.

Diese vier Geschichten sind im direkten Einfluss japanischer Filme entstanden. Besonders Takashi Miike und Kurosawa haben es mir angetan. Manchmal hatte ich Probleme mit der etwas unausgewogenen Dramaturgie mancher Filme, doch dann habe ich genau diese Art assimiliert und damit gearbeitet.

Ich danke Dir nochmal für Dein herzliches Wohlwollen! Arigatō!


Ach so: Der Rotstift bleibt natürlich im Futteral.

 

Hui,

mein lieber Guido,

26 StandardseitenManuskript – die Zeile zu 60 Zeichen mit der guten alten Schreibmaschinentype courier pt. 12, die Seite zu 30 Zeilen – gibt ein langes Lied und ein Debut … Nun kenn ich von Rashomon (fast ein Kammerspiel) über Kagemusha (ein Schlachtengemälde) bis Ran (eine Umsetzung des Lear auf japanische Verhältnisse) einiges von Kurosawa und in der Tat herrscht oft eine blumige Sprache (wird die Synchronisation wohl 1:1 wiedergeben) und was hier im gesprochenen Wort auf der Leinwand gelingt, lässt in der Kurzgeschichte die Diagnose Adjektivitis zu und die führt allzu schnell in die Beschreibungsliteratur der Gartenlaube.

Akane und Sayuri kletterten recht unbeholfen den schwer erklimmbaren Felsen zu der Stelle hinauf, an der die Katapulte ein großes Loch in die Festungsmauer geschlagen hatten. Sie kamen sich selbst noch immer seltsam vor in ihrer Männerkleidung, was jedoch nicht so befremdlich auf sie wirkte wie ihr kurzgeschnittenes Haar, um für oberflächliche Blicke auf andere wie Männer zu erscheinen. Zudem hatten sie ihre Gesichter ein wenig mit Ruß verschmutzt, um ihre zarten Gesichtszüge zu verbergen. Akane, die ältere und robustere der beiden flüchtigen Konkubinen, ermahnte ihre Gefährtin wieder und wieder, mit ihr Schritt zu halten und kein weibisches Klagen anzustimmen. Sayuri war jedoch mehr vertraut mit Bettgeräkel, mit anregenden Düften und feiner Seide. Sie war eine Liebeskünstlerin durch und durch, genau wie Akane in jüngeren Jahren, bevor sie dem tyrannischen Daimyô, aus dessen Anwesen beide fliehen konnten, zu alt geworden war.

Dazu gesellt sich etwa in Formulierungen wie
Sayuri befand sich mit ihren 17 Jahren mitten in der Lebenszeit, in der Frauen nach Meinung vieler Männer am begehrenswertesten waren.
und
…, doch wussten sie noch nicht, wie viele Menschen sich noch darin befanden.
Eine scheinhaft gehobene Sprache, die das Vollverb „sein“ („S. war mit ihren 17 Jahren“) nur als Hilfsverb missbraucht – und darüber vergisst, dass es in seiner Substantivierung eine ganze Philosophie des Schein und Sein begründet.

Und da liegt dann auch das nächste Problem in der Partizipienreiterei der zusammengesetzten Zeiten

Die situationsbedingte Freundschaft der beiden Frauen hatte sie durch dichte Wälder und kleine Siedlungen geführt, bis hierher, in Küstennähe, wo sie den Ausgang der Schlacht zwischen diesen beiden Fürstenhäusern geduldig abgewartet hatten, um anschließend das Leichenfeld sowie die erschöpften Grüppchen an Überlebenden zu umgehen. Überraschend hatte sich die Gelegenheit geboten, die Festung zu infiltrieren, Sie hatten einen Strom an Bediensteten beobachtet, die in Panik aus dem Haupttor geflohen waren. Meistens galt dies als Zeichen, dass der hier herrschende Daimyô Harakiri begangen hat.
Denn: Mit den Partizipien wird die Adjektivitis noch erhöht (machen wir mal zum Beleg an „geflohenen“ Bediensteten fest).

Selbst Substantive („Schwierigkeiten“) leiten sich von Adjektiven („schwierig“) ab.

Wie dem auch sei – es gibt Kürzungs-Potenzial, den Umfang der Geschichte zu verringern, da ich aber gleich Generalprobe hab, muss ich hier abbrechen, denn ich bin reichlich nervös, obwohl mir ein dickes Fell nachgesagt wird. Aber vor einer Betriebs- oder Mitgliederversammlung ist was anderes, als das erste Mal auf einer Bühne vor fremden Publikum zu spielen.

Wie dem auch sei,

Guido Ahner,

wird schon werden und vor allem

herzlich willkommen hierorts!

Bis bald

Friedel

 

Hallo!

Und herzlich willkommen.
Eine sehr fantastische Geschichte, an Ideenreichtum mangelt es zweifellos nicht, damit zusammenhängend sehe ich den (meinen) Hauptkritikpunkt: Die Länge. Das wurde schon erwähnt und ich kann dem nur beipflichten. Ich möchte das noch etwas präzisieren: Die Länge der Geschichte stellt für sich genommen kein problem dar, es handelt sich mit gut 20 Standardseiten zwar um eine relativ lange Kurzgeschichte, aber hier gibt es ja Gott sei dank keine Normen. Aber: hier wurde viel, wirklich viel viel ins Detail gegangen, rumgemalt, auf Hintergründe eingegangen, Nebensächliches beschrieben usw, teilweise spürbar redundant. Nur einige Beispiele:

Sie war eine Liebeskünstlerin durch und durch, genau wie Akane in jüngeren Jahren, bevor sie dem tyrannischen Daimyô, aus dessen Anwesen beide fliehen konnten, zu alt geworden war. Doch selbst Akane zählte nicht mal 30 Jahre. Sayuri befand sich mit ihren 17 Jahren mitten in der Lebenszeit, in der Frauen nach Meinung vieler Männer am begehrenswertesten waren.
Warum muss ich so genau wissen, wie alt die beiden sind, die eine jünger als die andere hätte vermutlich vollkommen gereicht und das Unterstrichene scheint mir vollends überflüssig. Für mich erscheint der redundante Informationsfluss eher in einen Roman zu gehören aber dazu gleich noch etwas.

Die situationsbedingte Freundschaft der beiden Frauen hatte sie durch dichte Wälder und kleine Siedlungen geführt, bis hierher, in Küstennähe, wo sie den Ausgang der Schlacht zwischen diesen beiden Fürstenhäusern geduldig abgewartet hatten, um anschließend das Leichenfeld sowie die erschöpften Grüppchen an Überlebenden zu umgehen. Überraschend hatte sich die Gelegenheit geboten, die Festung zu infiltrieren, doch wussten sie noch nicht, wie viele Menschen sich noch darin befanden.
Dieser Abschnitt wirkt ohnehin krude formuliert.
Das alles könnte auch kürzer, vor allem geschickter eingebaut werden, auch hier: zu viele nebensächliche Infos, die zwar ein schönes Bild malen, mir die Umrisse der Geschichte verdeutlichen, für die Handlung selbst aber höchstens nebensächlich sind.


Und er wirkte auch nicht ganz unerfahren in der Beobachtung von Schlachten und deren Folgen. Man konnte nicht genau sagen, wie alt er war, und selbst er wusste nicht so recht, woher er eigentlich kam. Bei einer längeren Unterhaltung bei Tee und Reiskuchen hörten die Frauen einige Dinge aus Shins Erzählungen heraus, die vermuten ließen, dass er viel älter war als er aussah.

Und tatsächlich berichtete er von Schlachten, die weit zurücklagen, so weit, dass er sie kaum persönlich erlebt haben konnte. Er behauptete sogar, den alten Dramatiker Zeami Motokiyo persönlich gekannt zu haben, einen der legendärsten Männer des Theaters, der vor über hundert Jahren gestorben war. Darüber hinaus schwärmte Shin von der Schönheit der legendären Samurai-Kämpferin Tomoe Gozen und ihrem Herrn Yoshinaka, dem Shin nach eigener Aussage persönlich gedient hatte. Doch das war nicht möglich, denn diese Ära lag bereits vierhundert Jahre zurück.

Viel, viel, viel Exposition, wenn es das überthaupt ist, denn einige der Infos könnten sicher auch getrost wegfallen, ohne dass die Geschichte darunter leidet. Verstehe mich nicht falsch, diese ausschweifenden Nebenstränge, ja Tintenfischarme, sind wichtig für eine Geschichte/Exposition, insbesondere wohl für Fantasy, doch ein gewisses Maß an Abundanz ist hier deutlich zu verzeichnen.
Ich bin gut durch die Geschichte kommen, habe selten gestockt, Spannung war ausreichend vorhanden und auch die liebevoll gezeichneten Charaktere machen Lust auf mehr, hin und wieder jedoch verlief sich der Text zu sehr in Nebensächliches, in Beschreibungen der Personen, die für die eigentliche Handlung nicht von Interesse sind und deshalb vorsichtiger eingebaut werden sollten, um den roten Faden der Handlung nicht zu verschwämmen. Insgesamt passten die Auschweifungen gefühlt eher zu einem Roman oder wenigstens einer umfangreicheren Geschichte, weshalb ich das Gefühl nicht los wurde, dass dieser Text ursprünglich Teil eines größeren Werkes war. Für eine Kurzgeschichte wurde hier vllt etwas zu dick aufgetragen, hinsichtlich Expo.


Die Sache mit dem Harakiri:

Wenigstens gemordete Diener oder enthauptete Gefolgsleute, die Harakiri begangen hatten,
Meines Wissens nach ist Harakiri eine (ehrenvolle) Form des Suizids, die lediglich von Samurai unter bestimmten Bedingungen vollzogen wird, notorisch als letzte Möglichkeit außerhalb des Kampfes einen ehrenvollen Tod zu finden (auch eine ganze Reihe anderer Gründe gab es dafür). Der Ausdruck 'Harakiri' ist damit nur den Samurai vorbehalten, einfaches Gefolge hat einen solchen Tod gar nicht nötig bzw. ist nicht ehrenhaft genug für ein solches Ritual, kommen dem Text nach jedoch genau dafür in Frage:
Nur Fußsoldaten, Buben mit Gewehren, keine Samurai.
Du hast in der Geschichte Fachwissen bewiesen, in diesem Punkt aber gibt es Unstimmigkeiten.


Formatierung:
Vermutlich hat es Dir beim Kopieren die Formatierung durcheinander gebracht, die vielen Leerzeilen sind aber in jedem Fall unschön:

Oder doch?

Vielleicht passte es umso mehr.

Die Flöte spielte nun eine langgezogene,


Kleinigkeiten:

Akane wurde vom Daimyô mit dem Tode am Kreuz bedroht, und Sayuri drohte die Ermordung durch eine andere, noch jüngere Konkubine.
Warum denn? Warum wurde das überhaupt erwähnt, wenn ich keine Hintergründe dazu kenne oder die Sache sonst überhaupt keine Rolle mehr spielt?


dass er viel älter war[,] als er aussah.

Alles in allem eine tolle Geschichte, sehr fantasievoll, das kann ich nur gutheißen. Das Ende verstrickt sich ein wenig im Nebel der Ahnungslosigkeit, aber warum nicht. Das ist auch noch so ein Punkt, der mich auf die Fährte gelockt hat, dass es sich vllt um einen Ausschnitt eines umfangreicheren Textes handelt.
Gerne gelesen,

MfG Putrid Palace

 
Zuletzt bearbeitet:

„Vns ist in alten mæren wunders vil geseit
...“ Nibelungenlied, Vers 1​

Da bin ich noch mal, wenn ich darf,

lieber Guido Ahner n

das nächste Problem wäre dann die Frage, wie und ob das überhaupt zusammenginge, Historik und Märchen, und wenn ja, hätte sich die Frage nach "Seltsam" von selbst eledigt.

Das Wort „Geschichte“ (ahd. gisciht) ist vom Verb „geschehen“ (ahd. giskehan) abgeleitet und meint zunächst „Begebenheit / Ereignis /Geschehnis“, um bereits im mhd. die Folge(n) des Ereignisses einzubeziehen und so im 15. Jh. in seiner Bedeutung auch die Erzählung / den Bericht über dieses Geschehen verwendet und „historia“ wird. Erst mit Herder wird Geschichte zur Wissenschaft und erst mit dem Durchbruch des Geschichtsbewusstseins der Romantik(er) entsteht der Geschichtsroman- im deutschsprachigen Raum verknüpft mit den Namen Arnims, Hauff (Lichtenstein und Jud Süß!) und Novalis mit einem Höhepunkt in C. F. Meyer, der auch ein Problem auf schlichte Art gelöst hat, indem sein Personal die Sprache der Jetztzeit spricht, was aber genug Fußfallen birgt in Dingen, die es „früher“ nicht gab.

Für alle Formen „historischen“ Erzählens – selbst für die (Auto-)Biografie gilt, dass es eine Annäherung bleibt, ein Bild, dass sich der Autor von der/den Person/en, dem/den Ereignis/sen macht. Aber zwischen Belletristen und Wissenschaftler besteht ein entscheidender Unterschied: Müht sich der Belletrist gemeinhin allzu selten, Archive aufzusuchen, um Handschriften zu lesen, die er vielleicht gar nicht entziffern und/oder erst recht nicht verstehen kann oder will, selbst wenn sie in einer alten Fassung seiner Muttersprache verfasst sind, verlässt er sich auf Spezialisten, und wär's der eigene Großvater, die ihm das aufwändige Studium abnehmen (im anderen Falle wär er buchstäblich von allen guten Geistern verlassen). Und obwohl er nicht unbedingt sein Wissen erweitert, schmückt er Vorgekautes aus und deutet es nach seiner Interessenlage. Die Mühe des dokumentarischen Puzzles überlässt er dem/den Spezialisten – und je begrenzter die Datenlage, umso größer der freie Raum der belletristischen Fantasie.

Die Verkleinerungsform der mære (mhd., „Kunde / Bericht / Erzählung“), das"merechyn" hingegen ist von ihrem Ursprung her wie die Sage und Legende eine im Volk überlieferte, eher kürzere Erzählung, die oft wunderbare/-liche/-same Begebenheiten (etwa durch übernatürliche Kräfte) zum Gegenstand hat und beim Volksmärchen lässt sich i. d. R. kein Verfasser feststellen (mündl. Überlieferung). Die Brüder Grimm haben solche Märchen gesammelt und natürlich – als Begründer der Germanistik kann‘s gar nicht anders sein – in ihrer Sprache niedergeschrieben. Und genau bei den Kinder- und Hausmärchen liegt der Beweis (wie schon im Nibelungenlied, deshalb bildet der erste Vers die Einleitung) dass Historik und Märchen, Sage, Legende zusammengehen können.

Fangen wir beim ältesten an, dem Nibelungenlied, das auf Basis der fränkischen Siegfriedsagen und des Untergangs der Burgunden (frühes 5. Jh. auf heute niederländisch/flämischen Gebiet) den Kreuzzug des Babarossas (12. Jh.) verarbeitet – was sich am Weg der „Nibelungen“, den Wormsern Burgunden nach Etzelsburg (an der Donau im heutigen Ungarn) festmachen lässt.

Nun bring ich „Dornröschen“ an. Das ist nix anderes als die Fortführung der Brunhilde (Walküre) und der Sigurd/Siegfried Mythen. Die realen Vorbilder finden sich im 6. Jh. im Enkel des Chlodwig, Sigibert (ob gefallen oder ermordet, weiß man nicht, viel spricht aber für Letztgenanntes) und seiner Gattin, der gotischen Brunchildis, die 613 auf Befehl der Vorfahren der Pippiniden und Karolinger an ihrem Stammsitz Worms gevierteilt wurde usw. usf. Keine schöne Todesart für eine für damalige Verhältnisse uralte Frau, die aber um die Ränkespiele im Hochadel wusste.

Selbst „Schneewittchen“ lässt historische Bezüge erkennen, was aber nur am Rande erwähnt sei. Die Grimm Brüder singen an sich das gutbürgerliche Lied, jeder wäre seines Glückes Schmied (oft wird das fleißige Lieschen dem faulen Blag gegeübergestellt)

Fazit: Durchaus gehen Historik und Märchen zusammen!

Bissken Kleinkram

Sayuri war jedoch mehr vertraut mit Bettgeräkel, mit anregenden Düften und feiner Seide.
a) Das erste „mit“ genügt, verkraftet die folgende Aufzählung,
b) das“mehr“ kann weg und wird durch den Komparativ voll ausgeglichen, also statt „mehr vertraut“ schlicht „vertrauter“

Überraschend hatte sich die Gelegenheit geboten, die Festung zu infiltrieren, doch wussten sie noch nicht, wie viele Menschen sich noch darin befanden.
Ja, ein erster Satz, der neben dem geschwollenen „sich befinden“ statt des schlichteren „sein“ noch das (aus dem frz. entliehene) „infiltrieren“ verwendet. Was grundsätzlich nicht falsch ist, aber doch durch eine erhebliche Zahl von schlichteren Verben germanistischer Zunge ersetzt werden kann wie „eindringen“ oder „-schleichen“

„Willst du ein warmes Bett? Eine Schale Reis? Ein Bad? Dann nimm dich gefälligst zusammen!“[,] schimpfte Akane.
Wird die wörtl. Rede beendet und ein übergeordneter (= begleitender) Satz angefügt – wie hier „schimpfte A.“ -, wird ein Komma nach den auslaufenden Gänsefüßchen ein Komma gesetztgesetzt. Das ein Zeichen („!“, oder „?“) vor den auslaufenden Gänsefüßchen gesetzt wird, gilt nicht für reine Aussagesätze
Musstu selber schau‘n, kommt öfters vor

Dummchen, weil die Möglichkeit besteht, dass sich dort immer noch Leute befinden!“
warum nicht einfach „sind“?

Die beiden Frauen erreichten das Innere der Festung, am Ende ihrer Kräfte.
Warum das Komma? Anders gestellt „am Ende ihrer Käfte erreichten die beiden ...“ kommt doch auch ohne Komma aus.

„Liebe Damen … So süß herausgeputzt seid ihr!“
Ich weiß nicht, wie der Satz im Japanischen aussehen würde, aber hier halt ich den Musiker für „höflich“, dass er auch die Höflichkeitsform „Ihr“ verwendet. (kommt noch mal vor, musstu selber schau‘n

„Gehörst du zum Inventar dieses[...]Hauses?“[,] fragte Akane.

Ohne Komm.
Shin kicherte, so als hätte er ...


Sie erwarteten, dass die Festung in Kürze von den feindlichen Truppen eingenommen werden würde.
a) Konjunktive haben nix mit der Zeitenfolge zu tun, sie sind so etwas für Sprache wie die Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Mathematik (was besonders den Konjunktiv II [der oft fälschlich Prät. genannt wird, weil die Grundform aus der gelegentlich umgelauteten Vergangenheitsform wie „laufen“/“liefe“, „fliegen/“flöge“ gebildet wird], geben Wahrheitsgrade von 0 (unmöglich, Lüge) bis 1 (wahr) an. Konj. I wird oft für die indirekte Rede verwendet, etwa, der Beklagte behauptet, er sei der Betrogene.) Werden würde … ist purer Unsinn, entweder nur werde (Futur I ist unbestimmt genug – entweder die Festung wird eingenommen oder eben nicht) oder nur „würde“, mit allen Zweifeln.

Geboren[,] um zu gehorchen
Ein „um“ erzwingt das Komma bei Infinitivgruppen/-sätzen

Akane hegte den Verdacht, dass Sayuri sich auf diesen Ver[r]ückten einlassen wollte, und das machte sie ein wenig wütend:

Hier brech ich für heute ab – es folgt gleich wieder die Kommaregel am Ende der wörtl. Rede – aber die kennstu ja jetzt.

Tschüss und schönen Tag noch vom

Friedel

 

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