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Ilse Bilse

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12.02.2020
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Ilse Bilse

Seit jeher fügte Ilse sich ins Leben wie eine Bleistiftzeichnung in ein Ölgemälde. Wenn ihre Geschwister laut durchs Haus tobten, rempelten sie Ilse an und riefen: „Mensch, Ilse, aus dem Weg!“
Und wenn ihre Mutter fragte: „Wo ist denn die Ilse schon wieder?“, sagte Ilse: „Hier bin ich, Mutter.“
Und die Mutter antwortete: „Ach Ilse, wieso bist du nur immer so leicht zu übersehen?“
Aber Ilse wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie da war, wenn sie in den Spiegel sah. Klar und deutlich zeichneten sich ihre Umrisse in der Welt ab. Man musste nur hinschauen.
Es gab aber auch Momente, in denen Ilse sich wünschte, tatsächlich unsichtbar zu sein. Zum Beispiel wenn die anderen auf dem Pausenhof mit Kienäpfeln nach ihr warfen oder ihr auf dem Heimweg hinterherriefen: „Ilse Bilse, keiner willse, kam der Koch, nahmse doch, weilse so nach Zwiebeln roch.“

Mit neunzehn wünschte sie sich, dass dieser Koch bald käme und sie nähme. Sie begann zu glauben, dass sie nie einem Mann begegnen würde, der sie bemerkte, dass sie für den Rest ihres Lebens allein bleiben würde. Doch da kam Karl-Heinz, der kein Koch war, aber sie ansah, wie niemand sie je angesehen hatte. Am Mittwoch verkaufte sie ihm einen Hut, am Donnerstag einen zweiten, am Freitag einen dritten. Am Samstag holte er sie schließlich nach Ladenschluss vom Hutgeschäft ab und sie gingen an der Karthane spazieren.
Manchmal sagte Karl-Heinz: „Weißt du, Ilse, wenn du so wie jetzt in der Sonne stehst, bist du fast nicht zu sehen.“
Sie lächelte dann, legte ihre Hände in seine und sagte: „Ich bin so froh mit dir.“

Als Karl-Heinz starb, blieb Ilse zurück. Kinder hatten sie keine. Ihre Eltern und drei der vier Geschwister waren bereits verstorben. Ilse fühlte sich so allein wie nie zuvor. Mit jedem Tag wurde sie blasser. Mit jedem Tag fiel es ihr schwerer, ihre Konturen im Spiegel zu erkennen. Bis sie eines Morgens ganz und gar unsichtbar geworden war und im Spiegel nur ihr Nachthemd seltsam schwerelos in der Luft stehen sah. So genau sie auch hinschaute, ihr Körper war nicht mehr zu sehen. Sie konnte aber mit den Fingern über ihre Haut streichen, fühlte das Herz schlagen, wenn sie die Hand auf die Brust legte, und beim Blick in den Spiegel wanderte ein Kribbeln von Kopf bis Fuß. Sie zog das Nachthemd aus, ließ es neben sich auf den Boden fallen und war einfach weg. Sie fühlte sich leichter, als wäre die Schwerkraft schwächer geworden, streckte die Arme aus und wickelte sich in diesen kühlen Morgen. Vielleicht, dachte sie, habe ich mein ganzes Leben für diesen Augenblick geübt.

Der Morgen war noch frisch und sie legte sich wieder ins Bett, um sich aufzuwärmen. Klar und deutlich zeichnete sich ihr Körper unter der Bettdecke ab. Nach ein paar Tagen, die sie hauptsächlich im Bett verbrachte und in denen sie darauf wartete, sich aufzulösen wie Nebel in der Morgensonne, war ihr Körper noch immer unsichtbar, hatte seine feste Form aber nicht verloren. Sie stand auf, wusch sich, putzte die Zähne, kämmte die Haare, zog sich an und vermisste Karl-Heinz.
Vom Fenster aus sah sie hinunter auf die Straße. Die Junisonne schien warm durch die Scheibe. Ilse zog sich wieder aus, die Bluse, die Hose, sie zog alles aus, ging zum Spiegel und sah: nichts. Sie öffnete das Fenster, spürte Sonne und Wind auf ihrer Haut, während unter ihr die Menschen ihrem Tagewerk nachgingen. Keiner sah die Unsichtbare nackt am Fenster stehen. Früher hatte man sie übersehen, jetzt war sie allen Blicken entzogen. Und frei. „Die Sonne hat schon Kraft“, sagte sie.

Vorsichtig öffnete sie die Wohnungstür und spähte in den Hausflur. Es war niemand zu sehen. Sie verließ die Wohnung und legte den Schlüssel unter die Fußmatte. Im Erdgeschoss schlich sie an der alten Meisenberg vorbei, die den Hausflur fegte, froh, einem Gespräch entkommen zu sein. Draußen bildete sich Gänsehaut auf ihren nackten Körper, aber die Luft war warm genug, um sich nicht zu erkälten. Ilse ging zum Grab von Karl-Heinz und flüsterte ihm zu, wie sehr sie ihn liebte.
„Was soll nur werden, Karl-Heinz?“, fragte sie.
Sie wusste, dass er sagen würde: Was werden soll, das wird. Mach dir nicht so viele Sorgen!
„Ich versuch's!“, sagte sie. „Morgen komm ich wieder.“
Danach ging sie zum Supermarkt, stahl einen Apfel und aß ihn bei den Enten am Friedhofsteich. Weil sie Durst hatte, ging sie zurück zum Markt, wartete, bis niemand im Gang mit den Getränken war, trank Orangensaft und stellte die halbleere Flasche zurück ins Regal. Dann ging sie nach Hause, machte sich eine Dosensuppe warm und aß sie zufrieden vor dem Fernseher. Sie würde einkaufen müssen, denn ein Körper braucht Nahrung, auch wenn er unsichtbar ist.

Am nächsten Morgen setzte sie ihren Lieblingshut und die Sonnenbrille auf. Über die Hände streifte sie die dünnen Handschuhe aus Satin. Den blauen Schal zog sie hoch bis zur Brille. Auf dem Weg zum Supermarkt spürte sie die Blicke der Passanten. Nie war sie sichtbarer gewesen. Wieder zu Hause traf sie im Hausflur auf die alte Meisenberg.
„Meine Güte, wie sehen Sie denn aus?“, fragte sie. „Sie haben sich ja vermummt wie ein Filmstar oder haben Sie gerade eine Bank überfallen? So erkennt Sie ja nicht einmal der liebe Gott!“
„Ganz genau, Frau Meisenberg, ich habe mich vor den Paparazzi versteckt, aber Ihrem scharfen Blick kann ich natürlich nicht entkommen.“ Sie zwängte sich mit dem Trolley an der Nachbarin vorbei.

In der Wohnung angekommen atmete sie erleichtert auf und verstaute die Einkäufe. Der Wetterbericht im Radio versprach einen sonnig-warmen Nachmittag und Ilse freute sich darauf, später unentdeckt durch die Stadt zu streifen. Auf dem Weg zu Karl-Heinz kam sie an einer Parkbank vorbei, auf dem ein Pärchen saß und sich küsste. Sanft strich sie mit den Fingern über das Haar der beiden, die keine Notiz davon nahmen. Vor dem Café Heinrich hielten die Gäste ihre Gesichter in die Sonne, die Jacken über die Lehnen gehängt. Ilse setzte sich zu einem Mann, der allein am Tisch saß und ein Buch las. Unbemerkt nahm sie einen Schluck von seinem Milchkaffee und stellte die Tasse auf die andere Seite des Tisches. Als seine Hand ins Leere griff und seine Augen schließlich die Tasse überrascht am anderen Ende des Tisches fanden, kicherte sie lautlos.
Zum ersten Mal im Leben fühlte sich Ilse ganz und gar mit der Welt verbunden und bewegte sich in ihr wie ein Fisch im Wasser. Fast jeden Tag besuchte sie Karl-Heinz und erzählte von ihren Abenteuern. Davon, wie sie sich ins Kino geschlichen hatte, ins Theater, selbst in der Sauna war sie gewesen. Manchmal war sie so voller Leben, dass sie Lebensmittel aus den Regalen im Supermarkt wischte und oder eine Tasse vom Tisch draußen im Café Heinrich. Sie tat das nicht, weil sie die erstaunten Gesichter der Leute genoss, sondern, weil sie es konnte. Einmal schlich sie sich sogar in die Wohnung der alten Meisenberg, als die gerade die Treppe fegte.

Die Wohnung war überraschend unordentlich. Ilse spürte Krümel unter ihren nackten Füßen, während sie durch den kleinen Flur ins Wohnzimmer ging. „Die alte Hexe tut immer so ordentlich und jetzt schau dir das an“, sagte sie leise. Das Wohnzimmer war hell, die Luft abgestanden. Von einem Berg Schmutzwäsche auf dem Sofa ging ein muffiger Geruch aus. Mit dem Finger fuhr Ilse über das staubige Blatt einer Schwiegermutterzunge auf dem Fensterbrett. Die Efeutute daneben war braun und vertrocknet. Mit einem Kreuzworträtselheft fegte sie Krümel vom Couchtisch auf die Hörzu, die auf einem abgewetzten Sessel lag, und kippte die Krümel in den Topf der nur spärlich belaubten Birkenfeige.
Als die Nachbarin zurück in die Wohnung kam, verhielt Ilse sich still. Frau Meisenberg stellte den Besen neben die Küchentür, kochte sich Kaffee und sagte: „Man kann fegen, bis einem der Arm abfällt, das Treppenhaus sieht doch immer aus wie ein Ackerweg.“
Kurz fragte sich Ilse, ob sie mit ihr sprach.
Nach einer Pause fuhr die Nachbarin fort: „Dass die Gören aus dem dritten auch immer mit ihren Matschbotten durchs Treppenhaus laufen.“
Ilse stand im kleinen Flur, beobachtete die Nachbarin, belauschte ihr Selbstgespräch und blieb unentdeckt. Nachdem Ilse die deprimierende Wohnung der Meisenberg verlassen hatte, war sie froh und hatte nicht vor zurückzukommen. Es stank nicht nur nach alter Wäsche und abgestandener Luft, sondern auch nach Einsamkeit und davon wollte Ilse nichts sehen, hören oder riechen. Sie wollte ein Teil der Welt sein, das Leben in ihrem unsichtbaren Körper spüren und den Sommer genießen.

Nach dem Sommer kam der Herbst und mit ihm die Kälte. Ilse verließ die Wohnung nur noch, um einkaufen zu gehen oder Karl-Heinz zu besuchen. Geschichten hatte sie keine mehr zu erzählen und so war alles, was zu sagen blieb: „Ich bin so einsam ohne dich!“
Sie sehnte sich nach der Wärme des Sommers zurück, danach, unsichtbar zu sein. Immer öfter schlich sie sich in die Wohnung der alten Meisenberg. Manchmal stand Ilse mit ihr vor dem Fenster und beobachtete die Spatzen, die sich im Vogelhaus auf der Balkonbrüstung Futter holten. Sonntags rief der Sohn aus Frankfurt an, meistens hatte er nicht viel Zeit. Wenn Ilse mit der Nachbarin fern sah, setzte sie sich neben den Berg Wäsche, der immer auf dem Sofa lag, manchmal alt und muffig roch, manchmal frisch gewaschen. Und wenn Inge Meisenberg vor dem Fernseher einschlief, machte Ilse ein bisschen Ordnung. Sie spülte etwas Geschirr, befreite den Couchtisch von Krümeln oder goss die Pflanzen. Und manchmal, wenn Frau Meisenberg einkaufen ging und Ilse in der Wohnung war, öffnete sie ein Fenster und ließ frische Luft herein. Sie nahm eines der Fotos von der Wand und versuchte die alte Frau Meisenberg in der lachenden Mutter zu erkennen, die auf dem Foto zu sehen war.

Anfang Dezember saß Ilse auf dem Sofa, neben einem Berg frischer Wäsche. Sie sah mit Inge Meisenberg eine Quizshow und versuchte die Kälte zu ignorieren, die ihre Schultern zittern ließ. Die Nachbarin stand auf, ging ins Schlafzimmer, kam mit einer Wolldecke zurück und warf sie aufs Sofa. „Hier!", sagte sie. "Ich weiß, dass Sie da sind."

 

Hallo @Katta

Ich lese ja mit bei der Challenge hier, aber leider habe ich selbst keinen passenden Text zum Thema und mir will auch nichts Gescheites in den Sinn kommen ... Da dachte ich, kommentiere ich wenigstens mal was. Du bist sozusagen die Auserkorene :-) Mal sehen, ich steige direkt ein, vielleicht ist was für Dich dabei.

Seit jeher fügte Ilse sich ins Leben [ein] wie eine Bleistiftzeichnung in ein Ölgemälde.
Das ist ein schöner, einleitender Satz. Leider nimmt er aber auch (tellig) vorweg, was danach gezeigt wird mit der Mutter und den Geschwistern. Dann auch: Wieso diese künstlerische Ader betonen mit Ölgemälde und Bleistiftzeichnung, wenn das danach im Leben der Ilse keinerlei Rolle spielt? Falls Du an dem Satz festhältst: Das eine 'ein' würde ich streichen, es geht auch ohne, finde ich, und der Satz liest sich dann geschmeidiger.

Sie wusste nur, dass, wenn sie im Badezimmer in den kleinen Spiegel sah, sie da war.
Umständlich formulierter Satz. Würde ich vereinfachen. Sie wusste nur, dass sie da war, wenn sie im Badezimmer in den Spiegel sah. (ist es relevant an der Stelle, dass der Spiegel klein ist?)

Kienäpfeln
Muss was Lokales sein / Musste ich googeln: Kenne die nur als 'Tannzapfen'.

„Ilse Bilse, keiner willse, kam der Koch, nahm se doch, weil se so nach Zwiebeln roch.“
Fies. Authentisch.

So genau sie auch hinschaute, ihr Körper war nicht mehr zu sehen, aber es gab ihn noch.
Finde ich fast etwas zu einfach von der Wortwahl her. Vielleicht sowas wie [...] aber er existierte noch? Weiss aber auch nicht, ob das wirklich besser ist :-)

Sie fühlte sich leichter, wie ein mit Luft gefüllter Ballon, drehte sich im Kreis, die Arme ausgestreckt und wickelte [sie] sich in diesen kühlen Morgen, an dem sie unsichtbar und die Schwerkraft weniger geworden war.
Ein 'sie' zu viel. Ein 'sich'-Satz: sich leichter, drehte sich, wickelte sich ... Ich bin, so glaube ich, ein erklärter 'sich'-Gegner, versuche wo immer möglich, das Wörtchen zu meiden. Aber eben, das bin ja nur ich :D

Das ganze Leben zwischen dem Kennenlernen bis zum Tod Karl-Heinz vergeht innerhalb weniger Sekunden, ich finde, da könnte noch etwas mehr Fleisch auf die Knochen. Wie ist denn der Karl-Heinz damit umgegangen, dass seine Gattin sozusagen nur für ihn wirklich sichtbar ist/war? Gab es da nicht allerhand skurrile Situationen? Könnte ich mir jedenfalls gut vorstellen. Oder ist sie vielleicht durch ihn wieder sichtbar(er) geworden? Die Stelle, wo er sagt

„Weißt du, Ilse, wenn du so wie jetzt in der Sonne stehst, bist du fast nicht zu sehen, sondern nur eine Aura aus Gold.“
deutet ja an, dass sie zumindest für ihn sonst 'sichtbar' ist. Also da hätte ich mir die ein oder andere Szene mehr gewünscht, dann erreichen mich die Stellen, wo sie ihn vermisst und an ihn denkt vielleicht auch etwas stärker. Ich sehe da also noch Potential, die ganze Sache zu vertiefen.

Klar und deutlich zeichnete sich das Volumen ihres Körper unter der Bettdecke ab.
Volumen: Weiss nicht, klingt technisch, fällt für mich aus dem Duktus. Wieso nicht einfach: Klar und deutlich zeichnete sich ihr Körper unter der Decke ab. Damit ist doch klar, wie das gemeint ist.

Vom Fenster aus sah sie hinunter auf die Straße, auf der das Leben in seinem ewigen Rhythmus vorüberzog.
Würde ich streichen, habe das Gefühl, das ist so eine Plattitüde bzw. etwas, was man oft liest. Es wird ja hier noch einmal betont
Sie öffnete das Fenster, ließ Sonne und Wind ihren Körper streicheln, während unter ihr die Menschen ihrem Tagewerk nachgingen.
und könnte deshalb getrost weg :-)

Früher hatte man sie übersehen, jetzt war sie allen Blicken entzogen. Und frei.
Bitter und schön zugleich.

Sie ging zurück, trank Saft aus einer Flasche, aß drei Kekse direkt aus der Packung.
Stelle ich mir auch sehr seltsam vor. Ihr Körper ist ja unsichtbar, wie sieht das aus, wenn da Saft durch die Luft fliesst und zerkrümelte Kekse? Ich finde, da wäre noch Potential für etwas mehr Skurrilität. Solche Stellen würden auch zusätzlich ihre Unsichtbarkeit betonen, sie stärker, ja, glaubhafter machen.

Auf dem Weg zum Supermarkt spürte sie die Blicke der Passanten. Nie war sie sichtbarer gewesen als jetzt. [So kaufte sie ein.] Wieder zu Hause traf sie im Hausflur auf die alte Meisenberg.
Den Satz halte ich für redundant. Wenn da nichts anderes kommt, ist es klar, dass sie 'so' einkaufte, oder?

Ilse stand im kleinen Flur, beobachtete die Nachbarin, belauschte ihr Selbstgespräch und blieb unentdeckt, obwohl das Leben in seiner ganzen, lauten Intensität ihren Körper flutete.
Wieso hier die 'laute' Intensität? Das kriege ich nicht recht zusammen. Ja, Frau Meisenberg führt Selbstgespräche, aber die sind doch nicht so laut und ansonsten scheint es ja relativ still zu sein. Also vielleicht verstehe ich was nicht, aber für mich ist die Stelle nicht so ganz präzise oder es fehlt was.

Es stank nicht nur nach alter Wäsche und abgestandener Luft, sondern auch nach Einsamkeit und davon wollte Ilse [wollte] nichts sehen, hören oder riechen.
Einmal 'wollte' zu viel.

Sie nahm eines der Fotos von der Wand und versuchte die alte Frau Meisenberg in der lachenden Mutter zu erkennen, die auf dem Foto zu sehen war. Was war passiert? Wann hatte dieses Wohnzimmer aufgegeben, ein gemütliches Zuhause zu sein?
Der letzte Satz personifiziert irgendwie das Wohnzimmer. Das passt für mich nicht. Klar, ich weiss, wie es gemeint ist, aber dennoch. Ich würde es einfach streichen.

Den Schluss interpretiere ich so, dass Ilse nur noch für Menschen sichtbar ist, die selbst einsam sind. Vielleicht war ja auch Karl-Heinz einsam und deshalb hat er sie gesehen, deshalb sind sie zusammengekommen und haben das Leben zusammen gelebt. Und wenn Frau Meisenberg da mit sich selbst spricht, vielleicht sind das gar keine Selbstgespräche, sondern eben andere Menschen, die unsichtbar geworden sind und die Ilse nur noch nicht sehen kann. Auf jeden Fall finde ich, Du hast das Thema der Challenge gut getroffen, ich lese es auch so, dass es in deinem Text um Einsamkeit im Alter geht, und die ist eben für viele (jüngere Menschen, Menschen die ihren Partner/die Partnerin noch haben) unsichtbar.

Viel Erfolg bei der Challenge und Beste Grüsse,
d-m

 

Moin @Katta,

gratuliere, neben dem Nano noch eine Kurzgeschichte zur Challenge einzureichen - gratuliere. Und ich mag sie , die Ilse Bilse.
Ich gehe einmal durch, einiges doppelt sich denke ich mit meinem Vorkommentator, verzeih!

Ilse Bilse
Ich liebe diesen Kinderreim oder besser gesagt die Erinnerung an lange Tage im Krankenbett, die ich mir mit Gedichten und Sprüchen aus einem Kinderreimbuch versüßte. Klasse, dass Du ihn ausgebuddelt hast.

Seit jeher fügte Ilse sich ins Leben ein wie eine Bleistiftzeichnung in ein Ölgemälde. Wenn ihre Geschwister laut durchs Haus tobten, rempelten sie Ilse an und riefen: „Mensch, Ilse, aus dem Weg!“ Und wenn ihre Mutter fragte: „Wo ist denn die Ilse schon wieder?“, sagte Ilse: „Hier bin ich, Mutter.“ Und die Mutter antwortete: „Ach Ilse, wieso bist du nur immer so leicht zu übersehen?“
Ich mag den Einleitungssatz, mag die Erzählstimme. Jedenfalls meistens :-). Ich glaube, ich kann sogar mit den vielen Possessivpronomen leben.
Gerade hier am Anfang hat mich der Fließtext mit der ganzen wörtlichen Rede irritiert, es sind ja verschiedene Sprecher. Aber eigentlich sind es ja Erinnerungen, Gedanken. Vielleicht doch eher kursiv und ohne Gänsefüßchen?
Ist mehr eine technische Frage, der Geschichte tut es für mich keinen Abbruch.

Klar und deutlich zeichneten sich ihre Umrisse in der Welt ab. Man musste nur hinschauen.
Es gab aber auch Momente, in denen Ilse sich wünschte, tatsächlich unsichtbar zu sein. Zum Beispiel wenn die anderen Kinder auf dem Pausenhof mit Kienäpfeln nach ihr warfen oder ihr auf dem Heimweg hinterherriefen: „Ilse Bilse, keiner willse, kam der Koch, nahm se doch, weil se so nach Zwiebeln roch.“
Schön gezeigt, diese zwei Seiten eines solchen Charakters.

Ilse fühlte sich so allein wie nie zuvor. Mit jedem Tag wurde sie blasser. Mit jedem Tag fiel es ihr schwerer, ihre Konturen im Spiegel zu erkennen.
Ja, man kann sich gut in sie hineinversetzen.

Sie zog das Nachthemd aus, ließ es neben sich auf den Boden fallen und war einfach weg.
Dies ist so eine Stelle, die fällt für meinen Geschmack aus der Erzählstimme. Der letzte Teil klingt für mich hier umgangssprachlich, zu vereinfacht.

wickelte sie sich in diesen kühlen Morgen
wunderschön formuliert

Sie stand auf, wusch sich, putzte die Zähne, kämmte die Haare, zog sich an und vermisste Karl-Heinz.
Ich mag die Normalität, zu der auch der Verlust von Karl-Heinz wird. Also, nein, ich mag es nicht, ich mag die Formulierung. :-)

Ilse zog sich wieder aus, die Bluse, die Hose, sie zog alles aus, ging zum Spiegel und sah: nichts.
mag ich auch

Vorsichtig öffnete sie die Wohnungstür, aufgeregt schlug ihr Herz, und legte den Schlüssel unter die Fußmatte.
Das Herz legt den Schlüssen unter die Fußmatte? Bezugsfehler, auch wenn klar ist, was du meinst. Da hattest Du bestimmt auch einen kleinen Wortkrieger auf der Schulter - "Wo hat sie denn den Schlüssel, wenn sie doch nackt ist"

flüsterte ihm Koseworte zu, flüsterte ihm zu, wie sehr sie ihn liebte.
ist eigentlich doppelt gemoppelt, der hintere Teil ist viel schöner

Danach ging sie zum Supermarkt, stahl einen Apfel und aß ihn am Teich bei den Enten
Weiter vorn geht sie zum Friedhof und füttert die Enten am Teich, damit lag der Teich für mich auf dem Friedhof. Geht aber vielleicht nur mir so.

„Sie haben sich ja vermummt wie ein Filmstar oder haben sie gerade eine Bank überfallen? So erkennt sie ja nicht einmal der liebe Gott!“
Ich glaube, die Höflichkeitsform wird großgeschrieben. Kann mich aber auch irren, ich habe bei mir versucht alle Anreden groß zu schreiben, damit man trotz Duzen den höflichen Abstand noch spürt, ob das funktioniert und was richtig ist , wird mir bestimmt jemand erklären können.

„Ganz genau, Frau Meisenberg, ich habe mich vor den Paparazzi versteckt, aber ihrem scharfen Blick kann ich natürlich nicht entkommen.“
nur falls ich recht habe ...

Auf dem Weg zu Karl-Heinz kam sie an einer Bank vorbei mit einem Pärchen, das sich leidenschaftlich küsste. Sanft strich sie mit den Fingern über das Haar der beiden, die keine Notiz davon nahmen.
Das hat mich irritiert! Warum streicht sie ihnen übers Haar, also ihr innerer Beweggrund würde mich zur Einordnung interessieren. Mein erster Gedanke war - wie übergriffig, ich will aber gar nicht negativ von ihr denken.

Unbemerkt nahm sie einen Schluck von seinem Milchkaffee und stellte die Tasse auf die andere Seite des Tisches.
Das fand ich niedlich

selbst in der Sauna war sie gewesen. Manchmal war sie so voller Übermut, dass sie Sachen aus den Regalen im Supermarkt wischte oder eine Tasse vom Tisch draußen
Auch die Idee Sauna (was man mit zunehmendem Alter ja eher lässt) mochte ich. Für den sinnlosen Schabernack würde ich gerne einen Gedanken von ihr lesen (Erinnerung, Menschen ärgern, ist ein kleines Miststück) - So wirkt es so sinnlos.

staubige Blatt einer Schwiegermutterzunge
Ha, richtig geraten - ich kannte den Begriff nicht - spitz und hart - sehr zutreffend

Dann kicherte sie. „Hihi, ja, das wäre lustig. Stell dir das mal vor!“
Da bin ich nicht hinter gekommen, worüber lacht sie? Treppe = Acker?

sondern auch nach Einsamkeit und davon wollte Ilse wollte nichts sehen, hören oder riechen.
Umbaufehler

Geschichten hatte sie keine mehr zu erzählen und so war alles, was blieb: „Ich bin so einsam ohne dich!“
Warum hat sie nichts mehr zu erzählen? Macht sie keinen Schabernack mehr? Unternimmt sie nichts mehr, dann bitte warum?

Immer öfter schlich sie sich in die Wohnung der alten Meisenberg,
Ja, darauf hatte ich gehofft ...

Manchmal stand Ilse mit ihr auch vor dem Fenster
überflüssig

Wann hatte dieses Wohnzimmer aufgegeben, ein gemütliches Zuhause zu sein?
Mir auch zu personifiziert

Die Nachbarin stand auf, ging ins Schlafzimmer und kam mit einer Wolldecke zurück, die sie aufs Sofa warf. „Hier!“ sagte sie. „Ich weiß, dass Sie da sind.“
Ich mag die Idee, die Formulierung ist mir noch nicht so ganz rund, oder einfach zu direkt.
Vielleicht eher einfach die Decke holen und sowas wie : Ihre Zähne klappern! Oder Das kann man ja nicht mit ansehen. Also ohne die direkte Aussage, dass sie es weiß. Aber am Ende ist das selbstverständlich Geschmackssache.
Lieben Dank dafür, die Ilse Bilse begleiten zu dürfen
Herzliche Grüße
greenwitch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Katta,

ich habe zuletzt (mal wieder) gemerkt, dass es sinnvoll wäre, vor einem Kommentar vom Autor zu erfahren, worauf er hinaus will und was ihm wichtig ist. Denn es bringt ja nichts, beispielsweise fünfzehn Stellen zu markieren, die sich für einen selbst wie ein Klischee lesen, nur um dann als Antwort auf die Verbesserungsvorschläge zu erhalten: Das soll so, ich find's originell.

Warum schicke ich das vorweg? Weil ich merke, dass deine Story überhaupt nicht meinen Geschmack und Ton trifft, weswegen es mich natürlich umso mehr juckt, in diese Kerben hineinzukommentieren. Aber wahrscheinlich soll das meiste so und ich würde ins Nirvana kommentieren.

Also lasse ich lieber mal ein paar grundsätzlichen Gedanken als Denkanstöße und Reflexionen freien Lauf und komme dann auf ein paar sprachliche Dinge zu sprechen, um auch noch etwas Hilfreiches beizusteuern.

An deiner Story stößt mir - stellvertretend für viele andere im Rahmen der Challenge - die Infantilisierung alter Leute auf. Dieser Blickwinkel reizt mich persönlich irgendwie gar nicht. Gefühlt mehr als die Hälfte der Challenge-Texte lassen die Oma im Hühnerstall Motorrad fahren, sozusagen. Ich sage nicht, dass das keine guten Texte sind, sie lösen in mir nur nichts Spannendes aus, weil ich nicht nachvollziehen kann, wovon sie eigentlich in der Tiefe handeln.

Ich schließe aus dieser Tendenz: "die Oma" beziehungsweise alte Leute generell scheinen gemeinhin vor allem als naive, unselbstständige und hilfsbedürftige Menschen wahrgenommen zu werden, als niedlich, und der Sound der Geschichten ist ähnlich der von Kindergeschichten.

Bei dir findet eine Frauenfigur ohne Ecken und Kanten erst am Lebensende zu sich selbst. (Sie ist übrigens bis dahin fast eine personifizierte Opferrolle, denke ich gerade, von der Welt übersehen ohne eigenes Zutun.)

Mein Erleben alter Leute ist ganz anders: Je höher das Alter, desto mehr haben sich Unsicherheiten längst erledigt. Das Leben bringt einem schon bei, wer man ist und was man kann. Deine Protagonistin ist hingegen relativ kurz vorm Tod noch immer nicht reif und selbstbestimmt, erwischt nur durch wundersame Umstände gerade noch die letzte Ausfahrt zur Emanzipation.

Es wimmelt in der Challenge auch überall von Verniedlichungen und sprechenden Verben - an der Grenze zur Kindersprache. Aber ist es nicht ein Mythos, dass Alte wieder zu Kindern werden? Ist es nicht das, was wir uns zur Beruhigung einreden, damit wir es im Umgang mit ihnen leichter haben? (Das andere Extrem in den Storys sind übrigens die bösen oder kranken Alten, was ja genauso schematisch gedacht ist. Die Alten werden auch hier zu Stereotypen.)

Das ist alles gar nicht als Kritik im eigentlichen Sinne gemeint, es beschreibt nur mein Problem mit Texten wie deinem. Mir fehlt da der Ernst und der erwachsene Blick - und das unterschwellig Moralische im Sinne eines "Siehste mal! So kann es auch laufen!" nervt mich. So als müsste mal gezeigt werden, wie das Alter auch aussehen kann. Es wird wie mit Klischees aufgeräumt, die man indes zuvor selbst festgelegt hat.

Ich kann da einfach mit meinem Welterleben gar nicht anknüpfen, die" netti Omi" ist mir persönlich unbekannt: Ich habe weder meine eigenen Großeltern so erlebt, noch die alten Menschen, die ich beim Zivildienst betreut habe, noch erlebe ich meine alternden Eltern so. Gerade beim Zivildienst hatte ich das Gefühl, bei einigen alten Menschen gerade deswegen besonders beliebt zu sein, weil ich sie eben nicht verniedlicht oder irgendwie besonders behandelt habe. Mir schien, sie hatten das ganze nette und oft ja pseudo-fürsorgliche Getue der anderen Pfleger über und haben genau gecheckt, was bei ihnen und um sie herum Sache ist.

Ich finde das jedenfalls eine spannende Beobachtung, zu der mich dein Text als finaler Auslöser verleitet hat. Schon das Challenge-Thema geht ja stark in die Richtung unbedarfte Komik, Verulkung, Denken in Rollen ("die Oma") usw. Man muss die Texte nicht entsprechend ausrichtend, aber es scheint sich doch eine Tendenz zu zeigen.

Naja, anyway. Vielleicht nehme ich auch alles mal wieder zu ernst, anstatt mich einfach mal an besinnlichen oder ulkigen Vorweihnachtsgeschichten zu erfreuen.

Hier noch konkrete Anmerkungen:

Sie wusste nur, dass, wenn sie im Badezimmer in den kleinen Spiegel sah, sie da war.

Unnötig verschachtelt.

Zum Beispiel wenn die anderen Kinder auf dem Pausenhof mit Kienäpfeln nach ihr warfen oder ihr auf dem Heimweg hinterherriefen:

Komma fehlt.

„Ilse Bilse, keiner willse, kam der Koch, nahm se doch, weil se so nach Zwiebeln roch.“

Ansichtssache: ich würde "nahmse" und "weilse" schreiben wie du es ja auch bei "willse" machst. Zumindest einheitlich sollte es sein

Sie begann zu glauben, dass sie nie einem Mann begegnen würde, der sie bemerkte, dass sie für den Rest ihres Lebens allein bleiben und unsichtbar zwischen all den Familien in der Stadt umherstreifen würde.

Finde ich nicht so geschickt formuliert: Begegnen setzt bemerken für mich voraus bzw. inkludiert das

Manchmal sagte Karl-Heinz: „Weißt du, Ilse, wenn du so wie jetzt in der Sonne stehst, bist du fast nicht zu sehen, sondern nur eine Aura aus Gold.“
Sie lächelte dann, legte ihre Hände in seine und sagte: „Ich bin so froh mit dir, Karl-Heinz.“

Sagte er diese ausgefallene Sache wirklich "manchmal", also wiederholt?

Sie fühlte sich leichter, wie ein mit Luft gefüllter Ballon,

"mit Luft gefüllt" kann man streichen, finde ich. Niemand denkt an einen schlaffen Ballon, wenn man nur Ballon sagt

Vielleicht, dachte sie, habe ich mein ganzes Leben für diesen Augenblick geübt. Vielleicht war dies hier schon immer ihr Schicksal gewesen.
Was sollte sie jetzt tun? Würde sie jeden Tag ein bisschen leichter werden, bis sie sich auflösen würde? Leichter wäre als Luft und hoch in den Himmel stiege? Wenn ja, so war es ihr recht.

Diese Stelle hat mich an einen Satz denken lassen, den ein Professor mal in einem Seminar über die Literatur der Wiener Moderne gesagt hat und der mir hängen geblieben ist: "Stefan Zweig steht ja, genauso wie Hesse, unter Kitsch-Verdacht."

Seitdem denke ich mir immer: Man muss höllisch auf der Hut sein, sonst gerät man unter Kitsch-Verdacht. Wenn es sogar Zweig und Hesse treffen kann!

Hier, mal beispielsweise, erregt dein Text für mich Kitsch-Verdacht. Dahinter steht ja in etwa die Frage: Werden Gefühle eingängig und "wahrhaftig" abgebildet? Oder wird nur so getan.

Ich jedenfalls kann mir kaum bis gar nicht vorstellen, dass jemand jemals so fühlt wie deine Figur an dieser (und einiger anderer) Stelle. Ausser auf Drogen vielleicht, aber dass ist nur Hypothese, denn damit kenne ich mich nicht aus.

Vom Fenster aus sah sie hinunter auf die Straße, auf der das Leben in seinem ewigen Rhythmus vorüberzog.

Ist der Rhythmus einer modernen Stadt wirklich "ewig"? Passt für mich nicht, vor nicht allzu langer Zeit war der Rhythmus der Menschen noch anders und wer weiß, wie lange er noch so bleibt.

Meine Güte, wie sehen Sie denn aus?“, fragte sie. „Sie haben sich ja vermummt wie ein Filmstar oder haben sie gerade eine Bank überfallen? So erkennt sie ja nicht einmal der liebe Gott!“

Ihr Schicksal hatte sich erfüllt und zum ersten Mal im Leben fühlte sich Ilse ganz und gar mit der Welt verbunden, bewegte sich in ihr wie ein Fisch im Wasser.

"Mit der Welt verbunden" und "wie ein Fisch im Wasser" würde ich mal als Phrasen klassifizieren.

im Cafe Heinrich

Café - ich glaube, es braucht den Akzent, sonst ist es "Kaffee".

Freundliche Grüße

HK

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi @Katta,

ich finde deine Geschichte gelungen. Die ist wie aus einem Guss, einfach wunderbar zu lesen, coole Idee, nichts Störendes, sehr unterhaltsam und mit einem passenden Ende, das auch ein wenig überrascht. (Ich dachte erst, in der Nachbarswohnung lebt noch eine andere oder noch ein anderer 'Unsichtbarer').

Auch sprachlich will ich hier kaum Vorschläge machen. Wenn ich auch das eine oder andere leicht anders formuliert hätte, so stimmt doch alles stilistisch gut zusammen.

Einzelne Stellen, die ich rauszitierte:

Seit jeher fügte Ilse sich ins Leben ein wie eine Bleistiftzeichnung in ein Ölgemälde.
Hervorragender erster Satz! Kurz, interessant, macht neugierig. (Ich würd das 'ein' btw stehenlassen, für mich klingt das leicht besser als ohne). Manches ist eben Geschmackssache.

Klar und deutlich zeichneten sich ihre Umrisse in der Welt ab. Man musste nur hinschauen.
Den zweiten Satz benötigst du vielleicht nicht. Heißt aber nicht, dass er stört. Ich habe den nur ohnehin dem ersten hinzugefügt.

Doch da kam Karl-Heinz, der kein Koch war, aber sie ansah, wie niemand sie je angesehen hatte.
Ich mag das sehr; wundervoller Einschub, kurz, unprätentiös, wenig Worte, klare Sache.

Sie lächelte dann, legte ihre Hände in seine und sagte: „Ich bin so froh mit dir, Karl-Heinz.“
Hier doch ein Vorschlag, dieses 'so' würde ich eventuell streichen, das zieht es zu sehr ins Klamottige, also nur nur "Ich bin froh mit dir." Vielleicht auch ohne 'Karl-Heinz'; der Ton, in dem das erzählt wird, funktioniert auch ohne diese 'Unterstreichung', meinem Gefühl nach.

Als Karl-Heinz starb, blieb Ilse allein zurück.
Das ist klar, vielleicht wäre hier das 'allein zurück' besser, sonst sagt das nix, zumal du hinterher die Situation entblätterst.

Bis sie schließlich ganz und gar unsichtbar geworden war und im großen Spiegel nur ihr Nachthemd seltsam schwerelos in der Luft stehen sah.
Gefällt mir!

Sie zog das Nachthemd aus, ließ es neben sich auf den Boden fallen und war einfach weg. Sie fühlte sich leichter, wie ein mit Luft gefüllter Ballon, drehte xxx sich im Kreis, die Arme ausgestreckt und wickelte sie sich in diesen kühlen Morgen, an dem sie unsichtbar und die Schwerkraft weniger geworden war. Ihr Haar strich über die Schultern und sie stellte sich vor, dass es Karl-Heinz‘ Hände wären. Vielleicht, dachte sie, habe ich mein ganzes Leben für diesen Augenblick geübt. Vielleicht war dies hier schon immer ihr Schicksal gewesen.
Das 'sie' muss an eine andere Stelle, oder lese ich falsch?
drehte sie sich im Kreis, die Arme ausgestreckt und wickelte sich in diesen kühlen Morgen

Der Absatz gefällt mir sehr gut. Einzig der letzte Satz ist meinem Gefühl nach unnötig. Muss nicht zwingend raus, aber ich finde das Ende des Absatzes bei 'für diesen Augenblick geübt' besser gesetzt.

Sie stand auf, wusch sich, putzte die Zähne, kämmte die Haare, zog sich an und vermisste Karl-Heinz.
Wunderbar. Ich mag das sehr. Eine Reihung mit einem unerwarteten, starken letzten Kettenglied; kunstvoll!

Sie würde einkaufen müssen, denn ein Körper braucht Nahrung, auch wenn er unsichtbar ist.
Schön. Ich stelle mir dann vor, wie das ein Sprecher vorträgt, richtig guter Klang, stimmig, einfach gut erzählt.

Manchmal stand Ilse mit ihr auch vor dem Fenster und beobachtete die Vögel, die sich im Vogelhaus auf der Balkonbrüstung Futter holten.
Auch so eine Stelle, bildlich, stimmig, stark.

Anfang Dezember saß Ilse auf dem Sofa, neben einem Berg frischer Wäsche. Sie sah mit Inge Meisenberg eine Quizshow und versuchte die Kälte, die ihre Schultern zittern ließ, zu ignorieren. Die Nachbarin stand auf, ging ins Schlafzimmer und kam mit einer Wolldecke zurück, die sie aufs Sofa warf. „Hier!“ sagte sie. „Ich weiß, dass Sie da sind.“
Gelungenes Ende mit einer Überraschung ... ich habe eine Überraschung erwartet, aber nur vage gedacht, dass da beide etwas verbindet.

@deserted-monkey

Und wenn Frau Meisenberg da mit sich selbst spricht, vielleicht sind das gar keine Selbstgespräche, sondern eben andere Menschen, die unsichtbar geworden sind und die Ilse nur noch nicht sehen kann.
Diese Idee hatte ich auch so ähnlich, das ist eine tolle Idee.


Insgesamt eine schöne, gut erzählte Geschichte, leicht märchenhafter Ton, klar eine 'Mär', manches erinnert an die eingebauten Erzählteile des 'Amelie-Films', ohne es zu kopieren; war mir eine Freude, das zu lesen!

Gruß von Flac

ps: Auf ein paar Wörter, die zuviel oder falsch geraten sind usw, die andere schon erwähnt haben, bin ich nicht mehr eingegangen, da kannst du einfach noch mal drüber schauen...

 

Hello @deserted-monkey,

Du bist sozusagen die Auserkorene :-)
hehe, freut mich sehr, dich unter dem Text zu finden

Ich lese ja mit bei der Challenge hier, aber leider habe ich selbst keinen passenden Text zum Thema und mir will auch nichts Gescheites in den Sinn kommen ...
na ein paar Tage sind ja noch, vielleicht kommt ja noch die Muse um die Ecke. Ich denke gerade an den alten Mann, der von seinem Sohn in die Grube oder den Pool (?) gestoßen wurde ... ich meine das wäre ein Text gewesen, der gepasst hätte (womit ich meine, du hast sowas schon zumindest ansatzweise geschrieben)

Seit jeher fügte Ilse sich ins Leben [ein] wie eine Bleistiftzeichnung in ein Ölgemälde.
Das ist ein schöner, einleitender Satz. Leider nimmt er aber auch (tellig) vorweg, was danach gezeigt wird mit der Mutter und den Geschwistern. Dann auch: Wieso diese künstlerische Ader betonen mit Ölgemälde und Bleistiftzeichnung, wenn das danach im Leben der Ilse keinerlei Rolle spielt? Falls Du an dem Satz festhältst: Das eine 'ein' würde ich streichen, es geht auch ohne, finde ich, und der Satz liest sich dann geschmeidiger.
Erst mal: Ich habe, denke ich, viel deiner Vorschläge übernommen. Den zb auch und gehe auf diese dann einfach nicht mehr ein, sondern nur auf die, wo ich noch überlege oder es anders sehe. Ja, ich gestehe, ich hänge an diesem Satz, was ich allerdings ähnlich sehe, ist, dass das Thema Kunst im Text keine Rolle spielt und der Satz somit auf eine falsche Fährte (bzgl des Inhalts) locken könnte. Gleichzeitig finde ich setzt er ein wenig die Tonalität des Textes. Eine Metapher am Anfang, da weiß man vielleicht auch, was für eine Art Text das wird ... eben metaphernreich :-)

Kienäpfeln
Muss was Lokales sein / Musste ich googeln: Kenne die nur als 'Tannzapfen'.
Keine Ahnung, das Lokale (bei uns hießen die Kienäppel) hab ich durch "Äpfel" ersetzt, tatsächlich (es spielt keine Rolle, ist die Geschichte in Brandenburg angesiedelt, dort, wo meine Großeltern gewohnt haben). Kienäpfel (Kiefern) sind im Gegensatz zu Tannenzapfen (Fichten) ziemlich hart und es war verboten mit ihnen zu werfen, weil die schon arg wehtun, wenn man die an den Kopf kriegt - im Gegensatz zu den weichen Fichtenzapfen, die wir auch Tannenzapfen genannt haben. Ich hatte tatsächlich auch vorher noch mal kurz recherchiert, ob das was Lokales ist ... die Verwendung kann natürlich lokal begrenzt sein, aber ist halt trotzdem korrekt

So genau sie auch hinschaute, ihr Körper war nicht mehr zu sehen, aber es gab ihn noch.
Finde ich fast etwas zu einfach von der Wortwahl her. Vielleicht sowas wie [...] aber er existierte noch? Weiss aber auch nicht, ob das wirklich besser ist :-)
Verstehe. @greenwitch hatte auch einen Satz in diesem Zusammenhang rausgeschrieben. ich überlege mal. Ja, ob exisiteren besser ist, ich nehm das mal mit ...

Ein 'sie' zu viel. Ein 'sich'-Satz: sich leichter, drehte sich, wickelte sich ... Ich bin, so glaube ich, ein erklärter 'sich'-Gegner, versuche wo immer möglich, das Wörtchen zu meiden. Aber eben, das bin ja nur ich :D
hab das sich drehen eliminiert ... wenns jetzt nicht mehr passt, wird bestimmt noch mal jemand anderes was dazu sagen ...
Das ganze Leben zwischen dem Kennenlernen bis zum Tod Karl-Heinz vergeht innerhalb weniger Sekunden, ich finde, da könnte noch etwas mehr Fleisch auf die Knochen. Wie ist denn der Karl-Heinz damit umgegangen, dass seine Gattin sozusagen nur für ihn wirklich sichtbar ist/war? Gab es da nicht allerhand skurrile Situationen? Könnte ich mir jedenfalls gut vorstellen. Oder ist sie vielleicht durch ihn wieder sichtbar(er) geworden?
Ok, nehm ich auch mal mit. Das war/sollte sein einfach nur Setup quasi, also die Ilse mal vorstellen und zack, hatte karl-Heinz, also so schlimm wars gar nicht. Wo ich aber wohl noch mal ran muss bzw schauen muss, ob andere das auch nicht verstanden haben, dass Ilse ja gar nicht unsichtbar ist (am Anfang, erst nach Karl-Heinz' Tod) ... hmmm ... das ist schon wichtig, das verstanden wird, dass sie eher übersehen wird, weil sie leise und still ist und vielleicht auch gar nicht so gern gesehen werden möchte (möglicherweise --> also das warum will ich nicht erklären, sondern nur, dass was)

Also da hätte ich mir die ein oder andere Szene mehr gewünscht, dann erreichen mich die Stellen, wo sie ihn vermisst und an ihn denkt vielleicht auch etwas stärker. Ich sehe da also noch Potential, die ganze Sache zu vertiefen.
Vielleicht fällt mir dazu noch was ein, denn am Ende gehts mir tatsächlich nicht so sehr um das Vermissen oder die Beziehung zu Karl-Heinz, aber wenn ich mit ein, zwei, drei Sätzen da für mehr Verständnis sorgen kann, will ich das gerne tun, nur wirklich ausdehnen will ich es nicht ... ist aber wahrscheinlich nicht state of the art, weil es natürlich etwas setzt, was der Leser schlucken kann oder eben nicht, aber was nicht sonderlich szenisch hergeleitet wird

Stelle ich mir auch sehr seltsam vor. Ihr Körper ist ja unsichtbar, wie sieht das aus, wenn da Saft durch die Luft fliesst und zerkrümelte Kekse? Ich finde, da wäre noch Potential für etwas mehr Skurrilität. Solche Stellen würden auch zusätzlich ihre Unsichtbarkeit betonen, sie stärker, ja, glaubhafter machen.
also der Saft fließt ja nicht durch die Luft, sie hält ja die Flasche an den Mund, aber die saftpackung die schwebt da natürlich schon so rum. Ich hatte am Anfang auch dazu einen Satz drin, sowas wie: Als im Gang mit den Getränken keine Menschen waren, trank sie Saft aus der Flasche, oder so ähnlich. Mir erschien das dann aber übertrieben kleinteilig (hab ich eine Tendenz zu, darum bin ich da oft unsicher). Meinst du denn, ich sollte das doch lieber so machen?
Ilse stand im kleinen Flur, beobachtete die Nachbarin, belauschte ihr Selbstgespräch und blieb unentdeckt, obwohl das Leben in seiner ganzen, lauten Intensität ihren Körper flutete.
Wieso hier die 'laute' Intensität? Das kriege ich nicht recht zusammen. Ja, Frau Meisenberg führt Selbstgespräche, aber die sind doch nicht so laut und ansonsten scheint es ja relativ still zu sein. Also vielleicht verstehe ich was nicht, aber für mich ist die Stelle nicht so ganz präzise oder es fehlt was.
Ok, das ist nun gar nicht so angekommen wie intendiert. Ähm ja! Ich meinte eigentlich, die ganzen Gefühle von Aufregung, die damit einhergehen da in diesem fremden FLur zu stehen und die Nachbarin zu beobachten, das Adrenalin, das durch ihren Körper fließt, wenn alles lauter ist und man meint, der andere würde den eigenen Herzschlag hören oder das Atmen oder so ... werde ich ändern, muss aber noch mal überlegen wie

Den Schluss interpretiere ich so, dass Ilse nur noch für Menschen sichtbar ist, die selbst einsam sind. Vielleicht war ja auch Karl-Heinz einsam und deshalb hat er sie gesehen, deshalb sind sie zusammengekommen und haben das Leben zusammen gelebt. Und wenn Frau Meisenberg da mit sich selbst spricht, vielleicht sind das gar keine Selbstgespräche, sondern eben andere Menschen, die unsichtbar geworden sind und die Ilse nur noch nicht sehen kann. Auf jeden Fall finde ich, Du hast das Thema der Challenge gut getroffen, ich lese es auch so, dass es in deinem Text um Einsamkeit im Alter geht, und die ist eben für viele (jüngere Menschen, Menschen die ihren Partner/die Partnerin noch haben) unsichtbar.
ok, *haarerauf*, da ist n bisschen was durcheinander gegangen. Mit manchen Sachen kann man ja gut leben und wenn zb jemand liest, Frau Meisenberg sieht einsame, unsichtbare Menschen, ist das ok (auch wenn von mir nicht so gedacht), aber ich sehe, dass Ilses Unsichtbarkeit nicht ganz klar ist, sondern vermutlich durch die in den Jahren zuvor erlebte metaphorische (?) Unsichtbarkeit unklar wird. Diesen Fallstrick würde ich schon gerne auflösen im Text, muss aber mal überlegen. Also sie ist sichtbar (wird aber wie gesagt gerne übersehen) und dann nach dem Tod von Karl-Heinz ist sie unsichtbar (im ganz und gar buchstäblichen Sinne ist sie nicht mehr zu sehen, weder von ihren eigenen, noch den Augen anderer) - also was auf der reinen Plotebene passiert (das die Unsichtbarkeit natürlich symbolisch verwendet wird - Einsamkeit hast du ja schon angesprochen - ist dann noch mal eine andere Sache).

Vielen Dank fürs Lesen und deinen Kommentar
und viele Grüße
von Katta

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Katta

Nach dem Satz „Es gab aber auch Momente, in denen sich Ilse wünschte, tatsächlich unsichtbar zu sein“, dachte ich: Ja bitte, das ergäbe eine schöne surreale Geschichte. Und so kam es. Die Story erinnerte mich irgendwie an „Der Mann, der durch die Wand gehen konnte“, aber hier natürlich mit einem ganz anderen Thema.

Ich lese deine Geschichte als eine Art Parabel über einen dieser unscheinbaren Menschen, die ihr Leben so vor sich hin leben, nie groß auffallen, keine herausragende Stellung im Beruf hatten, nicht in der Zeitung auftauchen und die trotzdem ihr geheimes, einzigartiges Leben führen – nur, dass es keiner bemerken will. Am Ende sterben sie irgendwann, ebenfalls kaum bemerkt und ohne Spuren zu hinterlassen.

Der Schritt von der Unscheinbaren zur Unsichtbaren ist klein und nachzuvollziehen. Das Alleinsein nach dem Tod von Karl-Heinz ist der Motor, der die Steigerung in Gang setzt. Wer einsam ist, wird von niemandem beachtet, ist quasi unsichtbar. Nur, wer selbst einsam ist wie Frau Meisenberg, kann einen dann noch wahrnehmen. Traurig, wenn es wirklich so wäre.

Der Name Ilse Bilse will aber meiner Meinung nach nicht recht passen. Ilse Bilse, die keiner will, ja, aber weil sie unscheinbar ist? Und Ilse hat doch ihren Karl-Heinz gefunden, der sich sogar als Volltreffer entpuppt.
Das Challenge-Thema ist gut verarbeitet. Hier ist es die Einsamkeit, die Ilse und die Meisenberg am Ende zu einem halben Happy End vereint.

Nun noch ein paar Kleinigkeiten:

streckte die Arme aus und wickelte sich in diesen kühlen Morgen, an dem sie unsichtbar und die Schwerkraft weniger geworden war.
„Die Schwerkraft war weniger geworden“ Solche Konstruktionen mit weniger tun mir fast körperlich weh, aber vielleicht geht das nur mir so? „Die Schwerkraft hatte abgenommen“ oder "war schwächer geworden" ist eleganter.
Leise schlich Ilse an der alten Meisenberg vorbei,
Kann man laut schleichen?
Morgen komm ich wieder, denn ich trau mich jetzt raus.“
Hatte sie sich vorher nicht aus der Wohnung getraut?
Danach ging sie zum Supermarkt, stahl einen Apfel und aß ihn am Teich bei den Enten.
Hier stelle ich mir einen in der Luft schwebenden Apfel vor. Sehr unauffällig.


Grüße
Sturek

 

Moin @greenwitch,

gratuliere, neben dem Nano noch eine Kurzgeschichte zur Challenge einzureichen
danke, danke :herz:
Und ich mag sie , die Ilse Bilse.
Das freut mich sehr.
Gerade hier am Anfang hat mich der Fließtext mit der ganzen wörtlichen Rede irritiert, es sind ja verschiedene Sprecher. Aber eigentlich sind es ja Erinnerungen, Gedanken. Vielleicht doch eher kursiv und ohne Gänsefüßchen?
Ich weiß, dass mittlerweile kursiv oft für Gedanken verwendet wird, ich kann das so überhaupt gar nicht leiden, darum ist kursiv hier keine Option. Ich nutze kursiv eigentlich nur für Eigennamen und möchte, dass man auch ohne kursive Schrift erkennt, wer was denkt. Aber da du ja hier Probleme hattest: Evtl müsste ich den einzelnen Sprechern eine neue Zeile gönnen. Ich werde das mal ausprobieren, aber die Gänsefüßchen, denk ich, sind schon korrekt, weil es ja gesagt wurde, aber sicher bin ich da auch nicht ...

Sie zog das Nachthemd aus, ließ es neben sich auf den Boden fallen und war einfach weg.
Dies ist so eine Stelle, die fällt für meinen Geschmack aus der Erzählstimme. Der letzte Teil klingt für mich hier umgangssprachlich, zu vereinfacht.
Ja, das hatte dm auch angemerkt, also nicht diese Stelle, aber eine andere aus dem gleichen Grund. Ich nehm das mal mit, vielleicht fällt mir was dazu ein, der Text ist zwar recht metaphernreich, aber die Sprache soll jetzt auch nicht zu gestelzt klingen, darum hab ich es an manchen Stellen dann eher einfach gehalten, kann auch nicht immer zu schreiben: war nicht mehr zu sehen, war unsichtbar ...

Vorsichtig öffnete sie die Wohnungstür, aufgeregt schlug ihr Herz, und legte den Schlüssel unter die Fußmatte.
Das Herz legt den Schlüssen unter die Fußmatte? Bezugsfehler, auch wenn klar ist, was du meinst. Da hattest Du bestimmt auch einen kleinen Wortkrieger auf der Schulter - "Wo hat sie denn den Schlüssel, wenn sie doch nackt ist"
das hab ich umformuliert, wenns immer noch nicht funzt, werd ich den Einschub wohl in Gedankenstriche setzen ... Und der Schlüssel unter der Fußmatte war weniger die Sorge, dass jemand fragt, wo der Schlüssel ist, sondern sollte tatsächlich noch mal daran erinnern ... hat also eher was mit Leserorientierung zu tun.

Danach ging sie zum Supermarkt, stahl einen Apfel und aß ihn am Teich bei den Enten
Weiter vorn geht sie zum Friedhof und füttert die Enten am Teich, damit lag der Teich für mich auf dem Friedhof. Geht aber vielleicht nur mir so.
Ja, hatte befürchtet, dass das irritiert. Ich stelle mir, auch wenn nicht ausgeführt, eine Kleinstadt vor (hab da, auch bei der Ilse, ein bisschen zumindest meine eigene Oma im Kopf und darum spielt die für mich auch in eben der Stadt, in der meine Oma gewohnt hat) und ich denke, sie isst ihn auf dem Friedhof beim Teich. Werd mal schauen, ob ich das noch klarer machen kann.

Ich glaube, die Höflichkeitsform wird großgeschrieben.
Du hast absolut recht. Ist mir durchgeflutscht ... wie ja so einiges
:teach:

Auf dem Weg zu Karl-Heinz kam sie an einer Bank vorbei mit einem Pärchen, das sich leidenschaftlich küsste. Sanft strich sie mit den Fingern über das Haar der beiden, die keine Notiz davon nahmen.
Das hat mich irritiert! Warum streicht sie ihnen übers Haar, also ihr innerer Beweggrund würde mich zur Einordnung interessieren. Mein erster Gedanke war - wie übergriffig, ich will aber gar nicht negativ von ihr denken.
Verstehe. Problem ist, ich will nicht zu viel erklären, aber wenns so aus dem Nichts kommt, ist es natürlich doof und ich kann deine Irritation verstehen. Muss noch mal grübeln, ob es irgendwie einen Halbsatz oder Satz gibt, der das einordnet. Im Grunde trifft es nicht nur auf diese Sache hier zu, sondern ich glaube, ihre Entwicklung unter der Unsichtbarkeit braucht noch mehr Raum. Für mcih ist das jedenfalls das Interessante an dem Text und ich glaube, die Irritation wird gar nicht deutlich genug, denn es soll übergriffig sein. Sie klaut ja auch im Supermarkt und fegt da Krams aus den Regalen. Andererseits sollte diese Entwicklung auch nicht zu sehr in den Fokus geraten, im Grunde kann man ja hier die Frage stellen, inwiefern der moralische Kompass sich verändert, wenn man unsichtbar ist. Vielleicht bin ich mir an dieser Stelle selbst noch nicht ganz klar, aber ich wollte nicht, dass sie sich Richtung Verrohung entwickelt, aber schon ein bisschen davon andeuten. Lange Rede ... danke dir, ich grübel mal noch ...

Für den sinnlosen Schabernack würde ich gerne einen Gedanken von ihr lesen (Erinnerung, Menschen ärgern, ist ein kleines Miststück) - So wirkt es so sinnlos.
siehe Antwort hier drüber ...

Dann kicherte sie. „Hihi, ja, das wäre lustig. Stell dir das mal vor!“
Da bin ich nicht hinter gekommen, worüber lacht sie? Treppe = Acker?
Hmmm ... ich hatte gehofft, man würde verstehen, dass sie ein Gespräch mit einem imaginären Anderen führt.

Geschichten hatte sie keine mehr zu erzählen und so war alles, was blieb: „Ich bin so einsam ohne dich!“
Warum hat sie nichts mehr zu erzählen? Macht sie keinen Schabernack mehr? Unternimmt sie nichts mehr, dann bitte warum?
Auch da hatte ich gehofft, dass deutlich würde, dass sie nicht mehr nackt rausgehen kann, weil kalt und dass sie darum (ohne den Schutz der Unsichtbarkeit) eben keinen Schabernack mehr macht und zb auch nicht ins Kino geht ...

Immer öfter schlich sie sich in die Wohnung der alten Meisenberg,
Ja, darauf hatte ich gehofft ...
:herz:

Ich mag die Idee, die Formulierung ist mir noch nicht so ganz rund, oder einfach zu direkt.
Vielleicht eher einfach die Decke holen und sowas wie : Ihre Zähne klappern! Oder Das kann man ja nicht mit ansehen. Also ohne die direkte Aussage, dass sie es weiß. Aber am Ende ist das selbstverständlich Geschmackssache.
Da wart ich mal noch ab, was andere eventuell sagen. Für mich war das so "auf die Zwölf", sie denkt sie ist unsichtbar, ist sie ja auch, aber Frau Meisenberg merkt eben das sie da ist.

Lieben Dank dir, @greewitch, fürs Lesen und deinen Kommentar
und liebe Grüße, Katta

 

Liebe @Katta , wie schön - ein Märchen! Oder so.
Schön und flüssig geschrieben, ich vertraue mich dem Text gern an.
Und Unsichtbarkeit ist ein gutes Thema, das - vermitlioch - viele kennen. Ich war als Teenager hochgradig unsichtbar, und habe das teilweise als positiv empfunden - andere, die genauso klein/uncool waren, aber sichtbar, bekamen ständig auf die Mütze. Ich nie. Aber auch Ilsebilses Erfahrung, beleidigt zu werden, finde ich glaubwürdig.
Ich hab jetzt eine eher ungeordnete Zitatenliste von ein paar Mal lesen lesen...

Seit jeher fügte Ilse sich ins Leben wie eine Bleistiftzeichnung in ein Ölgemälde.
Ich weiß, der Satz gefällt, aber ich habe keine Ahnung, was für ein Bild ich mir da vorstellen kann. Ich kenne keine Ölgemälde mit eingefügter Bleistiftzeichnung. Vielleicht stehe ich einfach auf der Leitung.

dass dieser Koch bald käme und sie nähme.
Fein, wie es sich reimt!
wie ein mit Luft gefüllter Ballon,
Auch ein Bild, das ich nicht zusammenbringe, wie fühlt sich ein mit Luft gefüllter Ballon?
hinterließ überall Gänsehaut, die sie ignorierte
Mir nicht ganz klar, wie es sich äußert, wenn ich eine Gänsthaut ignoriere. Aber sehr deutlich ist der nächste Satz, nämlich, dass sie sich nicht erkälten wird.
hre Eltern und drei der vier älteren Geschwister waren bereits verstorben. Nur ihre Schwester Clara lebte noch in einem Pflegeheim im weit entfernten Zwickau.
Da möchtest du gern die Einsamkeit erklären. Brauchst du nicht. Clara kommt eh nicht vor.
Nie war sie sichtbarer gewesen als jetzt.
Hübsch!
„Hihi, ja, das wäre lustig. Stell dir das mal vor!“
Hm, habe ich nicht verstanden - das sagt sie zu sich selbst?
„Hier!", sagte sie. "Ich weiß, dass Sie da sind."
Schöner Schluß. Wo ein anderer ist, ist die Einsamkeit am Ende. Dem habe ich nichts hinzuzufügen!

Das war's! Schönen Abend!
Placidus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @H. Kopper,

ich habe zuletzt (mal wieder) gemerkt, dass es sinnvoll wäre, vor einem Kommentar vom Autor zu erfahren, worauf er hinaus will und was ihm wichtig ist. Denn es bringt ja nichts, beispielsweise fünfzehn Stellen zu markieren, die sich für einen selbst wie ein Klischee lesen, nur um dann als Antwort auf die Verbesserungsvorschläge zu erhalten: Das soll so, ich find's originell.
Ja, das geht mir auch manchmal so. Allerdings sollte sich ja das, worum es geht, schon auch aus dem Text ergeben. Ich denke auch, es gibt einen Mittelweg zwischen 15 Stellen zu markieren und gar keine zu markieren. Manchmal reicht es ja durchaus, ein, zwei, drei Stellen _exemplarisch_ rauszukopieren, um etwas zu verdeutlichen, denn so ganz ohne Teststellen funktioniert es auch nicht.
ZB hier:
An deiner Story stößt mir [...] die Infantilisierung alter Leute auf.
müsste ich mir jetzt selbst überlegen, was du meinen könntest, worin genau die Infantilisierung siehst. Und obs am Ende das ist, was du meinst? Who knows ... Ich kann halt auch null darauf antworten, alles was mir bleibt ist zu schreiben: Ok. Im Übrigen gehe ich auch nur auf die Stellen in deinem Kommentar ein, von denen ich denke, dass sie sich auf meinen Text bziehen. Deine allgemeinen Überlegungen zur Challenge sind wohl besser im entsprechenden Thread aufgehoben.
weil ich nicht nachvollziehen kann, wovon sie eigentlich in der Tiefe handeln.
guck, ich dachte, das würde klar, wovon der Text handelt.

alte Leute generell scheinen gemeinhin vor allem als naive, unselbstständige und hilfsbedürftige Menschen wahrgenommen zu werden, als niedlich, und der Sound der Geschichten ist ähnlich der von Kindergeschichten.
naiv, unselbsständig und hilfsbedürftig ... naiv,ok, das kann ich nachvollziehen, auch wenn es wohl keine Beschreibung wäre, die ich so nutzen würde, aber unselbsständig? Sie lebt doch allein. Hilfsbedürftig? Wo liest du denn das raus? Sound von Kindergeschichten ... kann ich auch nachvollziehen, aber würde ich selbst nicht als Kindergeschichtensound bezeichnen, aber ja, nüchtern ist was anderes ...
Bei dir findet eine Frauenfigur ohne Ecken und Kanten erst am Lebensende zu sich selbst. (Sie ist übrigens bis dahin fast eine personifizierte Opferrolle, denke ich gerade, von der Welt übersehen ohne eigenes Zutun.)
Ach herrje. Was bedeutet denn für dich ohne Ecken und Kanten. Für mich wirfst du hier irgendwie mit Worten um dich, ohne die auch nur ansatzweise am Text entlang zu definieren, sodass ich mir jetzt wieder überlegen könnte, was genau du damit meinst. Für mich bedeutet, ohne Ecken und Kanten, glatt und perfekt ohne Makel und Schwächen ... das liest du aus der Figur heraus? Wo und wann findet sie denn zu sich selbst? Sie findet doch eben gar nicht zu sich selbst. :confused: Vermutlich kann man das acuh so lesen, dass sie ein Opfer ist, von der Welt übersehen, ich hätte aber gedacht, dass spätestens doch am Ende sehr klar wird, dass sie eben kein Opfer ist (so denn jemand ihren Lebensweg so gelesen haben würde). Wenn das jetzt viele so lesen würden wie du, also sie als Opfer, dann müsste ich definitiv noch mal ran, denn das war garantiert nicht, was ich intendiert habe.
Mein Erleben alter Leute ist ganz anders: Je höher das Alter, desto mehr haben sich Unsicherheiten längst erledigt. Das Leben bringt einem schon bei, wer man ist und was man kann. Deine Protagonistin ist hingegen relativ kurz vorm Tod noch immer nicht reif und selbstbestimmt, erwischt nur durch wundersame Umstände gerade noch die letzte Ausfahrt zur Emanzipation.
Dein Erleben nun wiederum ist halt einfach gar kein Argument. Mein Erleben ist anders. Und nu? Stimmt, meine Prota ist alt und nicht reif und selbstbestimmt ... und erwischt überhaupt gar nicht die letzte Ausfahrt ...
Es wimmelt in der Challenge auch überall von Verniedlichungen und sprechenden Verben - an der Grenze zur Kindersprache.
Wo in meinem Text (den du ja exemplarisch für die Challenge verwendest) wimmelt es von Verniedlichungen? Und mit dem Begriff sprechende Verben kann ich grad gar nix anfangen. Was bedeutet das?
Mir fehlt da der Ernst und der erwachsene Blick - und das unterschwellig Moralische im Sinne eines "Siehste mal! So kann es auch laufen!" nervt mich. So als müsste mal gezeigt werden, wie das Alter auch aussehen kann. Es wird wie mit Klischees aufgeräumt, die man indes zuvor selbst festgelegt hat.
Was du da an Moral rausliest, versteh ich auch nicht. Was kann wie laufen? Wie genau kann das Alter auch aussehen? Das man einsam sein kann? Dass Einsamkeit ein Klischee ist? Sorry, ich versteh kein Wort.

Ich kann da einfach mit meinem Welterleben gar nicht anknüpfen, die" netti Omi" ist mir persönlich unbekannt: Ich habe weder meine eigenen Großeltern so erlebt, noch die alten Menschen, die ich beim Zivildienst betreut habe, noch erlebe ich meine alternden Eltern so. Gerade beim Zivildienst hatte ich das Gefühl, bei einigen alten Menschen gerade deswegen besonders beliebt zu sein, weil ich sie eben nicht verniedlicht oder irgendwie besonders behandelt habe. Mir schien, sie hatten das ganze nette und oft ja pseudo-fürsorgliche Getue der anderen Pfleger über und haben genau gecheckt, was bei ihnen und um sie herum Sache ist.
Also, ganz ehrlich, ich frage mich gerade, ob du was in den Text reinliest, was einfach nicht drinsteht. Gibt es in deinem Welterleben keine netten Menschen? Ich kenne nette Menschen, die findet man in allen Altersgruppen. Sind die immerzu nur nett? Nein, aber so grundsätzlich könnte man sie so beschreiben. Meine eine Oma war sehr nett (ich würde eher sagen: freundlich und warmherzig und fürsorglich) und meine andere Oma war sehr distanziert und emotional kühl und ich wäre niemals an ihren Schrank gegangen, um mir ein Glas rauszunehmen, wenn ich Durst gehabt hätte. Ich hätte sie auch nicht nach etwas zu trinken gefragt. Ich habe ein FSJ in einem Altersheim gemacht. Auch da gab es nette und nicht so nette Menschen.

Schon das Challenge-Thema geht ja stark in die Richtung unbedarfte Komik, Verulkung, Denken in Rollen ("die Oma") usw. Man muss die Texte nicht entsprechend ausrichtend, aber es scheint sich doch eine Tendenz zu zeigen.
Das Challenge-Thema ist Alter, allein der Titel ist Verulkung. Ich hab in deinen Text jetzt bisher nur reingelesen, meine aber, du schreibst nicht aus der Perspektive einer älteren Person. Ich glaube, das macht es einfacher ...

Finde ich nicht so geschickt formuliert: Begegnen setzt bemerken für mich voraus bzw. inkludiert das
Hmmm, du meinst, dass Begegnen immer gegenseitiges Wahrnehmen bedeutet? Es ist nicht möglich, dass man Person A Person B begegnet und Person B Person A gar nicht bemerkt? Muss ich noch mal drüber nachdenken ...
Manchmal sagte Karl-Heinz: „Weißt du, Ilse, wenn du so wie jetzt in der Sonne stehst, bist du fast nicht zu sehen, sondern nur eine Aura aus Gold.“
Sie lächelte dann, legte ihre Hände in seine und sagte: „Ich bin so froh mit dir, Karl-Heinz.“
Sagte er diese ausgefallene Sache wirklich "manchmal", also wiederholt?
joar, ich bin ja auch ein Fan präziser Sprache (was nicht bedeutet, dass ich das immer gut hinkriege), aber hier weiß ich nicht, ob man das nun so wortwörtlich auf die Goldwaage legen muss. Also ja, er sagt diese ausgefallene Sache manchmal, nämlich oft im Sommer, wenn sie eben in der Sonne steht. Kennst du nicht, dass Menschen sich wiederholen? Ob er es nun ganz genauso sagt, denn es steht ja in Anführungsstrichen, das sei mal dahingestellt ...

Sie fühlte sich leichter, wie ein mit Luft gefüllter Ballon,
"mit Luft gefüllt" kann man streichen, finde ich. Niemand denkt an einen schlaffen Ballon, wenn man nur Ballon sagt
Mir ging es eher um die Idee, dass der davonfliegen könnte, weil mit Helium gefüllt oder so wie Heißluftballon ... darum mit Luft, die Schwerkraft wirkt noch, ist aber geringer.

Seitdem denke ich mir immer: Man muss höllisch auf der Hut sein, sonst gerät man unter Kitsch-Verdacht. Wenn es sogar Zweig und Hesse treffen kann!
Also, ich habe definitiv eine Tendenz zu Kitsch und Pathos und versuche da eigentlich gegen an zu arbeiten. Aber nüchtern ist eben auch nicht mein Ding, ich will schon auch ein wenig schwelgen und treiben und hatte in meiner Jugend eine ausgeprägte Hesse-Phase. Da ich das aber selbst nicht einschätzen kann, bin ich darauf angewiesen, dass es mir jemand sagt.
Was genau findest du denn unglaubwürdig? Dass es ok wäre für sie zu sterben?

"Mit der Welt verbunden" und "wie ein Fisch im Wasser" würde ich mal als Phrasen klassifizieren.
Stimmt und nehm ich mal mit und denke drüber nach. Alle anderen Vorschläge/Anmerkungen von dir, auf die ich nicht eingegangen bin, hab ich übernommen.

Danke dir fürs Lesen und deinen Kommentar und
freundliche Grüße zurück,
Katta

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Katta,

nach dem Abschicken meines Kommentars hatte ich schon befürchtet, dass ich mich wahrscheinlich nicht besonders geschickt verhalten habe. Meine Gedanken waren oft eher genereller Natur und ich wollte mich nicht (nur) auf deinen Text beziehen, aber natürlich geht man davon aus, dass ich genau das tue, wenn ich meinen Kommentar nun mal hier poste. Insofern tut mir das Leid, denn du hast recht: Ich hätte, um methodisch sauber zu arbeiten, genauer zwischen generell und konkret unterscheiden und für einige Aspekte einen anderen Thread nutzen sollen.

Zum Hintergrund und Verständnis: Ich bin der impulsive Typ, auch bei Textkritik und Kommentaren. Mich interessiert, was Texte, vor allem spontan und im ersten Moment bei mir auslösen, und das versuche ich dann in den Kommentaren bewusst möglichst ungefiltert wiederzugeben. Natürlich ist dann einiges nicht in der Waage, dafür ist anderes vielleicht ehrlicher abgebildet, als wenn ich es drei Stunden überdacht und dann fünf mal selbst redigiert habe. Nichtsdestotrotz, tut mir leid, wenn ich deinem Text damit stellenweise zu Nahe getreten bin.

Dies vorweg, ist es indes nicht so, dass ich einfach nur irgendwas unter irgendeinen Text geschrieben habe. Im Gegenteil: Alle meine Gedanken finden sich in deinem Text konkret gespiegelt – zumindest nach meiner initialen Lesart. Deshalb freue ich mich über deine Rückfragen; sie eröffnen mir die Chance, noch einmal mit etwas Abstand auf alles zu gucken und hoffentlich mehr Klarheit zu stiften.

Ich gehe mal durch:

An deiner Story stößt mir [...] die Infantilisierung alter Leute auf.
müsste ich mir jetzt selbst überlegen, was du meinen könntest, worin genau die Infantilisierung siehst. Und obs am Ende das ist, was du meinst? Who knows ... Ich kann halt auch null darauf antworten

alte Leute generell scheinen gemeinhin vor allem als naive, unselbstständige und hilfsbedürftige Menschen wahrgenommen zu werden, als niedlich, und der Sound der Geschichten ist ähnlich der von Kindergeschichten.
naiv, unselbsständig und hilfsbedürftig ... naiv,ok, das kann ich nachvollziehen, auch wenn es wohl keine Beschreibung wäre, die ich so nutzen würde, aber unselbsständig? Sie lebt doch allein. Hilfsbedürftig? Wo liest du denn das raus? Sound von Kindergeschichten ... kann ich auch nachvollziehen, aber würde ich selbst nicht als Kindergeschichtensound bezeichnen, aber ja, nüchtern ist was anderes ...

Die Infantilisierung und den Kindergeschichten-Sound sehe ich in vielen Aspekten deiner Story gegeben:

1. Der Titel und der Name

Ein Titel setzt ein Thema und gibt einen Deutungsrahmen vielleicht nicht vor, aber weist ziemlich deutlich auf so einen hin. Deine Story heißt "Ilse Bilse", also wie eine Figur aus einem Kinderreim. Dieser Kosename bleibt im Text ein Leitmotiv, sodass ich zwangsläufig denken muss, dass die Protagonistin ihr Leben lang im Kontext Kindheit verhaftet geblieben ist.

Ich kenne, um mal ein Gegenbeispiel zu geben, Leute, die mich und andere Freunde irgendwann mit Anfang 20 gebeten haben, Koseformen wie "Michi" bitte nicht mehr zu nutzen, da sie sich dadurch infantilisiert fühlen. Auch bei der nun in meinem Freundeskreis ja häufiger mal stattfindenden Namensfindung für die Kinder wird stets berücksichtig, wie kindlich ein Name klingt und ob man dem irgendwann erwachsenen Kind mit einem allzu simplen und "süßen" Namen eine Freude macht. Vor allem Frauen können darunter leiden, ein Leben lang schon per Name (unterbewusst) verniedlicht zu werden, etwa im Job. Lili, Tilli, Mia, Lia ... diese ganze Reihe von solchen Namen strahlt eben nicht gerade Autorität oder Reife aus.

Wenn Karl-Heinz seine Frau ewig Ilsebilse nennt und sie das mag, einigen sich beide darauf, dass sie eine kindliche Rolle einnimmt und behält. Dazu passt übrigens auch, dass Karl-Heinz sie nicht hot findet, sondern auf eine unanzügliche Weise anziehend. Sie wiederum zieht ihren Selbstwert aus seinen poetischen Komplimenten, nicht aus dem Begehren von Männern generell. Auch das eher kindlich-jugendlich, so Kontext Schwärmerei und Liebelei. Beim ersten Date schlafen sie nicht miteinander oder haben eine andere sexuelle Interaktion, sie gehen keusch an einem Fluss spazieren.

2. Die zeitliche Struktur

In deiner Story folgt auf Kindheit und Jugend direkt das Alter. Damit fehlt die Zeit des Erwachsenwerdens und -seins, sodass man in meinen Augen interpretieren muss, dass das alles entweder nicht wirklich stattgefunden hat, oder nicht von Belang ist. Wir wissen nicht, wie deine Ilse ihr Berufsleben verbracht hat, wie sie sich gebildet hat, was sie von der Welt entdeckt hat, mit wem sie sich umgeben hat. Wir wissen vor allem nichts über ihr Sexleben, ihre Sünden und Laster, ihre Fehler, ihr Versagen, ihre Selbstzweifel, ihre Gedanken zum großen Ganzen. Kurz: Wir wissen nichts über erwachsene Felder und Dinge. Sie ist im weiteren Sinne Kind, dann ist sie alt.

Und dann fällt sie sogar noch einmal in die Kindheit zurück, betrachtet als "Unsichtbare" die Welt wieder aus Kinderaugen ...

„Die alte Hexe tut immer so ordentlich und jetzt schau dir das an“, sagte sie leise.

... verhält sich kindisch, indem sie anderen kleine, unschuldige Streiche spielt:

Ilse setzte sich zu einem Mann, der allein am Tisch saß und ein Buch las. Unbemerkt nahm sie einen Schluck von seinem Milchkaffee und stellte die Tasse auf die andere Seite des Tisches. Als seine Hand ins Leere griff und seine Augen schließlich die Tasse überrascht am anderen Ende des Tisches fanden, kicherte sie lautlos.

3. Ihre Rolle als "Frau" und Karl-Heinz

Wie gesagt, deine Ilse ist im Grunde erst Mädchen, dann ist sie alt. Die Zwischenzeit wird übergangen, außer in Hinblick auf Karl-Heinz. Dieser tritt in Märchenmanier wie ein weißer Ritter als Erlöser auf und bleibt dann Ilses einziger Glücksspender. Solange er da ist, ist sie glücklich, als er tot ist, bricht das zusammen. Du schaffst also eine abhängige und passive Fraufigur, die sich über einen Mann definiert. Das ist eine kindlich-naive Logik.

4. Die andere Frauenfigur Frau Meisenberg

Die andere Frauenfigur ist im Prinzip so gezeichnet, wie es auch Kindergeschichten mit Nebenfiguren tun: Einige Charaktereigenschaften werden herausgegriffen und bis an die Grenze zur Karikatur übersteigert. Dabei gibt es gewisse Archetypen, die immer wieder vorkommen, wie die schrullige alte Dame, der man gerne im Hausflur begegnet, wo sie ein strammes Reinheitsregime aufrechterhalten will (das männliche Pendant wäre der Typ Blockwart/Hausmeister).

Diese Frau wird in deinem Text auch in Kinder- und Teeniemanier als "die Meisenberg" adressiert.

Leise schlich Ilse an der alten Meisenberg vorbei, die den Hausflur im Erdgeschoss fegte, und war froh einem Gespräch entkommen zu sein.

Ich sage nicht, dass nicht auch Erwachsene mitunter so reden, aber das tun sie hinter vorgehaltener Hand, eben weil das ein respektloses Aufs-Korn-Nehmen ist, wie es Kids und Teenies gerne tun.

So oder so, wenn so eine Formulierung Teil der personalen Erzählstimme ist, dann sagt das aus, dass der Text diese Figur bewusst abwertet und nicht ernst nehmen will. Ergo: Sie wird zu einer personalisierten Funktion für die Handlung, wird nicht als "Mensch" ausgeleuchtet. Das ist ein einfaches Erzählschema, wie es stark in Märchen oder Kindheitsgeschichten vorkommt (vgl. Witwe Bolte und dergleichen).

5. Die Sprache

Die Sprache der Story ist bildhaft und stellenweise übererklärend. Das erinnert mich eben an Kindergeschichten. Zum Beispiel hier:

Am nächsten Morgen setzte sie ihren Lieblingshut auf den Kopf, die Sonnenbrille auf die Nase.

Es dürfte klar sein, wohin ein Hut und eine Brille gehören, aber du sprichst es aus. Das klingt halt so, als würde man einem Kleinkind die Welt erklären ... So, dann setzen wir deinen Hut mal auf dein Köpfchen ...

Unter diesen Punkt hier gehört auch das:

Es wimmelt in der Challenge auch überall von Verniedlichungen und sprechenden Verben - an der Grenze zur Kindersprache.
Wo in meinem Text (den du ja exemplarisch für die Challenge verwendest) wimmelt es von Verniedlichungen? Und mit dem Begriff sprechende Verben kann ich grad gar nix anfangen. Was bedeutet das?

Meines Wissens wird der Ausdruck "sprechende Verben" verwendet, um Verben zu beschreiben, die eine besonders klare oder anschauliche Bedeutung haben. Diese Verben tragen durch ihre Semantik deutlich zur Bildhaftigkeit oder Prägnanz eines Satzes bei. Beispiele wären "flimmern", "gleiten" oder "donnern".

In deinem Text finden sich einige solcher Verben, bspw. hier:

Wie eine Achtjährige hüpfte sie von Platte zu Platte, ohne dass die alten Gelenke knackten und knarzten.

(BTW: Womit wird das Verhalten der alten Dame hier verglichen? – Mit dem von Kindern.)

Oder hier:

Dann kicherte sie. „Hihi, ja, das wäre lustig. Stell dir das mal vor!“

Wenn ihre Geschwister laut durchs Haus tobten, rempelten sie Ilse an und riefen: „Mensch, Ilse, aus dem Weg!“

Ich beende hier mal meine Antwort zur Frage, warum ich in deinem Text eine Infantilisierung des Alters bzw. den Sound von Kindergeschichten vorfinde. Es gäbe aber sogar noch einige weitere Punkte, zum Beispiel die Motive (Luftballon), die eher schlichten Metaphern und leicht verständlichen Sprachbilder oder auch den völlig unreflektierten, in keiner Weise wissenschaftlich-kritischen Umgang mit der Tatsache, dass die Hauptfigur unsichtbar wird. Auch dadurch wird eine magische, märchenhafte Welt gezeichnet, die vielleicht nicht explizit Kinder und Jugendliche abholen soll, die man aber als Erwachsener niemals "glauben" wird. Somit funktioniert der Text nur, wenn man sich auf eine kindlich-naive Sicht bzw. Lesart einlässt, meiner Meinung nach.

+++++

Bei dir findet eine Frauenfigur ohne Ecken und Kanten erst am Lebensende zu sich selbst. (Sie ist übrigens bis dahin fast eine personifizierte Opferrolle, denke ich gerade, von der Welt übersehen ohne eigenes Zutun.)
Ach herrje. Was bedeutet denn für dich ohne Ecken und Kanten. Für mich wirfst du hier irgendwie mit Worten um dich, ohne die auch nur ansatzweise am Text entlang zu definieren, sodass ich mir jetzt wieder überlegen könnte, was genau du damit meinst. Für mich bedeutet, ohne Ecken und Kanten, glatt und perfekt ohne Makel und Schwächen ... das liest du aus der Figur heraus? Wo und wann findet sie denn zu sich selbst? Sie findet doch eben gar nicht zu sich selbst. :confused: Vermutlich kann man das acuh so lesen, dass sie ein Opfer ist, von der Welt übersehen, ich hätte aber gedacht, dass spätestens doch am Ende sehr klar wird, dass sie eben kein Opfer ist (so denn jemand ihren Lebensweg so gelesen haben würde). Wenn das jetzt viele so lesen würden wie du, also sie als Opfer, dann müsste ich definitiv noch mal ran, denn das war garantiert nicht, was ich intendiert habe.

Hierauf habe ich im Prinzip oben ja schon geantwortet. Aber weil es mir schon wichtig ist, nicht an den Kopf geworfen zu bekommen, mit leeren Worten um mich zu werfen, vielleicht doch noch mal ein, zwei Sätze ;-)

Deine Ilse macht nichts falsch, sie eckt nirgends an, sie begeht keine Fehler, sie lädt keine Schuld auf sich, sie macht sich von ihrem Mann abhängig, nachdem sie mit nicht mal zwanzig schon fast resigniert hatte. Wo ist von ihren Lebensabenteuern, ihren bestandenen Prüfungen und Herausforderungen, von ihren Leiden und Triumphen, ihren Fehden und Feindschaften, von ihren Begierden und Leidenschaften, von ihren Fehlern und dunklen Seite die Rede? – Nirgends.

Sie ist eine Figur, die vom unscheinbaren Kind zu einer so unscheinbaren Erwachsenen wird, dass es über ihr gesamtes Erwachsenenleben rein gar nichts zu erzählen gibt, außer, dass ihr Mann an ihrer Seite war. Also ich weiß wirklich nicht, wie man mein Urteil über die Figur in seinem Tenor in Frage stellen kann.

Auch dass du das hier antwortest, verwirrt mich ehrlich:

Wo und wann findet sie denn zu sich selbst? Sie findet doch eben gar nicht zu sich selbst.

und erwischt überhaupt gar nicht die letzte Ausfahrt ...

Ich lese den Text so, dass sie irgendwann ihre Unsichtbarkeit (= ihr Wesen) erkennt und daraufhin erst im hohen Alter beginnt, (pro)aktiv, abwechselungsreich und genussvoll zu leben. Von solchen Dingen ist ja vorher nicht die Rede, sodass ich das als sehr späte Emanzipation interpretieren muss. Sie setzt endlich selbst den Ton und probiert sich aus.

weil ich nicht nachvollziehen kann, wovon sie eigentlich in der Tiefe handeln.
guck, ich dachte, das würde klar, wovon der Text handelt.

Mir fehlt da der Ernst und der erwachsene Blick - und das unterschwellig Moralische im Sinne eines "Siehste mal! So kann es auch laufen!" nervt mich. So als müsste mal gezeigt werden, wie das Alter auch aussehen kann. Es wird wie mit Klischees aufgeräumt, die man indes zuvor selbst festgelegt hat.
Was du da an Moral rausliest, versteh ich auch nicht. Was kann wie laufen? Wie genau kann das Alter auch aussehen? Das man einsam sein kann? Dass Einsamkeit ein Klischee ist? Sorry, ich versteh kein Wort.

Damit meine ich in etwa Folgendes: Ich kann mich in die Situation der Dame wirklich 0,0 hineinversetzen, denn in meinen Augen erntet sie, was sie selbst gesät hat: Sie hat sich zu sehr auf ihren Mann verlassen und es nicht geschafft, eigene Lebensinhalte und ein funktionierendes soziales Netz zu schaffen.

Aber gut, mit dem Thema Einsamkeit und Reue im Alter mag ich mich aus der Außenperspektive noch anfreunden. Ich weiß allerdings ehrlich nicht, was diese ganze Unsichtbar- und Aufblüh-Geschichte überhaupt wirklich aussagen soll: Wenn du verschwindest, erscheinst du? Kurz vor dem Tod geht es noch mal ab? Man muss sich nur selbst annehmen, dann läuft's? Das sind alles irgendwie unterkomplexe Thesen für mich.

Mir fehlt da der Ernst und der erwachsene Blick - und das unterschwellig Moralische im Sinne eines "Siehste mal! So kann es auch laufen!" nervt mich. So als müsste mal gezeigt werden, wie das Alter auch aussehen kann. Es wird wie mit Klischees aufgeräumt, die man indes zuvor selbst festgelegt hat.

Für mich schafft die Story ein absolutes Extremszenario – Alte Frau ohne Mann, Familie, sonstige Kontakte und Interessen – das dann durch ein anderes Extremszenario als Lösung aufgehoben wird – Heureka-Moment oder sogar magischer Moment und plötzlich ist alles gut.

Aber vielleicht kapiere ich den Text auch einfach nicht, was seine Moral angeht. Dann wäre ich gespannt, wie die intendiert ist von dir – und wie sie dann einem Abgleich mit "der Realität", die ja immer ambivalent, komplex und auch widersprüchlich ist, standhält.

Am Ende ist das nämlich für mich die entscheidende Frage bei Texten: Helfen Sie mir, die Welt besser zu verstehen und/oder finde ich mein Erleben in ihnen gespiegelt. Weder das eine, noch das andere ist bislang hier der Fall.

Also, ganz ehrlich, ich frage mich gerade, ob du was in den Text reinliest, was einfach nicht drinsteht. Gibt es in deinem Welterleben keine netten Menschen? Ich kenne nette Menschen, die findet man in allen Altersgruppen. Sind die immerzu nur nett? Nein, aber so grundsätzlich könnte man sie so beschreiben. Meine eine Oma war sehr nett (ich würde eher sagen: freundlich und warmherzig und fürsorglich) und meine andere Oma war sehr distanziert und emotional kühl und ich wäre niemals an ihren Schrank gegangen, um mir ein Glas rauszunehmen, wenn ich Durst gehabt hätte. Ich hätte sie auch nicht nach etwas zu trinken gefragt. Ich habe ein FSJ in einem Altersheim gemacht. Auch da gab es nette und nicht so nette Menschen.

Klar, gibt es in meinem Welterleben nette Menschen. Aber nicht in dem Sinne, dass sie rundum nett und gut und moralisch einwandfrei sind. Alle Menschen haben Schwächen und Fehler und unliebsame Eigenheiten und an Literatur und Kunst im Allgemeinen interessiert mich die Ausleuchtung dieser oft verborgen liegenden Räume und die Thematisierung von Ambivalenz.

Wenn wir also mal von deiner Ilse ausgehen, einer Witwe, die ohne ihren Mann und ihre sonstige Familie einsam ist. Mich würde ihr eigener kritischer Rückblick auf ihr Leben interessieren, das am Ende in diese Bredouille geführt hat. Wo hat sie sich vielleicht aus Trägheit zu sehr zurückgelehnt? Welche Gelegenheit hat sie verpasst? Und wo sabotiert sie sich vielleicht aus Gründen selbst, sodass sie ihre Lage selbst aufrecht erhält? So was würde mich interessieren, nicht ein irgendwie vages Abdriften in Magie bzw. in eine sehr weitgefasste Metaphorik.

Das Challenge-Thema ist Alter, allein der Titel ist Verulkung. Ich hab in deinen Text jetzt bisher nur reingelesen, meine aber, du schreibst nicht aus der Perspektive einer älteren Person. Ich glaube, das macht es einfacher ...

Das ist sicher richtig.

Seitdem denke ich mir immer: Man muss höllisch auf der Hut sein, sonst gerät man unter Kitsch-Verdacht. Wenn es sogar Zweig und Hesse treffen kann!
Also, ich habe definitiv eine Tendenz zu Kitsch und Pathos und versuche da eigentlich gegen an zu arbeiten. Aber nüchtern ist eben auch nicht mein Ding, ich will schon auch ein wenig schwelgen und treiben und hatte in meiner Jugend eine ausgeprägte Hesse-Phase. Da ich das aber selbst nicht einschätzen kann, bin ich darauf angewiesen, dass es mir jemand sagt.
Was genau findest du denn unglaubwürdig? Dass es ok wäre für sie zu sterben?

Es geht nicht um die Glaubwürdigkeit der Idee bzw. des Inhalts, sondern um die Form. Ich sehe so eine Szene und so ein inneres Erleben einfach nicht passieren:

Sie fühlte sich leichter, wie ein mit Luft gefüllter Ballon, streckte die Arme aus und wickelte sich in diesen kühlen Morgen, an dem sie unsichtbar und die Schwerkraft weniger geworden war. Ihr Haar strich über die Schultern und sie stellte sich vor, dass es Karl-Heinz‘ Hände wären. Vielleicht, dachte sie, habe ich mein ganzes Leben für diesen Augenblick geübt. Was sollte sie jetzt tun? Würde sie jeden Tag ein bisschen leichter werden, bis sie sich auflöste? Leichter wäre als Luft und hoch in den Himmel stiege? Wenn ja, so war es ihr recht.

Da fliegt meine Vorstellung in eine Filmszene mit weichgezeichneter Kamera, die um eine Frau mit ausgebreiteten Armen und wehendem Haar in einem lichtdurchfluteten Raum kreist, dazu helle Klaviermusik. Vielleicht hebt sie dann noch ein wenig vom Boden ab und man sieht ihre nackten Füße in der Luft hängen.

+++++

Ich hoffe, ich konnte alle deine Nachfragen nun anhand deines Textes beantworten.

Freundliche Güße

HK

 

Hallo @FlicFlac,
vielen Dank fürs Lesen und deinen Kommentar. Freut mich natürlich, dass du die Geschichte gelungen findest und lieben Dank, dass du auch noch für dich besonders gelungene Stellen herauszitiert hast.

Hervorragender erster Satz! Kurz, interessant, macht neugierig. (Ich würd das 'ein' btw stehenlassen, für mich klingt das leicht besser als ohne). Manches ist eben Geschmackssache.
Ja, bei dem ein überlege ich noch. Danke für die Rückmeldung dazu. Ich frag mich, ob das überhaupt korrekt ist: sich ins Leben fügen (müsste es nicht heißen: sich dem Leben fügen?) oder sich ins Leben einfügen ...
Hier doch ein Vorschlag, dieses 'so' würde ich eventuell streichen, das zieht es zu sehr ins Klamottige, also nur nur "Ich bin froh mit dir." Vielleicht auch ohne 'Karl-Heinz'; der Ton, in dem das erzählt wird, funktioniert auch ohne diese 'Unterstreichung', meinem Gefühl nach.
Ja, ich weiß, was du meinst. Ich bin froh mit dir - klingt für mich aber auch irgendwie seltsam. Ich lass jetzt mal das so, aber lösch den Namen ...

Der Absatz gefällt mir sehr gut. Einzig der letzte Satz ist meinem Gefühl nach unnötig. Muss nicht zwingend raus, aber ich finde das Ende des Absatzes bei 'für diesen Augenblick geübt' besser gesetzt.
Stimme dir zu. hab ich gelöscht, auch das "allein" aus einem anderen Vorschlag von dir.

Hallo @Sturek,
auch dir lieben Dank fürs Lesen und deinen Kommentar.

Die Story erinnerte mich irgendwie an „Der Mann, der durch die Wand gehen konnte“, aber hier natürlich mit einem ganz anderen Thema.
Den musste ich googeln und hab einen Film mit Heinz Rühmann gefunden ... Den meinst du wahrscheinlich, oder?

Ich lese deine Geschichte als eine Art Parabel über einen dieser unscheinbaren Menschen, die ihr Leben so vor sich hin leben, nie groß auffallen, keine herausragende Stellung im Beruf hatten, nicht in der Zeitung auftauchen und die trotzdem ihr geheimes, einzigartiges Leben führen – nur, dass es keiner bemerken will. Am Ende sterben sie irgendwann, ebenfalls kaum bemerkt und ohne Spuren zu hinterlassen.
Ja und nein, denn letztlich leben doch die meisten Menschen (mich eingeschlossen) so vor sich hin fallen nie groß auf, haben keine herausragende Stellung im Beruf ... und doch, wie du schreibst, führen ihr einzigartiges Leben, aber wer sollte das bemerken?

Der Schritt von der Unscheinbaren zur Unsichtbaren ist klein und nachzuvollziehen. Das Alleinsein nach dem Tod von Karl-Heinz ist der Motor, der die Steigerung in Gang setzt. Wer einsam ist, wird von niemandem beachtet, ist quasi unsichtbar. Nur, wer selbst einsam ist wie Frau Meisenberg, kann einen dann noch wahrnehmen. Traurig, wenn es wirklich so wäre.
Ja, finde schön, wie du es liest ...

Der Name Ilse Bilse will aber meiner Meinung nach nicht recht passen. Ilse Bilse, die keiner will, ja, aber weil sie unscheinbar ist? Und Ilse hat doch ihren Karl-Heinz gefunden, der sich sogar als Volltreffer entpuppt.
Du meinst im Titel oder generell? Falls das ein Kommentar zum Titel ist: ich hasse Titel, wirklich, ich kann das nicht. Ich habe auch überlegt, den Text, Die Unsichtbare zu nennen, aber das war nun auch nicht der Burner. Keine Ahnung, wirklich ...

Hier stelle ich mir einen in der Luft schwebenden Apfel vor. Sehr unauffällig.
Yep. Ich werde wohl noch einfügen (weil auch greenwitch darüber gestolpert ist), dass sie wieder auf dem Friedhof ist, da ist nicht so viel Betrieb ...

„Die Schwerkraft war weniger geworden“ Solche Konstruktionen mit weniger tun mir fast körperlich weh, aber vielleicht geht das nur mir so? „Die Schwerkraft hatte abgenommen“ oder "war schwächer geworden" ist eleganter.
Ja, da muss ich noch mal überlegen. weniger oder schwächer macht für mich nicht so den Unterschied tatsächlich. Ich mag abgenommen hatte, aber dann funktioniert die Ellipse mit unsichtbar geworden war nicht ... darum überlege ich da mal noch
Hatte sie sich vorher nicht aus der Wohnung getraut?
Gute Frage, so war es ursprünglich gedacht, aber ich weiß mittlerweile gar nicht mehr genau, warum ... ich denk noch mal nach ...

Kann man laut schleichen?
hehe, das ist mir selsbt auch schon aufgefallen ... hab ich geändert

Noch mal herzlichen Dank und kommt gut in die Woche!
Viele Grüße
von Katta

 

„Ilse Bilse, keiner willse, kam der Koch, nahmse doch, weilse so nach Zwiebeln roch.“
Da muss ich ja reinschau’n,

liebe @Katta,

wenn hierorts eine gereimte Figur sowohl aus Kinder- und Volksmund bis hin in die Feder eines deutschsprachigen Nobelpreisträgers der Literatur (und , das so nebenbei) meiner bescheidenen Feder auftaucht und mir zudem gefällt, wobei eine kleine würde-Flut sich m. E. vermeiden ließe ...

Sie begann zu glauben, dass sie nie einem Mann begegnen würde, der sie bemerkte, dass sie für den Rest ihres Lebens allein bleiben und unsichtbar zwischen all den Familien in der Stadt umherstreifen würde.
wo ein indikatiefes „werden“ eine stärkere Rolle übernimmt anstelle des einem angloamerikanishen „would“ nachgebildeten Konjunktivs, wenn etwas wird oder eben nicht

„Ich versuchs!“, sagte sie.
Empfehlung: „versuch’s“

In der Wohnung angekommen, atmete sie erleichtert auf und verstaute die Einkäufe.
Komma weg!

Illse spürte Krümel unter ihren nackten Füßen, während sie durch den kleinen Flur ins Wohnzimmer ging.
Warum auf einmal doppel-l?,

fragt sich der

Friedel

 

Hallo @Katta

Nur kurz eine Rückmeldung zu deinen Fragen.

Den musste ich googeln und hab einen Film mit Heinz Rühmann gefunden ... Den meinst du wahrscheinlich, oder?
Nein, ich meinte die sehr lesenswerte Novelle von Marcel Aymé: "Der Mann, der durch die Wand gehen konnte". Mit dem rührseligen Film hat das nicht viel zu tun.
Du meinst im Titel oder generell?
Ich meinte generell. Die Geschichte würde meiner Ansicht nach auch sehr gut ohne den Bezug zum Kinderreim funktionieren.

Grüße
Sturek

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo liebe @Placidus,
ich hab in letzter Zeit so die Tendenz, Texte zu schreiben, die ich mir im Nachhinein noch erarbeiten muss und bei diesem Text hier hat mir dieser Satz hier total geholfen:

wie schön - ein Märchen! Oder so.
Nach dem Kommentar von @H. Kopper hab ich mich gefragt, was für ein Text will das denn sein? Und ich denke, mit Märchen triffst du es gut, aber das ist mir auch erst nach deinem Kommentar so aufgegangen, und ich habe das jetzt auch einfach noch mal als Tag gewählt, obwohl ich keine Ahnung von Märchen habe (und vielleicht noch jemand kommt und erklärt, warum das eben kein Märchen ist - und falls das so sein sollte, bin ich dafür natürlich offen und neugierig, ich lerne immer gerne dazu) und es nicht explizit als Märchen verfasst habe.

ich vertraue mich dem Text gern an.
hehe, das klingt gut

Ich weiß, der Satz gefällt, aber ich habe keine Ahnung, was für ein Bild ich mir da vorstellen kann. Ich kenne keine Ölgemälde mit eingefügter Bleistiftzeichnung. Vielleicht stehe ich einfach auf der Leitung.
Ja, der Einstiegssatz ... es würde wohl niemand eine Bleistiftzeichnung in ein Ölgemälde einfügen - denke ich - die Bleistiftzeichnung würde total untergehen, wäre auf den ersten Blick sicher unsichtbar - außer man schaut ganz genau hin ... ich finds schon irgendwie treffend, aber wer weiß, was noch so passiert ...
wie ein mit Luft gefüllter Ballon,
Auch ein Bild, das ich nicht zusammenbringe, wie fühlt sich ein mit Luft gefüllter Ballon?
:D stimmt, da muss ich noch mal gucken, ich weiß auch nicht, ob es transportiert, was es transportieren soll: dass eben die Schwerkraft geringer geworden ist ... vielleicht fliegt es einfach ganz raus ...
hinterließ überall Gänsehaut, die sie ignorierte
Mir nicht ganz klar, wie es sich äußert, wenn ich eine Gänsthaut ignoriere. Aber sehr deutlich ist der nächste Satz, nämlich, dass sie sich nicht erkälten wird.
ein Satz, an dem ich rumgedoktort habe, weil es für mich auch nicht richtig passt, weder so noch so ... Aber wenn du sagst, der nächste Satz reicht, fliegt der vielleicht auch einfach raus ...
hre Eltern und drei der vier älteren Geschwister waren bereits verstorben. Nur ihre Schwester Clara lebte noch in einem Pflegeheim im weit entfernten Zwickau.
Da möchtest du gern die Einsamkeit erklären. Brauchst du nicht. Clara kommt eh nicht vor.
Hab ich schon gelöscht ...
„Hihi, ja, das wäre lustig. Stell dir das mal vor!“
Hm, habe ich nicht verstanden - das sagt sie zu sich selbst?
Ja, da sind, glaub ich, ein paar gestolpert. Ja, sie redet mit einer imaginären Figur, wird aber wohl nicht klar ... Guck ich mir auch noch mal an ...

Lieben Dank, Placidus, und viele Grüße an dich!

Hallo @H. Kopper,

Nichtsdestotrotz, tut mir leid, wenn ich deinem Text damit stellenweise zu Nahe getreten bin.
Ach, Quark, du bist meinem Text nicht zu nahe getreten ...

Alle meine Gedanken finden sich in deinem Text konkret gespiegelt – zumindest nach meiner initialen Lesart. Deshalb freue ich mich über deine Rückfragen; sie eröffnen mir die Chance, noch einmal mit etwas Abstand auf alles zu gucken und hoffentlich mehr Klarheit zu stiften.
Und vielen Dank, dass du noch mal erklärst, was du meinst, damit ich es besser nachvollziehen kann.
Ich glaube, mein Problem liegt auch in dem Wort Infantilisierung - für mich ist das klar negativ konnotiert. Du führst dann aus, wo du die Infantiliesierung siehst und ich geh mal deine Punkte durch:
Ein Titel setzt ein Thema und gibt einen Deutungsrahmen vielleicht nicht vor, aber weist ziemlich deutlich auf so einen hin.
Im besten Fall ;)
Bitte leg mich nicht auf den Titel fest, ich hasse es, Titel finden zu müssen. Nichtsdestotrotz stimmt, dass der Titel einem Kinderreim entliehen ist ...
Dieser Kosename bleibt im Text ein Leitmotiv, sodass ich zwangsläufig denken muss, dass die Protagonistin ihr Leben lang im Kontext Kindheit verhaftet geblieben ist.
Ja und nein, denke ich. Der Kosename bleibt im Rahmen der Beziehung zum Mann erhalten. Ich denke, dass die Regression des Erwachsenen ein Teil von romantischen Beziehungen ist (also zeitlich gedacht, dass es immer Momente gibt, in denen wir in solchen Beziehungen regredieren), darum würde ich den in der Beziehung erhaltenen Kosenamen nicht als Beweis dafür ansehen, dass sie ihr Leben lang ein Kind geblieben ist. Und auch der Vergleich mit den Freundschaften hinkt mMn, weil romantische Beziehungen (für mich) darüber hinausgehen und ich glaube, dass man sich in (guten und sicheren) Paarbeziehungen viel mehr Schwäche oder um mal beim Namen zu bleiben: Kindlichkeit zu erleben erlaubt.

Wenn Karl-Heinz seine Frau ewig Ilsebilse nennt und sie das mag, einigen sich beide darauf, dass sie eine kindliche Rolle einnimmt und behält. Dazu passt übrigens auch, dass Karl-Heinz sie nicht hot findet, sondern auf eine unanzügliche Weise anziehend. Sie wiederum zieht ihren Selbstwert aus seinen poetischen Komplimenten, nicht aus dem Begehren von Männern generell. Auch das eher kindlich-jugendlich, so Kontext Schwärmerei und Liebelei.
Das kann man so lesen, muss man aber nicht. Es steht nichts davon im Text, dass er seine Frau ewig Ilsebilse nennt. Er sagt nicht: Weißt du, Ilsebilse, wenn du so wie jetzt in der Sonne stehst ... Er nennt sie hier Ilse ... ich denke auch nicht, dass sie ihren Selsbtwert aus seinen poetischen Komplimenten zieht - wo genau macht er ihr denn überhaupt ein Kompliment?

Beim ersten Date schlafen sie nicht miteinander oder haben eine andere sexuelle Interaktion, sie gehen keusch an einem Fluss spazieren.
:D da sag ich jetzt mal nichts zu, dass kein Sex beim ersten Date ein Hinweis auf Kindlichkeit ist
In deiner Story folgt auf Kindheit und Jugend direkt das Alter. Damit fehlt die Zeit des Erwachsenwerdens und -seins, sodass man in meinen Augen interpretieren muss, dass das alles entweder nicht wirklich stattgefunden hat, oder nicht von Belang ist.
Das stimmt, auf Jugend folgt Alter. Diese beiden Zeiten, die Kindheit und das Alter, sind von Ilses Unscheinbarkeit/Unsichtbarkeit bestimmt. Die Zeit des Erwachsensseins hab ich ausgespart, weil es im Rahmen dieser Geschichte vom Thema Unsichtbarkeit abgelenkt hätte und einen anderen Fokus bedeutet hätte bzw, wie du schreibst, nicht von Belang ist. Ich denke, hier stellt sich die Frage, die du später auch aufwirfst, was will das für ein Text sein? Du hast Recht, dass wir über die Zeit zwischen 20 und 70 (oder wie alt auch immer sie ist) nicht viel wissen und nichts darüber sagen können welche Rolle der Mann (außer als jemand, der sie sieht), der Job, die Geschwister etc. gespielt haben. Und ja, es stimmt auch, dass sie ein eher kindliches Verhalten zeigt bzw dieses beschrieben wird.

Die Zwischenzeit wird übergangen, außer in Hinblick auf Karl-Heinz. Dieser tritt in Märchenmanier wie ein weißer Ritter als Erlöser auf und bleibt dann Ilses einziger Glücksspender. Solange er da ist, ist sie glücklich, als er tot ist, bricht das zusammen. Du schaffst also eine abhängige und passive Fraufigur, die sich über einen Mann definiert. Das ist eine kindlich-naive Logik.
Auch das stimmt. Und ich habe mich tatsächlich auch gefragt, ob man (ich als Frau) das so schreiben darf. Aber ja, warum nicht? Meine Intention war aber natürlich nicht, eine von einem Mann abhängige Frau darszustellen (und das als gut zu befinden), sondern eine Frau mit (k)einer Beziehung zur Welt. Die hat sie subjektiv erst, als sie unsichtbar ist und als ihr das durch den Winter genommen wird, fällt sie wieder zurück in ihre Kindlichkeit (Ja, stimmt!). Es ist aber nicht das Alter das von mir als kindlich oder wat dargestellt wird (bzw dass ich so darstellen wollte --> ob das nun geklappt hat, ist ja wieder eine andere Frage), sondern eine Person, die es offenbar nie so richtig geschafft hat, in Kontakt mit ihrer Umwelt zu kommen (- und ich finde es abwertend gegenüber dieser Person und allen anderen, die das schwierig finden, das als infantil zu bezeichnen - das nur als Erklärung, warum ich mit dem Begriff Infantilisierung so ein Problem habe/hatte.)

So oder so, wenn so eine Formulierung Teil der personalen Erzählstimme ist, dann sagt das aus, dass der Text diese Figur bewusst abwertet und nicht ernst nehmen will. Ergo: Sie wird zu einer personalisierten Funktion für die Handlung, wird nicht als "Mensch" ausgeleuchtet. Das ist ein einfaches Erzählschema, wie es stark in Märchen oder Kindheitsgeschichten vorkommt (vgl. Witwe Bolte und dergleichen).
Du liest "die Meisenberg" in dem Kontext von Infantilisierung und es darf ja jeder lesen, wie er will. Ich lese das im Rahmen von Beziehung, denn während die Nachbarin am Anfang "die meisenberg" genannt wird, ändert sich das hin zu: die Nachbarin und Inge Meisenberg - ich hatte also gehofft, über die Bezeichnung des Erzählers eine Veränderung in der Beziehung deutlich machen zu können. D.h. nicht der Text wertet die Nachbarin ab, sondern am Anfang die Prota (zumindest war es so gedacht). Außerdem habe ich in der Zwischenzeit den Tag "Märchen" hinzugefügt, vielleicht erleichtert das auch noch mal die Herangehensweise an den Text bzw macht deutlich, was für ein Text das ist.
Am nächsten Morgen setzte sie ihren Lieblingshut auf den Kopf, die Sonnenbrille auf die Nase.
Es dürfte klar sein, wohin ein Hut und eine Brille gehören, aber du sprichst es aus. Das klingt halt so, als würde man einem Kleinkind die Welt erklären ... So, dann setzen wir deinen Hut mal auf dein Köpfchen ...
:D Das ist etwas anderem geschuldet und das habe ich geändert.
Ich beende hier mal meine Antwort zur Frage, warum ich in deinem Text eine Infantilisierung des Alters bzw. den Sound von Kindergeschichten vorfinde.
hehe, ja, du machst keine halben Sachen ... deine Erläuterungen waren auf jeden Fall hilfreich.
Auch dadurch wird eine magische, märchenhafte Welt gezeichnet, die vielleicht nicht explizit Kinder und Jugendliche abholen soll, die man aber als Erwachsener niemals "glauben" wird. Somit funktioniert der Text nur, wenn man sich auf eine kindlich-naive Sicht bzw. Lesart einlässt, meiner Meinung nach.
magisch, märchenhafte Welt - ja, absolut, aber Texte funktionieren ja grundsätzlich nur, wenn man sich darauf einlässt. Deine suspension of disbelief ist natürlich schon eine Voraussetzung und hier bin ich nicht sicher, ob es eben einfach nicht dein Text ist (ich hatte ja seltsam getaggt und jetzt noch Märchen hinzugefügt) oder der Text - unter der Prämisse, dass du ihn schon so liest, wie er eben sein soll - also so ein bisschen außerhalb der Zeit und märchenhaft - an sich nicht funktioniert. Ich tendiere da gerade eher zum ersten, auch aufgrund dessen, was du im Anschluss noch schreibst.

Ich lese den Text so, dass sie irgendwann ihre Unsichtbarkeit (= ihr Wesen) erkennt und daraufhin erst im hohen Alter beginnt, (pro)aktiv, abwechselungsreich und genussvoll zu leben. Von solchen Dingen ist ja vorher nicht die Rede, sodass ich das als sehr späte Emanzipation interpretieren muss. Sie setzt endlich selbst den Ton und probiert sich aus.
Ich will dir deine Leseweise nicht absprechen, aber für mich erkennt sie ihr Wesen eben nicht. Sie erlebt (dank der tatsächlichen Unsichtbarkeit) so etwas wie Freiheit und kann dadurch Leichtigkeit, Lebensfreude usw empfinden. Aber das alles findet ausßerhalb jeder Beziehung statt.

Damit meine ich in etwa Folgendes: Ich kann mich in die Situation der Dame wirklich 0,0 hineinversetzen, denn in meinen Augen erntet sie, was sie selbst gesät hat: Sie hat sich zu sehr auf ihren Mann verlassen und es nicht geschafft, eigene Lebensinhalte und ein funktionierendes soziales Netz zu schaffen.
Ja, absolut. Da stimmen wir in unserer Lesart wieder überein. Sie erntet, was sie selbst gesät hat. Und am Ende bleibt - für mich - ungewiss, ob sie es schafft, mit der Nachbarin in Beziehung zu treten. Denn der Winter zeigt, dass ihre Unsichtbarkeit eben gar kein Problem gelöst hat, sondern nur eine Illusion war ... es ist für mich keine Aufblühgeschichte, und sie ist mir auch nicht unbedingt sympathisch (ich finde zb unsympathisch wie sie die Nachbarin abwertet und nicht mit ihrer Einsamkeit konfrontiert werden will - im Sommer, nur um sich dann im Winter doch in ihre Wohnung zu schleichen), aber ich habe schon Mitgefühl mit ihr, weil sie es nie schafft, wirklich mit jemanden in Beziehung zu treten (Interpretation von mir, steht so nicht im Text). Aber du liest es offenbar ganz anders, was auch gut ist - und vielleicht könnte ich das an der einen oder anderen Stelle etwas klarer machen, um die Gefahr zu vermeiden, dass als Aufblühgeschichte zu lesen, sondern die Tragik der Figur (die sie aus meiner Sicht hat) klarer durchkommt, aber auf den Holzhammer will ich halt auch nicht zurückgreifen.

Ich hoffe, ich konnte alle deine Nachfragen nun anhand deines Textes beantworten.
Ja, vielen Dank für deine Mühe. Das hat auf jeden Fall geholfen und ich sehe durchaus einiges wie du, an anderen Stelle lese und interpretiere ich anders. Ich werde aber deine Sichtweise mitnehmen und schauen, ob ich das noch etwas auflösen kann. Und ich hoffe, es war für dich nun nicht so, dass ich deine Gedanken vom Tisch gewischt habe mit "Das soll so!"

Viele Grüße,
Katta

 

Hallo Katta,
ein ganz eigenartiges, melancholisches Märchen hast du geschrieben. Schon bei der Geschichte "Das Haus" hattest du so einen besonderen Ton, der mir gut gefallen hat. Es gibt hier eine Erzählerin, die durchaus auch kommentierend erzählt. Insgesamt finde ich das rund, obwohl es von der Spannung her für mich fast durchgängig auf einer Linie bleibt, vielleicht auch deswegen, weil die Geschichte getragen wird von der Bedingungslosigkeit, mit der die Ilse ihr Schicksal annimmt. Wer selbst auf "Unsichtbarwerden" so gleichmütig reagiert, dem kann eigentlich kaum noch etwas passieren. Trotzdem gibt es da das Thema Einsamkeit und ihre Trauer um ihren Mann.

Es gab aber auch Momente, in denen Ilse sich wünschte, tatsächlich unsichtbar zu sein.
Das ist von Anfang an ambivalent mit der Unsichtbarkeit.
Doch da kam Karl-Heinz, der kein Koch war, aber sie ansah, wie niemand sie je angesehen hatte. Am Mittwoch verkaufte sie ihm einen Hut, am Donnerstag einen zweiten, am Freitag einen dritten. Am Samstag holte er sie schließlich nach Dienstschluss vom Hutgeschäft ab und sie gingen an der Karthane spazieren.
Ja, das ist so Märchen. Dreimal kauft er Hüte. Hutverkäuferin passt natürlich auch, ein altmodischer Beruf.
Vielleicht, dachte sie, habe ich mein ganzes Leben für diesen Augenblick geübt. Was sollte sie jetzt tun? Würde sie jeden Tag ein bisschen leichter werden, bis sie sich auflöste? Leichter wäre als Luft und hoch in den Himmel stiege? Wenn ja, so war es ihr recht.
Ja, man ist gleichzeitig froh, dass es ihr nichts ausmacht und befremdet. Sie ist sehr fremd, das ist es glaube ich, reagiert anders als man reagieren würde.
Wie eine Achtjährige hüpfte sie von Platte zu Platte, ohne dass die alten Gelenke knackten und knarzten. Ilse ging zum Friedhof, sprach zu den Enten, die auf der Wiese beim Teich Mittagsschlaf hielten, ging zum Grab von Karl-Heinz und flüsterte ihm zu, wie sehr sie ihn liebte.
„Was soll nur werden, Karl-Heinz?“, fragte sie.
Sie wusste, was er sagen würde: Was werden soll, das wird. Mach dir nicht so viele Sorgen, Ilsebilsekeinerwillse!
okay, dass ist natürlich ein echter Gewinn, wenn man ein Gespenst wird.
Ihr Schicksal hatte sich erfüllt und zum ersten Mal im Leben fühlte sich Ilse ganz und gar mit der Welt verbunden, bewegte sich in ihr wie ein Fisch im Wasser.
Hier kommentiert ja die Erzählerin und es klingt vollkommen paradox. Eigentlich würde man denken, dass diese Unsichtbarkeit sie von der Welt trennt. Ein bisschen durch diese Mobbing-Geschichte am Anfang, wabert da auch das Thema "Angst vor Menschen", so dass nur ihr Karl-Heinz ihr Sicherheit geben konnte, aber ich glaube, dass ist so schräg daneben, ich weiß nicht, ob man versuchen sollte, das so psychologisch zu deuten. In dem Fall würde sie sich ja auch etwas vormachen und hier heißt es klar: "Ihr Schicksal hatte sich erfüllt."
Die Wohnung war überraschend unordentlich. Illse spürte Krümel unter ihren nackten Füßen, während sie durch den kleinen Flur ins Wohnzimmer ging. „Die alte Hexe tut immer so ordentlich und jetzt schau dir das an“, sagte sie leise.
Sogar eine Hexe kommt vor. :lol:
Ich weiß, ich weiß. Die Gören aus dem dritten laufen immer mit ihren Matschbotten durchs Treppenhaus.“ Dann kicherte sie. „Hihi, ja, das wäre lustig. Stell dir das mal vor!“
Ob sie auch mit ihrem Mann redet?
Es stank nicht nur nach alter Wäsche und abgestandener Luft, sondern auch nach Einsamkeit und davon wollte Ilse nichts sehen, hören oder riechen. Sie wollte ein Teil der Welt sein, das Leben in ihrem unsichtbaren Körper spüren und den Sommer genießen.
Ja, ist schon ein bisschen, als ob sie vor dem Thema davonläuft.
Nach dem Sommer kam der Herbst und mit ihm die Kälte. Ilse verließ die Wohnung nur noch, um einkaufen zu gehen oder Karl-Heinz zu besuchen. Geschichten hatte sie keine mehr zu erzählen und so war alles, was blieb: „Ich bin so einsam ohne dich!“
Und jetzt passiert nichts besonderes, es ist nur der Winter, der die gute Stimmung zerstört.
Wenn Ilse mit der Nachbarin fern sah, setzte sie sich neben den Berg Wäsche, der immer auf dem Sofa lag, manchmal alt und muffig roch, manchmal frisch gewaschen. Und wenn Inge Meisenberg vor dem Fernseher einschlief, machte Ilse ein bisschen Ordnung. Sie spülte etwas Geschirr, befreite den Couchtisch von Krümeln oder goss die Pflanzen.
Schon schräg diese ganze Szenerie, man fragt sich auch ein bisschen, ob das jetzt ewig so weiterplätschert, länger hätte das nicht sein dürfen.
Anfang Dezember saß Ilse auf dem Sofa, neben einem Berg frischer Wäsche. Sie sah mit Inge Meisenberg eine Quizshow und versuchte die Kälte, die ihre Schultern zittern ließ, zu ignorieren. Die Nachbarin stand auf, ging ins Schlafzimmer, kam mit einer Wolldecke zurück und warf sie aufs Sofa. „Hier!", sagte sie. "Ich weiß, dass Sie da sind."
Sehr, sehr cooles Ende. Hat sie nicht anfangs gesagt: "Ich weiß doch, dass Sie da sind."? Das hätte mir noch besser gefallen.
Dass sie da im Prinzip nackt auf dem Sofa sitzt hatte ich mir auch nicht mehr so klargemacht. Und dass diese Nachbarin jetzt auch noch so völlig ungerührt reagiert - echt super.
Ja, es ist die besondere Weltsicht der Protagonistin, die den Reiz dieses Märchens ausmacht, die immer auch Erwartungen unterläuft, aber für die Person völlig stimmig ist.
Ich habe das gerne gelesen.

Liebe Grüße von Chutney

 

Hallo @Friedrichard,
danke dir fürs Lesen und deinen Kommentar. Habe die Fehler ausgemerzt, bis auf jenen:

Sie begann zu glauben, dass sie nie einem Mann begegnen würde, der sie bemerkte, dass sie für den Rest ihres Lebens allein bleiben und unsichtbar zwischen all den Familien in der Stadt umherstreifen würde.
wo ein indikatiefes „werden“ eine stärkere Rolle übernimmt anstelle des einem angloamerikanishen „would“ nachgebildeten Konjunktivs, wenn etwas wird oder eben nicht
Finde es klingt wirklich merkwürdig: Sie begann zu glauben, dass sie nie einem Mann begegnen wird [...], dass sie ... umherstreifen wird. Das "begann zu glauben" bedeutet doch eine Möglichkeit und/oder einen Zweifel - und das wird doch mit Konkunktiv angezeigt, oder nicht? Kann aber auch sein, dass es sich nur komisch anhört, weil ich mich dran gewöhnt hab ...

@Sturek
danke dir:

Nein, ich meinte die sehr lesenswerte Novelle von Marcel Aymé: "Der Mann, der durch die Wand gehen konnte". Mit dem rührseligen Film hat das nicht viel zu tun.
Ach, ok, nee, die kenn ich nicht, muss ich mal gucken. Heinz Rühmann ist jetzt nicht so mein Ding ;)
Ich meinte generell. Die Geschichte würde meiner Ansicht nach auch sehr gut ohne den Bezug zum Kinderreim funktionieren.
Ja, der Reim ist nur ein Beispiel für das Ärgern der anderen Kinder ... und dann gibts später noch den Rückbezug, dass es erst gemein war, dass der Koch kommt und sie dann hofft, dass der Koch kommt ... aber klar, "keiner will sie" ist nicht das Thema der Geschichte

Hey @Chutney,
ganz lieben Dank dir fürs Lesen und deinen Kommentar.

ein ganz eigenartiges, melancholisches Märchen hast du geschrieben. Schon bei der Geschichte "Das Haus" hattest du so einen besonderen Ton, der mir gut gefallen hat.
Schön, das klingt gut.
Insgesamt finde ich das rund, obwohl es von der Spannung her für mich fast durchgängig auf einer Linie bleibt, vielleicht auch deswegen, weil die Geschichte getragen wird von der Bedingungslosigkeit, mit der die Ilse ihr Schicksal annimmt. Wer selbst auf "Unsichtbarwerden" so gleichmütig reagiert, dem kann eigentlich kaum noch etwas passieren. Trotzdem gibt es da das Thema Einsamkeit und ihre Trauer um ihren Mann.
Ja, das stimmt, durch diese Gleichmütigkeit gibt es quasi keine offenen Konflikte ...
Ja, das ist so Märchen. Dreimal kauft er Hüte. Hutverkäuferin passt natürlich auch, ein altmodischer Beruf.
Haha, stimmt! Das gefällt mir ...
Ja, man ist gleichzeitig froh, dass es ihr nichts ausmacht und befremdet. Sie ist sehr fremd, das ist es glaube ich, reagiert anders als man reagieren würde.
Ja, das war tatsächlich auch in der anderen Geschichte so, die du erwähnt hast, da kann man nicht mit normaler Psychologie herangehen, denke ich, das sind halt eben keine echten Menschen und trotzdem soll der Leser andocken können an irgendwas, vielleicht an die Stimmung oder so ... ich weiß ja auch selbst nicht so genau ...
Hier kommentiert ja die Erzählerin und es klingt vollkommen paradox. Eigentlich würde man denken, dass diese Unsichtbarkeit sie von der Welt trennt. Ein bisschen durch diese Mobbing-Geschichte am Anfang, wabert da auch das Thema "Angst vor Menschen", so dass nur ihr Karl-Heinz ihr Sicherheit geben konnte, aber ich glaube, dass ist so schräg daneben, ich weiß nicht, ob man versuchen sollte, das so psychologisch zu deuten. In dem Fall würde sie sich ja auch etwas vormachen und hier heißt es klar: "Ihr Schicksal hatte sich erfüllt."
Ja, spannend ... genau, eigentlich ist es etwas trennendes, aber für Ilse ist es Verbindung ... Interessant, dass du "ihr Schicksal hatte sich erfüllt" als eindeutigen Kommentar der Erzählerin liest und der damit wahr wird - hmm ... so war das nicht unbedingt gemeint. Vielleicht muss ich am Anfang wieder einfügen "Vielleicht war das schon immer ihr Schicksal gewesen", das hatte ich am Anfang drin, vielleicht ordnet man es dann eher Ilse zu als der Erzählerin. Denn es soll schon eher zu Ilse gehören ... ich grübel noch mal

Sogar eine Hexe kommt vor. :lol:
Stimmt :lol:

Ja, ist schon ein bisschen, als ob sie vor dem Thema davonläuft.
Ja, so les ich das auch ...

Und jetzt passiert nichts besonderes, es ist nur der Winter, der die gute Stimmung zerstört.
Ja genau, vielleicht muss ich hier aber auch noch mal deutlicher machen, dass nicht nur der Winter die Stimmung zerstört, sondern eigentlich, dass es zu kalt ist, um nackt draußen herumzulaufen. Du hast ja am Ende auch noch geschrieben, dass du vergessen hast, dass sie nackt ist, und vielleicht vergessen andere das auch und denken, sie hat ne Winterdepresssion oder whatever, dabei ist sie einsam, weil sie nicht mehr unter den Menschen unsichtbar sein kann, weil zu kalt ...
Schon schräg diese ganze Szenerie, man fragt sich auch ein bisschen, ob das jetzt ewig so weiterplätschert, länger hätte das nicht sein dürfen.
Ja, danke für die Rückmeldung. GIng mir auch so, war deutlich länger am Anfang, habe ordentlich ausgedünnt, aber auch an anderen Stellen ...
Sehr, sehr cooles Ende. Hat sie nicht anfangs gesagt: "Ich weiß doch, dass Sie da sind."? Das hätte mir noch besser gefallen.
Dass sie da im Prinzip nackt auf dem Sofa sitzt hatte ich mir auch nicht mehr so klargemacht. Und dass diese Nachbarin jetzt auch noch so völlig ungerührt reagiert - echt super.
Och, super! interessant, das mit dem "doch!", weil es tatsächlich nie eines gab, aber ich könnte mir vorstellen, dass du es beim ersten Lesen so gelesen hast. Ich finde nämlich, das schwingt da so zwischen den Zeilen mit, darum will ich das auch nicht so explizit ausschreiben ...
Ja, es ist die besondere Weltsicht der Protagonistin, die den Reiz dieses Märchens ausmacht, die immer auch Erwartungen unterläuft, aber für die Person völlig stimmig ist.
Und das freut mich sehr ...

Vielen Dank dir und euch und
einen schönen zweiten Advent morgen, Katta

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Katta ,

den Spruch kenne ich aus den ... frühen 70ern? Aber von Leuten aufgesagt, die damals jenseits der 60 waren. Irgendwie in Retro-Stimmung bin ich also mal eingestiegen.

Seit jeher fügte Ilse sich ins Leben wie eine Bleistiftzeichnung in ein Ölgemälde. Wenn ihre Geschwister laut durchs Haus tobten, rempelten sie Ilse an und riefen: „Mensch, Ilse, aus dem Weg!“ Und wenn ihre Mutter fragte: „Wo ist denn die Ilse schon wieder?“, sagte Ilse: „Hier bin ich, Mutter.“ Und die Mutter antwortete: „Ach Ilse, wieso bist du nur immer so leicht zu übersehen?“
Das verstehe ich als Analogie gar nicht. Vorzeichnungen mit Bleistift drücken sich ja in Öl super penetrant durch, das Bild kannst du wegwerfen, weil das Blei durch alle Schichten kommen wird (hab das mal absichtlich gemacht). Daher funzt die Analogie so nicht. Wenn du bei Maltechniken bleiben willst, wäre das eher ein Aquarell mit Wasserschaden, dann nämlich verschwinden Konturen, Flächen bis zur Unkenntlichkeit.

Würde hier auch konventionelle Zeilenumbrüche (-> Sprecherwechsel) machen, das ist sehr mühevoll zu lesen, und ich hatte gleich mal den Faden verloren.

Den Dialog empfinde ich als extrem künstlich, reim-dich-oder-ich-schlag-dich aufs Thema hingebürstet. Ich hab in ein paar deiner letzten Texte gelesen und gesehen, dass du sie nach einem psychologischen Thema sehr abstrakt und artifiziell aufziehst - aber nicht in einer passend abstrakt-artifiziellen Sprache und Erzählweise, sondern mit diesen vage-gefühligen Bildern. Zumindest für mich passt da Mittel nicht zum Weg.

Mit neunzehn wünschte sie sich, dass dieser Koch bald käme und sie nähme. Sie begann zu glauben, dass sie nie einem Mann begegnen würde, der sie bemerkte, dass sie für den Rest ihres Lebens allein bleiben und unsichtbar zwischen all den Familien in der Stadt umherstreifen würde.
Mit neunzehn? :sconf: Das ist eine extreme Unbedarftheit, Naivität, die ich so mit Vorpubertät verbinden würde. Sorry, das kann ich so nicht schlucken.
Wann spielt das, in den 30ern?

Sie fühlte sich leichter, wie ein mit Luft gefüllter Ballon, streckte die Arme aus und wickelte sich in diesen kühlen Morgen, an dem sie unsichtbar und die Schwerkraft weniger geworden war.
Meinst du Helium? Ein Gummiballon hat mit Luft gefüllt immer noch die Schwere des Gummis mindestens. Ich würde ein klares, physisch stimmiges und haptisch nachvollziehbares Bild mit diesem kalten Morgen bevorzugen, anstatt solche in meinen Leseraugen unpassende, willkürliche und auch sehr lebensfern-anorganische Symbolik.

Würde sie jeden Tag ein bisschen leichter werden, bis sie sich auflöste? Leichter wäre als Luft und hoch in den Himmel stiege? Wenn ja, so war es ihr recht.
Es ist selbstverständlich nicht vollkommen ausgeschlossen, dass jemand so denkt. Aber ich zumindest empfinde das als so derart kindisch, dass ich die Prota als intellektuell stark beeinträchtigt wahrnehme. Solche Gedankengänge gehören auch nicht zu Demenz.

Selbstverständlich schreiben Autoren Texte, und ich finde auch nicht, dass das irgendwie groß verschleiert werden sollte, aber hier ist so extrem die - imA emotional manipulative - Stimme der Erstellerin sichtbar, und zwar als einzige Stimme sichtbar -, dass ich emotional aussteige. So Frauen mit Armen hoch und freie Natur kenne ich zudem nur aus der Werbung (Waschpulver, Slipeinlagen), dass ich etwas Probleme hab, das als spontanes, authentisches Bild innerhalb von Prosa zu akzeptieren.
Alles mag aber auch an mir liegen, weil ich es einfach nicht abkann, wenn Dümmlichkeit als Niedlichkeit verkauft wird, sorry.

Der Morgen war noch frisch und sie legte sich wieder ins Bett, um sich aufzuwärmen. Klar und deutlich zeichnete sich ihr Körper unter der Bettdecke ab. Nach ein paar Tagen, die sie hauptsächlich im Bett verbrachte und in denen sie darauf wartete, sich wie Nebel in der Morgensonne aufzulösen, musste sie einsehen, dass sie noch immer unsichtbar war, ihre feste Form aber nicht verloren hatte. Sie stand auf, wusch sich, putzte die Zähne, kämmte die Haare, zog sich an und vermisste Karl-Heinz.
Vom Fenster aus sah sie hinunter auf die Straße. Die Junisonne schien durch die Scheibe und wärmte den Stoff auf ihrer Haut, die Sonnenstrahlen kitzelten die unverhüllten Wangen. Ilse zog sich wieder aus, die Bluse, die Hose, sie zog alles aus, ging zum Spiegel und sah: nichts. Sie öffnete das Fenster, ließ Sonne und Wind ihren Körper streicheln, während unter ihr die Menschen ihrem Tagewerk nachgingen. Keiner sah hoch. Keiner sah die Unsichtbare nackt am Fenster stehen. Früher hatte man sie übersehen, jetzt war sie allen Blicken entzogen. Und frei. [Kein Absatz, dieselbe Person denkt erst und spricht dann.]
„Die Sonne hat schon Kraft“, sagte sie.
Okay, mir wird klar, dass es hier um eine Figur geht - bzw. um eine offensichtliche Kunstfigur, die bestimmte Emotionen transportieren soll. Es geht nicht um einen Plot, eine natürlich-realistische Entwicklung einer realistischen Figur, sondern um ein Kunstprodukt, das dadurch zu funktionieren versucht, als dass es mit aller Gewalt mögliche Erinnerungen und kulturelle Zuschreibungen bei Lesenden wecken will.
Das könnte imA klappen, wenn irgendwo mit diesem stark manipulativen Zuckerguss gebrochen würde, aber das passiert leider nicht (dann wäre es wirklich großes Kino!).

Sie wusste, was er sagen würde: Was werden soll, das wird. Mach dir nicht so viele Sorgen, Ilsebilsekeinerwillse!
Aber wenn man nicht gewollt wird, ist das doch kein Gedanke, der tröstet, oder? Vielleicht ticke ich nur ganz anders, aber ein schmerzvoller Spruch kann imA kein Trost sein, und zwar auf keinem Fall noch im inneren Monolog.

Konstruktiver: Der Text ist zu stark über das geplante Auslösen von Emotionen aufgezogen und du vernachlässigst dabei vollkommen Struktur sowie Plot - also: Komplexität, Ambivalenz, Spannung, Twists (nicht im Sinne von billigem Thrill, sondern von glaubhafter Persönlichkeitsentwicklung).
Ich würde raten, den Text mal durchzugehen nach Passagen, die einfach nur Leser-Andock-Manöver sind (das sind Dutzende, von der Delle im Bett zu dem Streichen über Stoff usw.), da mal von diesem Overkill an Haptik (dass ich das mal sage!) weg und hin zu einer vernünftig ausbalancierten Erzählung. Wo eben etwas erzählt, nicht beschrieben wird - weisst du, was ich meine?

Ist das eine Geschichte? Ich denke nicht. Es ist ein Stimmungsbild mit einer Person im Zentrum, deren Gedanken und Sensorik eine Handlung vorgauklen, ohne tatsächlich Plot zu bieten.

Auch verniedlicht der Hänsel-Reim die ganzen Szenen so stark, dass es sich zwischendurch wie eine bösartige Persiflage auf purple prose anhört, aber ich denke nicht, dass das hier dein Ziel war. Zumindest konterkariert es aber die Prota, all diese Emotionen, die sie durch durch all die netten, kleinen Gesten dem Leser ans Herz wachsen lassen sollen.

An sich sind das hochspannende Ansätze: die Nichtgewollte, Übersehene, die so durchs Leben wabert und dann dem Tod nahe ist, ohne irgendeine tiefere Fußspur im Leben hinterlassen zu haben. Aber das sollte mehr Konsequenz haben, als ein

Was war passiert?
Eben. Was?
Das geht in all den Details unter, die jeweils für sich allein vllt. als show, don't tell gesehen werden könnten, in der Gesamtheit aber den Text total mit angestrengt gefühligen Bildern überfrachten.

p.s.
Was mir später noch einfiel, dies ist allerdings rein intuitiv, also ich hätte dazu keine Statistiken, psychologische Studien oder so: Ich finde es sehr, sehr ungewöhnlich, dass sich ein negatives Thema aus der frühsten Kindheit so ungebrochen bis ins hohe Alter durchzieht. In der Grundschule / Schule von mir aus noch, aber irgendwann fangen doch Kompensationen an, und / oder Verdrängungen. Das mag ja näher am Tod wieder durchbrechen mit der Regression, aber hier ist es ein Thema, das einfach so läuft und läuft und läuft. Bis du deine Pointe hast.

Auch, wenn du diese Geschichte sicher nicht schreiben wolltest, aber ich hätte es spannender gefunden, wenn du z.B. Kompensationen + Vergessen / Verdrängen im Erwachsenenleben gezeigt hättest und dann im hohen Alter einen tragischen Rundbogen zu den Hänseleien der Kindheit. Somit wäre auch mehr Geschichte da, mehr Komplexität, weniger krampfige Niedlichkeit, weil Kompensation ja durchaus auch mal bedeutet, dass jemand zum 'Täter' wird später (nicht Gewalt oder Mord, nur psychologisch gesehen, im Verhalten).

Ich hab keinen der anderen Komms gelesen, es mag sehr gut sein, dass du den Nerv anderer Leser perfekt triffst, aber vielleicht kannst du dennoch was mit meinen Eindrücken anfangen.

Herzlichst,
Katla

 

Hallo Katla!

Kleinigkeiten vorweg:

Zum Beispiel wenn die anderen Kinder auf dem Pausenhof mit Kienäpfeln nach ihr warfen oder ihr auf dem Heimweg hinterherriefen: „Ilse Bilse, keiner willse, kam der Koch, nahmse doch, weilse so nach Zwiebeln roch.“

Am Mittwoch verkaufte sie ihm einen Hut, am Donnerstag einen zweiten, am Freitag einen dritten. Am Samstag holte er sie schließlich nach Dienstschluss vom Hutgeschäft ab und sie gingen an der Karthane spazieren.
..., einen dritten am Freitag. Ein wenig umstellen vielleicht – da auch der folgende Satz mit Am beginnt.
Bezieht sich Dienstschluss auf seinen Job? Anderenfalls würde ich Ladenschluss schreiben.

„Weißt du, Ilse, wenn du so wie jetzt in der Sonne stehst, bist du fast nicht zu sehen, sondern nur eine Aura aus Gold.“
Vorschlag: ... nicht zu sehen – nur eine Aura aus Gold.
Ihre Eltern und drei der vier älteren Geschwister waren bereits verstorben.
Das hackelt irgendwie. Falls für den weiteren Verlauf nicht wichtig, würde ich älteren streichen.

Was sollte sie jetzt tun? Würde sie jeden Tag ein bisschen leichter werden, bis sie sich auflöste? Leichter wäre als Luft und hoch in den Himmel stiege? Wenn ja, so war es ihr recht.
Angesichts der folgenden Sätze fände ich Was wird nun geschehen? passender.

Der Morgen war noch frisch und sie legte sich wieder ins Bett, um sich aufzuwärmen. Klar und deutlich zeichnete sich ihr Körper unter der Bettdecke ab. ZEILENUMBRUCH Nach ein paar Tagen, die sie hauptsächlich im Bett verbrachte und (eher ein Komma?) in denen sie darauf wartete, sich wie Nebel in der Morgensonne aufzulösen, musste sie einsehen, dass sie noch immer unsichtbar war, ihre feste Form aber nicht verloren hatte. Sie stand auf, wusch sich, putzte die Zähne, kämmte die Haare, zog sich an und vermisste Karl-Heinz.
Der letzte ist mein Lieblingssatz bisher!

Die Junisonne schien durch die Scheibe und wärmte den Stoff auf ihrer Haut, die Sonnenstrahlen kitzelten die unverhüllten Wangen.
Sind sie doch immer, oder?

„Die Sonne hat schon Kraft“, sagte sie.
Das kommt unverhofft – bin gespannt, was es damit auf sich hat?

und Wind ihren Körper streicheln
streichelte der Juniwind ihre Haut
Folgt recht knapp aufeinander ...

Wie eine Achtjährige hüpfte sie von Platte zu Platte, ohne dass die alten Gelenke knackten und knarzten.
Gehwegplatten? Oder geht es um die Hüpfspiel? Brachte mich etwas raus.

„Was soll nur werden, Karl-Heinz?“, fragte sie.
Sie wusste, was er sagen würde: Was werden soll, das wird. Mach dir nicht so viele Sorgen, Ilsebilsekeinerwillse!
„Ich versuch's!“, sagte sie. „Ich vermisse, dass du mich Ilsebilsekeinerwillse nennst. Morgen komm ich wieder, denn ich trau mich jetzt raus.“
Vielleicht: ... fragte sie, obgleich sie wusste, ...
Würde die Betonung anders setzten: ..., denn jetzt trau ich mich raus.
aß drei Kekse direkt aus der Packung. Dann ging sie nach Hause, machte sich eine Dosensuppe warm
Irritierte mich ein wenig: Wer Dosensuppe daheim hat, legt Kekse vor dem Verzehr nicht auf einen Teller. Oder spielst die darauf an, das sie die Kekse im Vorbeigehen aus der Packung nimmt und den Rest im Regal zurück lässt? Falls ja, sollte das vielleicht deutlicher werden.

Nie war sie sichtbarer gewesen! als jetzt. ZEILENUMBRUCH Wieder zu Hause traf sie im Hausflur auf die alte Meisenberg.

Auf dem Weg zu Karl-Heinz kam sie an einer Bank vorbei mit einem Pärchen, das sich leidenschaftlich küsste.
Sparkasse oder Parkbank? Entschuldig! Ist klar, was du meinst. Aber Bank mit einem Pärchen liest sich schon ein wenig eigenartig.

Meisenberg stellte den Besen neben die Küchentür, kochte sich Kaffee und sagte:

ntensität ihren Körper flutete. ZEILENUMBRUCH Nachdem Ilse die deprimierende

Manchmal stand Ilse mit ihr vor dem Fenster und beobachtete die Vögel, die sich im Vogelhaus auf der Balkonbrüstung Futter holten.
Vielleicht: ... beobachtete Spatzen und Amseln, die sich im ...
Anfang Dezember saß Ilse auf dem Sofa, neben einem Berg frischer Wäsche. Sie sah mit Inge Meisenberg eine Quizshow und versuchte die Kälte, die ihre Schultern zittern ließ, zu ignorieren. Die Nachbarin stand auf, ging ins Schlafzimmer, kam mit einer Wolldecke zurück und warf sie aufs Sofa. „Hier!", sagte sie. "Ich weiß, dass Sie da sind."
Vielleicht: Sie sah mit Inge Meisenberg eine Quizshow und versuchte die Kälte zu ignorieren, die ihre Schultern zittern ließen.

Guter Schluss – hat mich überrascht, was nie verkehrt ist.
Zur Meisenberger könnte Ich weiß, dass du da bist. auch gut passen.

Schöne Geschichte, ein Oma-Märchen, das passt wunderbar zum Challenge-Thema!

Vielleicht ist was ja dabei, das du gebrauchen kannst.

Gruß,
Sammis

 

Hei @Katla,
das ist ja mal ne Überraschung ... danke dir fürs Lesen und den Kommentar.

Vorzeichnungen mit Bleistift drücken sich ja in Öl super penetrant durch, das Bild kannst du wegwerfen, weil das Blei durch alle Schichten kommen wird (hab das mal absichtlich gemacht). Daher funzt die Analogie so nicht. Wenn du bei Maltechniken bleiben willst, wäre das eher ein Aquarell mit Wasserschaden, dann nämlich verschwinden Konturen, Flächen bis zur Unkenntlichkeit.
what? :eek: args ... ok, da muss ich dann wohl noch mal ran ...
Zeilenumbrüche hab ich eingefügt. Zu deiner generellen Aussage meiner letzten Texte (so viel schreibe ich doch gar nicht :confused:) kann ich jetzt aber gar nichts sagen, so ganz ohne Bezug zum Text. Zum einen hab ich bei meinen eigenen Texten durchaus Tomaten auf den Augen, zum anderen hab ich eh so manches Mal Probleme zu verstehen, was du meinst, da brauch ich tatsächlich was ganz Konkretes, um darauf antworten oder damit arbeiten zu können ...

Mit neunzehn? :sconf: Das ist eine extreme Unbedarftheit, Naivität, die ich so mit Vorpubertät verbinden würde. Sorry, das kann ich so nicht schlucken.
Wann spielt das, in den 30ern?
Das spielt ja zu keiner bestimmten Zeit, aber meine Gedanken gingen eher so in diese Richtung, ja. Und ich vermute, dass es heute auch immer noch Menschen gibt (Frauen wie Männer), die meinen, mit ihnen sei irgendwas falsch, wenn sie mit 19 noch nie eine:n Freund:in gehabt haben, von daher, ja, schon übertrieben, aber für mich nicht unglaubwürdig ... (selbst heute nicht, wobei ich es in einem Nicht-Märchen selbstverständlich anders formulieren würde)

Sie fühlte sich leichter, wie ein mit Luft gefüllter Ballon, streckte die Arme aus und wickelte sich in diesen kühlen Morgen, an dem sie unsichtbar und die Schwerkraft weniger geworden war.
Meinst du Helium? Ein Gummiballon hat mit Luft gefüllt immer noch die Schwere des Gummis mindestens. Ich würde ein klares, physisch stimmiges und haptisch nachvollziehbares Bild mit diesem kalten Morgen bevorzugen, anstatt solche in meinen Leseraugen unpassende, willkürliche und auch sehr lebensfern-anorganische Symbolik.
Nein, ich meine Luft. Genau, weil sie ja dann immer noch die Schwere des Gummis hat und auf dem Boden bleibt. Bei Helium würde sie ja davon fliegen, tut sie aber nicht. Du bist aber nicht die Einzige, die den Vergleich nicht verstanden hat, sodass das rausfliegt, ich werde es aber im Rahmen der Challenge zeitlich vermutlich nicht schaffen, mich noch mal wirklich an den Text zu setzen. Mir gings darum, dass zwar die Schwerkraft noch wirkt (im Gegensatz zu Helium), aber deutlich weniger stark ... ich überlege also ...

Es ist selbstverständlich nicht vollkommen ausgeschlossen, dass jemand so denkt. Aber ich zumindest empfinde das als so derart kindisch, dass ich die Prota als intellektuell stark beeinträchtigt wahrnehme. Solche Gedankengänge gehören auch nicht zu Demenz.
Das Problem scheint zu sein, dass du den Text eben nicht als Märchen liest, sondern als realistisch (mein Fehler, nicht deiner). Aber echt jetzt? Intellektuell stark beeinträchtigt? Woran machst du das denn fest?
aber hier ist so extrem die - imA emotional manipulative - Stimme der Erstellerin sichtbar, und zwar als einzige Stimme sichtbar -, dass ich emotional aussteige.
verstehe ich nicht ... siehe oben, ich brauch was Konkretes

Alles mag aber auch an mir liegen, weil ich es einfach nicht abkann, wenn Dümmlichkeit als Niedlichkeit verkauft wird, sorry.
Zunächst mal verkaufe ich hier ja überhaupt nichts. Du liest die Prota dümmlich, das kann ich nachvollziehen, auch wenn ich es anders benennen würde.
Okay, mir wird klar, dass es hier um eine Figur geht - bzw. um eine offensichtliche Kunstfigur, die bestimmte Emotionen transportieren soll. Es geht nicht um einen Plot, eine natürlich-realistische Entwicklung einer realistischen Figur, sondern um ein Kunstprodukt, das dadurch zu funktionieren versucht, als dass es mit aller Gewalt mögliche Erinnerungen und kulturelle Zuschreibungen bei Lesenden wecken will.
Yes! Genau! Frage ist also (ich schätze du bist nicht die Einzige, die das so liest, zumindest @H.Kopper hat einige Sachen angesprochen, die du auch ansprichst), was braucht es, dass du es eben nicht als realistischen Text liest? Also von Anfang an nicht ... boah, aber dann wieder: echt jetzt? der Text versucht dadurch zu funktionieren, dass er mit aller Gewalt mögliche Erinnerungen und kulturelle Zuschreibungen beim Lesenden wecken will? Vielleicht gehts ja auch ne Nummer kleiner? Guck mal, ich übe, ich probiere aus ... sicher geht manches davon schief ... ganz sicher will ich nicht mit "aller Gewalt" irgendwas wecken ... klar, will ich das Leser andocken können (und natürlich habe ich verstanden, dass du nicht nur nicht andocken kannst, sondern geradezu abgestoßen wirst). Es besteht auch die Möglichkeit, dass ich hier wieder nicht verstehe, was du eigentlich meinst ... siehe Konkretes, Tomaten und Sprache ...

Das könnte imA klappen, wenn irgendwo mit diesem stark manipulativen Zuckerguss gebrochen würde, aber das passiert leider nicht
Das Ding ist, dass ich nicht genau weiß, was du meinst. Ich habe - für mich, du siehst das sicher anders - schon versucht mit dem Zuckerguss zu brechen. Also du nennst sie dümmlich und intellektuell stark beeinträchtigt. Ich würde sie vielleicht passiv nennen und emotional unreif ... dann wird sie unsichtbar und erlebt sich zum ersten Mal als frei, vermutlich auch als selbstwirksam oder so. Ich hatte schon in meiner Antwort an @greenwitch geschrieben, dass ich diesen Sommer-Unsichtbarkeits-Teil noch mal überarbeiten will/muss, weil der für mich eigentlich das Herz der Geschichte ist (d.h. wichtig, aber nicht unbedingt das Gros an Masse einnehmend). Ganz offenbar funzt der nicht richtig. Ich zitiere einfach mal meine Antwort an Greenwitch.
ich glaube, ihre Entwicklung unter der Unsichtbarkeit braucht noch mehr Raum. Für mcih ist das jedenfalls das Interessante an dem Text und ich glaube, die Irritation wird gar nicht deutlich genug, denn es soll übergriffig sein. Sie klaut ja auch im Supermarkt und fegt da Krams aus den Regalen. Andererseits sollte diese Entwicklung auch nicht zu sehr in den Fokus geraten, im Grunde kann man ja hier die Frage stellen, inwiefern der moralische Kompass sich verändert, wenn man unsichtbar ist. Vielleicht bin ich mir an dieser Stelle selbst noch nicht ganz klar, aber ich wollte nicht, dass sie sich Richtung Verrohung entwickelt, aber schon ein bisschen davon andeuten
In meiner ersten Version hat sie Leute nach Hause verfolgt und dort dann Sachen umgestellt (die Vase von der Kommode auf den Tisch) oder Bilder abgehängt, die ihr nicht gefielen. Ich hatte sogar mal kurz den Gedanken, dass sie den Leuten im Schlaf die Kehle aufschlitzt, weil das für mich irgendwie auch zu ihr gepasst hätte, aber das bin ich nicht :drool: Das war für mich der Bruch ... keine Ahnung, ob es sowas ist, was du meinst, aber ich sehe, dass das Tassen vom Tisch fegen oder Lebensmittel aus den Regalen im Supermarkt zu harmlosen Streichen gezählt wird :sad: - ganz ehrlich, ich finde das ganz schön arschig ...

Aber wenn man nicht gewollt wird, ist das doch kein Gedanke, der tröstet, oder? Vielleicht ticke ich nur ganz anders, aber ein schmerzvoller Spruch kann imA kein Trost sein, und zwar auf keinem Fall noch im inneren Monolog.
hab ich gekillt. Ich habe mich das auch gefragt und meine Antwort war, dass Karl-Heinz dem Spruch im Sinne einer Selbstaneignung den Schrecken und den Schmerz nehmen wollte - aber ich verstehe, dass das zu sehr um die Ecke gedacht ist ...

Ich würde raten, den Text mal durchzugehen nach Passagen, die einfach nur Leser-Andock-Manöver sind (das sind Dutzende, von der Delle im Bett zu dem Streichen über Stoff usw.), da mal von diesem Overkill an Haptik (dass ich das mal sage!) weg und hin zu einer vernünftig ausbalancierten Erzählung. Wo eben etwas erzählt, nicht beschrieben wird - weisst du, was ich meine?
Nope. Ehrlich gesagt nicht so richtig. Wenn ich wüsste, was Leser-Andock-Manöver sind, könnte ich sie rausschmeißen (ich denke, das sind die Tomaten) --> Delle im Bett? Meinst du das hier:
Der Morgen war noch frisch und sie legte sich wieder ins Bett, um sich aufzuwärmen. Klar und deutlich zeichnete sich ihr Körper unter der Bettdecke ab.
Das ist kein Andockmanöver, sondern sollte verdeutlichen, dass ihr Körper noch Volumen hat, dass der eben nicht sphärisch unsichtbar ist, wie bei einem Geist, sondern dass der noch ganz physisch existiert, bloß nicht mehr sichtbar ist ... Ich weiß auch nicht, wo sie über Stoff streicht? Aber ich hab mal das Haare über die Schultern streichen rausgenommen und das streicheln von Sonne und Wind und auch die Aura aus Gold :D

Ist das eine Geschichte? Ich denke nicht. Es ist ein Stimmungsbild mit einer Person im Zentrum, deren Gedanken und Sensorik eine Handlung vorgauklen, ohne tatsächlich Plot zu bieten.
Args ... also ich denke schon, dass es eine Entwicklung gibt von der übersehenen Ilse, der Ilse, die Karl-Heinz liebt und von Karl-Heinz gesehen wird, zu der Ilse, die sich unsichtbar durch den Sommer bewegt ohne jemals wirklich in Beziehung zu jemandem zu sein, sich darin aber das erste Mal wirklich wie sie selbst fühlt und dabei auch nicht sonderlich sympathisch ist (bzw sein sollte) hin zu der Ilse, die im Winter so unsichtbar ganz einsam ist und sich bei der Nachbarin reinschleicht, die sie immer Sommer noch total blöd fand, die ihr aber am Ende ein Angebot macht (ich weiß, dass sie da sind), dass Ilse nun annehmen oder ausschlagen kann ... Ist das kein Plot?

Auch verniedlicht der Hänsel-Reim die ganzen Szenen so stark, dass es sich zwischendurch wie eine bösartige Persiflage auf purple prose anhört, aber ich denke nicht, dass das hier dein Ziel war. Zumindest konterkariert es aber die Prota, all diese Emotionen, die sie durch durch all die netten, kleinen Gesten dem Leser ans Herz wachsen lassen sollen.
Das ist wieder harter Tobak. Das Hänseln am Anfang verniedlicht den ganzen Text? Auch das Kienäpfel werfen? Ich verstehe auch nicht, was das Gehänsel mit Purple Prose zu tun hat bzw eine Persiflage darauf. Und der Rest vom Zitat löst bei mir auch nur aus: :confused:

Das geht in all den Details unter, die jeweils für sich allein vllt. als show, don't tell gesehen werden könnten, in der Gesamtheit aber den Text total mit angestrengt gefühligen Bildern überfrachten.
Ich schau mir das noch mal an ...

Hallo @Sammis,
auch dir lieben Dank fürs Lesen und Kommentieren. Ich glaube, ich habe die meisten, deiner Anmerkungen übernommen (oder werde das noch tun, die Gehwegplatten hab ich vergessen). Das: Am Mittwoch, Am Donnerstag, Am Freitag - das soll so. Allerdings stört mich selbst dann das: Am Samstag - muss ich mal gucken. Vieles hab ich tatsächlich einfach gelöscht, die Packung Kekse ist raus, sie trinkt jetzt Saft und stellt die halbleere Flasche zurück ins Supermarktregal ...


Einen schönen Sonntagabend euch beiden und
viele Grüße von Katta

 

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