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Im Dienste der Menschheit
Es war viertel nach sieben, der 26.02. Keine humane Zeit einen ehrlichen Bundesbürger zur Arbeit zu schicken, doch ließ es sich nicht übergehen, ohne Hartz IV zu begegnen. Also schob ich meine wundervoll weiche, mit Persil gewaschene Decke zur Seite und hievte mich aus dem Bett. Die nichtverdauten, bittersüßen Reste des Tequilas von gestern Abend klebten noch unverrichteter Dinge in meiner Speiseröhre. Ich nahm einen kräftigen Schluck aus meiner Wasserflasche, um gleich darauf festzustellen, dass sie leer war, und erinnerte mich, dass ich gestern einkaufen wollte. Nach kurzem Blick in mein leeres Portemonnaie war ich stattdessen Peters Einladung zur Tequilaparty gefolgt.
Ich musste meinen Brand löschen und da ich sowieso schon zu spät dran war, schlürfte ich zum Waschbecken.
„Ahhhhhhhhahhhhhhhhhh!“ Mein Schrei musste die Nachbarn aufgeweckt haben. Ich stolperte zurück und fiel zu Boden. Es war soweit. Ich sah mein Bewusstsein in kreisenden Bewegungen davon fliegen. Der gestrige Abend hatte mir den Rest gegeben. Kleine, bunte, reich verzierte Kügelchen tanzten vor meinem Auge vorbei.
„Okay, jetzt langsam und noch mal!“ ermutigte ich mich selbst. Vorsichtig zog ich mich am Waschbecken hoch in Richtung meines Spiegels.
Ich traute meinen Augen nicht, als ich mich einer Stupsnase, zwei langen Löffeln und einem pelzigen Etwas gegenüber sah. Was ich in dem Spiegel erkannte, war nicht ich, sondern ein Hase – der Osterhase. Ich zog Haare aus dem Fell und stellte fest, dass alles real war. Und auch das Ziehen an den Löffeln wirkte meinen Kopfschmerzen eher negativ entgegen. Es war also echt – ich war echt – ich war der Osterhase! Wenigstens hatte ich meine Eier noch.
Nachdem sich der Gedanke an meine neue Berufung auch in die letzte Gehirnwindung gepresst hatte, klingelte es. Durch den Türspion erkannte ich voll Erstaunen Frau Osterhase – das gestickte Im-Dienste-meines-werten-Mannes-Herrn-Osterhasens auf ihrem rosè-farbenen, kleinkarierten Shirt ließ mich nicht daran zweifeln. Ihre Augen schienen Blitze abschießen zu wollen. Irgendetwas musste sie erzürnt haben. Bedächtig öffnete ich die Tür.
„Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, schon wieder abzuhauen? Zu Hause warten unendlich viele Eier auf dich, gefärbt zu werden. Denkst du nicht, dass deine zehn Urlaubstage reichen, um sich auszuruhen? Wir stehen kurz vor dem Fest und du lungerst in dieser Wohnung herum und wartest wohl darauf, dass Weihnachten wird und du deinen Urlaub bekommst? Die Konkurrenz schläft nicht. Wir haben genügend zu tun und jetzt beweg dich endlich und steh nicht so verdutzt in der Tür!“
Ich hatte keine Zeit nachzudenken, denn kurz nach ihrer freundlichen Ansprache hoppelten wir auch schon davon. Wir wechselten auf unserem Weg kein einziges Wort und ich machte mir Sorgen, was mein Chef davon hielt, wenn ich ihm erzählte, dass ich aus Menschen glücklich machenden Gründen nicht zur Arbeit erscheinen konnte. Tobend und mein Kündigungsschreiben vorbereitend erschien er bereits vor meinem inneren Auge, als wir endlich unser Ziel erreicht hatten.
Frau Osterhase führte mich in ein riesiges Gebäude, in dem es vor Hasen nur so wimmelte. Stille breitete sich über die Halle, als sie die Tür zu unserer Werkstatt öffnete, und all die kleinen, pelzigen Arbeiter verbeugten sich. Erneut trafen mich die blitzenden Augen meiner Frau. Unbeholfen stammelte ich „Alles klar, Leute?“
Wenn Blicke töten könnten, hätte mich Frau Osterhasens Blick gefoltert und gequält und dann zurück zur Arbeit geschleift.
„Willst du nicht endlich anfangen?“ Meine Frau war eindeutig empört über das Interesse, mit dem ich die Arbeit der anderen betrachtete. Ich fühlte mich hilflos.
„Ähm, entschuldigen sie, Fräulein, könnten sie mir sagen, was ich machen muss?“
„Frau!“
„Eine Frau?“
„Ich bin Frau Osterhase. Und das von meinem eigenen Mann zu hören!“
„Frau Osterhase, wo darf ich mich betätigen?“
„Da hinten steht die EiEiVerMa. Wo hast du eigentlich die letzten Jahre gearbeitet, du Idiot?“
„Okay also die EiEiVerMa. Und wie funktioniert die?“
„Herrgott, hilf mir! Ei rein – Knopf drücken – Ei raus!“
Mir wurde ängstlich zumute, mit dieser Maschine umzugehen, doch es brauchte nur einige Stunden, bis ich mich an meine knifflige Aufgabe gewöhnt hatte. Meine bunten Endprodukte sahen gut aus. Es wurden hier definitiv nur natürliche Farben verwendet. Das Gelb glich weniger der Farbe meiner Toilettenschüssel, sondern strahlte mir wie die Sonne entgegen. Ich fand mich mit dem Gedanken ab, morgen entlassen zu werden, und erfreute mich an der unendlichen Farbvielfalt, die unaufhörlich in mein Herz drang und mich mit Wärme und…
„Mittagessen!“ Der Klang von Frau Osterhasens Stimme hallte mir entgegen wie die Instruktionsschreie unseres Oberaufseher während meiner ruhmreichen Jahre beim Bund und schreckte mich jäh aus meinen Gedanken. Wider mein Erwarten gab es keine Eier zu essen, sondern Falschen Hasen. Die Mittagspause betrug genau 5 Minuten, worauf meine Gattin strengstens achtete und weshalb auch alle kleinen Helfer nach 4,9 Minuten wieder an ihrem Arbeitplatz waren.
„Hey du Volltrottel, was ist denn das für ein Pfusch? Welcher Supermarktkette soll ich denn einfarbige Ostereier verkaufen? Glaubst du etwa, der Firmenname „Bunny“ reicht, um mit solchen Ostereiern Geld zu verdienen?“ Ich hab dir erklärt KNOPF DRÜCKEN oder war das so schwer zu verstehen? Jetzt bring endlich was Ordentliches zu Stande!“ Ich musste mich wohl dem Willen meiner Frau ergeben. Andernfalls würde sie mein Gehalt kürzen, was sie mir deutlich zu verstehen gab. Also noch mal von vorne – Ei rein, Knopf drücken, Ei raus. Meine Ergebnisse schaute ich mir gar nicht mehr an, da ich mich darauf konzentrieren musste, das Knopf Drücken nicht zu vergessen.
Es war gegen fünf, was ich an der Eieruhr auf meinem Arbeitgerät erkannte, als mich der Schrei meiner werten Frau und Chefin aus meinem Arbeitsrhythmus riss.
„Sofort konfiszieren. Nein, hört auf, den Warenkarton für Rewe zu packen. Zurück damit in die Recyclingabteilung!“
Mit einem zornigen, Flüche aussprechenden Gesichtsausdruck, der vor meinen Augen aufgrund des unter ihren Schritten bebenden Bodens verschwamm, bewegte sie sich mit einem Osterei in der Pfote auf mich zu, ohne auch nur kurz die Miene zu verziehen. Sie streckte mir ihr Mitbringsel entgegen. Mein lüsterner Blick brachte sie nur noch mehr aus der Fassung.
„Wie kann dir nur so etwas passieren? Du bist ein Schwein!“
„Ähm, Hase!“
„Halbnackte Frauen haben auf unseren Produkten nichts zu suchen! Was hast du dir dabei gedacht?“
Tatsächlich war ich etwas erstaunt, Heidi Klum, an die ich vor kurzer Zeit gedacht hatte, auf meiner Arbeit zu entdecken.
„Aber ich hab doch nur auf den Knopf gedrückt. Ich hab mir das doch nicht ausgesucht.“ verteidigte ich mich.
„Um Himmels Willen, du weißt genau, dass die EiEiVerMa druckt, was du dir vorstellst. Was ist nur los mit dir? Wir haben noch viel vor uns und du sabotierst alles. Dein Gehalt ist bis auf weiteres gestrichen!“
Es viel mir schwer, die nächsten Stunden nur an Blümchen, Hasen und ähnlichen Schnickschnack zu denken, doch als es zum Abendbrot schallte, konnte ich erfolgreich auf einige hundert, bunt verzierte Ostereier blicken.
Wir aßen Hasenbrote und hatten danach noch eine gesamte Stunde Pause.
„Zeit, um den Laden hier mal aufzupäppeln!“ dachte ich mir.
DIE Frau war nirgends zu sehen, also schlug ich meinen Hasenfreunden vor, Baseball zu spielen. Etwas skeptisch blickten sie wohl drein, wollten mich jedoch nicht enttäuschen. Natürlich wurde mit meinen verpfuschten Ostereiern gespielt, die mir einige Runs einbrachten, denn wann sahen meine Kollegen schon einmal Heidi Klum im knappen, hautengen Kostüm. Munter spielten wir drauf los und es schien meinen Freunden Spaß zu machen. Zumindest konnten sie für eine Stunde aus ihrem tristen Hasenarbeitsalltag entfliehen. Auch ich amüsierte mich prächtig, als ich plötzlich einen Schlag auf meinen Hinterkopf verspürte. Ich stürzte zu Boden. Hinter einem Gewirr von bunten, kleinen Ostereiern vor meinem inneren Auge, erkannte ich sie, meine Gattin, pelzige Ehefrau und Chefin – Frau Osterhase mit einem Baseballschläger in der Hand. Durch einen elendig laut piepsenden Tinitus vernahm ich ihre Stimme.
„Es kann nur eine geben!“
* * *
"Jetzt guck dir diesen klitzeklitze kleinen Frechdachs an. So ein Süßer bist du!"
Melanie nahm ihr Kaninchen auf den Arm.
"Hey Melle, schau mal der hat da ne Beule!"
"Jaja, das passiert ihm häufig, wenn er mit den Murmeln gespielt hat. Ich frag mich, wie er das immer wieder schafft?!"
"Irgendwie sieht er nicht so glücklich aus, findest du nicht?"
"Ach so ein Quatsch, der fühlt sich pudelwohl. Der schaut immer so drein. Also ob er irgendetwas aushecken würde."