Im Gasthof zur Ewigkeit
Der Moment hastet stumm an mir vorbei und als ich ihn aufhalten will, verschwindet er im nachtgetränkten Wirtshaus. Mein Seufzer verebbt in den Wellen der Abwasserkanäle. Nicht eine Sekunde lang hat dieser Moment angehalten, um sich mit mir zu unterhalten. Früher einmal, da habe ich geglaubt, ihn zu kennen. Und mit ihm zusammen zu sein, eine Unendlichkeit lang.
Aber die Stunden verrannen zu schnell, als dass meine trüben Sinne sie hätten festhalten können und nun stehe ich hier, in dieser Gasse, Lärm schallt aus dem Innern der Kneipe, in deren Innern dieser Moment entschwunden war. Ich öffne die schwere Eichentür. „Zur Ewigkeit“ steht auf dem hölzernen Schild oberhalb der Tür, doch die Farbe blättert bereits ab – ist die Unendlichkeit schon vorbei? Ich zögere, will ich doch nicht einer bereits verbrauchten Ewigkeit begegnen. Schliesslich trete ich ein, huste ob dem Zigarrenrauch. Da sitzen sie beieinander, ich sehe meinen Moment, er sitzt dort, zwischen Liebe, Hass und der Wirtin, der Unendlichkeit. Ich bleibe unschlüssig stehen, doch als der Glaube röchelnd und nach Rotwein stinkend an mir vorüberwankt, mache ich einen Schritt vorwärts in die Kneipe – der Glaube öffnet die Tür und krachend fliegt sie wieder zu. Nun sitzen sie alle da, gottlos – ist doch der Glaube nach Hause gegangen. Ich stehe inmitten der Grossen.
Würden mich die Gäste nicht so sehr faszinieren, müsste ich mir eingestehen, dass ich diesen Ort widerlich finde. Aber ich beobachte Liebe, Hass, Unendlichkeit und meinen Augenblick. Sie spielen Skat. Interessiert verfolge ich ihren Zeitvertreib. Liebe verliert. Unendlichkeit gewinnt, aber nur das eine Spiel. Danach hat Hass alles im Griff und die anderen werden wütend. Mein kleiner Moment will sie überall einmischen, aber die anderen wollen zu dritt weiterspielen und keiner von ihnen mag auf das nächste Spiel verzichten. Mein Moment sitzt stumm nun da und schmollt. Nun werde ich wütend auf die anderen drei Spieler – warum nur darf mein Moment nicht spielen? Ich trete zum Skattisch.
„Was glaubt ihr eigentlich? Er will auch spielen!“
Alle blicken sie mich an, alle die grossen und berühmten Hohlheiten. Ich rede mich in Rage, will die qualmenden Spieler von der Notwendigkeit meines Moments überzeugen. Sie schweigen, was hätten sie auch zu sagen? Aber auch, als ich meine Rede beendet haben, schweigen sie mich an – als ich in ihre Augenhöhlen blicke, weiss ich auch, warum. Ich schlage blind zu, die Wirtin trifft es zuerst: Meine Faust lässt eine riesige Platzwunde entstehen. Doch dahinter befindet sich nicht das erwartete Gehirn, keine ewigen Weiden, kein Universum mit Unendlichkeit – nur Leere. Wirklich nichts. Ein wenig erstaunt stolpere ich zurück. Liebe und Hass starren mich an, doch auch hinter ihren Augen erkenne ich die Hohlheit ihrer Existenz. Sie stehen noch da, als könnten sie nicht begreifen, dass die Unendlichkeit nun weg ist und sie kein Bier mehr bekommen können.
Ehe ich erneut habe zuschlagen können, sind sie zum Hinterausgang – durch die nun leere Küche – geflohen und zurück bleibt der Qualm, der harrt noch aus, obwohl kein Bier mehr ausgeschenkt wird. Und mein Moment? Er sitzt noch am selben Ort und bleibt durstig. Ich schaue ihm nicht in die Augen, irgendwie habe ich ihn lieb gewonnen.
Mangels dritten Spielers lassen wir das Skatspiel bleiben und ich bringe uns ein Bier. Ohne zu zahlen.