Im Glückstal
Vor Vierzig Jahren wurde hier im Glückstal noch Bleierz gefördert. Ältere Besucher erinnern sich an die Gebäude und an den Stollen, der vom heutigen Festplatz in den Berg führte. Jetzt sind nur noch Wälder, Wiesen und der zugemauerte Eingang des Stollens zu sehen.
Das Fest geht seinem Ende entgegen. Wo der Grill stand, brennt nun ein Feuer. Dahinter, wie eine bunte Lichtinsel vor dem Nachtwald, die provisorisch aufgebaute Tanzfläche. Seit die laute Musik abgestellt ist, sind der Geist und die Schönheit dieses Ortes wieder fühlbar. Die Menschen sind unter der kleinen Sonne der Nacht zusammengerückt.
Auf der Wiese, im Halbschatten zwischen Feuer und Schachteingang sitzen Calvin, Thomas, Hanne und Marion.
Marion, die aus einem Dorf in der Nähe kommt, hatte Calvin den Tipp zu diesem Fest gegeben. Sie erzählt, dass ihr Urgroßvater, der hier gearbeitet hatte, nicht mal 50 Jahre alt wurde. Erst fielen ihm die Zähne und die Haare aus. Später stellten sich Lähmungen, Krämpfe, und Blutarmut ein. Seine einzige Medizin war der Schnaps gewesen. Im Totenschein hatte Alkoholmissbrauch gestanden.
Calvin starrt ins Feuer, dann sieht er Marion an: „Auch wenn das jetzt hart klingt, aber ich glaube jeder Mensch ist für sich selbst verantwortlich. Was Bleivergiftung ist, wusste man damals doch auch schon, und dein Urgroßvater - auch wenn er arm war - konnte doch eine andere Arbeit annehmen. Und dass Schnaps nicht hilft und viel Geld kostet, wird er wohl auch gewusst haben.“ „Aber dafür war er eben nicht schlau genug“ meint Marion und sieht ihrem Schatten zu, der wie ein Gespenst auf dem Stolleneingang tanzt. Sie denkt an all die zerlumpten Kinder, die, um ihren Vätern das Essen zu bringen, im Winter durch den Wald liefen; die hoffnungslosen, kaum gelebten Leben, die Not, den Schweiß; die Gier der Drahtzieher und Profiteure nach immer mehr Blei, immer mehr Krieg, immer mehr Land; an Verwüstung und großen Reibach und Kriegerdenkmäler mit verlogenen Inschriften. All die zerlumpten Kinder stellt sie sich vor, wie sie mit kleinen Windlichtern durch den Nachtwald zogen. Für die müsste hier ein Denkmal stehen.
Calvin rät ihre Gedanken: „So viel Elend, aber die Menschen werden nicht schlauer.“
Jetzt sagt keiner mehr etwas. Sie fühlen sich verbunden.
Thomas, der in Köln eine Lehre macht, hat schwarzen Afghanen mitgebracht und baut einen Joint. Alle außer Marion probieren und versuchen den Rauch möglichst in der Lunge zu halten. Das führt zu Hustenanfällen. Hanne und Calvin behaupten nichts, aber auch gar nichts zu spüren, wälzen sich aber kichernd im Gras.
Hanne fängt an, den Augenblick zu zerreden. „Der Vollmond scheint nur uns zu leuchten“ sagt sie und setzt sich neben Calvin. Der schaut geradeaus ins Feuer.
Hannes Mutter hat ihren Mann von der Theke losgeeist. Wie eine Kreissäge zerreißt Ihre Stimme die Nacht: Hannelörchen, Kind, komm, et is ald spät mir fahren jetz. Thomas deutet auf den Stolleneingang: „Nehmt doch die U-Bahn“. Mit Calvin macht er sich über Hannes Mutter lustig. Sie heulen den Mond an und finden sich witzig. Hanne nimmt Calvins Gesicht in ihre Hände, verpasst ihm eine kleine Ohrfeige, drückt ihn an sich und geht zu ihren Eltern. Marion ist genervt und verschwindet.
Bald wird hier nur noch Nacht sein, Frieden und zeitlose Stille.