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Im Schatten des Mont Royal

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23.02.2004
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Im Schatten des Mont Royal

Im Schatten des Mont Royal


„Die Stadt war nicht immer so schmutzig, wie sie es heute ist“, höre ich die Leute sagen. Und dabei sprechen sie nicht von Verunreinigungen im Sinne von Abgasen, die den klaren, blauen Morgenhimmel innerhalb von Stunden in eine graue Smoghölle verwandeln können, oder von Müll, der auf den Straßen herumliegt, weil ihn jemand achtlos weggeworfen hat. Vielmehr sprechen sie von jenen menschlichen Geschöpfen, die sich von genau diesem weggeworfenen Zeug ernähren müssen, und die nachts vor Kälte zitternd auf Parkbänken oder hinter Müllcontainern zu finden sind. Von den Kreaturen, die im milden Sommer genauso wenig ein Dach über dem Kopf ihr Eigen nennen können, wie im klirrend kalten Winter, der viele von ihnen an genau jene Parkbänke und an genau jene Müllcontainer festfrieren lässt.
„Verdammte Penner“, höre ich den Mann in der Rue Saint Catherine murmeln, der an einem Bettler vorbeiläuft und fast über ihn gestolpert wäre. "Scheiß Krüppel", schimpft ein anderer, in einer anderen Straße, zu einem anderen Obdachlosen, der im Rollstuhl an einer Ecke verharrt, die Beinprothesen abgenommen hat und seine vernarbten, durchwachsenen Stummel zur Schau stellt. „Nur Mitleid erregen wollen die“, sagen die Leute. Und dabei vergessen sie wohl, dass auch der schmutzigste Penner, der stinkigste Alkoholiker und der ärmste Krüppel nicht weniger sind als all die Geschäftsleute, die mit ihren modernen Mobiltelefonen Gespräche führen, während sie über die Gehsteige hetzen. Denn auch die unzähligen Obdachlosen, die im Schatten des Mont Royal dem einen oder anderen Passanten ein Centstück abluchsen möchten, sind das, was wir alle zu sein glauben: Menschen. Sie haben Gefühle wie wir, sie haben ein Herz wie wir, und sie fürchten den Tod wie wir. Sie sterben sogar wie wir.
All das, vor allem aber Letzteres, habe ich mit eigenen Augen miterleben müssen, als vor wenigen Jahren Angst und Schrecken die Straßen von Montréal heimsuchten.

In jenem Herbst hatte ich einen Job als Fahrradkurier, und obwohl die Firma mir einen Neoprenanzug zur Verfügung gestellt hatte, schnitt die eisige Luft mir fast die Kehle durch, während ich in Höllentempo durch die Innenstadt jagte. Ich war damals schon nicht mehr der Jüngste, bereits über dreißig, aber ich glaube, ich habe meinen Job recht gut erledigt. Es hat sich zumindest nie jemand darüber beschwert, dass ich zu langsam gewesen wäre oder etwas nicht ordnungsgemäß zugestellt hätte.
Wenn ich nachmittags um vier meinen Anzug abgestreift hatte und das Firmengelände zu Fuß verließ (das Fahrrad hatte der Junge von der Nachtschicht übernommen), machte ich mich nicht etwa auf den Weg nach Hause, in meine kleine Wohnung in der Rue St. Hubert. Mein Ziel nach der Arbeit war der Dorchester Square, den ich fast täglich gegen halb fünf erreichte. Ich arbeitete dort als freiwilliger Helfer bei der Obdachlosenbetreuung, die sich schon seit geraumer Zeit unter der Führung von Pater Graun in der Cathedrale Marie-Reine-du-Monde befand. Die Kirche war ein gut geeigneter Platz für eine solche soziale Organisation, nicht nur, weil wir hier keine Miete bezahlen mussten, sondern auch, weil sie so zentral wie nur möglich gelegen ist. Wir benutzten die Küche des Pfarrhofes um dreimal die Woche heiße Suppe oder andere wärmende Mahlzeiten zu kochen und diese vor den Toren der Kirche auszuschenken. Außerdem verliehen wir hier Decken und Wärmflaschen, Handschuhe und Ohrenschützer. Der Winter in Kanada ist nicht gerade das, was man als Zuckerschlecken bezeichnen könnte, erst recht nicht, wenn man ihn irgendwo im Freien verbringen musste. Jedes Jahr erfrieren Dutzende Heimatlose in den Straßen der Stadt.
Heute befindet sich die Obdachlosenhilfe nicht mehr in der Cath Mary, wie wir die Kirche genannt haben. Sie wurde, soweit ich weiß, von einer größeren Organisation übernommen und wird jetzt professionell geführt. Damals aber bestand der Verein aus nicht mehr als zwanzig Mitglieder, und jeder von uns arbeitete freiwillig und völlig unentgeltlich. Es gab unterschiedliche Gründe der Helfer, sich sozial zu engagieren und sich für Obdachlose einzusetzen. Die meisten machten es wohl aus Mitleid mit den Obdachlosen, aus dem Motiv heraus, Gutes tun zu wollen, helfen zu wollen.
Jedenfalls arbeitete ich dort, und auch an dem Abend, an dem der ganze Schrecken seinen Anfang genommen hatte, erreichte ich die Cath Mary nach ein paar Erledigungen gegen fünf. Es war bereits Anfang November, und obwohl die Bäume noch in tiefem Rot und grellem Gelb wie Feuer vom Mont Royal herunter leuchteten, konnte man den ersten Schnee bereits riechen. Tagsüber waren die Temperaturen gerade noch erträglich, doch mit jedem Sonnenstrahl, der zugunsten der Nacht versiegte, krochen sie weiter das Thermometer hinab.
Die Obdachlosen waren aus allen Winkeln der Stadt gekommen, sie warteten draußen, auf der Stiege der Cath Mary, in der Hoffnung, noch eine Decke oder ein Paar Handschuhe abzubekommen. Es galt die Regel, dass die geliehenen Sachen am nächsten Tag zurückgebracht werden mussten, damit auch andere in den Genuss eines wärmenden Stoffes gelangen konnten. Im Allgemeinen funktionierte das relativ gut, und auch wenn wir am Ende eines langen Winters zehn oder zwanzig Decken weniger zu vermerken hatten, als im Herbst davor, wichen wir nicht von dieser freien Regel ab und begannen irgendwelche Listen oder Verzeichnisse zu führen. Die Obdachlosen wussten, wir waren für sie da, und dafür mussten sie uns auch entgegen kommen, und wenn das nicht der Fall war, würden wir gezwungen sein, unsere Leistungen nacheinander zu verringern, bis der Quell der Güte ganz versiegte.
Ich war gerade dabei, aus dem Kirchenkeller Decken nach oben zu schleppen, als jemand von oben meinen Namen rief: „Robert!“
Es war James Donehue, der stellvertretende Leiter der Obdachlosenhilfe. Für die Penner da draußen war er so etwas wie ein Gott, für uns war er der Organisator, der sich stets bemühte, es allen irgendwie recht zu machen.
„Bin schon unterwegs!“, rief ich und ließ prompt eine der Decken fallen. „Du könntest Jimbo herschicken, um mir zu helfen. Da unten sind wahrscheinlich noch fünfzig weitere Decken.“
„Vergiss die Decken!“ James' Stimme war die letzten Tage über schon heißer gewesen, weil er sich verkühlt hatte, jetzt aber klang sie nur noch wie ein Krächzen. „Komm herauf! Schnell!“
James war nicht der Mensch, den man nicht leicht aus der Ruhe bringen konnte, und ich konnte mir keinen Grund vorstellen, warum er so aufgebracht klang. Sofort ließ ich die Decken fallen und hetzte nach oben.
Als ich durch die kleine Holztür in die Kirche trat, war James bereits wieder draußen. Schnellen Schrittes eilte auch ich durch das Tor und erblickte schon von weitem die kleine Anzahl der Penner, die sich auf den Stufen der Kirche versammelt hatten. James kniete zwischen ihnen, und als er sich umdrehte und ich sein Gesicht sah, wusste ich, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste.
„Robert! Schnell!“, sagte er.
„Was ist passiert?“, fragte ich, und als James zur Seite wich und den Blick auf den sterbenden Obdachlosen freigab, der vor ihm auf der Treppe lag, erkannte ich, dass dieser Abend kein guter mehr werden würde.
„Hat sich mit letzter Kraft auf den Dorchester geschleppt“, sagte einer der Penner, die auf der Treppe standen. „Sagt, er hat eine Botschaft.“
„Die Rettung ist unterwegs“, sagte James. „Robert, kannst du in der Zwischenzeit etwas für ihn tun?“
Sofort kniete ich mich auf die kalte Steintreppe und beugte mich über den alten, zitternden Mann, der beide Hände auf seinen Bauch presste. Blut trat zwischen den Finger hervor und hatte bereits seine gesamte Wolljacke durchtränkt. Jemand stützte seinen Kopf, und seine Augenlider flackerten, als hätte er einen epileptischen Anfall.
„Wie heißt er?“, fragte ich den Penner, der den Kopf des Verwundeten stützte.
„Keine Ahnung wie er wirklich heißt. Uns ist er jedenfalls als Fly bekannt.“
Ich griff nach Fly’s Händen und entfernte sie von der Wunde, um genauer sehen zu können, woran der Arme litt. Sofort floss das Blut in noch größeren Strömen aus seinem Unterleib. Der Mann stöhnte, und dann sah ich das große Loch in der Wolljacke, das sich bis in seinen Bauch hinein fortsetzte. Und obwohl das Blut literweise aus der Wunde zu strömen schien und ich deshalb nicht gut sehen konnte, musste man kein Mediziner sein, um zu erkennen, dass diesem Obdachlosen wohl etwas aus dem Bauch geschnitten worden waren.
„Mein Gott!“, sagte ich und presste die Hände des Verletzten wieder auf die Wunde, um die Blutung wenigstens ein bisschen lindern zu können. Ich hatte im Rahmen meiner Ausbildung zum Kurierboten einen Erste Hilfe Kurs absolvieren müssen, und hatte anscheinend ein gewisses Talent dafür, zu helfen. Wenn es um medizinische Dinge hier bei der Obdachlosenhilfe ging, war ich immer der erste, der angesprochen wurde. Diese grauenhafte Wunde jedoch überstieg meine amateurhaften Kenntnisse bei Weitem.
Irgendwo in der Nähe war ein Signalhorn zu hören, und ich konnte nur hoffen, dass es von dem Rettungswagen stammte, der zu hierher unterwegs war.
„Fly!“, sagte ich und schlug dem Sterbenden mit der Handfläche auf die Wange. Seine Augen flackerten weiterhin. „Hey Fly, kannst du mich hören?“
„Vorhin hat er noch gesprochen!“, sagte jemand aus dem Kreis der Penner.
„Komm schon, ich weiß, dass du mich hören kannst.“
Der Mann stöhnte wieder, dann schlug er die Augen auf, jedoch nur für einen Bruchteil einer Sekunde. Dann fielen sie wieder zu. „So ist’s gut, Fly, du musst jetzt wach bleiben.“
Fly öffnete seinen Mund, gab einen krächzenden Laut von sich und erbrach einen Schwall Blut auf seinen Körper und meine Hände. Dann, zur Verwunderung aller, begann er zu sprechen.
„Abschaum…“, brachte er hervor. „So lasst den Abschaum sterben.“
„Fly, hör’ sofort auf zu sprechen. Mit jedem Wort, das du sagst, verlierst du mehr Blut“, sagte ich. Das schrille Signal des Rettungswagens schwoll an, und obwohl es mit ziemlicher Sicherheit unser Wagen war, zweifelte ich an den Überlebenschancen des Obdachlosen.
„Der Abschaum….er muss…“ Wieder erbrach er Blut, vermengt mit dicken, roten Klumpen. „Abschaum…er muss…in die Schranken gewiesen werden.“
„Psssst!“, sagte ich. „Leise!“
Der Rettungswagen bog von der Rue Peel auf den Platz vor der Kirche ein.
„Die schwarze Maske….“, stöhnte der Sterbende erneut. Ihm selbst schien klar zu sein, dass er die Nacht nicht überleben würde. „Die schwarze Maske…zeigt…dem Abschaum seine Schranken.“
Unten hatte die Rettung gehalten und das Folgetonhorn abgeschaltet. Die Sanitäter sprangen aus dem Wagen und kamen über den Platz gelaufen.
„Jetzt kommt Hilfe“, sagte ich, und plötzlich schlug Fly die Augen auf, als wäre das sein Stichwort gewesen. Er sah mich mit seinen sterbenden, dunklen Augen an. „Nein“, stöhnte er. „Zu spät.“
Es waren seine letzten Worte. Und als das Leben aus seinen Wunden trat und in roten Rinnsälen die steinernen Treppen der Kathedrale hinab lief, begann es am Dorchester Square zu schneien.

Am gleichen Abend, als der Rettungswagen mit dem noch auf den Stufen verstorbenen Fly schon längst verschwunden und das Blut schon seit einiger Zeit mit kochendem Wasser aufgewischt worden war, baten wir die Penner in die Kirche herein. Nicht alle. Die meisten, die gekommen waren, hatten schlussendlich ihre Decken bekommen und waren wieder zurück in ihre Gassen gekehrt. Jene acht Obdachlosen aber, die mit mir und James rund um den sterbenden Fly gestanden waren, luden wir auf eine heiße Suppe ein. Wir, das waren in dem Fall James, ich und Jimbo, ein ausgewanderter Amerikaner, der – genau wie ich – freiwillig in der Organisation mitarbeitete und an diesem Abend mit uns zusammen Dienst hatte.
„Er is’ aus der Cécile gekommen, hat er gesagt“, sagte einer von ihnen. Er hieß Walter, und ich kannte ihm vom Sehen.
„Aus der Rue de Cécile? Das ist zwei Blocks von hier entfernt.“ James löffelte selbst an einer Suppe. „Er hat sich also trotz seiner schweren Verletzung zwei ganze Blocks hierher geschleppt? Nur um auf den Treppen der Cath Mary zu sterben?“
„Glaub’ fast nich’, dass er zum Sterben gekomm’ is’“, sagte ein anderer Penner. Er sprach in einem schlimmen Straßendialekt, der noch ausgeprägter war als bei den meisten anderen Obdachlosen. „Glaub’ eher, er wollt’ uns was sagen.“
„Das mit der Maske? Was war das noch gleich?“, fragte James.
„Die schwarze Maske zeigt dem Abschaum seine Schranken.“ Ich hatte mir den Satz gemerkt, und ich glaubte nicht, dass ich ihn je wieder vergessen würde.
„Ja“, sagte der Penner. „Is’ auf den Dorchester gekomm’ und hat gesagt, er hat ’ne Botschaft. Und er hat geblutet. Wie ’ne Sau hat der geblutet.“
„Wir haben’s gesehen“, sagte Walter missbilligend. „Sonst hat er nichts gesagt?“
„Bin zufällig selbst gerade aus der Mansfield gekomm’. Er is’ mir in die Arme gefallen, der Gute.“ Der Penner blickte in die Runde, dann fügte er hinzu: „Hab’ ihm bis zur Stiege geholfen.“
„Ab diesem Zeitpunkt kennen wir die Story ja“, sagte James. „Walter und Gilbert hier haben mitgeholfen, ihn auf die Treppen zu legen. Ich selbst hab’ sofort den Notarzt gerufen, und dann gleich Robert aus dem Keller geholt.“
„Was meint ihr, was geschehen ist?“, fragte ich.
Zuerst wollte keiner antworten, dann aber brach der Penner mit dem starken Dialekt das Schweigen: „Es hat ihn einer umgebracht! Die schwarze Maske!“

In den folgenden Tagen führte die Polizei Ermittlungen durch. Wenn man bei den paar Gesprächen, welche die Beamten geführt hatten, überhaupt von Ermittlungen sprechen konnte. Montréal galt als eine der sichersten Städte Nordamerikas, und die Polizei war die meiste Zeit damit beschäftigt, Vorkehrungen zu treffen, damit dies auch so blieb. Wenn irgendein Obdachloser in einer Seitengasse, weit weg von der Rue Saint Catherine, die Aorta, die das Leben durch die Stadt pumpt, ermordet wurde, war das kein Fall, mit dem sich die Beamten lange aufhalten wollten. Schließlich verbessert jeder verstorbene Penner das Stadtbild.
Die Geschichte des Mannes mit dem starken Dialekt, der, wie ich am Abend zuvor erfuhr, Hank hieß, hatte die Polizei bestätigt. In der Rue Cécile, einer sehr kurzen Seitengasse, wurde literweiße Blut entdeckt. Anscheinend war Fly zwischen einer Reihe Mülltonnen überfallen worden. Einer der Penner, die den Verstorbenen näher kannten, sagte aus, dass Fly nachmittags oft in der Cécile ein Schläfchen hielt, weil er dort nicht gestört wurde. Nun, diesmal war er gestört worden.
Die Blutspuren führten von jenem Tatort auf direktem Wege zum Dorchester Square. Die Polizei wunderte es, dass ihm keine Passanten begegnet waren, die ihm helfen hätten können, doch wenn man die Gegend südlich des Dorchester Squares kannte, wusste man sehrwohl, dass dies keine Besonderheit war. Die Bewohner, wie auch die Touristen, deren Anzahl sich in dieser Jahreszeit sehr in Grenzen hielt, bevorzugten an einem kalten Novembernachmittag die Underground City für ihre Erledigungen. Jene Stadt, die sich über 30 Kilometer unter den Straßen von Montréal entlang zog und neben Geschäften und Restaurants auch Banken und andere Institutionen beherbergte. Pennern und Heimatlosen war die Underground City und ihre beheizten Straßen schon seit der Eröffnung verwährt.
Die Mediziner hatten festgestellt, dass Fly, der mit richtigem Namen Pierre Calvet hieß, Teile des Dünndarmes entfernt worden waren. Laut dem leitenden Arzt, der am Tag danach James benachrichtig hatte, fehlten mindestens vier Meter des Darmtraktes, und somit ein Drittel des gesamten Darms. Die Polizei hatte alle Müllcontainer zwischen Cécile und Dorchester durchsuchen lassen, aber die Organteile waren verschwunden.
„Wie pervers muss man sein“, fragte mich James nach dem Telefonat mit dem Arzt, „um einen alten, obdachlosen Mann vier Meter seines Darms zu stehlen?“
Hätte der Täter irgendwelche anderen Organe gestohlen, welche, die auch funktionierten, wie beispielsweise die Leber oder eine Niere, hätte der Organhandel eine plausible Erklärung dargestellt. Mit vier Metern Dünndarm jedoch, was konnte man damit schon anfangen? Das war nichts weiter als die perverseste Trophäe, die man sich vorstellen konnte.
Die Polizei stellte die Ermittlungen drei Tage nach dem Vorfall ein. Sie hatte viele der Obdachlosen befragt, und sogar James, der die Rettung gerufen hatte. Die Penner fingen damit an, ihre eigenen Interpretationen hinzuzufügen und so vermischten sich Tatsachen bald mit Meinungen und Gerüchten. Schon am Tag nach Pierre Calvets Tod hieß es, die schwarze Maske ginge in Montréal um, und sie käme, um den Abschaum aus der Welt zu schneiden. Ein Obdachlosenhasser, jawohl. Einer, der eine schwarze Maske trug und die Penner der Stadt in ihre Schranken verwies. Natürlich, die Penner waren in den letzen Jahren bis zur Stadtmitte vorgedrungen und durften mittlerweile sogar auf der Rue Saint Catherine sitzen und ihre Hände aufhalten. Unrasierte Gesichter, ekelhafte Gerüche von Schweiß und Pisse, verstümmelte Körperteile, die als Mitleiderreger fungierten. Das alles und mehr präsentierten die Obdachlosen auf den Straßen Montréals, und sie konnten sich gut vorstellen, dass jene Umstände manchen Bewohnern ganz und gar nicht passten.
Die schwarze Maske war gekommen, um ein Mahnung abzugeben. Das war die mehrheitliche Meinung unter der Gemeinschaft der Obdachlosen, und man konnte den Ansatz nicht von der Hand weisen.
„Ich sag euch was, Leute“, lallte einer der Penner, der am Tag nach dem Mordfall zur Kirche gekommen war, um eine Suppe zu bekommen, obwohl sein Magen schon vom Fusel gewärmt worden war. „Ich sag’s euch, ich ersähl’s euch. Die Maske hat sein Offer zwar scher verwunnet, aber nich umjebracht. Sie wollte, dass er’s bis zur Kirche schafft, um seine Boschaft su überbringen. Sie wollte uns warnen, die scharze Maske!“
Pater Gaunt, den James noch am Vorabend informiert hatte, setzte sich sehr dafür ein, dass die Penner beruhigt wurden und hatte beschlossen, die nächsten drei Tage lang zusätzliche Speisen zu verteilen. Für mich bedeutete das mehr Arbeit, denn ich war für die Suppen zuständig. Und Suppe war nun mal das Essen schlechthin. Von ihr wird einem warm, und, wie meine Mutter immer zu sagen pflegte, „sie dringt bis in den kleinen Zehen vor“.
Ich verbrachte die nächsten Tage überwiegend auf dem Fahrrad, und wenn ich davon abstieg, stand ich vor dem Herd im Pfarrhof der Cath Mary und rührte in einem riesigen Kochtopf in der Suppe herum. Genau das tat ich auch eine Woche später, in der letzten Novemberwoche, als Pater Gaunt persönlich in die Küche kam, und mir von dem zweiten Todesfall berichtete.

„Die schwarze Maske hat wieder zugeschlagen!“, hörte man aus allen Mündern. Es war schier unmöglich, solche Tatsachen vor den Obdachlosen geheim zu halten. Vor allem deshalb, weil es erneut die Obdachlosen waren, die den zweiten Toten gefunden hatten.
Es handelte sich um einen spanischen Einwanderer, der in Kanada keine Arbeitserlaubnis bekommen hatte und auf der Straße geendet war. Zumindest laut Aussage der Polizei. Jedenfalls war der Mann knappe fünfzig Jahre alt und hatte den Angaben der Mediziner zufolge schon seit Jahren an Hautkrebs gelitten, wahrscheinlich sogar, ohne es selbst zu wissen. Zwei Penner hatten ihn gefunden, und zwar in der Rue Desrivieres, ganz in der Nähe des ersten Tatorts. Im Gegensatz zu Pierre Calvet aber konnte das zweite Opfer sich weder von dort entfernen, noch war es dazu Imstande, irgendwelche Botschaften zu überbringen. Die Botschaft war bereits überbracht, und sie lautete: „Ihr dreckigen Penner von Montréal, zieht euch aus der Innenstadt zurück oder ihr werdet sterben, einer nach dem anderen.“
Das zweite Opfer unterstrich diese Nachricht noch deutlicher als das erste. Dem Spanier waren die Augen ausgestochen worden, und durch die schwarzen Höhlen, aus denen das Blut geronnen war, wie Wasser aus einem Brunnen, konnte man bis zur grauen Masse des Gehirns sehen. Auch die Ohren waren nicht mehr vorhanden. Die Ärzte behaupteten später, sie waren nicht abgeschnitten worden, vielmehr hatte der Täter sie abgerissen. Gestorben war der Spanier aber weder an der Augen- noch an der Ohrenamputation, nein, verendet war er durch einen langen Einschnitt in der Kehle, der nicht nur den harten Kehlkopf, sondern auch die pulsierende Schlagader des Opfers durchtrennt hatte.
Als wären diese schrecklichen Bilder nicht genug gewesen, vertrauten die Ärzte Pater Gaunt noch mehr schreckliche Details an. Unter normalen Umständen hätten die Mediziner nichts von alldem an mehr oder weniger Unbeteiligte weitergegeben, Pater Gaunt jedoch war für seine Güte und für sein soziales Engagement bekannt, und er hatte Beziehungen, die bis in das letzte Labor des letzten Krankenhauses Kanadas reichten. Und was der Pater uns am Tag nach dem zweiten Mord erzählte, ließ die meisten auf ihr Abendessen verzichten. Dem Spanier fehlten drei Liter Blut, und selbst wenn man den Verlust, der durch Ohren, Augen und Kehle ausgetreten war, wegrechnete, kam man zu dem Entschluss, dass der Täter dem Opfer das Blut abgezapft haben musste.
„Vampire in Montréal!“, verkündete Jimbo sogleich, und Pater Gaunt sah ihn mahnend an.
„Blödsinn!“, sagte er. „Und hütet euch davor, auch nur ein Wort von dem, was ich euch erzählt habe, an die da draußen zu richten! Wenn die Obdachlosen das erfahren, sind die Gerüchte nicht mehr im Zaum zu halten. Fest steht, dass jemand in Montréal den Obdachlosen Angst einjagen möchte.“
„Und das ist demjenigen auch gelungen.“ James sah Pater Gaunt an. Dieser stand auf, schlug mit den Fäusten auf den Tisch und sprach: „Und trotzdem müssen wir weitermachen. Wir werden jetzt da hinausgehen und Decken verteilen. Wir werden Suppe ausschenken. Wir werden Tee servieren. Und wir werden alles daran setzen, dass das ohnehin schon schlimme Leben der Obdachlosen, nicht auch noch von Angst und Furcht dominiert wird. Geht da raus, und tut ihnen Gutes!“

Diesmal nahm die Polizei die Ermittlungen etwas ernster, und sie wendeten all die Verfahren an, die man im Fernsehen bei CSI immer zu sehen bekommt. Sie untersuchten den Tatort auf Fingerabdrücke, auf Haare oder Haut des Täters, aufgrund deren man die DNA des Mörders herausfinden konnte. Sie suchten die Rue Desrivieres nach Fußabdrücken ab, klapperten alle dunklen Stellen rund um den Block ab, in der Hoffnung die fehlenden Leichenteile zu finden, oder vielleicht sogar eine Tatwaffe. Soweit mir bekannt ist, fanden sie weder das eine noch das andere, und nachdem erneut eine ganze Masse von Obdachlosen, und zusätzlich der ganze Stab der Obdachlosenhilfe befragt worden war, schienen die Ermittler zu demselben Ergebnis zu kommen wie bei dem Opfer davor: zu keinem.
Als die Beamten mit mir sprachen, stand ich gerade mitten am Dorchester Square und füllte die dampfende Suppe aus einem großen Kessel in kleine, handliche Schalen. Jede befüllte Schale reichte ich einem der Obdachlosen, die in riesigen Wartschlangen anstanden. Selbst nachdem zwei Morde geschehen waren, trieben sich immer noch gleich viele Penner hier herum, wenn nicht sogar mehr. Hier fühlten sie sich sicher. Warum auch nicht, schließlich konnte der Mörder wohl kaum einen von ihnen mitten auf dem Dorchester Square abstechen. Schon gar nicht, wenn die Polizei anwesend war.
„Mr. Cameron, können Sie Ihre Rolle hier bei der O-Hilfe kurz beschrieben?“
Ich befüllte eine weitere Schale mit Tomatensuppe und der zitternde Mann, für den sie bestimmt war, entriss sie mir förmlich. „Danke“, sagte er und entfernte sich von der Ausschankstelle.
„Nun, ich bin für verschiedene Bereiche zuständig“, sagte ich, während ich nicht müde wurde, die rote Flüssigkeit aus dem Topf zu schöpfen. „Ich arbeite mindestens viermal die Woche hier, immer abends, da ich auch einen Job habe. Meist verbringe ich den frühen Abend damit, in der Küche des Pfarrhofs zu kochen, um später die Speisen hier draußen zu verteilen. Es gibt dreimal die Woche etwas zu Essen, seit den Morden allerdings öfters.“
Der Polizist, der neben mir stand und in den Suppentopf blickte, als wollte er selbst etwas abbekommen, nickte. „Haben Sie die Opfer gekannt?“
„Sehen Sie sich mal um“, sagte ich und bot dem Polizisten eine Schale an, die er dankend entgegennahm. „An Abenden wie diesem stehe ich wahrscheinlich fünfzig, sechzig Obdachlosen gegenüber. Ich bin sicher, dass ich beiden schon zu Essen gegeben habe, aber der Teufel soll mich holen, wenn ich mich an ihre Gesichter oder Namen erinnern kann.“
Der Polizist murmelte irgendeine Zustimmung, dann trank er aus der Suppenschale. „Haben Sie eine Meinung zu den möglichen Motiven des Täters?“
„Naja“, sagte ich. „Ich muss zugeben, dass die Theorien über den Obdachlosenhasser schwer widerlegbar sind. Sehen Sie sich die Menschen hier an.“
Ich deutete mit dem Schöpfer auf die Warteschlange und schenkte eine weitere Suppe aus. „Sie sind alle schmutzig, verwahrlost. Die meisten von ihnen sind betrunken. Und doch wollen Sie das Mitleid der Menschen. Ich kann mir gut vorstellen, dass manche Bewohner der Stadt sich daran stoßen.“
Der Polizist machte sich nicht die Mühe, irgendwelche Notizen zu machen. Er schien alles in seinem Kopf abzuspeichern. „Ja, das ist die allgemeine Meinung. Haben Sie dafür auch einen Lösungsvorschlag?“
„Ich glaube nicht, dass ich der richtige Ansprechpartner für Sie bin“, sagte ich. „Fragen Sie am besten Pater Gaunt. Er ist mit den Obdachlosen groß geworden, sie sind quasi sein Leben.“
„Wir hatten ohnehin vor, mit Mr. Gaunt zu sprechen“, sagte der Polizist und leerte seine Suppenschale. „Danke. Eine herrliche Tomatensuppe. Die Leute hier können sich glücklich schätzen, einen solch guten Koch wie Sie zu haben.“
„Danke, Officer“, sagte ich, dann drehte sich der Beamte um und schritt die Treppen zur Cath Mary hinauf.


Sie fanden keinen Täter. Nicht die geringste Spur. Mich wunderte das auch nicht besonders, denn die Polizisten schienen überhaupt keinen Ansatz zu haben. Die Fragen, die der freundliche Officer mir gestellt hatte, konnten ihn ja nicht wirklich weitergebracht haben. Mir kam es so vor, als fehlte den Beamten der Anreiz.
Genug Anreiz hatten aber die Obdachlosen. Auch wenn es einige Kühle unter ihnen gab, die sich trotz der Vorfälle immer noch alleine in dunkle Gassen legten, so waren doch die meisten in Panik. Wenn sie nicht die ganze Nacht am Dorchester Square verbrachten, oder einige wenige sogar in der Cath Mary, wo sie unter sich waren, sahen sie zu, dass sie nirgendwo alleine übernachteten.
Die Angst hatte sich in das Volk der Heimatlosen eingeschlichen, und das spiegelte sich auch in ihren Taten wieder. Ich hörte, wie einige sagten, sie wollen sich in Zukunft von den Hauptstraßen fernhalten, um nicht den Unmut der Passanten zu erregen.
„Denn der Mörder ist jemand, der uns verachtet“, sagte einer.
„Kann mir gut vorstellen“, sagte ein anderer, „dass er ein ganz normaler Geschäftsmann ist. Er geht in der Rue Saint Catherine am Gehsteig entlang, und an einer Ecke sitzt so ein verwahrlostes Wesen wie ich es bin. Der Arme sagt etwas wie ‚Haben Sie vielleicht ’nen Vierteldollar?’ und starrt den Geschäftsmann mit seiner ungewaschenen Fresse an. Der Geschäftsmann antwortet nicht und geht weiter, doch innerlich kocht er bereits und die Wut steigt in ihm hoch. Er wartet bis es dunkel wird, dann sucht er die Gassen nach dem Penner vom Vormittag ab. Er hofft ihn zu finden, und wenn er ihn findet, dann…“
„Das ist doch Blödsinn“, sagte wieder ein anderer. „Er kann unmöglich einen bestimmten Obdachlosen finden, nicht in einer Stadt wie Montréal.“
„Denk was du willst! Ich jedenfalls halt mich in Zukunft von der Rue Catherine fern!“
Gespräche dieser Art sollten noch lange Zeit über den Dorchester Square hallen, und sie verstummten den ganzen Winter lang nicht. Auch wenn seit dem zweiten bestialischen Mord kein Obdachloser mehr umgebracht worden war. Bis heute nicht.

Im Frühling nach jenem blutigen Winter beendete ich meine freiwillige Arbeit in der Obdachlosenhilfe, und ich kündigte der Kurierfirma. Mein ehemaliger Chef, der Leiter eines großen Consulting-Unternehmens, rief mich in jenem Frühling an und bot mir meinen alten Job wieder an. Den gut bezahlten Beratungsjob, den ich ein Jahr davor an den Nagel gehängt hatte. Ob meine Auszeit, die ich mir damals nehmen wollte, beendet sei, hat er mich gefragt, und ob ich nun wieder ins Geschäft zurückkommen wollte. Ich sagte ja, meine Auszeit sei beendet und stimmte zu.
Das Ganze ist jetzt bereits vier Jahre her, und mindestens zwei Jahre nach den Morden hatte sich die Obdachlosenplage in Montréal wirklich gebessert. Wenn man durch die Rue Saint Catherine schlenderte begegnete man keinem einzigen Bettler und niemandem, der einem die abgetrennten Stümpfe seiner Oberschenkel präsentierte. Die Straßen, die Adern der Innenstadt, waren frei von Abschaum und ekelerregenden Gestalten, und den Leuten schien das zu gefallen. Montréal war wieder die Stadt, als die sie sich auf den Postkarten präsentierte.
Doch wenn ich heute durch die bunten Straßen ins Büro schlendere und die Leute sprechen höre, weiß ich, dass es bald wieder soweit ist. „Verdammter Krüppel“, murmelt die Dame neben mir am Gehsteig. „Verschwinde, such dir eine Arbeit!“
Wenn ich mich umsehe, weiß ich, dass die Zeit bald wieder reif ist. Reif, für eine Auszeit. Ich weiß dann, dass ich mein Büro in der Innenstadt bald wieder verlassen werde, um einen Job als Fahrradkurier anzufangen. Dass es bald wieder an der Zeit ist, die schwarze Maske aufzusetzen und hinunter zu treten, in den Schatten des Mont Royal.
Und was mit den Organen der Opfer geschehen ist? Mit den drei Litern Blut des Spaniers? Nun, es hat sich nie jemand über die Suppe beschwert, die ich dreimal die Woche am Dorchester Square serviert hatte. Eine herrliche Tomatensuppe, um es mit den Worten des Polizisten auszudrücken.


(c) 2004 Markus Böhme

 

Hallo Noel!

Danke für das Kommentar. Ich muss dazu sagen, dass ich zwar schon in dieser Stadt war, mir aber keine wirklichen Obdachlosenprobleme aufgefallen sind. Die sind mir eher an meinem Studienort Graz aufgefallen, nur hab ich den Ort des Geschehens trotzdem nach Montreal verlegt, weil diese Stadt einfach so genial ist. Die geschichte soll also keine Negativ-Werbung für Montreal sein ;)

Und danke für deine positiven Anmerkungen! Habe zuerst gedacht, dass die Story zu lange ist und sie deshalb keiner lesen will.

MFG
Markus

 

Hallo,

ich fand die Geschichte wirklich gut mit einem interessanten Thema.
Aber ein paar Kleinigkeiten will ich noch anmerken:

forsakingmax schrieb:
Der Mann stöhnte wieder, dann schlug er die Augen auf, jedoch nur für einen Bruchteil einer Sekunde. Dann fielen sie wieder zu. „So ist’s gut, Fly, du musst jetzt wach bleiben.“
Da gefällt mir "So ist's gut" nicht, denn seine Augen fallen ja zu, also bleibt er wahrscheinlich nicht wach. Ich denke, es ist besser, wenn du sagst: "Du musst jetzt wach bleiben!"

Der Schluss ist gut, allerdings stört mich da eine Sache. Hatte der Mörder eigentlich genug Zeit, den Mord durchzuführen und dann dorthin zu gehen, wo er am Anfang ist? Ich finde, dass das zeitlich etwas knapp ist.

ABer sonst ist die Geschichte wirklich empfehlenswert.

 

Danke!

Zum Schluss: Ja, anschinend hatte er genügend Zeit :) Man könnte ja außerdem annehmen, dass der erzähler nicht immer die wahrheit sagt. Also ich denke, da ist noch etwas Interpretationsfreiraum....man kann drüber nachdenken.

Ich finde den Schluss übrigens selbst als einen der geilsten, den ich je geschrieben habe :) Schade nur, dass so wenige die Story lesen, is wohl doch einfach zu lang.

 

So habe ich das noch gar nicht gesehen. Aber da hast du recht.

forsakingmax schrieb:
Man könnte ja außerdem annehmen, dass der erzähler nicht immer die wahrheit sagt.

forsakingmax schrieb:
Schade nur, dass so wenige die Story lesen, is wohl doch einfach zu lang.
Wenn es dich tröstet, das Problem habe ich auch :(

 

Hallo forsakingmax!

Schöne Geschichte, die du da geschrieben hast. Dein Stil ist routiniert und lässt sich angenehm flüssig lesen. Die schmutzige, etwas düstere Stimmung, die du verbreitest, hat mich während des Lesens vollkommen im Text versinken lassen. Leider kann ich dir keine Zitate liefern, da ich die Geschichte auf der Arbeit gelesen habe.
Allerdings: Der Plot ist ziemlich vorhersehbar. Da du ständig wiederholst, wie arm die ganzen Obdachlosen dran sind, konnte ich mir bereits denken, dass dein Prot der Mörder ist. Ich frage mich aber, wie er es nach dem ersten Mord geschafft hat, so schnell wieder zurück in die Kirche zu kommen. Daher der Job als Fahrradkurier?

Dennoch, ich habe diese Geschichte gerne gelesen. Sie ist kein Highlight, aber nicht zuletzt wegen deiner guten Schreibe äußerst kurzweilig.

Grüße

Cerberus

 

Cerberus81 schrieb:
Die schmutzige, etwas düstere Stimmung, die du verbreitest, hat mich während des Lesens vollkommen im Text versinken lassen.

Herzlichen Dank, das ist mir wirklich wichtig, Atmosphäre zu erzeugen.
Cerberus81 schrieb:
Allerdings: Der Plot ist ziemlich vorhersehbar.

Wirklich? Die meisten anderen waren tatsächlich überrascht (nicht nur die auf kg.de mein ich....)

Cerberus81 schrieb:
wie er es nach dem ersten Mord geschafft hat, so schnell wieder zurück in die Kirche zu kommen. Daher der Job als Fahrradkurier?

Dazu kann ich dir nur das gleiche sagen, wie auch zu den anderen Usern: Er hatte die Zeit, der Tatort war ja ganz nahe an der Kirche und er hatte gerade erst zu arbeiten begonnen. Außerdem: Wer sagt denn, dass der Erzähler immer die Wahrheit spricht? Immerhin iist er ein Mörder...

Danke jedenfalls für das positive Feedback!

 

Hi nochmal!

Außerdem: Wer sagt denn, dass der Erzähler immer die Wahrheit spricht? Immerhin iist er ein Mörder...

Hier muss ich widersprechen. Schließlich gesteht er seine Tat ja ohnehin am Ende des Textes, warum sollte er dann also anfangs lügen?

Aber nun gut, in Anbetracht dessen, dass der Tatort wirklich nicht weit entfernt ist, sehe ich hier auch keinen wirklichen Logikbruch.

 

Hallo forsakingmax!

Gute Geschichte.

Der Stil ist das Beste daran, denn der ist sehr flüssig, gekonnt und nur selten etwas zu ausführlich (Beispiele siehe unten).

Der Plot ist mir persönlich etwas zu gedehnt, aber da dein Stil so schön ist, kann man die Geschichte ohne Probleme bis zum Ende durchlesen.
Das Ende ist gelungen, aber es offenbahrt dann leider auch eine kleine Schwäche deiner Geschichte: der Ich-Erzähler! Du kommst nämlich in die Bredouille, dass du einerseits nicht verraten darfst, dass er der Mörder ist, anderseits auch riskierst, dass sich der Leser hintergangen fühlt. Der Sinn einer Pointe ist nicht, den Leser zu hintergehen, sondern ihn zu überraschen. Das tust du mMn nicht richtig. Denn: der Ich-Erzähler erzählt alles haargenau, nur eben das Wichtigste lässt er aus. Das ist etwas - unfair (nicht das treffende Wort, aber ich hoffe du weißt, was gemeint ist).

Nichtsdestotrotz: eine gelungene Geschichte.

Ein paar Dinge sind mir noch aufgefallen - nur Vorschläge!

die im milden Sommer genauso wenig ein Dach über dem Kopf ihr Eigen nennen können, wie im klirrend kalten Winter
Das finde ich überzogen: Ich würde das "milde" vor Sommer und das "klirrend" vor Winter streichen - unnötig.

für eine solche soziale Organisation
Streichen.

und sich für Obdachlose einzusetzen.
Streichen, dann sparst du dir die Wortwiederholung, die unweigerlich im nächsten Satz folgt.

„Psssst!“, sagte ich. „Leise!“
Lautmalerei stört mich immer in der direkten Rede - ist aber subjektiv.

wurde literweiße Blut entdeckt.
Das klingt mir sehr übertrieben. Schreib doch: "Ne Menge Blut"

um einen alten, obdachlosen Mann vier Meter seines Darms zu stehlen?“
Bisschen harmlos formuliert.

ausgestochen worden, und durch die schwarzen Höhlen, aus denen das Blut geronnen war, wie Wasser aus einem Brunnen, konnte man bis zur grauen Masse des Gehirns sehen.
Das hintere Ende der Augenhöhlen besteht aus Knochen. Man müsste also den Knochen durchstoßen, wenn man das Gehirn sehen möchte. Zudem glaube ich aber, dass das viele Blut (das bei diesem Vorgang zwangsläufig entsteht) gerinnen würde, so dass es unmöglich wäre, das Gehirn zu sehen, wenn man die Augen herausgeschnitten hat.
Was schreibe ich hier eigentlich?

Dem Spanier fehlten drei Liter Blut, und selbst wenn man den Verlust, der durch Ohren, Augen und Kehle ausgetreten war, wegrechnete, kam man zu dem Entschluss, dass der Täter dem Opfer das Blut abgezapft haben musste.
Mich würde interessieren, ob es eine Methode gibt, das Blut im Körper einer Leiche und den Blutverlust so genau zu bestimmen. Das glaube ich nämlich nicht. Aber ich lerne gerne dazu.

nd sie wendeten all die Verfahren an, die man im Fernsehen bei CSI immer zu sehen bekommt
Würde ich streichen.

Der Polizist machte sich nicht die Mühe, irgendwelche Notizen zu machen. Er schien alles in seinem Kopf abzuspeichern.
Den zweiten Satz würde ich streichen. Der erste sagt schon alles aus und charakterisiert sogar noch den Polizisten.


In diesem Sinne
c

 

Hey chazar, vielen Dank für die sehr konstruktive Kritik.
Werde deine (berchtigten) Vorschläge umändern, wenn ich Zeit habe; das Ende jetzt aber zu ändern wäre mir zuviel Arbeit und eine Vergewaltigung der Story.

Danke jedenfalls (vor allem für die Augenhöhlen-Hirn-Blutgerinnungs-Sache ;) :))

 

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