Was ist neu

Im Traum

Mitglied
Beitritt
27.01.2004
Beiträge
356
Zuletzt bearbeitet:

Im Traum

Du hast wieder geschrieen und geweint. Ich bin zu dir gelaufen, habe meine Stiefel in Eile und Vorsicht über die zersplitterten Fliesen gleiten lassen. Der Mond hat mir den Weg zu dir geleuchtet. Jetzt bin ich hier bei dir und sehe dich an. Dein von Tränen durchnässtes Gesicht, deine Augen, die in allzu weite Entfernung starren und etwas suchen, das es für dich nicht gibt. Deine Hände, wie sie schmächtig über deinem bebenden Körper ruhen und den löchrigen Fetzen festhalten, der dich bedeckt.
Du siehst mich an und wieder nicht, dein Mund öffnet und schließt sich. Ich höre deinen Atem, wie er rasselnd aus deinen Lungen herausgepresst wird. Du hast Angst.
Ich nehme deine Hand in die meine und drücke sie sanft; der Ausdruck in deinem Gesicht verändert sich.
„Leon?“, fragst du.
„Ja, ich bin hier, Liebes“, flüstere ich dir zu und hauche einen flüchtigen Kuss auf deinen Handrücken.
„Leon...“, und du umarmst, drückst dich an mich. Ich spüre deine Tränen an meiner Haut.
„Da waren Männer, Leon. Sie haben alle getötet, das ganze Dorf. Leon, unser Dorf.“
„Beruhige dich, Anna, du hast nur schlecht geträumt.“
„Es liegt alles in Trümmern, nur mehr Ruinen, sie haben zerstört und getötet, Leon, diese Männer. Sie waren böse.“
Ich streiche dir sanft über den Kopf. „Alles in Ordnung, Liebes, du hast nur schlecht geschlafen.“
„Aber sie haben geschrieen. Und geweint.“
„Nein, du hast geweint“, ich lächle dich an und berühre sanft dein Gesicht. „Du warst das, weil du einen bösen Traum gehabt hast.“
„Ich habe es doch gehört...“
„Nein, Liebes, das war nur der Fernseher, ich habe ihn zu laut gedreht, es tut mir leid.“
Ich streiche dir durchs Haar und ein kurzes Lichterflackern erhellt deine Gestalt.
Wie schön du bist.
„Es war alles nur ein Traum?“, fragst du mich und starrst dabei durch mich durch in eine Entfernung, die ich nicht erfassen kann.
„Ja, Liebes, das war es. Nur ein Traum. Nichts weiter, als ein dummer, unwichtiger Traum in einer unbedeutenden Nacht.“
Jetzt lächelst du. Du strahlst förmlich im Dunkeln.
„Alles wieder gut?“, frage ich dich.
Du nickst. „Kann ich vielleicht noch etwas zu trinken haben?“
„Aber natürlich.“
Ich gehe hinaus, weiche Brocken und Löchern aus, betrete die Küche. Der Himmel ist klar und ich kann Sterne sehen. Ich hole eine Flasche aus dem Rucksack hervor, der auf dem Boden steht, schüttle sie. Halb voll.
Nehme dann noch Tabletten heraus, die mir noch geblieben sind. Du wirst schlafen, Anna, der Fernseher wird wieder leiser sein.
Mit der Flasche gehe ich zurück zu dir. Du hast dich aufgesetzt.
„Hier, Liebes“, und gebe dir das Wasser. Du trinkst es in gierigen Schlücken, der weiße Verband an deinem Hals färbt sich wieder leicht rot.
Du trinkst aus, hältst die Flasche in die Luft. Lächelst. „Danke, Leon, vergiss nur bitte nicht den Fernseher.“
Ich gebe dir einen Kuss. „Natürlich nicht. Ich liebe dich.“
„Ich dich auch.“
„Schlaf gut, Anna.“
Ich stehe auf, will die Vorhänge zuziehen, aber der zersprengte Fensterrahmen ist im Weg. Der kurze Blick aus dem Fenster zeigt mir, dass die Glutnester in den Ruinen der Nachbarhäuser noch immer nicht erloschen sind.
Dein Atem wird ruhiger. Wie schön du bist. Die Narben sind da unwichtig.
Etwas heult laut auf und kurz darauf kracht es. Ich hoffe, dass dein Fernseher bereits so leise ist, dass du es nicht mehr hörst.
Du wirst schlafen und hoffentlich nicht mehr so böse träumen. Träume doch von Schmetterlingen und der Sonne. Von Vater und Mutter, wie sie mit den Engeln tanzen.
Ich werde wieder in die Küche gehen und die Waffe neben meinem Rucksack aufnehmen. Mich dann wieder in Stellung legen. Es ist die Zeit der Melder.
Aber das ist unwichtig für dich, mein Liebes.
Wenn du mich brauchst, ruf nur. Ich werde da sein. Du weißt das.
Schlaf gut, Anna.

 

Hallo one weak,

fast surreal deine Geschichte. Es bleibt unklar, ob auch dein Protagonist nur träumt oder ob er Anna über die Realität belügt, in der sie sich befinden. Die Realität eines Kampfes, die sich auf ihre Beziehung auswirkt. Liebe als Überlebenskraft im Chaos zerbrochener Glasscheiben und Gefechtsdonners.
Eine in ihrem Grauen tröstliche Impression.
Einzige Kritik. Solche Teile wünschte ich mir normalerweise in längere Geschichten als Szene eingebettet.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim, hallo Angua!

Euch beiden einen schönen Dank fürs lesen und Euren Kommentar.

@sim
Grundsätzlich könnte man sich ja die Frage stellen, ob die Realität, wie wir sie kennen, tatsächlich die wahre ist. In diesem Falle aber, lebt Leon nicht in einer Traumwelt. Das Grauen ist echt. Er versucht sein Bestes, um seiner Schwester dieses Leid zu ersparen. In Andeutungen habe ich auch versucht zu zeigen, dass Anna aber bereits durch den Krieg gezeichnet ist (blind, Narben); daher kommen auch ihre Träume - und auch daher, weil sie die Sachen hört, aber nicht sieht.

Einzige Kritik. Solche Teile wünschte ich mir normalerweise in längere Geschichten als Szene eingebettet.
Die Zeit, die Zeit ...

@Angua

Ob es sich um einen Traum Leons handelt, kann ich auch nicht mit Bestimmtheit sagen, vermute aber, dass dem so ist.
Ich weiß, dass sich gewiße Dinge ausschließen (Eile-Vorsicht, zersplitterter Boden-gleiten), trotzdem hab ich das bewusst eingesetzt um diesen Effekt zu erzeugen. Eigentlich lebt Leon nicht in einer Traumwelt, versucht ehe, seine Schwester in einer zu belassen. Aber was ist schon wirklich und echt?
Du hast mit deiner Vermutung der kleinen Schwester recht gehabt. Ist die Anspielung mit den Eltern, die mit Engeln tanzen, doch angekommen ;)

Schöne Grüße,
one

 

One!

Was sagte ich zu dir? Du musst mir es doch mitteilen, wenn du eine neue Story postest... noch dazu in einem genrefremden Forum! :)

Dein von Tränen durchnässtes Gesicht, deine Augen, die in allzu weite Entfernung starren und etwas suchen, das es für dich nicht gibt.
Da sich diese Stelle wahrscheinlich auf etwas bezieht, das den meisten Menschen widerfährt, nur ihr verboten/verborgen ist, würde sich etwas wie:
das dir verwehrt wird
besser anbieten.

Nein, du hast geweint“, ich lächle dich an, dein Mondgesicht und berühre sanft dein Gesicht.
WW - beim zweiten "es".


Auf die Idee, dass der Protagonist träumen könnte, wäre ich nicht gekommen. Seine Schilderung von der Realität ist zu ... naja ... überzeugt.
Obwohl ich ja denke, dass es dir weniger um eine zerstörte Stadt ging, um ein zerstörtes Leben, um eine sich zerstörende Welt, als um die Frage, ob dies Liebe ist.
Kann man von Liebe sprechen, wenn man zu seinem eigenen Gunsten eingesperrt wird? (Auch wenn es sich nur um ein geistiges Gefängnis handelt, schließlich hat Anna keine Ahnung, was "wirklich" um sie herum geschieht).
Ist es wirklich zu Annas besten nur zu schlafen?
Natürlich, der Prot sieht das so:

Es ist die Zeit der Melder.
Aber das ist unwichtig für dich, mein Liebes.
Wenn du mich brauchst, ruf nur. Ich werde da sein. Du weißt das.
Schlaf gut, Anna.
Denkt er, er handele aus Liebe? Ein Beschützer vor der Realität? (Egal ob geschwisterlich oder nicht.)
Ja, mit Sicherheit denkt er das. Ob es dann tatsächlich so ist... ist eine andere Geschichte. ;)

Also, hat mir sehr gut gefallen!

Und denk an die PMs!!!!!!!!


Liebe Grüße
Tama

 

Hallöchen Tama!

Entschuldige vielmals die Nicht-Verständigung :shy:

Und nun: danke für's lesen und gut finden, freut mich immer wieder :)

Fehlerchen werden korrigiert.

Grüße,
One

 

Hi one!

Ich verstehe die Geschichte so, dass Leon nicht träumt. Er will für Anna eine Welt aufbauen, die schöner ist als das Grauen und das Töten des Krieges (?). Die Idee finde ich gut, auch wenn sie nicht neu ist.
Mir ist aufgefallen, dass Krieg etwas ist, was dich sehr zu beschäftigen scheint, Krieg und wie Menschen Menschen bleiben können, auch unter extremsten Bedinungen. Schwieriges Thema das, aber schreib doch mal eine längere Geschichte dazu. Oft beschränkst du dich nur auf kurze Bilder, die auch ihre Wirkung haben, sich aber nicht voll entfalten können, wenn sie zu wenig Kontext, zu wenig Hintergrund haben.
Nimm es als Anregung... wenn du willst, natürlich.

Hat mir gefallen.

Details:

und die löchrige Decke festhalten, die dich bedeckt.

Mondgesicht
Das finde ich abwertend, in meinen Augen ist ein Mondgesicht runfd teigig, blass. Soll es so rüberkommen?

In diesem Sinne
c

 

Hey chazar!

Freut mich, dass du die Geschichte gelesen hast und auch, dass sie dir gefallen hat.

Ich verstehe die Geschichte so, dass Leon nicht träumt. Er will für Anna eine Welt aufbauen, die schöner ist als das Grauen und das Töten des Krieges (?).
Genau so wollte ich es rüberbringen, korrekt erkannt. Leon träumt nicht, er beschützt seine Schwester. Aber, ja beschützen=beschützen? Auch das wollte ich damit in Frage stellen.
Mir ist aufgefallen, dass Krieg etwas ist, was dich sehr zu beschäftigen scheint, Krieg und wie Menschen Menschen bleiben können, auch unter extremsten Bedinungen.
Ja, ich finde dieses Thema sehr nachdenkenswert.

Wegen Länge: ja, die Zeit, die Zeit. Ich bin (leider) auch nicht der Typ, der seine Geschichten so schön planen und recherchieren UND sie dann auch noch schreiben kann. Das geht nicht, keine Ahnung, warum. Ich bin ein Moment und Instinktschreiber, der das schreibt, das er sich gerade denkt, oder Gedanken von einem bestimmten Zeitraum in einer Geschichte sammelt. Ich schreibe, wenn es mich überfällt, nicht, wenn ich es will ;)

Jedenfalls danke für eine Anmerkungen und Anregungen, ah, und ich dachte Mondgesicht is was hübsches :confused:

Grüße,
One

 

Moin One!

Die Geschichte ist dir wirklich gelungen. Sowohl inhaltlich, als auch stilistisch (wobei man natürlich immer an irgendwelchen Kleinigkeiten herummäkeln kann) hat mir das Ganze sehr gut gefallen. Du schaffst es mit wenigen Worten eine dichte Atmosphäre zu erschaffen und selbst die Pointe, die Umkehrung der Vorzeichen, funktioniert.

Tja, was bleibt mir noch zu sagen? Vielleicht, dass die Länge der Geschichte ein wenig ihre Möglichkeiten beschränkt? Eigentlich wurde es schon häufig genug angesprochen, aber so ganz ohne Kritikpunkt käme mir dieser Beitrag unvollständig vor.

Also, auf diese kurze Distanz hast du wirklich alles aus der Geschichte rausgeholt.

Jorgo

 

Hey Don!

Schönen dank fürs lesen und es freut mich wirklich, dass dir die Geschichte gefallen hat.
Ja, verbessern kann man immer irgendwo, irgendwas. nur manchmal verschlimmbessert man es dann ;)

Wegen der Kritik an der Länge: macht ja nix, man gewöhnt sich dran :D

Schönen Abend noch und danke
Grüße,
One

 

Hallo one weak,

Eine fast schöne Erzählung. Dein Stil baut eine verlorene Stimmung auf, die sehr passend ist. Auch wenn das Ende schon früh absehbar ist, hat mir diese kg doch gut gefallen. Aber ich bin da ein wenig der gleichen Meinung wie sim. Ein wenig mehr wäre auch nicht verkehrt gewesen ;) Nur müsstest du dabei die Kurve kriegen, denn viel mehr Text in diesem Erzählstil wirkt ermüdend.

„Nein, du hast geweint“, ich lächle dich an, dein Mondgesicht und berühre sanft dein Gesicht.
- Die zweimalige Nennung von Gesicht wirkt ein wenig holprig

Ich streiche dir durchs Haar und ein kurzes Lichterflackern erhellt dein Gesicht.
- Das hier ist übrigens nur ein oder zwei Sätze später. Wieder Gesicht. Da lässt sich doch was machen, oder? ;)

Noch etwas drinnen.
- drinnen klingt zu umgangssprachlich und passt nicht zum Rest des Textes


Einen lieben Gruß...
morti

 

Hallo morti!

Danke fürs lesen, es freut mich, dass dir die kleine Geschichte gefallen hat.
Bezüglich der Länge habe ich mich ja schon ausgesprochen ;)

Deine angekreideten Stellen werden behoben.

Schönen Gruß,
One

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom