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Im Zug

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22.11.2007
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Im Zug

Im Zug

Ich sitze im Zug und mein Handy piepst, ein SMS. Ich freue mich immer über jedes SMS, ausser es ist Werbung. Die ersten Worte auf der ersten Zeile: Absender Jan. «Ich möchte ...» Endlich meldet er sich. Wir hatten uns auf gestern Abend verabredet, doch er ist nicht gekommen, kein Anruf, kein SMS, kein Klingeln an der Haustür. Ich war mir sicher, er möchte sich entschuldigen für sein Verhalten. Ich lese weiter: «Ich möchte die Beziehung mit dir beenden. Alles Gute und viel Glück.» Ich lese das Geschriebene nochmals. Eine Stunde sitze ich im Zug und kann nicht glauben, was da stand. Er macht Schluss per SMS, mit mir. Spätestens als ich am Hauptbahnhof aussteigen muss, begreife ich langsam, was das für mich heisst. Ich hasse plötzlich SMS. Digitale Kommunikation war noch nie fruchtbar. Was soll ich tun? Kurzschlussreaktion. Ich lösche gleich alle seine erhaltenen SMS. Ich lösche Jan aus dem Speicher in der Hoffnung, er ist auch gleich in meinem Herzen gelöscht. Erstes klappt bestens, zweites überhaupt nicht. Ich weine nicht, wieso auch. Einer der per SMS Schluss macht ist keine Träne wert. Trotzdem er war meine heisseste Sommeraffäre, die ich je hatte. Ich dachte es sei Liebe. Er hat mich komplett aus der Bahn geworfen, mein Leben durcheinander gebracht, mich auf Händen getragen, mich bekocht, brachte Blumen vorbei, das gesamte Repertoire eines perfekten Gentlemans. Und nun alles weg einfach so?
Ich glaube als Sechzehnjährige hatte das letzte Mal einer mit mir offiziell Schluss gemacht. Ich mag mich gar nicht mehr so genau erinnern. Aber damals fragte man noch, willst du mit mir gehen? Und wenn einer mal nicht mehr wollte, hat er Schluss gemacht. 20 Jahre später holt mich die Vergangenheit ein. Nur hat man heute keine Courage mehr, eine Negativmeldung direkt zu sagen, sondern schickt feige ein E-Mail oder ein SMS. War ich jetzt traurig, wütend oder einfach nur enttäuscht? Ich kann meine Gefühle nicht einordnen. Es regnet heute und es bläst ein rauer kalter Wind. Es ist Herbst, die Blätter fallen von den Bäumen, der Himmel ist grau und fahl, genau wie die meisten Gesichter, die ich am Bahnhof betrachte. Keiner lächelt. Wie viele wohl schon ein solches SMS erhalten haben?

Ich muss zu einem Kundentermin, habe keine Zeit, mich im Selbstmitleid zu suhlen, dabei passt das Wetter genau zu meiner jetzigen Stimmung. Beim Kunden angekommen, versuche ich zu lächenl, was mir ganz gut gelingt. Er empfängt mich herzlich und ich tue so, als wäre dieses SMS nie bei mir angekommen, als hätte ich kein gebrochenes Herz. Der Kunde begrüsst mich freundlich wie immer und überhäuft mich gleich mit neuen Konzeptvorschlägen, die ich im Detail ausarbeiten soll. Ich sitze für meine Verhältnisse etwas apathisch da, kann mich nicht lange konzentrieren. Meine Gedanken schweifen zu Jan, zu unserer letzten gemeinsamen Nacht, die wir verbrachten. Wir hatten Sex, immer wieder. Er war intensiv in mich eingedrungen. Er hat eine spezielle Art, mich zu berühren, ich könnte nie genug kriegen. Was mache ich jetzt ohne Jan? Keiner von meinen Freunden wusste von dieser Liaison, dass habe ich nun davon. Jetzt kann ich auch keinem erzählen, dass er Schluss gemacht hat, schon gar nicht dem Kunden. Die ganze Wucht muss ich also alleine tragen. Schaffe ich das? Was macht man, wenn einer Schluss macht? Spazieren gehen? Sich in die Arbeit stürzen? Sich betrinken? Im Normalfall würde ich meine Wut beim Joggen ausleben, doch dass geht ja jetzt nicht.

Nach einer Stunde ist die Sitzung beendet, ich gehe nicht zum Lunch wie sonst sonder entscheide, gleich wieder zurückzufahren. Da sitze ich nun wieder im Schnellzug, 58 Minuten Fahrt, Abteil 12, Zugswagon 17. Ich schaue mich um, keiner sieht glücklich aus. Um auf andere Gedanken zu kommen überlege ich mir, was der Herr vis-à-vis im karierten Pulli wohl alles erlebt hat, dass er so grimmig dreinschaut. Ob man mir auch ansieht, dass mir meine Liebe gekündigt wurde? Jetzt wo der Herbst schon da ist und die Abende länger werden, werden auch meine Nächte noch einsam. Keiner der zu mir kriegt, keiner der mich hält und mir gute Nacht ins Ohr flüstert, mich wärmt unter der Bettdecke. Ein Leben ohne Liebe ist nur ein halbes Leben, die zweite Hälfte des Herzen fehlt. Schon wieder die Durchsage Endstation, bitte alles aussteigen. Kann ich auch aus meinem Leben aussteigen, zumindest vorübergehend?
Es bleibt mir nichts anderes übrig, ich verlasse den Zug und fahre zu mir nach Hause. Bei jedem silbern vorbeifahrenden Auto hoffe ich, dass Jan darin sitzt. Vielleicht steht er ja vor meiner Tür, hat eine Nachricht hinterlassen, einen Abschiedsblumenstrauss schicken lassen mit der Botschaft, Danke, es war schön mit dir...

Frauen leben von Illusionen. Es war nichts und niemand vor meiner Haustür. Ich betrete meine kalte, einsame Wohnung und schalte den Computer ein. Da meine Gedanken nicht auf einem SMS Platz haben schreibe ich ihm ein E-Mail mit folgenden Zeilen:

Lieber Jan
Ich muss dir einfach schreiben, es zerreist mich sonst innerlich und ich kann nicht abschliessen. Auch wenn du diese Zeilen nie liest, ich tue es für mich.

Ich lernte einen Jan kennen, ein Mann mit Format, Charme, Leidenschaft und vielen guten Ideen und einer Einstellung zum Leben, die mir gefällt. Optisch habe ich mich vom ersten Augenblick an angezogen gefühlt, ich kann es nicht erklären. Vielleicht muss man auch nicht für alles eine Erklärung haben, es ist wie es ist. Dieser Jan verführte mich mit aller Kunst eines Gentlemans. Ich versuchte gegen dieses Anziehungskraft, die du auf mich hattest, anzukämpfen, vergeblich. Ich war dir von der ersten Stunde an verfallen. Ich, die sich 30 Jahre gegen eine solche Schwäche der Leidenschaft gewehrt hatte, konnte deinem Charme nicht widerstehen. Selbst als Jugendliche war ich stärker als heute. Ich habe innerlich meine Schwäche nur damit entschuldigen können, dass es sich vielleicht um wahre Liebe handelt? Ich habe mir eingebildet, du empfindest das Gleiche. Das Schicksal führte uns zusammen, ich konnte dich nicht einfach so vorbeiziehen lassen.
So kam es auch bald zum ersten Kuss, an einem lauen romantischen Sommerabend, Sonnenuntergang mit Panoramablick von Restaurant aus. Dein Kuss war so leidenschaftlich, ich wusste in diesem Augenblick, ich habe mein Herz an dich verloren.
Ich begehrte dich, wie ich noch nie einen Mann begehrt habe.
Einen Sommer lang liebten wir uns, als gäbe es kein Morgen mehr, und jetzt wirfst du alles ohne Erklärung weg? Wie soll ich das verstehen? Lass eines gesagt sein, ein Mann von Welt verabschiedet sich nicht per SMS aus einer Affäre. Ich bin wütend über deine plötzliche stillose Art, wütend, dass ich dir so wenig bedeute, wütend, dass ich dich nicht mehr habe, wütend, dass ich dich nie mehr lieben kann und wütend, dass ich nie mehr ein SMS mit Absender Jan erhalte. Ich möchte dich nie mehr wieder sehen.
Miriam

Fast zwei Jahre sind seit dieser Trennung vergangen. Ich habe mich tatsächlich in Arbeit gestürzt. Jan habe ich nie mehr gesehen, kein SMS, keine Antwort auf das E-Mail, keine spontane Begegnung. Meine vielen Dialoge, die ich fiktiv mit ihm geführt habe, blieben bis heute ungehört. Auch wenn ich es nicht möchte, doch ab und zu schweifen meine Gedanken zu ihm, vielleicht nicht mehr jeden Morgen und jeden Abend, doch ab und zu muss ich schmunzelnd an einem bestimmten Abend bei ihm zuhause denken. Wir standen zusammen in der Küche, konnten vor lauter küssen kaum in der Pfanne rühren, tanzten durch seine herrschaftlichen Räume, Latinsound im Hintergrund. Ich musste von ihm ein schrecklich hässliches T-Shirt anziehen und ausser diesem T-Shirt und meinem Slip hatte ich nichts an. Beide waren wir Barfuss. Überall flackerten Kerzen. Es war einer der schönsten Momente mit ihm. Nie könnte ich diesen Abend aus meinem Kopf streichen.

In der Zwischenzeit habe ich einige Männer kennen gelernt, verliebt habe ich mich nie mehr. Eine flüchtige Bekanntschaft organisierte ein Sommernachtsfest, ich ging alleine hin. Es war einer dieser schwülen Abenden, wo man noch um Mitternacht hätte ins Wasser springen können. Ich nehme einen Drink an der Bar, suche meinen Bekannten. Plötzlich spüre ich einen heissen Atem in Nacken. Ein süsslicher Duft steigt in meine Nase. Ich drehe mich um und Jan steht da, einfach so, aus dem Nichts. Mir fehlen die Worte. Meine Füsse kleben wie Leim am Boden, meine Knie werden weich. Er lächelte mich an, als wäre nie was gewesen, als würden wir uns heute zum ersten Mal begegnen. Wir stehen da und mustern uns. Er ist älter geworden, denke ich. Er hat etwas an Gewicht zugelegt. Seine Schläfen werden langsam grau, doch attraktiv ist er noch immer. Plötzlich ist meine gemeinte Lähmung weg, ich spüre, wie die Kraft in meinen Körper zurückfliesst, wie ich mental stark werde. Ich hebe mein Glas und schütte es im genüsslich ins Gesicht. Er steht da wie ein begossner Pudel und für einen Bruchteil einer Sekunden hege ich sogar Schadenfreude. Ich drehe mich um und verlasse gleich die Party. Tief in mir weiss ich jetzt, dass ich mit Jan fertig bin. Ich habe nur auf eine Begegnung gewartet, um mit ihm abschliessen zu können. Endlich kann ich ihn auch in meinem Herzen löschen. Erst jetzt merke ich, wie gefangen nicht nur meine Gedanken waren, sondern auch ich. Gefangen von einer Liebe, die es schon lange nicht mehr gibt.

Vor meiner Haustür steht ein ortsunkundiger Herr, der an eine Sommernachtsparty möchte. Braunes lockiges Haar, schätze Mitte dreissig, schlank, braungebrannt, durchtrainiert. Ich erkläre ihm dem Weg und schenke ihm ein Lächeln, er lächelt zurück. Ich wünsche ihm viel Vergnügen und drehe mich um. Er ruft: «warte, willst du nicht mitkommen?» Doch ich höre es bereits nicht mehr und verschwinde in Hauseingang. Am nächsten Morgen klingelt es an der Haustür. Ein Blumenbote überreicht mir einen Strauss Sonnenblumen. Ich suche nach einer Karte. Ich bin mir sicher, Jan hat sich’s doch nochmals überlegt. Gut habe ich ihm meine Wut gezeigt. Doch auf der Karte steht ein anderer Absender mit folgender Botschaft: Danke für den Wegbeschrieb, würde mich freuen, wenn wir uns mal wieder sehen. Luca und seine Handynummer.

 

Hi Minnie,
eine schöne Geschichte. Eine der wenigen, die ich mehrmals gelesen habe. Alles könnte so oder ähnlich passiert sein; mir gefällt auch Dein Stil. Der Umgang mit der plötzlichen Trennung ist logisch und nachvollziehbar: Gute Erinnerungen bleiben erhalten; der
‚Schluss per SMS’ verdrängt; zum Vergessen in die Arbeit stürzen.
Ich finde aber, dass zu dieser Geschichte ein anderes Ende gehört: Es passt nicht zu einer selbstbewussten, selbstständigen Frau, dass der Märchenprinz nach 2 Jahren aus dem Nichts auftaucht, ihr einen Heiratsantrag macht und sie nur noch „JA!“ haucht.
Oder anders: Er verlässt sie schändlich, und nach 2 Jahren braucht er bloß mit dem Finger zu schnippen, und sie liegt ihm zu Füßen. Für meinen Geschmack ein etwas antiquiertes Klischee...

 

Hallo Minnie,
meiner Meinung nach geht bei deiner Geschichte so einiges daneben.
Den zum Teil recht gelungenen Beschreibungen der Gefuehle deiner Prot steht ein merkwuerdig lakonischer Berichtstil gegenueber, wie z.B bei der voellig ueberfluessigen Zahnarztepisode,wo du bis auf die Milimeter genau die Zahnoperation beschreibst. Ich wuerde mich hier wirklich nur auf das "verlassen werden" konzentrieren und das andere weglassen, den Zahnarzt, die Freundin usw. Das Ende ist grausamst und ich hoffe hier mal fuer alle Beteiligten, dass dies nicht eine wahre Begebenheit ist, sonst mueste ich jetzt ganz laut hysterisch schreien.
So bloed kann ja wohl niemand sein, einen Typen, der per sms mit ihr Schluss macht, nach 2 Jahren noch um den Hals zu fallen, geschweige denn ein Heitaratsangebot anzunehmen...? Oder ist das ganze eine Satire und ich habe es nur nicht kapiert?
Zitat:
Ich wo doch so gerne esse und immer Hunger habe.
Hier stimmt irgendwas nicht.

gruss, sammamish

 

Feedback

Danke für das konstruktive Feedback. Da muss ich mir wohl noch einiges einfallen lassen, damit die Geschichte passend endet.

 

Ich habe meine Geschichte umgeschrieben und auf die Zahnarztepisode verzichtet, ebenso habe ich den Part mit der Freundin weggelassen. Hoffentlich gefällt dir der Text jetzt besser, falls du ihn nochmals liest. Bin gespannt.

 

Hallo Minnie, so finde ich es wesentlich besser.
Und auch das Ende ist gelungener, auch wenn du doch noch eine kleine romantische Wendung hineingequetscht hast ( Du kannst es einfach nicht lassen, was? :lol:)
Ich persoenlich haette es bei dem Drinks ins Gesicht belassen, aber ich bin auch alles andere als romantisch! Die Geschichte konzentriert sich jetzt nur auf die Trennung und wirkt mehr.
Viele Gruesse, sammamish

 

Hi Sammamish
Eigentlich bin ich auch nicht der romantische Typ, doch da das Leben ja so grausam sein kann, liebe ich Happy Ends in Film und Buch;-).

 

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