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Im Zwielicht sterbender Monde
Fyalurs Raubtieraugen folgten jeder ihrer Bewegungen und der silbern schimmernde Stahl seiner Klinge reflektierte das Flackern der Feuer. Einige blonde Strähnen hatten sich aus dem Zopf gelöst und klebten nun an seinem schweißnassen Gesicht. Jeder Muskel war angespannt, die Schlacht um sie herum schon lange egal.
„Wieso bist du zurückgekommen?“ Seine Stimme war kalt und doch glaubte sie, Trauer darin schwingen zu hören.
Er trat einen Schritt auf sie zu.
„Weil ich nicht zulassen konnte, dass du ungestraft davon kommst.“
Er war ein Verräter, er war zum Tode verurteilt, er war geflohen. Und doch hatte sie ihn all die Jahre nicht aus tiefstem Herzen verachten können.
Die beiden Monde, die den dunklen Himmel erhellten, sanken langsam gen Horizont. Noch in dieser Nacht würde sie Fyalur sterben sehen. Würde den Stahl ihres Schwertes tief in seiner Brust versenken.
„Kannst du mich nicht verstehen? Oder willst du es nicht?“
Ein weiterer Schritt auf sie zu, und sie richtete ihre Waffe gegen ihn.
„Ist es schlimm, dass ich nicht verstehen kann, warum ein Hauptmann seine Männer in den sicheren Tod führt? Warum ein einstmals ehrbarer Mann seine Macht missbraucht, um Unheil über Tausende zu bringen? Sag mir, Fyalur, was soll ich verstehen?“
So viele waren gestorben. Wegen ihm, dem Verräter. Und doch würde er immer ein Teil von ihr sein.
Seine geschmeidigen Bewegungen, sein Lächeln, das ihr doch den Tod versprach. Das gleiche Funkeln in den Augen, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Kurz bevor er den Gang zum Galgen angetreten hatte.
„Was hätte ich tun sollen? Was hättest du an meiner Stelle getan?“
Nun war er nur mehr zwei Armeslängen von ihr entfernt, die beiden Schwertklingen schlugen leicht aneinander.
„Ich hätte gekämpft! Ich wäre einen ehrenhaften Tod gestorben. Für mein Land und meine Leute. Für meinen Vater!“
Fyalur lachte und schlug ihre Waffe spielerisch beiseite. Wie früher. Als noch alles in Ordnung gewesen war.
„Denkst du wirklich, das hätte etwas geändert? Denkst du, die Armeen des Feindes hätten Tir’Lan nicht auch ohne meine Hilfe einnehmen können? Ich habe diesen verdammten Krieg nur um viele Jahre verkürzt.“
Das einzige Fremde an ihm war seine Stimme. Sie hatte ihren liebevollen Klang verloren, war vollkommen emotionslos und kalt.
Sie parierte seinen ersten, leichten Schlag, der nicht dazu gedacht war, zu verletzen.
„Hast du dich je gefragt, wie es uns gegangen ist? Nachdem du uns alle verraten hast?“
„Nicht mehr, seit ihr mich am Strick aufknüpfen wolltet.“
Sein zweiter Hieb war heftiger, Zorn glitzerte in seinen Augen und sie wich einen Schritt zurück. Seine Klinge glitt an der ihren ab und er lachte erneut.
„Denkst du, du kannst alles ungeschehen machen, wenn du mich heute tötest? Sei froh, dass ich den Mut hatte, euch zu verraten! Sonst würdest du noch immer auf dem Schlachtfeld kämpfen. Für dein Land, deine Leute und deinen Vater. Und keiner würde es dir danken, wenn du eines Tages im Schlamm liegen und sterben würdest. Du wärst in diesem Krieg kein Held geworden.“
Sie wich seinem Angriff aus und setzte selbst zu ihrem ersten Schlag an. Ein Funkenregen ging hernieder, als sich die Klingen trafen und sie wirbelte herum, zog in der Drehung einen kleinen Dolch. Doch Fyalur reagierte schneller, seine Finger umschlossen ihr Handgelenk, bevor sie ihm den Stahl in die Seite stechen konnte.
„Ist ein Dolch nicht das Werkzeug feiger Meuchler und Diebe?“
Er wehrte ihren nächsten Hieb ab, ging vollkommen in die Defensive, als sie ihn mit weiteren, heftigen Schlägen eindeckte und hatte doch immer dieses Lächeln auf den Lippen. Er kannte sie, kannte ihren Kampf und sie wusste, dass sie ihn niemals besiegen konnte.
In stillem Einklang immer eins. Wie die beiden Monde, die man stets gemeinsam am Himmel sah.
„Hast du nie an einen Sieg geglaubt?“
Sie wich etwas zurück, ihre Arme schmerzten, obwohl der kurze Angriff sie kaum Kraft gekostet hatte. Er lächelte nur still.
„Im Krieg gilt es nicht, zu glauben, sondern zu handeln. Tir’Lan wäre gefallen. Weder du noch irgendjemand sonst hätte das verhindern können. Ich habe diesen Fall lediglich beschleunigt und dadurch Tausende vor einem sinnlosen Tod bewahrt.“
Sein Schlag zielte auf ihre Beine, geschickt sprang sie zurück, ließ selbst ihr Schwert vorschnellen. Er riss die freie Hand hoch, parierte ihre Klinge, die seine Brust getroffen hätte, mit der Metallschiene an seinem Arm. Damit hatte er sich schon früher, in ihren Übungskämpfen, oft vor einer Niederlage bewahrt. Sie verfluchte sich, dass sie nicht daran gedacht hatte, und wehrte seinen Angriff ab.
Ein dumpfer Schmerz zog sich durch ihren Schwertarm.
„Woher willst du wissen, dass Tir’Lan auch ohne deinen Verrat gefallen wäre? Schon so viele Belagerungen sind gescheitert. Warum also gerade diese nicht?“
Als seine Klinge erneut gegen die ihre schlug, hätte sie das Schwert beinahe fallen gelassen. Ihre Finger verkrampften sich um den Griff, als sie seine Waffe ein weiteres Mal mit dem Dolch ablenkte.
„Du willst mich nicht verstehen, deshalb wäre es sinnlos mich zu erklären. Warum nur bist du nicht zu Hause geblieben? Warum bist du zu mir gekommen?“
Sie spürte einen brennenden Schmerz, als scharfer Stahl über ihren Arm glitt, sie hatte viel zu langsam reagiert. Fyalur lächelte still. Dann setzte er zu seinem nächsten Schlag an. Nur mit Mühe parierte sie diesen, stolperte einen Schritt zurück, doch er folgte ihr und sie schrie auf, als seine Klinge sie am Bein traf. Viel zu langsam. Oder war er schneller geworden?
„Wo warst du, als mich alle hängen sehen wollten? Wo warst du, als ich eine Familie brauchte, die mir zur Seite steht?“
Sein Angriff jagte erneut Schmerzen durch ihren Schwertarm, warmes Blut rann langsam ihr Bein hinab.
„Du hast deine Familie verraten! Warum hätte ich zusehen sollen, wie sie dich aufknüpfen wollten? Du bist für mich gestorben, als du zum Verräter wurdest!“
Tränen schossen ihr in die Augen und nahmen ihr die Sicht. Wie oft hatte sie sich gewünscht, dass er zurückkommen würde. Dass sie einfach so tun könnten, als wäre nie etwas geschehen. Er war doch immer Teil von ihr. Niemals alleine, so wie die Monde, die den Horizont nun beinahe erreicht hatten.
„Du warst die Einzige, der meine Gedanken in den Monaten der Belagerung galten. An dich habe ich gedacht, als der Krieg mir alle Kräfte geraubt hat. Du bist alles, was ich noch habe. Warum also bist du nicht zu Hause geblieben?“
Seine Klinge prallte gegen die ihre und die Kraft des Hiebes schlug ihr die Waffe aus der Hand. Mit dem Dolch parierte sie seinen nächsten Angriff, stolperte erneut ein Stück zurück, doch immer war er in ihrer Nähe.
„Weil ich so nicht mehr leben kann. Du hast nicht nur dein Land verraten, sondern auch mich!“
Sie schrie ihn an, mit aller Kraft, die ihr noch blieb, und er hielt inne. Doch schon im nächsten Augenblick schnellte er vor, sie spürte den kalten Stahl, der tief in ihre Brust eindrang. Ihre Beine gaben nach, sie stürzte, schlug auf dem harten Boden auf. Der Schmerz hielt sie gefangen und ihre Augen waren auf Fyalur gerichtet, der sein Schwert langsam zurückzog. Nun nicht mehr lächelnd.
„Du wolltest immer Held sein, aber im Krieg gibt es keine Helden. Im Krieg gibt es nur Überlebende und Tote. Deinen Weg hast du selber gewählt und ich wünschte, du hättest dich anders entschieden. Wärst du nur zu Hause geblieben.“
Der silberne Schimmer der Monde legte sich über sie und umschloss ihren Geist mit kalten Fingern.
Fyalur neben ihr sank in sich zusammen und eine Träne rann über seine Wange, als er ihre Hand ein letztes Mal griff.
„Du fragst, warum ich euch verraten habe?“
Sie schloss die Augen und einzig seine Stimme war, was ihr in der Dunkelheit blieb.
„Weil ich dich schützen wollte, kleine Schwester. Weil ich wollte, dass der Krieg endet, bevor du auf dem Schlachtfeld stirbst. Im Schlamm, zwischen tausend anderen. Und nun bin ich es, der dein Leben beenden muss, damit du Ruhe finden kannst. Ich hoffe, irgendwann kannst du mir verzeihen.“
Und als ihr Atmen verstummte, erhob er sich und schritt der aufgehenden Sonne entgegen.
Heimatloser Krieger, der er war.