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In den Abgrund tauchen
I.
Es traf ihn völlig unerwartet.
Stefan saß auf der Couch, schaute fern und blickte ab und an zu seinem Mobiltelefon. Er war mit Tobias verabredet, sie wollten raus in die Nacht, zu einer Techno-Party im alten Depot. Den Alltag vergessen, sich dem Rhythmus hingeben, verschmelzen mit dem Beat.
Als es an der Wohnungstür klingelte, dachte er im ersten Moment an Tobias, der vielleicht statt durchzurufen direkt rüber gekommen war. Noch gemeinsam einen Joint ziehen, um dann von hier aus aufzubrechen. Lag ohnehin auf dem Weg.
Er öffnete die Tür, ohne das Vorhängeschloss einzuhaken. Vor ihm zwei südländische Kerle in dunklen Lederjacken. Hatten die sich in der Tür geirrt?
Da traf ihn bereits eine Faust mitten ins Gesicht, er knallte gegen die Wand hinter ihm. Mit einem Schmerzensschrei griff er nach seiner Nase, spürte warmes Blut zwischen den Fingern. Da griff ihn der bullige Typ schon mit der Pranke am Hals, wie um ihn an der Wand zu stabilisieren. Der Griff erstickte jeden Laut in seiner Kehle.
Jetzt betrat auch der zweite Mann die Wohnung, zog die Tür hinter sich zu und starrte ihm fest in die Augen.
Tobias versuchte ein paar Mal, seinen Freund auf dem Handy zu erreichen, landete aber jedes Mal auf der Mailbox. „Blöder Sack“, dachte er, eher amüsiert als wütend. „Fest verabredet, dann kommt irgendein Fick dazwischen, und die Freunde sind erstmal abgemeldet.“
Er ging allein in den Club, traf dort wie üblich viele Bekannte, verlor sich im Strudel der Nacht. Erst als am nächsten Morgen dämmriges Licht durch die Scheiben der Bar drang, und er sich auf den Heimweg machen wollte, fiel ihm Stefan wieder ein. Er schaute auf sein Handy – kein Anruf, keine Nachricht. Das war dann doch ungewöhnlich, ein ungutes Gefühl stieg in ihm auf. Er beschloss, auf dem Heimweg bei Stefan vorbeizuschauen.
Auf das Klingeln reagierte niemand, aber das Schloss der ramponierten Haustür war noch immer defekt, so dass er trotzdem ins Treppenhaus gelangte. Hastig eilte er die fünf Stockwerke zur Wohnung seines Freundes hinauf.
Die Tür war nur angelehnt.
„Stefan?“
Keine Antwort.
Dann sah er den roten schmierigen Fleck an der Wand direkt gegenüber. Blut! Nur dieser eine Gedanke.
Sein Herz pochte, sein Gaumen war trocken. Trotz durchzechter Nacht war er jetzt hellwach. Er stürzte in das Wohnzimmer, sah rote Flecken auf dem Teppich, rote Spritzer an der Wand - und schließlich seinen Freund gekrümmt in einer Ecke liegen, das Gesicht eine einzige geschwollene blutunterlaufene Wunde. Wie in Zeitlupe beugte er sich zu ihm herunter. Er atmete – schnell und schwach zwar, aber er lebte.
II.
Marc wohnte bereits seit ein paar Jahren in Berlin, aber war bislang nie im Depot gewesen. Er hatte viel von dem Club gehört, von der krachend harten Techno-Musik, die hier die 90er überdauert hatte, vom bunt gemischten Publikum aus Heteros, Homos und nicht Festgelegten, und von der eigentümlichen Ernsthaftigkeit, mit der hier jedes Wochenende gefeiert wurde, als gelte es, das Ende der Welt einzuläuten. Drogen schienen dazuzugehören, und Marc verstand jetzt auch warum – ganz nüchtern ließ sich die ohrenbetäubend laute Musik kaum ertragen. Er hatte mit seinen Freunden etwas gekifft und kam jetzt auch innerlich langsam hier an. Amüsiert und neugierig betrachtete er das Spektakel um sich herum.
Sein Blick schweifte über die Tanzfläche und blieb an einem großen, schlanken Typ mit kurzgeschorenen Haaren hängen, der die Augen geschlossen hatte und selbstvergessen ein paar Meter vor ihm tanzte. Er trug dunkle Stiefel, eine verwaschene, gebleichte Jeans und ein weißes Unterhemd, das ihm schweißnass auf der Haut klebte. Als er es auszog, fiel ihm Marcs Blick auf. Verlegen schaute Marc zur Seite, als sei er bei etwas Unanständigem erwischt worden. Einen Augenblick später besann er sich, schaute wieder auf diesen Typ vor sich, und als der ihn anlächelte, erwiderte er den Gruß. Sexy war er, etwas härterer Stil, als er gewohnt war, aber gerade das reizte ihn jetzt. Als er auf ihn zukam, schnürte es ihm fast die Kehle zu vor Aufregung.
„Stefan heiße ich“, sagte der dann, den Mund nahe an Marcs Ohr gerichtet, um trotz des Lärms verstanden zu werden. Sie schüttelten einander die Hand.
„Marc“, erwiderte dieser. Je weniger Worte man wechseln musste, umso besser. Er genoss noch immer den festen Händedruck.
Stefan deutete zu einem angrenzenden ruhigeren Raum, in dem es sich schon einige Leute auf Sofas bequem gemacht hatten. Marc nickte zustimmend, vielleicht etwas heftiger als geplant, und sie steuerten durch die Menge auf einen freien Platz dort hinten zu.
„Zum ersten Mal hier?“, fragte Stefan, nachdem sie auf einem freien Sessel Platz genommen hatten. Marc saß auf der Lehne, Stefan hielt ihn von hinten und strich ihm mit den Fingerspitzen über den Rücken.
„Wie kommst Du darauf? Hast aber Recht.“
Stefan grinste. „Ach, Du wärst mir sicher sonst schon mal aufgefallen hier.“ Dann deutete er auf Marcs helle Leinenhose. „Und wenn man diesen Siff-Laden kennt, vermeidet man helle Klamotten.“ Er schaute Marc in die Augen. Ihre Gesichter entspannten sich, das Lächeln löste sich auf, und alles um sie herum wurde unscharf, fiel aus dem Fokus. Stefan beugte sich noch näher zu Marc hin und gab ihm einen Kuss auf die Lippen. Als er spürte, wie sich Marc dieser Berührung hingab, strich er mit den Lippen sanft über dessen Gesicht, behauchte zärtlich seinen Mund und küsste ihn erneut.
„Kann man Dir denn heute Nacht noch was Gutes tun?“
Marc überlegte. „Nen bisschen müde bin ich. Ne Cola wär nicht schlecht.“
„Ich glaube, da hab ich noch was Besseres.“ Stefan strich ihm mit der Hand durch die Haare, deutete ihm dann aufzustehen und ging ihm voraus, noch weiter in den hinteren Bereich der Lounge. Marc folgte ihm, es war froh, für einen Moment die stampfende Musik hinter sich zu lassen.
Stefan steuerte zuerst auf die Bar zu, ging dann aber daran vorbei und weiter zu den Toiletten, die dahinter lagen. Dort blieb er stehen und wartete offenbar darauf, dass eine der Kabinen frei wurde. Er lächelte Marc an, zog ihn am Hals zu sich, küsste ihn. Sanft drang seine Zunge in Marcs Mund und spielte in der Feuchtigkeit. Mehr und mehr gab sich Marc hin und ließ sich in die Umarmung fallen.
Endlich öffnete sich eine der Türen, Stefan steuerte Marc in die Kabine und schloss die Tür hinter ihnen. Er griff in seine Hosentasche, holte das Portemonnaie heraus und fingerte aus einem Fach einen Beutel mit weißem Pulver hervor. Mit der anderen Hand griff er nach seinem Schlüssel, tauchte ihn in das Pulver, führte ihn zur Nase und zog das sich das Zeug heftig die Nase hoch.
Marc hatte bis auf Kiffen keinerlei Erfahrungen mit Drogen und sah in einer Mischung aus Neugierde und Abwehr zu. Als Stefan die Schlüsselspitze wieder mit dem Pulver bedeckt hatte und ihm anbot, wehrte er ab.
„Ich glaub, das ist nix für mich.“
Stefan lächelte ihm zu und gab ihm dann einen erneuten Kuss. „Keine Angst, ist nicht sehr stark. Wird Dir gefallen.“
Marc schaute in Stefans dunkle Augen; es war ihm, als könne er noch immer den Kuss auf seiner Haut spüren. Er bewegte seinen Kopf etwas nach vorn, Stefan hielt ihm den Schlüssel unter das rechte Nasenloch und drückte ihm gleichzeitig das linke Nasenloch zu. Mit einem Schnaufen inhalierte er das Pulver. Ein leichtes Brennen zog die Nase hoch und explodierte an der Wurzel. Dann wieder Stefans Lippen, Stefan, der ihn fester an sich heranzog, mit den Händen seinen Rücken kräftig massierte - und er fühlte sich selig, wunderbar leicht, als habe ihm jemand die ganze Last der Existenz abgenommen.
Stefan zog Marcs T-Shirt nach oben, und bereitwillig hob Marc die Arme, um es sich über den Kopf streifen zu lassen. Stefan hängte es an die Türklinke und leckte Marc über den Oberkörper, küsste ihn erneut, rieb seinen sehnigen Körper gegen ihn, drehte ihn herum, hauchte ihm in den Nacken und biss ihn sanft in die Schulter. Seine Hände strichen über Marcs Bauch, knöpften dessen Hose auf, zogen sie ein Stück herunter und umfassten den freigelegten Schwanz.
Eine Woge warmer Energie strömte durch Marcs Körper, er fühlte sich erweitert, jede Berührung schien seinen Leib empfindsamer zu machen, weiter zu öffnen. Kein bewusster Gedanke mehr daran, wo er überhaupt war, nur hier mit Stefan - das war alles, was zählte.
Stefans Zunge erkundete Marcs Rücken und erreichte bald dessen Hintern. Marc begann heftiger zu atmen. Seine Pobacken wurden sacht auseinander gezogen, und dann vergrub sich Stefan dazwischen, leckte ihn in langen Zügen und versuchte, immer noch tiefer mit der Zunge in sein Loch einzudringen.
Dann stand Stefan wieder aufrecht hinter ihm, küsste seinen Nacken, und Marc spürte dessen warmen feuchten Schwanz zwischen den Beinen, der sich ganz langsam, fast unmerklich, hin und her bewegte. Als er in ihn eindrang, löste sich ein lang gezogenes Stöhnen aus seiner Kehle, wie ein „Nein“, aber auch das ging unter in einer Welle von Verlangen. Stefan zog seinen Schwanz ein Stück zurück, nur um dann wieder bis an einen ersten Widerstand vorzudringen.
Die Droge erreichte ihren Höhepunkt. Marc war etwas schwindelig, die Augen geschlossen, spürte nur noch seinen Unterleib. Jeder Sinneseindruck füllte ihn vollständig aus, intensiver, als er es je für möglich gehalten hätte.
Er kam wieder zu sich, als Stefan ihn umdrehte, sich vor ihm auf den Boden kauerte und Marcs Schwanz mit langsamen, fordernden Zügen zu massieren begann. Marc fühlte eine heiße Energie in seinem Körper hochschießen, spürte, dass er gleich kommen würde, und versuchte sich zur Seite zu drehen. Stefan aber hielt ihn am Becken fest, und so spritzte Marc ihm direkt in das Gesicht.
Gierig leckte Stefan ein letztes Mal Marcs Schwanz ab, wischte sich dann mit der Hand grob das Gesicht sauber und stand wieder auf.
„War geil mit Dir“, raunte Stefan ihm ins Ohr und küsste ihn ein letztes Mal auf den Hals.
Wie ein Vampir, dachte Marc. Er fühlte sich desorientiert. Das Abspritzen war wie ein Aufwachen aus einem Traum gewesen. Noch ein leichtes Nachglühen in seinem Körper, sein Arsch und sein Schwanz noch wie elektrisiert, aber gleichzeitig fühlte er sich, als sei er gegen seinen Willen hierher entführt worden.
An der Bar tauschten sie noch ihre Email-Adressen und Telefonnummern aus und versprachen sich die Tage zu kontaktieren. Dann verschwand Marc eilig nach draußen, ohne sich von seinen Freunden zu verabschieden. Die kalte Morgenluft tat ihm gut. Er lehnte sich an die Grafitti-beschmierte Wand neben der Eingangstür, atmete tief ein und aus und sah dem Hauch seines Atems nach, der langsam nach oben stieg. Ein verhangener Tag, es würde kaum richtig hell werden.
III.
Von: Marc Schneider
An: Stefan Habich
Gesendet am: Mittwoch, 7. Juli 2004 15:51
Betreff: Depot-Bekanntschaft
Hallo Stefan,
Ich habe eine Frage, und das klingt vielleicht blöd, und Du wirst sie vielleicht auch nicht beantworten wollen, aber ich habe Fieber und geschwollene Mandeln und bin hier ein Stück weit in Panik. Bist Du negativ oder positiv? Ich hoffe, Du antwortest…
Marc
IV.
Die Entscheidung, sich seinen Eltern zu offenbaren, war keine. Er war als Student über deren private Krankenversicherung gemeldet, und dadurch bekamen sie seine Behandlungsdaten übermittelt – und das schloss die Laboruntersuchungen und Diagnosen mit ein. Er hatte den Zeitpunkt soweit wie möglich nach hinten geschoben, aber irgendwann war der Tag gekommen, an dem sein Arzt meinte, er hätte jetzt keine andere Alternative mehr und müsste mit einer Therapie beginnen.
Seine Eltern waren sofort zu ihm gefahren, saßen jetzt vor dem kalt werdenden Kaffee schweigend am Esstisch der kleinen Studentenbude und starrten ihn hilflos an. Eine bleierne Schwere drückte ihn nieder, sein Kreuz hing durch, er wünschte sich, einfach verschwinden zu können, unsichtbar zu sein, ausgelöscht. Stattdessen saß er dort und versuchte, den Blicken stand zu halten.
„Oh Gott, Junge“, seufzte seine Mutter, Tränen in den Augen. Ein Schluchzen zwang sich aus ihrer Kehle. Sein Vater nahm sie in den Arm, drückte sie an seine Seite, schaute ihn dabei weiterhin an. Marc konnte keinen Vorwurf in seinem Blick erkennen, nur Trauer und ein Gefühl, als habe seinen alten Herrn jede Kraft verlassen.
„Wie ist es passiert?“ durchbrach sein Vater das Schweigen.
Marc stockte, überlegte, was er erzählen und was er besser auslassen sollte. Sex auf einem Klo in einer Diskothek war nichts, was in der Vorstellungswelt seiner Eltern vorkam. Und er selbst verspürte noch immer Scham und Wut darüber, dass er sich von diesem wildfremden Typ ohne Gummi hatte ficken lassen. Doch dann ließ er die Schultern sacken und erzählte frei heraus, was in jener Nacht passiert war.
„Hast Du mit diesem Stefan noch mal gesprochen? Weiß der überhaupt, dass er Dich angesteckt hat? Weiß der überhaupt, dass er positiv ist?“
Marc spürte etwas wie einen fetten Kloß im Hals. „Ich hab ihm damals eine Email geschrieben. Aber er hat nie geantwortet.“
Sein Vater starrte wie betäubt nach unten. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Das Schwein würde zahlen. Dafür würde er sorgen.