Was ist neu

In der kleinen Wohnung

Mitglied
Beitritt
05.02.2005
Beiträge
8

In der kleinen Wohnung

Das erste was ich sah an diesem Morgen, war die Deckenlampe, die über meinem Bett hing. Die Glühbirne flackerte ein bisschen und surrte und ich merkte, dass auch mein Kopf surrte. Ich versuchte mich zu strecken und stöhnte auf, meine Glieder waren schwer und meine Zunge ein Fremdkörper in meinem Mund, pelzig und bleiern. Mir war schlecht.
Ich kroch aus meinem Bett und fühlte mich schrecklich. Der Boden war kalt und überhaupt war mir kalt und ich schlotterte ein bisschen und merkte, dass ich gar keine Unterwäsche trug und das wunderte mich. Im Flur war das Licht an, ich knipste es aus und in der Küche machte ich mir einen starken Kaffee und setzte mich an den kleinen Küchentisch. Der Kaffee war heiss und dampfte und ich betrachtete die dampfende Tasse und befühlte mit der Hand meinen surrenden Kopf. Ich schaute auf die Uhr am Backofen, es war früh. Der heisse Kaffee floss über meine pelzige Zunge und ich begann zu denken. Ich war noch immer nackt, ich sass nackt in meiner kleinen Küche an meinem kleinen Küchentisch. Ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, was mit mir passiert war. Ich versuchte mich zu erinnern und trank noch mehr Kaffee und mir war jetzt nicht mehr kalt. Ich strengte mich wirklich an. Der pelzige Belag auf meiner Zunge war jetzt verschwunden und dem säuerlich bitteren Kaffeegeschmack gewichen. Ich erinnerte mich nicht. Mein Kopf war leer, da war nur das Surren, begleitet vom Surren der Kaffeemaschine, die neben mir auf der Anrichte stand. Ich war beunruhigt. Ich stand auf und ging in der Küche umher.
Letzte Nacht. Ich musste mich doch erinnern! Ich ging auf und ab und auf und ab un schliesslich in den Flur, wo ich die Wohnungstüre unabgeschlossen vorfand. Ich drehte den Schlüssel zweimal um und auf dem Weg ins Badezimmer stolperte ich über meine Schuhe, was mich freute, denn ich konnte mich erinnern sie letzte Nacht getragen zu haben, und das war das erste und letzte woran ich mich erinnern konnte. Im Badezimmer zuckte ich zusammen, weil mich das grelle Licht blendete und das Surren im Kopf noch schlimmer machte und dann zuckte ich erneut zusammen, als ich mich im Spiegel sah. Meine Augen waren verquollen und gerötet, die Haut zerknautscht und bleich und meine Haare sahen aus wie nach einem sehr schlimmen Sturm.
Ich bemerkte es erst, als ich mich noch ein bisschen genauer betrachtete. Es war auf meinem linken Oberarm und nicht zu übersehen und ich wunderte mich, dass ich es erst jetzt bemerkt hatte. Es stand nur dieses eine Wort und ich hatte keine Ahnung, wie es dort hingekommen war und langsam kam mir dieser frühe Morgen in meiner kleinen Wohnung unwirklich vor. Tom. Ich kannte keinen Tom. Gut, ich hatte einen Kater, ich hatte einen wirklich schlimmen Kater und mir war schlecht und mein Kopf surrte, doch ich wusste, dass ich keinen Tom kannte. Überhaupt konnte ich jetzt sehr klar denken und ich wusste schliesslich, wer ich war und wo ich war und wo ich arbeitete und ich wusste meine Versicherungsnummer. Ich war jetzt wirklich beunruhigt. Ich stand nackt und verkater in meinem kleinen Badezimmer und betrachtete dieses Tatoo und wunderte mich. Ich setzte mich auf die Klobrille und sie war kalt und klebte an meinem nackten Hintern und ich bekam eine Gänsehaut und dachte nach. Der Wasserhahn tropfte. Ich pinkelte. Ich spülte nicht, sondern blieb sitzen und dachte weiter nach. Der Wasserhahn tropfte noch immer und ich schielte auf meinen Oberarm und erinnerte mich noch immer an nichts. Ich stand auf und spülte und schaute in die Kloschüssel und wie alles hinuntergespült wurde. Mein Hintern schmerzte und ich war mir sicher, dass die Klobrille einen Abdruck hinterlassen hatte.
Zurück in der Küche fütterte ich die Katze, sie strich um meine nackten Beine und schnurrte und vom Geruch des Katzenfutters wurde mir noch schlechter und ich ging zurück ins Badezimmer und übergab mich. Diesmal verzichtete ich beim Spülen auf den Blick in die Kloschüssel, ich schloss den Deckel und wischte meine Mundwinkel ab. Dann klingelte das Telefon.

Wir sitzen zusammen am See und beobachten die Enten, die vorbeischwimmen und von unserem Brot wollen. Er streichelt meinen Arm und lächelt mich an und ich glaube, wir sind glücklich und das ist gut so. Ich habe ihm nie erzählt von diesem Morgen und dass ich mich nicht erinnern kann an diese Nacht und daran, wie ich ihn kennengelernt habe. Vielleicht ist es ja besser so.

 

Hi!

Ich würde den Kontrast zwischen den beiden Erzählblöcken stärker herausarbeiten, vielleicht mittels Syntax (ausgebaut hier, knapp dort).

Mir gefällt das Motiv des erinnerungslosen Erwachens. Die Wiederholung des Wortes "nackt" und "pelzig" legt ein verstecktes Symbol nahe.


Schöne Grüße an die Schweiz,
Monty

 

hi einoel,

gefällt mir gut, deine geschichte ... am anfang denkt man an einen krimi ...

mein lieblingssatz:

"Er streichelt meinen Arm und lächelt mich an und ich glaube, wir sind glücklich und das ist gut so."

keine weiteren fragen :D ...

lg, h.

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom