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In der Schleife

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26.08.2010
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In der Schleife

Ich sitze auf dem Klappstuhl in der Küche und warte. Ich rauche nicht, trinke nicht, höre keine Musik. Wie lange saß ich nicht mehr so, ohne jede Ablenkung?
Im Nebenraum ist Sofie mit einer Plastiktüte zugange. Ich kann das Rascheln und Knistern hören. Sie packt.


Am Mittag waren wir zusammen auf dem Fluss. Es waren Gewitter gemeldet und doch schien es ein schöner Tag zu werden. Wir hatten Lachs und Wein eingepackt, hatten das Schlauchboot aufgepumpt und in die Altmühl gesetzt. Das alte Ritual. Drei Stunden konnte man sich eine riesige Flussschleife hinabtreiben lassen und kam beinahe wieder am Ausgangspunkt an.

Nachdem wir die Flasche entkorkt hatten war Wind aufgekommen und in den Badesachen froren wir. Wir redeten kaum und an ihrem Blick erkannte ich, dass ihr das nicht passte.
„Ich mach mir Sorgen,“ sagte sie. „Du warst seit fünf Wochen in keinem Kurs. Du hebst kaum ab, wenn man dich anruft.“
Ich atmete durch. Dann legte ich mich zurück, so dass mein Kopf auf dem Bootrand ruhte und betrachtete die Wolken. Regenwolken. „Bitte,“ sagte ich. „Das hatten wir schon.“
Eine Zeit lang trieben wir in vollkommener Ruhe, dann sagte sie so etwas wie: „Wenn du so weiter machst, werfen sie dich nach der Zwischenprüfung raus“ und dann bekam ich nichts mehr mit, weil mich der Fluss faszinierte. Es hatte zu regnen begonnen und die Tropfen fielen ins Wasser, obwohl die Sonne noch durchkam. Jeder Einschlag ein Lichtblitz.

„Hey,“ rief sie, „hörst du mir zu? Genau das meine ich, du kümmerst dich nur um dich. Dir ist alles egal.“
„Absolut alles,“ sagte ich und grinste. „Komm her, wütendes Mädchen!“
Ich betrachtete sie in ihrem nassen Bikini. Die Kälte hatte ihre Brustwarzen aufgerichtet. Ich wusste, dass sie deren Form nicht mochte, aber mir gefielen sie.
Sie starrte mich an, sagte nichts, aber dann krabbelte sie doch auf meine Bootseite und umarmte mich.


„Wo sind meine Overknees?,“ ruft sie aus dem Nebenraum. Ich blicke auf den Tisch. Wie hässlich dieser Metalltisch eigentlich ist. „Weiß nicht,“ flüstere ich.


Sie küsste mich und ich strich mit der Hand die winzigen Regentropfen von ihren Armen. Wir trieben durch ein Waldstück, in dem sich der Fluss ausdehnte und an Strömung verlor. Kein Haus, kein Weg, keine Anlegestelle. Ideal, dachte ich, und Sofie presste ihren Körper gegen meinen, aber da sah ich hinter ihrem Kopf drei Boote aus einem Nebenarm auftauchen. Sie waren mit Seilen zusammengeknotet, so dass die Männer, die darauf saßen trinken konnten, ohne sich ums Steuern zu kümmern. Sie benutzten die Paddel, um ins Wasser zu schlagen, sich gegenseitig nass zu spritzen oder Schaukämpfe auszufechten.
Ich griff nach den Rudern, um weiterzukommen, aber wir waren schon entdeckt. Zuerst brüllte nur der Kühnste von ihnen, dann stimmten alle ein. Gleichzeitig klatschten sie sämtliche Paddel aufs Wasser. Sah witzig aus und auch der Lärm war beeindruckend. Sofie jedenfalls schien ihre Augen nicht abwenden zu können. Ob ihr die vielen Muskeln gefielen?

„Was machst’n so allein hier draußen?,“ rief ihr ein Dünner mit Stoppelhaaren zu. „Ich sonn mich,“ antwortete Sofie und gab mir demonstrativ einen Kuss.

„Wir sind nämlich Piraten,“ rief Stoppelhaar und grinste seine Kameraden an. Woraufhin diese wieder die Paddel aufs Wasser schlugen, dann eintauchten und ihr Dreierfloß in Bewegung setzten. „Mach was“, flüsterte Sofie. Ich betrachtete die enormen Arme der Ruderer. Selbst wenn ich Jahrzehnte lang Hanteln heben würde, bekäme ich keine solchen Muskeln. Ich tauchte die Paddel ins Wasser, aber zog sie nicht durch. „Mach was!“, drängte Sofie jetzt. Ich sah, dass zwei der Männer noch einen Zug aus ihrer Bierflasche nahmen, aber die Mehrzahl konzentrierte sich. Es roch nach Pulverdampf, tropfendem Öl, Aromen eines Gelages.


Eine Schublade wird zugeschoben, dann tritt Stille ein. Was tut sie? Überlegt sie, was sie vergessen könnte? Sitzt sie auf meinem Bett? Weint sie?
Meine Gedanken schweifen wieder aufs Wasser. Sofie im Schlauchboot. Ihre Formen, kaum vom Bikini verhüllt. Zehn Freibeuter. Was für eine Rolle sollte ich dabei spielen? Ich passe nicht in das Stück. Wer weiß, vielleicht hat sie es gar inszeniert. Diese gewaltige Flusskreatur entworfen, aus der Arme hervorschießen, um Sofie aus unserem Boot zu ziehen. Ihr Kreischen, ihr verrutschter Bikini.
Die Vorstellung erregt mich und ich lasse meine Stirn gegen den Tisch fallen. Das hilft. Sofie betritt die Küche. Offenbar haben die Anhängsel ihres Lebens in zwei Tüten gepasst. Beide halbleer.
„Wo bist du? Wo bist du die ganze Zeit?,“ fragt sie und fixiert mich. Dann dreht sie sich um, geht zur Wohnungstür. Öffnet sie und verschwindet. Ich kann mich nicht dagegen wehren, ihren Po anzustarren.
Dann sitze ich weiter auf dem Klappstuhl in der Küche und warte. Ich rauche nicht, trinke nicht, höre keine Musik.

 

Hey T Anin,

ich hatte mich gar nicht mehr getraut noch was zu Version zwei zu sagen, weil ja eigentlich auch alles schon gesagt wurde.
Mehr heißt nicht immer - schaff da mehr Probleme rein, sondern male ein paar Bilder rechts und links des Weges, so zwischenzeiliges Zeugs, worüber der Leser Atmosphäre und Figuren erfahren kann.

Nun ist es wirklich sehr viel schöner. Ich bin ja auch kein Freund von dicker Dramatik, sondern liebe diese leise Art; also nicht, das Drogen zwischen den beiden stehen, sondern eben so alltägliche Kleinigkeiten, wie z.B. die Ich-Bezogenheit oder das Nicht-Miteinanderreden. Das hast Du jetzt schön herausgearbeitet. Auch die kurze Andeutung, was da noch auf dem Fluss passiert, reicht völlig.

Zwei Kleinigkeiten noch:

„Was machst’n so allein hier draußen?,“ rief ihr ein Dünner mit Stoppelhaaren zu. „Ich sonn mich,“ antwortete Sofie, gab mir dann aber demonstrativ einen Kuss.

Finde ich ungeschickt in der Formulierung - streich mal das "aber dann" und stell um, so das es aktiver wird - nicht so drangehängt klingt.

Woraufhin diese wieder die Paddel aufs Wasser schlugen, dann aber begannen, sie einzutauchen und ihr Dreierfloß in Bewegung setzten.

Hier gleich wieder, diese "aber dann" Formulierung. Klingt auch nicht wirklich ;).

Ich denke, all die Arbeit hat sich gelohnt. *Fleißbienchen*

Lieben Gruß Fliege

 

Das sind die ersten recht positiven Anmerkungen, die ich zu dem Text bekomme, das freut mich außerordentich, denn damit hab ich schon fast nicht mehr gerechnet. Weh Euch, solltet Ihr sie nur aus Mitleid verfasst haben :)


Kubus,

Ich dank Dir.. Und eine völlig Neue Vierte wird’s nicht geben. Nur noch kleine Änderungen. Obwohl mich ganz ursprünglich etwas anderes getrieben hat, aber dann wurde dieser Text draus. Was mich zuerst reizte, war eine Szene zu schaffen, wie ich sie ab und an beobachten musste, in der ein Typ hilflos zulassen muss, wie seine Freundin (oder beide) gedemütigt wird/werden. Er kann nichts tun. Das weiß sie auch, und sie findet es darum keineswegs komisch, dass er sich nicht in die Schlacht stürzt. Aber er kann danach nicht mehr mit ihr glücklich sein, weil er sich so in seiner Männlichkeit verletzt fühlt.
Tja, das hat nun nicht mehr viel mit meinem Text zu tun. Schreiben ist komisch ( großartig meine ich).

Übrigens, noch mal zu Bolano: Ich finde 2666 oder Die wilden Detektive auch sensationell und besser als die meisten seiner kurzen Sachen. Aber manche der letzteren sind unglaublich und konnten mich zu eigenen Texten inspirieren. Arbeite da gerade noch an was. Auch verstand ich durch die kurzen Texte deutlicher das, was für mich so seine Gesamtaussage ist (Man hat die ganze Zeit das Gefühl, etwas Unerhörtes passiert und liest aufgeregt weiter. Aber am Ende sind die Prots krank, tot. Und ist nicht genauso das Leben?
Oder, um es mit Bolano zu sagen (aus: Literatur + Krankheit = Krankheit):

„Reisen, Sexualität, Bücher sind Wege, die nirgendwohin führen, auf die man sich aber dennoch begeben muss, um sich zu verirren und wiederzufinden oder um etwas zu finden, was auch immer, ein Buch, eine Geste, einen verlorenen Gegenstand, irgend etwas, vielleicht eine Methode, mit etwas Glück: das Neue, das, was immer schon da war.“


Hallo, Fliege!!

Die beiden Kritikpunkte sind schon ausgebessert, besten Dank!!

Mehr heißt nicht immer - schaff da mehr Probleme rein, sondern male ein paar Bilder rechts und links des Weges, so zwischenzeiliges Zeugs, worüber der Leser Atmosphäre und Figuren erfahren kann.

Ja, das hab ich jetzt gerafft. Ein schmerzhafter Lernprozess :)

Nun ist es wirklich sehr viel schöner

Zum Glück doch noch… Danke..

Hallo Monty!!

Ich finde deinen Text (den ich nur in der vorliegenden Fassung kenne) gut gelungen.

Das ist super, sogar doppelt super, erstens last du ihn nun unvoreingenommen, ohne das ganze Vordrama und dann konnte er dich auch noch überzeugen. Mann, danke!

Gestolpert bin ich aber über diesen Satz:
Zitat:
Nach dem Lachs und dem Wein war Wind aufgekommen

Hab ich verbessert..

Ich dank Euch allen sehr!!

 

Hey T

Was mich zuerst reizte, war eine Szene zu schaffen, wie ich sie ab und an beobachten musste, in der ein Typ hilflos zulassen muss, wie seine Freundin (oder beide) gedemütigt wird/werden. Er kann nichts tun. Das weiß sie auch, und sie findet es darum keineswegs komisch, dass er sich nicht in die Schlacht stürzt. Aber er kann danach nicht mehr mit ihr glücklich sein, weil er sich so in seiner Männlichkeit verletzt fühlt.

Da gibts noch nen feinen Dreh. Die Situation so wie du schreibst, aber eine Frau, die ihren Mann aufstachelt und seine Entscheidung für oder gegen einen Kampf zu der Frage stilisiert, ob er Eier hat und der Frau würdig ist. Da ließe sich was draus machen. Ich wollts eigentlich selbst tun, kriege das aber gerade nirgendwo unter. Da hätte man auch mehr äußere Handlung. Mir persönlich klingt das Zitierte zu sehr nach Innenweltbeschreibung.

Auch verstand ich durch die kurzen Texte deutlicher das, was für mich so seine Gesamtaussage ist (Man hat die ganze Zeit das Gefühl, etwas Unerhörtes passiert und liest aufgeregt weiter. Aber am Ende sind die Prots krank, tot. Und ist nicht genauso das Leben?

Ich blättere gerade in 2666, das ist mir aber eh noch alles ziemlich gegenwärtig, weil ich letztens draus vor- und mich dafür wieder hineingelesen habe. Bis auf den "Teil von den Verbrechen" sind überall amüsante oder schöne Dinge zu finden. Das macht für mich gerade den Reiz an seinen Geschichten aus und das versuche ich auch in den Eigenen zu schaffen, die verschiedenen Sichtweise nebeneinander zu stellen. Ein möglichst komplettes Panorama. Die meisten seiner Protagonisten scheinen einfach irgendwann zwischen den Buchdeckeln zu verschwinden.

„Reisen, Sexualität, Bücher sind Wege, die nirgendwohin führen, auf die man sich aber dennoch begeben muss, um sich zu verirren und wiederzufinden oder um etwas zu finden, was auch immer, ein Buch, eine Geste, einen verlorenen Gegenstand, irgend etwas, vielleicht eine Methode, mit etwas Glück: das Neue, das, was immer schon da war.

Gefällt mir, dieser Satz eines Heimatlosen. Könnte aus "Exil im Niemandsland" stammen, ein Buch, das als seine fragmentarische Autobiografie verkauft wird.

Gruß

Kubus

 

Hallo T Anin,

eine eigenwillige und ungewöhnliche Geschichte. Etwas spröde vielleicht, wobei durch die distanzierte Betrachtungsweise des Prots dessen Hilflosigkeit und Schwäche noch viel stärker zum tragen kommt.

Die KG hat kein Woher und Wohin, sie spiegelt das schreckliche Erlebnis eines Paares wider, das auch ohne dieses Ereignis keine Zukunft hatte.

Vieles "Unschöne" bleibt der Fantasie überlassen, die Frau wirkt danach merkwürdig gelassen und ruhig, der Prot merkwürdig tatenlos und desinteressiert, eher erregt als aufgeregt. Da ist jede Menge Starre und totes Gefühl, und keine Wut oder Emotion.

Das ist gut ge- und beschrieben, wirkt aber sehr künstlich/bedeutungsvoll.

Auch die Figuren sind in ihren Worten und Taten kühl und unwirklich, als hätten sie jeweils einen Metaphern-Rucksack auf dem Rücken, um eigentlich viel mehr zu sein, als man im ersten Moment denkt. Eine Liebesgeschichte, in der es keine Liebe gibt.

Rick

 

Hallo Rick, vielen Dank für Deinen Kommentar!!

Ja, Du hast Recht, das ist alles sehr kalt, vor allem natürlich der Ich-Prot. Künstlich sollte es natürlich nicht wirken. Hm, vielleicht ist es wirklich ein wenig unglaubwürdig, dieses emotionslose Verhalten nach einem solchen Ereignis.

Jedenfalls freue ich mich sehr über Deinen Kommentar und Deine Kritik! Ich bin mit diesem Text selbst nicht so im Reinen und verstehe insofern jedes kritische Wort gut.
Ich probiere noch aus und übe, für eine ganz andere, mir wichtige Sache.

 

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