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In der Tiefe

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27.10.2005
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In der Tiefe

Früher hatten wir wenig miteinander zu tun. Wir sahen uns sporadisch, im Sommer. Beide liebten wir das Meer. Ich beobachtete sie wie ein Krebs, der unter nassem Sand hervorlugt. Iris stand barfuß am Ufer des Meeres in einem weißen, hochgeschlossenen Sommerkleid. Sie trug eine dunkle Sonnenbrille und ignorierte mich. Obwohl sie beständig auf der Suche nach einer besten Freundin war, wollte sie mich nicht zur Freundin.

Lange Zeit sahen wir nichts voneinander. Erst in der Oberstufe begegneten wir uns wieder und teilten alle Kurse. Sie war noch immer auf der Suche nach einer besten Freundin. Inzwischen trug sie knappere Oberteile, kürzere Röcke. Ihr Lächeln war breiter, ihr Lachen lauter geworden. Sie traf auf Sonja und wollte von ihr gemocht werden. Aber Sonja konnte sie nicht mögen. Hätte Iris mich gefragt, ich hätte ihr sagen können, was sie falsch machte. Sie rief Sonja zehnmal die Woche an, fragte sie fortwährend, ob sie mit ins Kino, in die Disko oder Eisessen gehen wolle. Sonja war interessiert, hatte aber kein Bedürfnis bis zur Atemlosigkeit umklammert zu werden. Iris sollte das verstehen können. Sie weigerte sich. Stattdessen hängte sie sich an Bianca: Blond, flach, spaßwillig. Sie trieben auf den Wellen des Meeres dahin, immer in der Nähe des rettenden Ufers. Sie schminkten und stylten sich. Erhoben ihr Äußeres zum Sinn ihres Daseins. Ihr gemeinsames Lachen war so laut, dass es den Horizont durchdrang. Sie tanzten im Duft von Schweiß und Sonderangebotsparfüm. Keine hätte mir auch nur einen Blick unter den vor Farbe hinabsinkenden Wimpern zugeworfen. Dabei war es eine Zeit, in der beide Mädchen sich gerne mit Spiegeln umgaben.

Das Tanzen machte Iris blass. Das Lachen kostete Kraft, und ihre Leistungen in der Schule ließen nach. Sie hatte Probleme mit dem logischen Denken – Mathematik, Physik – da begann es. Ich hätte ihr sagen können, dass ihre Synapsen dafür verantwortlich waren, oder besser, deren Unterversorgung. Aber sie fragte mich nicht. Bianca war selbst schlecht in der Schule. Sie machte sich keine Gedanken über Iris’ Zurückbleiben, ihr Hinabsinken. Bianca machte sich nie Gedanken. Nun tanzte nur noch sie auf der Oberfläche, während Iris’ Füße unter Wasser standen und die Bewegungen schwerfälliger wurden. Abend für Abend sahen wir einander ins Gesicht, wenn die Make-up Schicht hässliche Flecken auf dem bis dahin weißen Tuch ließ. Aber ihr Blick wich meinem aus. Sie brauchte mich nicht. Sie hatte sich verliebt. In einen, der tanzende Mädchen mochte. Und sie kämpfte mit einem viel zu lauten, viel zu schrillen Lachen in verlorener Position. Ihre große Liebe lachte selbst laut, aber nicht schrill. Sie verstand, dass er klug war und suchte ihn durch Klugheit zu beeindrucken.

Leider war sie nicht mehr klug. Ich sah, wie sie sich abmühte und ihn doch nur unaufhaltsam von sich drängte, weil sie unfähig war, Doppeldeutigkeiten zu verstehen. Jeder Satz hatte nur noch eine Ebene, eine Fläche, horizontal ausgerichtet, durch die sie sank, ohne sie zu fühlen. Bianca war inzwischen längst in der Lage, ihr mit den Füßen ins Gesicht zu treten. Vorerst machte sie davon keinen Gebrauch.

Iris holte sich eine Abfuhr nach der anderen. Wir hatten einen guten Einstand. Denn ehe sie noch ihr Abitur beenden konnte, holte ich sie zu mir, zog sie hinab auf die andere Seite des Pegels. Wir begannen im Lager der Feinde, ohne Vorwarnung. Sie tauchten zu uns herab, in ihren weißen, göttlichen Tauchanzügen, und sie brauchten viele Tauchgänge, bis sie mich fanden. Vehement bekämpften sie mich mit Tabletten, Spritzen und Skalpellen ... und unterlagen. Von da an waren wir Freunde. Sie brachten einen Schlauch als Geschenk und trieben ihn durch Iris’ Brust. Nun haben wir wieder Luft und können weiter sinken. Hin und wieder kommt Bianca herab, um nach Iris Gesicht zu treten. Sie tritt nach uns, weil sie alles Ungeschminkte abstoßend findet. Schminke hält nicht lang im salzigen Meer.

Sonja kommt manchmal vorbei, mit einer Sauerstoffflasche, und versucht, Iris am Arm zu halten, sie hinaufzuziehen. Umsonst. Ich bin stärker als die Taucher in Weiß, und stärker als jede halbe Freundschaft. Iris hat das gelernt. Endlich habe ich sie für mich. Auf unserem Weg hinab hat Iris mich zu hassen begonnen, obgleich sie meine Existenz nach wie vor leugnet.

Sie hat den Grund erreicht in einer Tiefe, in die kein Sonnenstrahl mehr dringt. Seltsame Pflanzen wachsen hier, die sich kalt und klitschig anfühlen. Kilometerlang erstreckt sich Düsternis. Iris starrt hinauf, bis ihre Augen rot sind, weil ihre Äderchen platzen. Manchmal bildet sie sich ein, Biancas Schatten über sich zu sehen, doch es sind nur die Taucher, die vergeblich nach uns greifen.

Iris will sie nicht sehen. Sie kann zwei und fünf nicht mehr addieren. Sie ist kein Mathematiker. Zu schwimmen hat sie nie gelernt. Sie läuft unter Wasser, soweit der Schlauch es erlaubt. Setzt einen Fuß bedächtig vor den anderen, während ihre Gedanken sich wiederholen, ihre Sätze unvollendet sind.
Ich bin noch immer bei ihr, in der Tiefe, halte als treue Freundin meine Totenwache. Ein paar Jahre noch, in denen wir auf dem Grund wandern, immer weiter hinab, den tiefsten Krater suchend. Das Wasser ist so schwarz, dass man all die anderen nicht sehen kann, die auf der gleichen Suche sind. Jedes Geräusch wird verschlungen in dieser riesigen, finsteren Stille. Wir irren allein voran, solange noch Kraft in ihr ist und ich verzehre sie, behutsam, Schritt für Schritt, denn ihr Ende, ist das Meine.

 

Holla Nike,

auf der Suche nach einer besten Freundin war, wollte sie mich nicht zur Freundin.
Die Wortwiederholung von "Freundin" gefällt mir nicht.
Vorschlag:
auf der Suche nach einer besten Freundin war, wollte sie mich als diese.

Erst auf der Oberstufe begegneten
"Erst in der Oberstufe" ist korrektes Hochdeutsch.

knappere Röcke.
kürzere Röcke

Leider war sie nicht mehr klug.
Dieser Satz verleitet zum schmunzeln.
Vorschlag:
Doch ihre Versuche scheiterten.

Doppeldeutigkeit zu verstehen.
Doppeldeutigkeiten

Sie tritt nach uns weil sie alles Ungeschminkte abstoßend findet und Schminke hält nicht lang im salzigen Meer.
Da würd ich zwei Sätze draus machen. Gibt dem mehr Ausdruck.
abstoßend findet. Aber Schminke hält nicht lange

Ich mag den bildhaften Vergleich der richtigen Freundschaft mit dem tiefen Wasser. Hat mir gefallen, besonders, da sie genug Spielraum für Interpretationen lässt, aber da ich grundsätzlich nicht interpretiere, werd ich mich dazu nicht auslassen. :D

Gestört hat mich ein wenig das Gerede über Klugheit... aber wer weiß, vielleicht willst du damit etwas tieferes sagen... vom Stil hat es die richtige Mischung zwischen bildhaft und doch verständlich getroffen.

Eike

 

Hallo Nike,
ich bin mir nicht sicher, ob ich die Geschichte richtig verstehe, aber sie steht ja unter Seltsam. Die Erzählerin ist ein Persönlichkeitsanteil der Prot. Zuerst hielt ich sie für ein anderes Mädchen, dann den vernünftigen Anteil, nachher für etwas Gefährliches. Warum zerstört sie Iris, und damit sich selbst?

ich verzehre sie, behutsam, Schritt für Schritt, denn ihr Ende, ist das Meine.
Eindringliche Bilder sind das Schwimmen im Wasser und das Rechnen. Ist mir aber nicht so klar, was du damit sagen willst.

zu den Fehlern:

mich nicht
besser: nicht mich
knappere Oberteile, knappere Röcke
Wiederholung: vielleicht besser: kürzere Röcke
auf der Oberstufe
In der Oberstufe
fragte sie fortwährend ob sie mit ins Kino, in die Disko oder Eisessen gehen wolle
Komma vor ob
hatte aber kein Bedürfnis bis zur Atemlosigkeit umklammert zu werden
Komma nach Bedürfnis
passt nicht so gut zu Schweiß, wenn auch positiv empfunden - vielleicht Aroma
Dabei war es eine Zeit in der beide Mädchen sich gerne mit Spiegeln umgaben.
Komma nach Zeit
Das Lachen kostete Kraft und ihre Leistungen in der Schule ließen nach.
Komma nach Kraft
durch die sie sank ohne sie zu fühlen
Komma nach sank
Bianca war inzwischen längst in der Lage ihr mit den Füßen ins Gesicht zu treten.
Komma nach Lage
Hin und wieder kommt Bianca herab um nach Iris Gesicht zu treten.
Komma vor um
Danach sind auch noch Fehler; bitte guck selbst mal durch.
Gruß, Elisha

 

Hallo, danke für's Lesen :-),

@ starsailor: Der erste Vorschlag überzeugt mich nicht, sorry. Ich mag die Wiederholung. Vielleicht sollte ich das "mich" fett oder kursiv setzen, mal schauen.

Was das Lächeln angeht: Lächle ruhig, der Erzähler ist arschig und fies und wenn du die Geschichte verstanden hast, werden deine Mundwinkel auch hinabsinken :-). Das Lächeln ist durchaus gewollt. Bitterer Humor des Erzählers, sozusagen.

Ansonsten übernehme ich die Änderungen - bis aud das aber, weil kein Widerspruch da ist. Ich habe jetzt das "und" weggelassen.

Schade, dass du nicht interpretieren möchtest. In dieser Geschichte heißt interpretieren "verstehen". Da das auch an mir liegt - an wem sonst *g* - habe ich versucht das Verstehen durch ein paar Worte zu erleichtern. Vielleicht muss es dem Leser doch mehr auf dem Silbertablett servieren als mir lieb ist. Ich denke drüber nach.

@ Elisha

Du hast die Geschichte fast verstanden. Alles was du schreibst ist richtig, nur der Schluss, das letzte Verstehen ist ausgeblieben. Was an mir liegt. Wie oben erwähnt habe ich versucht das Ganze durch ein paar Worte deutlicher zu machen und ich möchte dir die "Lösung" an der Stelle nicht "verraten". Nicht aus Bosheit, sondern weil ich hoffe, dass es jetzt deutlicher ist und der Leser von selbst drauf kommt. Vorher habe ich es falsch gemacht.
Danke auch für die Erinnerungen an die Zeichen welche ich da immer vergesse ... seufz.

Eine Sache habe ich aber nicht verstanden. Warum muss bei: Das Lachen kostete Kraft und ... vor das "und" ein Komma? Es wäre super, wenn du die Regel kurz benennen könntest, ansonsten sehe ich eben selber mal nach. Ich dachte, das "und" ersetzt das Komma, oder umgedreht.

Das mit Schweiß und Duft vereint sich wunderbar mit der Erzählperspektive und ist so gewollt.

Liebe Grüße, Nike

 

Hallo Nike,

die Idee deiner Geschichte fand ich klasse, gerade weil man ja anfangs glaubt, dass es sich um einen anderen Menschen handelt.
Bis zu der Stelle, als Iris sich von ihren Freunden löst, bzw. lösen muss, hat deine Geschichte mir nicht gefallen.
Die Geschichte wirkt heruntergerattert, das Leben von Iris schneidest du nur an und bedienst dich somit zwangsläufig Klischees - schlechte Freunde, die schulischen Leistungen sinken etc.
Hier wäre es interessant, wenn du dem ganzen etwas mehr Tiefe geben könntest. Sicherlich nicht einfach, zumal du bestimmt nicht vorhast, aus deiner Geschichte einen Roman zu machen.

Richtig mitgerissen hast du mich genau ab dieser Stelle:
Iris holte sich eine Abfuhr nach der anderen.

Ab dieser Stelle fand ich deine Geschichte inhaltlich richtig interessant - gerade, weil sie sich ab hier von den gängigen "Teufelskreis-Geschichten" abzuheben beginnt. Der klischeehafte Charakter von Iris beginnt hier etwas Besonderes zu werden - und sogar stilistisch wirst du im zweiten Teil der Geschichte besser, finde ich.

Fazit: Eine Geschichte, die mir momentan leider nur zur Hälfte gefällt.

Details:

Obwohl sie beständig auf der Suche nach einer besten Freundin war, wollte sie mich nicht zur Freundin.

Du hast zwar schon gesagt, dass du die Wiederholung magst - aber ich fand sie trotzdem störend.

Ihr Lächeln war breiter, ihr Lachen lauter geworden.

Schön!

Leider war sie nicht mehr klug.

Ich bin der Meinung, dass etwas wie Klugheit nicht so schnell verloren geht oder sich nur an schulischen Leistungen messen lässt.

LG
Bella

 

Vielleicht ist die Geschichte nix für andere und zur Zeit habe ich keine Ahnung wie ich sie dazu machen soll. Iris ist nicht mehr klug, da ihre Synapsen unterversorgt werden: Sie kann nicht mehr "klug" sein. Sie hat eine Krankheit, die sie zerstört und diese Krankheit ist der Prot bzw. die Erzählerin. Gut zu wissen, dass dies zu kompliziert ist. Ich dachte mit den "Göttern in Weiß", den "Spritzen, Medikamenten, Kanülen", "Schlauch" der von den Ärzten gelegt wird, wäre dies nun deutlicher. Ist es aber nicht. Da ich mich weigere zu erzählen: Ich bin ihre Krankheit und ich vernichte sie, bis sie draufgeht und zwar in der Art, dass ich ihr Gehirn unterversorge" werde ich wohl einfach nicht versuchen die Story irgendwann irgendwo zu veröffentlichen. Ist vielleicht ohnehin zu persönlich.
Trotzdem danke für's Lesen. Hat mich interessiert wie sie auf Leser wirkt, auch wenn ich sie aus eher therapeutischen Gründen schrieb.

Liebe Grüße, Nike

 

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