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In dunklen Wäldern
Laura atmete tief durch.
„Nun geh schon!“, befahl ihre innere Stimme.
Vor ihr erstreckte sich der scheinbar endlose Wald, dunkel und schweigend. Ihre Taschenlampe schien machtlos gegen dieses unwirkliche Reich, das alles Licht unbarmherzig verschlang. Langsam setzte sie sich in Bewegung und schritt zwischen zwei knorrigen, alten Bäumen hindurch. Auch am Tage bot der Wald mit seinen dichten, hohen Gewächsen, die jedes andere Leben verdrängten, keinen erfreulichen Anblick. Nachts jedoch war er ungleich erschreckender. Zum wiederholten Male wünschte Laura, sie hätte Max´ Angebot, sie zu begleiten, nicht ausgeschlagen. Und doch – die lächerliche, fast kindische Angst, jemand könnte sie und Max zusammen sehen, hatte triumphiert. Wenn Jan von ihrem Verhältnis erführe, wären die Folgen unaussprechlich...
„Als ob in dieser Einöde jemand nachts unterwegs wäre“, dachte Laura kopfschüttelnd.
In der Stille hörte sie nichts anderes als ihre eigenen Schritte auf dem raschelnden, knisternden Untergrund. Immer wieder war sie gezwungen, den mächtigen Stämmen auszuweichen, die unversehens vor ihr auftauchten. Mehr als einmal drohte sie über einen Stein oder eine Wurzel zu fallen. Es war so finster, dass sie nicht wusste, ob sie sich überhaupt auf dem richtigen Weg befand. Sie fühlte sich ohnmächtig wie ein kleines Kind.
Laura hielt inne. Sie hatte unverhofft ein Geräusch wahrgenommen. Es hatte geklungen, als ob jemand einen morschen Ast zerbrochen hätte.
„Es war bestimmt ein kleines Tier“, versuchte sie sich selbst zu beruhigen.
„Hier ist niemand. Wer sollte denn schon hier sein?“
Sie beschleunigte ihre Schritte, in der Hoffnung, dass das Ende des Waldes nicht mehr fern war.
Vor ihr war die Dunkelheit mit einem Male von Leben erfüllt. Schatten lösten sich aus dem schwarzen Nichts, Schatten, die ineinander zu fließen schienen. Etwas bewegte sich. Und es kam auf Laura zu.
„Nein!“, schrie sie innerlich auf.
„Das ist nur meine Phantasie!“
Vielleicht war es auch Jan, der nur auf sie gewartet hatte... Nein, das war ganz und gar unmöglich. Was in diesem Wald sein Unwesen trieb, war etwas Größeres, etwas, das nicht von dieser Welt stammte.
Um sie herum gewahrte sie ein Flüstern, das die Stille zerbersten ließ. Es erschien ihr, als wären archaische Geschöpfe zum Leben erwacht, die ihre knorrigen Arme nach ihr ausstreckten. Die Schatten kamen langsam näher, eine dunkle, unheilvolle Prozession.
Nun war es Laura gleichgültig, ob all dies nur ihrem zerrütteten Verstand entsprang. Nicht länger wehrte sie sich gegen die Panik, die in ihr aufstieg. Ihr ganzer Körper begann zu zittern, ihr Herz schlug so heftig, dass es jeden Moment auszusetzen drohte. Unter Aufbietung all ihrer Kräfte gelang es ihr, sich von dieser Stelle loszureißen und den Fluchtweg anzutreten.
Laura rannte. Sie lief blindlings in eine unbestimmte Richtung, prallte gegen Bäume, stolperte und rappelte sich mühsam wieder auf. Ihr Atem schien zu versagen. Lauras Brustkorb schmerzte so stark, dass sie glaubte, jeden Augenblick zu Boden zu stürzen.
Endlich, endlich hatte sie den Waldesrand erreicht. Aus den Wolken brach schwaches Mondlicht, das ihr den Weg nach Hause wies.
Laura steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um. Ein überwältigendes Gefühl der Erleichterung durchströmte sie, als sie den dunklen Flur betrat. Doch schlagartig flammte ein Licht auf.
„Jan ist zurückgekehrt“, dachte Laura.
„Aber warum? Er wollte doch erst morgen kommen…“
Vor ihr stand ihr Mann, einen blitzenden Gegenstand in der Hand.