In einem kleinen Restaurant
Alex saß auf seinem Stammplatz in dem kleinen Restaurant am Stadtrand. Er saß hier öfters, denn hier konnte er sich ungestört seine Gedanken machen und einfach ein wenig von der Arbeit abstand finden. Außerdem war das Essen hier gut. Jedoch hatte er gerade keinen Hunger und wollte einfach nur so ein wenig sitzen und etwas trinken. Als er die Tageszeitung am Nebentisch liegen sah, entschloss er sich einen Blick auf sie zu werfen.
Alex faltete die Zeitung auseinander und las die Schlagzeilen. „Erneute Anschläge im Irak“, „Autobombe tötete gestern 8 Menschen in Jerusalem“, „Mann ersticht seine dreiköpfige Familie“. Alex atmete langsam und sichtlich angespannt aus. Ihm machten diese täglichen Schreckensmeldungen in letzter Zeit immer mehr zu schaffen. Vorbei war es nun mit dem Abschalten, jetzt hatten ihn seine Fragen wieder eingeholt. Er wusste zwar, dass er die Welt nicht ändern konnte, dennoch hatte er sich viel zu oft schon Gedanken darüber gemacht, warum sich Menschen nur soviel Leid gegenseitig zufügen mussten.
Was machte den Mensch fähig dazu, einen anderen umzubringen? Oft hatte er sich diese Frage schon gestellt und er hatte auch schon ein paar Dinge herausgefunden. Er wusste, dass es alles nur eine Frage der Identifizierung mit dem Nächsten war und dies schmerzte ihn. Er hatte herausgefunden, dass es den Menschen sehr wohl traurig machte, wenn ein naher und geliebter Verwandter starb, doch kaum berührte, wenn hundert Unbekannte am anderen Ende der Welt ihr Leben lassen mussten. Er hatte erkannte, dass der Mensch mit größerer Entfremdung zum Hassen des Unbekannten fähig war und er hatte auch erkannt, wie dieses Wissen weltweit schamlos ausgenutzt wurde. Er wusste genau, dass jede Kriegspolitik darauf beruhte, ein Feindbild zu schaffen, den anderen Menschen als fremdes bösartiges Monster darstellen. Das was den Mensch am Töten anderer hinderte war eine natürliche Schwelle, etwas das alles was einem selbst ähnlich ist schützt. So identifiziert sich der Mensch mit der eigenen Familie als erstes, dann mit nahen Bekannten und danach mit Leuten aus seinem Personenkreis, egal welcher Art. Danach kommen Leute aus anderen Personenkreisen und schließlich aus anderen Religionen und anderen Kulturen. Je größer der Unterschied wird desto kleiner wird die Hemmschwelle. Am Ende stehen dann noch Tiere und Pflanzen, bei denen man über den Tot am wenigsten nachdenkt. Eigentlich gut, dieser natürliche Schutz, hatte sich Alex schon einmal gedacht, doch hatte er dann schnell bemerkt, was der faule Zahn daran war.
Alles, hatte der Mensch schon genutzt, um sich und seinen Mitmenschen diese natürliche Schwelle des Ähnlichseins zu entreißen. Er hatte Propaganda gegen andere Völker gepredigt, sich durch religiöse wie politische Streitigkeiten voneinander abgegrenzt und seine als Feind ausgewählten Mitmenschen durch scheinbare Unterschiede von sich selbst herabgesetzt und abgewertet, so wusste es Alex. Egal in welcher Epoche und in welchem Land er in der Geschichte gelesen hatte, so hatte er diese Konflikte immer gefunden. Ein gutes Beispiel dazu war etwa das Dritte Reich, wie es Alex immer wieder klar wurde. Damals wurde mit pseudowissenschaftlichen Erkenntnissen das Morden von Millionen Menschen gerechtfertigt. Ein Jude sei dick, hässlich, hätte eine typische Juden-Sechser-Nase und sei das Böse in Menschengestalt. Ein Indianer oder ein Schwarzer sein kein Mensch, sondern ein Tier, das vorspielte ein Mensch zu sein. Von solchen Aussagen kochte Alex die Galle über. Vor allem wenn er daran dachte, wie großen Erfolg doch solche plumpen Methoden auf die Menschen gehabt hatten. Doch war dies damals kein Einzellfall, kein einmaliges schwarzes Kapitel der Geschichte gewesen, nein. So etwas konnte Alex in anderer Form überall auf der Welt entdecken und das zu jeder Zeit.
Doch diese ganzen Überlegungen führten Alex wieder zu einer neuen Frage: Was hatte der Mensch im Endeffekt von diesem Hass, mit dem er andere das Leben schwer machte? Das war die Frage, deren Antwort noch erschreckender für ihn war. Er hatte erkannt, dass es die Angst war, selbst das Opfer, der Feind anderer zu werden. Allein aus dieser Angst baute er den Hass auf andere auf um nicht selbst der arme Scheißer und das Opfer zu sein. „Was für eine verdrehte Welt!“, ging es ihm immer wieder durch den Kopf. Hatte nicht der Mensch gerade aus deshalb genug Grund, seinen nächsten zu achten, nicht etwa zu lieben? Wäre diese allumfassende Ähnlichkeit der Menschen nicht der Anlass zum weltweiten Frieden? Er wollte anders sein und nicht so enden wie die meisten Menschen und im Hass versinken, dennoch konnte auch er sich diesem Verhalten nicht gänzlich entziehen, das wusste er genau und das schmerzte ihn.
Langsam kam Alex wieder zurück aus seinen Gedanken. Er wusste nun wieder einmal, dass er die Welt wohl nicht ändern konnte, auch wenn er es gerne getan hätte.
Nun ging Alex langsam zur Theke und bezahlte seinen Drink. Dann ging er still zur Tür hinaus und schloss sie leise hinter sich. Er schaute auf die Uhr. Noch knapp eine Stunde, dann musste er am Bahnhof sein und seinen nächsten Job erledigen. Alex war ein Auftragskiller, denn er wusste, dass er die Welt sowieso nicht ändern konnte.