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In Erwartung des Kopfes
In Erwartung des Kopfes
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(Gruselnovelle von Leichnam)
Es gibt nicht nur Licht im Dunkel (unbekannter Philosoph)
Sie hatten mir mein Weib genommen. Sie - das waren Okkultisten. Okkultisten aus einem Zirkel, dem ich selbst einst angehört hatte. Ich war nicht erzürnt darob, denn ich hatte Konstanze immer gehasst. Sie war potthässlich, bösartig gegenüber jedem Manne. Ihr Charakter war einfach schlecht zu nennen. Die Heirat hatte eigenartigerweise aus Liebe stattgefunden. Konstanze war nie dumm gewesen, besaß Leidenschaften, dunkle Sehnsüchte voller Schwermut, Schmerz. Zu Beginn wusste ich diese Eigenschaften sehr zu schätzen, doch eigentlich nur wenige Tage lang. Bald schon entpuppte sich jenes impertinente Weibsstück vollends. Sie schrie herum, spuckte und geiferte. Augen voller Hass auf alles sah man da, und das Antlitz gab sich lediglich noch als verzerrte Fratze. Vor allem führte sie ihre Kleinkriege gegen die Welt der Männer, ich erwähnte es schon kurz. Dabei klappte sie oft ihren Mund, nein besser ihr Maul auf. Ein Gebiss wie von einem Raubtier kam dann zum Vorschein.
Kurz war sie gewesen, meine Zeit der Liebe ihr gegenüber. Dann überlegte ich bald schon ernsthaft, diese Ausgeburt der Scheußlichkeit abzustoßen. Doch so recht übers Herz brachte ich dies nicht, zu sehr nahm sich die Friedlichkeit, das Harmoniebedürfnis, mit meiner Person behaftet aus. Wenn Konstanze mich begleitete, konnte es vorkommen, dass sie sich relativ normal gab, vor allem dann, wenn wir zu zweit den okkulten Zirkel aufsuchten, den ich bereits anschnitt. Hier, in diesen Kreisen erlauchter Herren, gab sie sich ruhig und gefasst, zeigte reges Interesse für verschiedenste Probleme des Okkulten, redete und stieg in Unterhaltungen ein. Dabei soff sie allerdings Whisky wie ein Loch, sehr zur Unterhaltung der Anwesenden. Ausschweifend wurde sie zwar nicht, doch ihr Lallen und Brabbeln sorgte wohl ordentlich für Amusement.
Wie lang würde ich mit dieser Person noch auskommen?
Mit der Zeit kam in mir der Eindruck auf, dass sich Konstanze für mich selbo gar nicht mehr interessierte. Sie schmachtete - wenn man dies bei ihr einmal so nennen will - wohl Eidesgenossen des Zirkels an, wie mir schien; und ich war wohl der Mensch, der lediglich dafür zuständig war, sie - die sie im betrunkensten Zustande war - in Richtung Bett zu führen. Diese Gänge am frühen Morgen wurden eigentlich recht schnell zur Gewohnheit, doch muss ich sagen, dass dies freilich nicht gefiel. Was wollte ich eigentlich noch mit solch einem Frauenzimmer?
Es muss hinzugefügt werden, dass ich ohne Probleme Einsicht in ihre Tagebücher bekam. Auf jenen Blättern ereilten mich höchst konfuse Blicke auf ihr bizarres Wesen. Von Tag zu Tag wurde mir mehr klar, dass ich von ihr so gut wie überhaupt nichts gewusst hatte. Die Bandbreite ihres multiplen Ichs erschütterte zutiefst, und ich ahnte sehr bald, dass ich eine Wahnsinnige an meiner Seite hatte. Die Situation wurde immer verfahrener, und was ich tun oder lassen sollte, war mir nicht bekannt. Wir existierten zwar noch Seite an Seite, doch jeder war im eigenen Käfig eingesperrt. Meine einstigen Empfindungen FÜR dieses Weib schwanden dahin, schmolzen zu Null. Und die Freunde aus dem Zirkel erkannten dies als logische Folge auch immer intensiver.
Mir fallen zahllose Belange ein, Situationen des alltäglichen Lebens, in denen es jene Kreatur fast schaffte, mich zu einem Morde zu verleiten, welchen ich dann nur aus persönlichen Grundsätzen heraus nicht durchführte. Ein gottesfürchtiger Mensch hält Gebote ein, und die Strafe für die Tötung eines Menschen stellte ich mir nicht nur abstrakt, sondern ewiglich vor, gewissermaßen als Existenz in Form von Tortur & Schmerz. Nein, diese finsteren Anwandlungen, die ab und zu, zum Glücke selten, aufwallten, trieb ich energisch aus meiner Seele heraus, mit aller inneren Kraft, die mir - noch - zur Verfügung stand. So hieß es also vorerst, diese Ausgeburt noch länger zu ertragen, so schwierig dies auch war.
Ich muss Beispiele bringen, um besser verdeutlichen zu können, wie berechtigt meine mittlerweile intensivste Abscheu auf jene bösartige Natur war. Ich entsinne mich da an einen Herbstabend …
Zu Hause wollte ich, in meinem Arbeitszimmer, noch ein Glas dunkles Bier trinken. Ich schenkt mir ein, versonnen lächelnd auf das Getränk schauend, das ins Glas floss. Konstanze kam ins Zimmer, aus einem Grunde, den ich heute nicht mehr weiß. Wahrscheinlich wollte sie mich wegen irgendeiner Kleinigkeit, die ihr nicht in den Kram gepasst hatte, anbellen.
Ihr zorniger Blick sprühte auf mein Bierglas. Sie kam her, trank sofort in einem Zug das Bier, stellte schnaufend das Glas zurück und drosch mir dann ohne Vorwarnung die fast fleischlose Faust ins Gesicht, so dass es mich vom Stuhle schmetterte. In ihrem grauen Wollrock stand sie über mir und beschimpfte mich zeternd. Ich sei ein Säufer, meinte sie.
Bei einer anderen Gelegenheit, sie hatte eine Nachbarin eingeladen - ebenfalls eine wahre Hexe - zog sie mir, der ich mich gerade setzen wollte, den Stuhl weg. Ich plumpste natürlich schwerfällig wie ein Käfer auf den Teppich, den ich am Morgen gereinigt hatte. “An deiner Jacke sind jetzt Fusseln”, schrie sie. “Das nennst du Teppich säubern?” Ihre Gesinnungsgenossin verlor beim heftigen Auslachen meiner Person fast das Gebiss.
Nun, ich war derlei Dinge längst gewohnt. Trotzdem entsinne ich mich an eine Szene, in der ich im trüben Licht des Kellers stand, eine Axt im Blickfeld. In mir bebte das Verlangen - zudem ich wusste, dass Konstanze sich schlafen gelegt hatte - mit dem Werkzeug nach oben zu eilen und ihren abgrundtief schlechten Körper zu Brei zu verarbeiten. Gottesfurcht hielt mich zurück.
In einer eisigkalten, winddurchtosten Nacht hielten wir beide, Konstanze und ich, uns wieder einmal im Clubraum unseres okkulten Interessenkreises auf. Das allgemeine Gespräch drehte sich um ein Gebiet, das ich persönlich nach Möglichkeit mied - die Dämonologie. Ich hatte mich seit jeher mehr für andere Bereiche des Okkulten & Spirituellen interessiert; beispielsweise brennend für Materialisationen von Verstorbenen, dem Thema der Kontaktaufnahme mit Toten sowie die anhängenden Neben- und Unterpunkte. Auch hier war bei mir immer alles auf rein theoretischer Ebene erfolgt; praktische Experimente sorgten schon beim bloßen Gedanken daran für mein zuckendes Zurückschrecken.
Konstanze hingegen zeigte wieder einmal ihr wahres Gesicht; sie schwelgte regelrecht im sündhaften Thema. Verschiedene Verhaltensmuster der Herren im Club verrieten mir, dass man allgemein über dieses Mitgehen Konstanzes höchst erfreut war. Es dauerte nicht lang, bis das Weibsstück damit begann, blasphemische Bemerkungen auszustoßen. Ich war angewidert. Irgendwie wird man auch verstehen können, dass es mir nichts ausmachte, als man Konstanze plötzlich packte, nachdem man einige bedeutungsschwere, heimliche Blicke ausgetauscht hatte. Man zog die Zeternde in den Anrufungsraum, den es hier gab und welchen ich noch nie betreten hatte. Ich ahnte, dass man sie sogleich betäuben würde. Dann musste die reglos Liegende wohl für ein experimentaldämonologisches Vorgehen herhalten. Ich verließ kopfschüttelnd die Runde und ging einfach heim. Sollten sie mit dem Weibe doch machen, was sie wollten. Und ich nahm mir in diesen Minuten vor, zukünftig dem Okkultismus absolut fern zu bleiben.
So saß ich eine Nacht vor meinem Kamine und dachte über das Weibsstück nach. Dabei umspülte mich eine wunderbare Ruhe, die ausgekostet sein wollte. Ich trank Bier, und niemand störte mich dabei. Ja, so wollte ich weiterleben.
Nach zwei oder drei Tagen begann ich damit, diverse Utensilien der einstigen Mitbewohnerin auszusondern. Es handelte sich um Kleidung, alles fürchterliche Fetzen übrigens, einige Möbelstücke wie beispielsweise das Bett, oder ihre hirnrissigen Aufzeichnungen, wobei ich letztere sogleich selbst in die Flammen das Kamins warf. Die Müllmänner der Heimatstadt holten die anderen erwähnten Dinge mit ihren Pferdewägen ab. Ich hatte nun in der Tat nichts mehr im Hause, was mit Konstanze zusammenhing. Dachte ich zumindest … Nachdem die unliebsamen Sachen endlich verschwunden, merkte ich, als nämlich mehr Ruhe in meine Person einzog, dass noch ihr Geruch in den Räumen lag - ihr verdammter Geruch. Zunächst versuchte ich natürlich, wie es wohl jeder andere Mensch auch getan hätte, durch langes Offenhalten aller Fenster im Hause für die Vertreibung der ekeligen Erinnerung zu sorgen. Es gelang kurzzeitig, doch immer, wenn die Fenster für einige Stunden verschlossen, kam erneut der Geruch auf. Ja, er schwoll sogar an, was mich mit der Zeit schaudern ließ. Ich begann damit, fast nur noch mit offenen Fenstern zu wohnen. Doch das ging nicht immer gut.
Bei strömenden Regengüssen ruinierte ich mir nämlich schnell die Zimmer, zumal hier meist heftiger Wind wehte, der das Wasser gegen Teppiche und Möbelstücke klatschen ließ. Doch ich bin ein Mann vielschichtiger Ideen, und so setzte ich das in die Tat um, was ich einmal irgendwo gelesen hatte: Ich stellte überall Töpfe mit Kaffeepulver auf. Der Kaffeeduft war nämlich sogar in der Lage, Leichengeruch zu überdecken. Man praktizierte dies in Kreisen der Leichenabholer schon seit Jahrzehnten, wie mir sagliche Lektüre verraten hatte; Kaffee nahm selbst Leichen, die schon seit Wochen und Monaten in verschlossenen Räumlichkeiten gelegen, ihren Schrecken in geruchlicher Hinsicht. Und wahrlich - die Sache klappte so, wie ich es mir vorgestellt hatte - kein Gestank vom Weibe mehr! In meinen Wänden roch es jetzt wie in einem Kaffeehause.
Bald aber wurde ich einer neuerlichen Tatsache gewahr: Fingerabdrücke von der Xanthippe. Sie fanden sich an Türen, Möbeln, an der Wanduhr, am Telefonapparat - quasi überall. Meine sofortige, übergründliche Putzaktion mit anschließender Vernichtung der Säuberungsutensilien dauerte mehrere Tage an. Möbel lackierte ich neu.
Bald darauf fand ich, dass alles zu meiner Zufriedenheit abgelaufen war, einschließlich selbstredend der Entführung Konstanzes. Muse für lange Spaziergänge nahm sich vorhanden aus, und es entquollen mir erquickende Gedanken - ein Hochgenuss, der sich jetzt endlich wieder einstellen konnte. Ich las in meinen altenglischen Schauerromanen, mutete mir Düsternis in Form der Lektüre von Grabreden zu. Dieses Dunkel, dieses herrliche Dunkel - endlich konnte ich wieder darin baden.
Eines nachts, ich saß im Wohnzimmer, blieb plötzlich das Perpendikel der Wanduhr stehen, obwohl ich die Federn erst am Morgen aufgezogen hatte. Da ich die Uhr regelmäßig ölte, kam mir die Sache reichlich seltsam vor. Ich grübelte über mögliche Gründe dieses Vorfalles nach, als laut das Klingeln des Telefonapparates die geisterhafte Stille im Raum zerfetzte. Wer rief da mitten in der Nacht an? Jetzt wurde es wirklich interessant. Aber ein gutes Gefühl - nein, das hegte ich nicht bei der Geschichte. Ich ahnte vielmehr Unschönes.
Ein Mann rief an. Es handelte sich um den ersten Vorsitz des okkulten Zirkels. Endrich Meyers hieß der Kerl, ein Unsymphat erster Kajüte. Ich war ihm bisher noch nie persönlich begegnet, wusste nur, dass er entstellt war. Gezeichnet wegen eines Experimentalversuches auf Fundament Dämonologie. Da war etwas schief gegangen, vor Jahren schon. Es kam zu einer Dämonenattacke, die noch relativ glimpflich für Meyers abgelaufen war. Schwarzmagie sollte angeblich eine Art Monstrosität aus dem Manne gemacht haben. Mehr wusste ich nicht, leider. Aber: Jener Herr fragte itzo bei mir an, ob ein Besuch bei mir möglich wäre, noch in dieser Nacht. Es würde auch nicht zu meinen Ungunsten sein, bemerkte er noch ergänzend.
Ich kannte diverse Meinungen über Meyers. Man mochte ihn im Zirkel nicht. Er war zwar sehr geachtet wegen seiner breit gefächerten Kenntnisse auf schier allen möglichen grenzwissenschaftlichen Problemfeldern, doch als Mensch versagte dieser Kerl offensichtlich immer wieder auf das Tiefste. Er schnauzte grundlos an. Er fluchte. Er brüllte herum, wenn ihm etwas nicht zusagte. Er wurde zwar nie handgreiflich, doch seine Worte konnten mehr verletzen als geschärfte Stichwaffen. Die Frage hieß nun: Was wollte diese Person von mir? Nun, am Telefon wollte er es mir allem Anschein nach mitnichten erörtern, wie ich gewissen zudringlichen sowie sehr geheimniskrämerischen Aussageteilen entnehmen konnte. Und als ich seinem Wunsche, mich jetzt gleich zu besuchen, positiv begegnete, meinte der Anrufer nur, innerhalb der nächsten dreißig Minuten bei mir eintreffen zu wollen. Ich sollte mir dabei keinerlei Umstände machen, denn er wolle lediglich sein Anliegen schildern und hernach sofort wieder gehen. So war mir das recht.
Die Wartezeit auf den gruseligen Gast verlief dezent merkwürdig. Ich hatte in meinem Lieblingssessel vor dem Kamine Platz genommen, ein rares Buch in den Händen, auf dessen Text allerdings keine Konzentration gelang. Ich meinte, irgendeine Präsenz zu spüren …
War es ein kurzes Atmen, was ich hinter mir in der Dunkelheit des Zimmers vernahm? Es hatte definitiv ein Geräusch gegeben. Einordnen konnte ich es noch nicht. Oder doch? Ich spitzte die Ohren. Nichts … Aber da war doch ein Atemgeräusch gewesen - ganz dicht sogar. Längst hatte ich das Buch sinken lassen. Und ja, es war mir vorgekommen wie das typische Atmen Konstanzes.
Versetzt war es gewesen mit kaum wahrnehmbaren, aber doch existenten Krächzlauten. Es schüttelte mich innerlich durch. Und ich nahm mir sofort vor, an Einbildung zu glauben. Alles andere: Nicht akzeptabel!
Ich las dann wieder, kurze Zeit gelang endlich auch Konzentration. Und jäh schlug dumpf der Türklopfer an … Endrich Meyers. Der Mysteriöse, den noch niemand im Klub zu Gesicht bekommen hatte - angeblich. Er leitete die Belange aus der Ferne; entweder schriftlich oder per Telefonapparat.
Keuchend erhob ich mich aus dem Sitz. Legte das Buch beiseite. Der Blick glitt kurz zur verschnörkelten Uhr auf dem Kaminsims, die noch ging. Fast drei Uhr am Morgen war es. Mit schnellen Schritten war ich schließlich im düsteren Korridor am Portal. Öffnete …
Eine schwarze Figur stand da, etwa einen Kopf kleiner als ich. Im schwachen Edison-Licht des Vorraumes sah ich noch nicht viele Einzelheiten des Besuchers. Doch ich bat ihn eilig herein, denn die Sache wollte ich auch möglichst schnell hinter mich gebracht haben.
Der Mann trat ein und stellte sich als Endrich Meyers vor. Er tat dies mit einer unangenehm knarrenden Stimme, die an sich nur wenig menschliches an sich hatte. Als der Besucher sich im Dämmer drehte und zu mir aufblickte, bekam ich den ersten Schock. Das konnte doch nicht … Wehe! Wahnsinniger!
Vor mir stand wahrlich ein Missgestalteter. Er grinste mit breiten, hochgezogenen Lippen wie ein afrikanischer Ochsenfrosch. Die Nase, ein fetter Klumpen, war wie von schräg unten her gegen das Gesicht gedrückt und nahm ein Viertel des Kopfes ein. Die Wangen zeigten sich warzig. Augen gaben sich klein, verschlagen, irgendwie gefährlich lauernd unter dem breitkrempigen Hute. Der Mund, jetzt erst fiel es mir auf, war mit einer dünnen, durchsichtigen Haut überzogen, und da er ein paar Worte gesprochen hatte, war dieses Häutchen leicht eingerissen.
Hinter mir ließ ich die Eingangstür zurück ins Schloss rutschen - schlagartig verebbten die klagenden Seufzer des Windes, der da draußen wie eine verlorene Seele umher strich.
Die eigenartige Figur in meinem Korridor trug einen schwarzen Anzug mit tief hängenden Frackschößen, welche an die Jacke angenäht (!) waren. Ein helles Hemd sowie ein finsterer Schlips komplettierten Endrich Meyers, der hochhackige Damenschuhe trug. An Merkwürdigkeit war dieser nächtliche Gast wahrlich kaum zu überbieten.
"Woooo - - - können wir reden?", dehnte Meyers, sich demonstrativ mit schlangenhafter Flinkheit umschauend. In mir würgte ein bizarres Gefühl völliger Ablehnung, doch die innere Stimme, die wohl jeder intelligente Mensch kennt, warnte mich zutiefst davor, diese Person wieder fortzuschicken. Meyers strahlte unterschwellige Gewalt aus, absolut ernstzunehmende Gefährlichkeit. Ich bat den skurrilen Mann in meinen Wohnraum. Er trippelte vor mir her, ich wies ihm im Kerzenlicht einen Sessel zu, er ließ sich mit einer grotesken Drehbewegung darauf nieder. Dann furzte er, barbarisch laut, und er hob bei diesem Vorgang sogar noch das Bein an. Lächerlich ausschauend hing dabei der lange, dünne Damenschuhabsatz in der Luft. Es stank sogleich erbärmlich, und erschüttert riss ich einen Fensterflügel weit auf. Nachtluft strömte herein. "Meyers - ich muss doch wohl sehr bitten ...", schimpfte ich.
Er hatte mich mit seiner gezeigten Aktion verärgert; sie schien mir eine Provokation gewesen zu sein.
“Was denn?”, blaffte er schnarrend. “Wenn es im Darme drückt, drückt es eben im Darme! Und jetzt zur Sache! Setzen sie sich hin!”
Er benahm sich unerhört, doch ich kam seiner Aufforderung nach. Draußen am geöffneten Fenster fing sich der Wind. Leise, feine Pfeiftöne waren vernehmbar.
“Ich falle gleich mit der Tür ins Haus.”, sagte Endrich Meyers. “Ich rede nie um den heißen Brei herum, hähä! Sie wissen, dass ich den Vorsitz des städtischen okkulten Zirkels innehabe. Ich ordnete an, dass ihr Weib getötet werden sollte. Eine Dämonenanrufung im Hinterzimmer. Sie wissen ja Bescheid. Für den speziellen Vorgang benötigten wir eine zerstückelte Leiche. Und eine Xanthippe wie Konstanze verdient ein Dasein als Mensch ohnehin nicht, hähä. Wir werden sie entschädigen. Monatlich überweisen wir ihnen ab heute eine nicht unbeträchtliche Geldsumme. Das alles ist somit für uns aus der Welt geschafft, sie selbst schweigen einfach und werden sowieso froh sein, das Ungeheuer nicht mehr unterm Dach zu wissen. Einverstanden? Schweigen sie?”
“Ja schon”, antwortete ich zögerlich, “nur …”
“Kein Nur!”, beharrte Meyers. Sein Mundhäutchen flatterte in der Luft und löste sich ab, und irgendwie schien mir, als würde augenblicklich, noch vor meinen Augen und innerhalb von Sekunden, ein neues entstehen. Dann griff er unter seine Jacke, zog mit seinen Krötenfingern einen dicken Umschlag hervor, reichte ihn mir. Es handelte sich um mein erstes Schweigegeld. “Wir zahlen es ihnen lebenslang aus.”, knarrte Meyers hart. Ich nickte anerkennend.
Wieder pfiff der Wind am geöffneten Fenster heftiger. Ein sehr eindringliches Geräusch, das beendet wurde durch ein kräftiges, hohles Wehen, welches ruckend einige Male in ein wildes Fauchen überging. Wie eine Warnung … Selbst Meyers schaute mit seinen verschlagenen Augen , die kalt im Halbdunkel funkelten, kurz zum Fenster hin. Dann stand er mit einem Sprung auf und hatte es plötzlich sehr, sehr eilig, das Haus zu verlassen. Zu eilig … Er verabschiedete sich extrem kurz angebunden und trippelte hastend davon. Nachdenklich stand ich am Portal und sah der merkwürdigen Figur nach, die im Finster der Nacht entschwand. Der ungewöhnliche Besuch war anscheinend beendet. Ich ahnte noch nicht, dass er lediglich Vorgeschmack zum wahren Grauen war …
Ich ging in meine Zimmer zurück. Die Gardine wehte gespenstisch zu mir herüber. Das Fenster verschloss ich nun sorgfältig, und den Sessel, den Meyers benutzt hatte, reinigte ich gründlichst. Die seltsame, wie von einer Schlange abgeworfene Haut warf ich in den Kamin. Ich löschte alle Lichter und Kerzen, legte mich schließlich zu Bette. Es war jetzt eine halbe Stunde nach drei Uhr. Ich lag grüblerisch da, aufgedeckt. Die Finsternis der Wohnung herrschte um mich herum, und irgendwie konnte ich nun viel klarer nachdenken. Dieser Endrich Meyers - um was für einen Kerl handelte es sich hier nur? Ich wusste ja vom Hörensagen, dass er entstellt. Die missglückte Anrufung trug Schuld, ANGEBLICH …War das, wenn wirklich passiert, unfreiwillig gewesen? Oder hatte er es auf diese Wandlung angelegt? Dann wäre es ganz bewusst durchgeführt worden. Seine Neigung oder Marotte, in Damenschuhen herumzulaufen, wies ihn eigentlich als psychisch gestört aus. War er nur ein Verrückter mit tausend Flausen im Kopf? Doch wohl aber intelligent? (Denn mit Dämonen konnte ja nicht jeder Dahergelaufene in Kontakt treten.)
Die Stimme, sie war nicht so recht normal gewesen. Zu metallisch klingend, zu knarrend. Besaß er schon längst ein anderes inneres Wesen? Zumindest teilweise? Ich entschloss mich, ihn nicht länger als Mensch im herkömmlichen Sinne zu sehen. Ein Dämon war mir wieder zu weit ausgeholt. Vielleicht stellte er irgendetwas dazwischen dar. Und wie gesagt: Für mein Gefühl war er zu hastig wieder aufgebrochen. Weswegen nur? Ich hegte in mir viele Fragen, die momentan allesamt nicht zu beantworten waren. Hin und her wälzte ich mich. Erschöpfung war da, doch ebenfalls ein gewisses Aufgewühltsein, welches den Schlaf unbarmherzig verdrängte. Und überall schwang zwar der Kaffeeduft, doch es schwebte auf einmal ein Zwischengeruch mit, der nicht einzuordnen war. Konnte man diesen auf Meyers zurückführen? Nun ja, er hatte zwar biologisch bedingtes Gas entlassen, doch ansonsten war er mir neutral vorgekommen, was Reizung meiner Nase betraf.
Allerdings hatte ich auch gebührenden Abstand gewahrt, schon aus instinktiver Vorsicht heraus. Es lag nah, dass wieder quälendes Grübeln in diesen düsteren vier Wänden einsetzte. Und im Wohnraum läutete jäh & überschrill das Telefon.
Ich stand fast im Bett, und das Herz pochte mir vor heftigstem Erschrecken bis zum Halse. Das konnte eigentlich nur Meyers sein, der vielleicht irgendeine Mitteilung an mich vergessen hatte. Ich ging hastig durch die Zimmer, deren Türen ich eben wegen des Telefons immer nur angelehnt hielt, zumindest bei Nachte, und kam am schellenden Apparat an. Ich drehte den Strom der Lampe an, die neben dem Apparat an der Wand befestigt. Es gab Stromschwankungen - das Licht schwoll im Helligkeitsgrad auf und ab. Geisterhafte Schattenspiele fanden statt und sorgten für eine eigentümliche Stimmung der Bedrohung. Ich nahm den Hörer ab. Es war der unheimlichste Anruf meines Lebens …
Zunächst hörte ich, dass die Verbindung sehr schlecht war, ein Rauschen und Knackern bekam man mit, unterbrochen vom unterschwelligen Geräusch einer sich drehenden Wählscheibe. Dann aber sprach eine Stimme, irgendwie keuchend und abgehackt zugleich, meinen Namen aus. “Richard …” In der Leitung wurde es nun still, eisig still. Schließlich ertönte das Freizeichen. Das war es … Ich musste mich hinsetzen. Und vorweg: Es war kein Anruf von Endrich Myers gewesen - seine unverwechselbare Tonlage hätte ich sofort wieder erkannt. Die Stimme aber, die hier meinen Namen ausgesprochen hatte, konnte ich nicht einordnen. Mir wurde schwindelig. Was für eine ereignisreiche Nacht! Und in mir klangen die Geräusche nach, die ich soeben vernommen hatte. Das Aussprechen meines Namens. Es hatte denkwürdig unterdrückt geklungen, mysteriös unwirklich, wie ein Anruf aus dem Totenreich. Ein in der Tat sehr grotesk-schauriges Ereignis, mit dem wohl niemand so leicht zurechtgekommen wäre. Für mich stellte es ein Faktum dar, dass dies kein normal ausgeführter Anruf gewesen war. Paranormal bedingte Telefonate existierten, und zwar häufiger, als man annehmen mochte. Es konnte sich eigentlich nur um einen Geisteranruf handeln, so viel machte ich mir in diesen Nachminuten nun klar. Und ich entsann mich des seltsamen Atems, welchen ich während der Wartezeit auf Meyers definitiv vernommen hatte. Hier, innerhalb meiner Wohnung, lag etwas im Argen. Und plötzlich kam mir schlagartig der Gedankenblitz, dass meine Wohnstatt sicher mitnichten frei war von Fremdkörpern. Da gab es Haare, winzige Hautschuppen … Hinter Scheuerleisten etwa, oder regelrecht verwoben mit Teppichen. Haare, Haut, von - IHR! Die Xanthippe! Konstanze! Man konnte an einen Ort zurückkehren in spiritueller Form, was immer wir uns darunter vorstellen mögen, wenn es dort Teile des einstig vorhandenen fleischlichen Körpers gab. War das die Lösung?
Vollkommen entsetzt, gleichzeitig aber auch ausgebrannt, stürzte ich durch die Wohnung. Im Schlafgemach letztlich blieb ich wankend stehen, befand mich an der Stelle, auf welcher noch vor kurzem das Bett der Verhassten gestanden hatte. Ich rieb mir müde die schweißbedeckte Stirn, hatte die Augen fest zusammengepresst. Vor mir wehten - innerhalb einer Vorstellungswelt - Hautfetzen von ihr, mit Gesichtern. Und ich sah lange, entfärbte, dünne Haare, sich kringelnd und kräuselnd hinter Scheuerleisten, zwischen Ritzen des Fußbodenbelages. Kichernde Haare …
Draußen begann Donnergrollen. Ein Gewitter in kalter Jahreszeit, keine Seltenheit hier, doch nun genau die Atmosphäre des Düsteren passend unterstreichend. Ein Theatermann hätte es nicht besser inszenieren können. Ein gewaltiger Donnerschlag hallte übers Land. Dann Stille. Regen gesellte sich hinzu, und wieder Geblitze und Getös. Nackte Gewalten rumorten, und meine arme Seele mittendrin. Ich sank kraftlos auf einen Stuhl, nickte schließlich mit trüben Gedanken ein. Und da flüsterte mir die Stimme etwas zu, die ich schon vom Anruf her kannte. Eine Traumstimme bestimmt, doch Bilder gab es keine dabei. Nur Schwärze. Ein unbegreiflicher, unfassbarer Terror, der mich hier erreichte. “Richard …!” Nie hatte jemand meinen Namen scheußlicher intoniert. Höchstens SIE … So unendlich blechern ertönte die Stimme, so unendlich trauervoll auch, so geprüft und heimgesucht von Leiden. Dennoch IHRE Stimme … Aber sie schien eine Gequälte zu sein. Nun war ich nicht mehr befreit von meiner Last …
“Richard … Zerteilt in viele Stückchen haben sie mich … Was sie nicht ahnten war, dass ich ein Dämon bin …”
Mein Kopf ruckte auf. Die Stimme gab es doch gar nicht - konnte es nicht geben - durfte es nicht geben! Ich befand mich doch allein im Raum, oder? Wieder das Schallern von Donner.
Das Tönen war jetzt weiter entfernt. Unbegreiflicherweise stand das Schlafzimmerfenster ein schmales Stück offen - vorher war es doch geschlossen gewesen, oder? Ich rieb mir die Augen. Es war kurz vor vier Uhr am Morgen. Die Sonne würde noch auf sich warten lassen … Und in einer halben Stunde konnten Dutzende Morde geschehen. Oder hunderte erschreckende Dinge. Nein, wohl fühlte ich mich in meiner Haut wahrlich nicht.
Wind zieselte leise. Dann wieder fernes Krachen. Das Unwetter zog ab. Oder machte es nur einen Bogen, um bald noch viel heftiger wiederzukehren? Es regnete, allerdings nur noch leicht. Keine Menschenseele lief umher, die Nacht gab sich wie verflucht.
Der eine Fensterflügel begann jäh zu zucken. Ich wich zurück. Konnte das der Wind sein? Eigentlich nicht, denn zu ruckend, zu unnatürlich nahmen sich die Bewegungen aus. Nun zitterte die Fensterhälfte regelrecht, und dies war mit Geräusch verbunden. Langsam ging ich rückwärts, bis die Wand mich aufhielt. Mit starren Augen blickte ich den zuckenden Flügel an. Unfassbar! Es gab einen Ton dazu, der sich anhörte wie “Richard … Richard … Richard …”
Mit Sicherheit war es nicht die leblose Materie eines Fensters, die hier zu mir ‘sprach‘. Das Material wurde hier offensichtlich ausgenutzt zur Erzeugung von bestimmten zusammenhängenden Lauten - der Nennung meines Namens! Ich bekam es ernsthaft mit der Angst zu tun. Eine noch nie zuvor erlebte Furcht vor dem Tode und dem, was danach sich anschloss. Ich fuchtelte unbedarft mit den Händen in der Luft herum, als wolle ich irgendwelche imaginären Gestalten verscheuchen. Hinter meinen wischenden Armen kam das Fenster plötzlich wieder zum Stillstand, zu hören war nur noch Wind. Ich konnte mich aus der Erstarrung lösen, lief sofort mit langen Schritten nach vorn und verschloss den Flügel. Von meinem Kopf rann Schweiß. Nun wieder hörte ich etwas vom Korridor her, leise, knisternd. Augenblicklich jedoch war wieder Ruhe. Es hatte geklungen, als schöbe jemand ein Papier durch den unteren Türspalt des Portals. Und ich eilte zum Ort des Geschehens.
Es war gerade noch zu hören, wie Stöckelschuhe klapperten. Endrich Meyers! Er hatte die Nachricht gebracht, die unten an der Tür hervorlugte. Nun entfernte er sich schleunigst wieder. Eigenartig. Ich zog das einmal gefaltete Papier aus dem Staube hervor und las dann im schwachen Schein der Lampe die Krakelschrift. Ja, meine Vermutung bestätigte sich.
“ICH HABE IN ERFAHRUNG GEBRACHT, DASS SIE ALS KOPF KOMMEN WIRD. LEDIGLICH ALS KOPF. SIE SOLLTEN AUF DER HUT SEIN! IHR ENDRICH.”
Ich stand da wie ein begossener Pudel. Und in mir regten sich erneut die schauderlichsten Zustände & Gedanken. Alles sprach für eine Rückkehr der Konstanze … Ich dachte kurz daran, mich auf der Stelle zu erhängen. Doch diese Sünde führte ich dann natürlich nicht aus. Ich erschrak schon allein vor dem Umstande, dass mich dieser Gedanke ereilt hatte. Das Hirn arbeitete mit halber Betäubung, und die große Sorge wuchs unaufhörlich. Dieser Meyers mit seinem Aussehen, seinem Gehabe - ein Geschöpf, welches sich wohl nur tief nachts auf menschenleere Straßen wagen konnte, ansonsten hätten ihn Sittenwächter schon längst eingefangen. Welch eine seltsame Kreatur! Und was hatte er mir offenbart? Eigentlich nur wenig, man konnte kaum was damit anfangen. Ein Kopf würde kommen - IHR Kopf! Doch würde er rollend kommen? Oder fliegend angezischt? Hier gab es keinerlei Aussage, weil dieses spezielle Wissen wohl auch Meyers nicht in sich trug. Ich stellte mir kurz, sehr kurz nur, vor - und dann verwischte ich die Gedanken aus meinem Hirn - dass ich als Leichnam am Stricke hing, Konstanze dann durch ein Fenster brach, mich Toten erschaute mit ihren trüben Augen, und letztlich mit ihrem Gebiss den Strick durchnagte. Platsch - meine Leiche würde zu Boden fallen, die Polizei mich finden. Und dann würden Rätsel auftauchen. Wer hatte den Todesstrick zerstört? Abstruse Gedankenverläufe.
In der Gesamtwohnung knackte, knarzte und zischelte es nun - heftigster Spuk. Plötzlich lag eine tote Ratte auf dem Teppich, obwohl meine Räumlichkeiten definitiv rattenfrei waren. Ein Apportphänomen. Das Handeln eines Neckgeistes? Das Handeln von Konstanze? An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich wollte den Kadaver nach draußen transportieren und ging zur Eingangstür. Als ich dort ankam, stutzte ich. Das Türholz nämlich wirkte rein optisch nicht mehr wie Holz. Zwar war die Form der Tür, waren alle Ausprägungen sowie kleinste Details haargenau gleich geblieben, doch gab die Türe itz einen Schimmer ab, welcher jenigem von Metall glich. Und es war Metall geworden!
Und sie war nicht nur fest verschlossen, sondern wirkte wie verschweißt mit dem Türrahmen, der nun ebenfalls metallisch. Längst hatte ich die Ratte wieder zu Boden fallen lassen. Ich stellte mir Entsetzlichstes vor. Deswegen stürmte ich hin zu den Fenstern. Das Glas: Eine durchsichtige Masse, die sich nicht zerschlagen ließ. Schwitzend versuchte ich es, doch ohne geringsten Erfolg. Hart wie Diamant gaben sich die Scheiben. Und öffnen ließen sich die Fenster gleich gar nicht.
In der verzweifelten Folge versuchte ich es mit einem Wanddurchbruch - ich hatte eine Spitzhacke in einer vorhangbewehrten Nische des Korridors stehen. Ich sage es ohne Umschweife: Das Mauerwerk ließ sich nicht einmal mehr ankratzen … Gefangen! Ich war gefangen wie in einem Kasten aus Stahl. Das war eine unumstößliche Tatsache. Verzweifelt sank ich zu Boden, nach Schweiß stinkend und verdreckt. Eine viertel Stunde nach vier Uhr war es. Und jäh fiel mir wieder der Kopf ein. Der Dämon Konstanze wollte nicht, dass ich das Haus verlassen konnte. Wutentbrannt überprüfte ich Böden sowie Zimmerdecken. Auch hier: Undurchdringliches Material. Was für ein teuflischer, menschenverachtender, bösartiger Spuk!
Die Verbindungstüren innerhalb der Wohnung waren allesamt noch normal; ich konnte mich hier in den verschiedenen Räumen frei bewegen. Nur nach draußen gab es keinen Weg mehr. Dafür hatte Schwarzmacht Vorsorge getroffen. Warum ich? Warum ich als gottesfürchtiger Mann? Die Erklärung blieb aus. Irgendwo saß ich, in einer staubigen Zimmerecke vielleicht, in meiner unmittelbaren Nähe bestimmt Haare vom einstigen Weibe. Oder Hautschuppen. Wer wusste es genau? Irgendwann stand ich taumelig auf, ging zu einer Verbindungstür, tat sie auf. Sie knarrte meinen Namen … Die Tür hatte “Richard …” geknarrt!
Wirklich die Tür?
Ich fing an, wie Espenlaub zu zittern. Der Schweiß brach mir neuerlich aus allen Poren aus. Ich stank wie ein Bock. Mochte der Kontanze-Kopf penetranten Schweißgeruch? Ich bewegte experimentell erneut die Tür, diesmal fand keinerlei Knarren statt. Das alles hier war vollkommen verrückt! Holz, das zu einer Art Metall wurde. Türen, die mal knarrten und dann wieder nicht. “Die Ankündigung!”, tönte es hämisch in mir. “Die Ankündigung für den Kopf!”
DIESE WORTE HATTE ICH NICHT SELBST GEDACHT! Jene Stimme war in meinem Hirne gewesen und hatte mein eigenständig mögliches Denken kurzzeitig , für die Länge dieser Worte, außer Gefecht gesetzt. ETWAS war hier … Gott wusste, wie lange schon.
Ich kam nicht zur Ruhe. Wälzte mich auf dem Teppich hin und her, unentwegt den Satz murmelnd, der auf der schriftlich überbrachten Nachricht gestanden hatte. “ICH HABE IN ERFAHRUNG GEBRACHT, DASS SIE ALS KOPF KOMMEN WIRD. LEDIGLICH ALS KOPF. SIE SOLLTEN AUF DER HUT SEIN! IHR ENDRICH.” …
IHR ENDRICH - was für ein Hohn! Doch ich war längst ernsthaft in Erwartung. In Erwartung des Kopfes! Ich hörte mit dem Herumgewälze auf und trat an die Fensterscheiben heran. Man konnte noch gut hindurchschauen, doch das einstige Glas war nun milchig geworden, trübe, wenn man so will. Wie gesagt, man konnte aber noch hindurchschauen. Das tat ich auch, und eigentlich, ja eigentlich, hätte ich die schmale, schmutzige Straße da draußen sehen müssen, im Schwachlicht der Gaslaterne. Dem war nicht so … Die einzigen Dinge, die ich sah, waren eine merkwürdige Steinsäule - leicht eigenleuchtend - sowie eine gekrümmte, tiefschwarze Baumleiche. Die Umgegend des Hauses hatte gewechselt. Ich schüttelte völlig entkräftet den Kopf, wollte auf eine Uhr schauen. Aber mittlerweile standen ALLE Uhren im Hause still …
Ein Nachdenken über diese sonderbaren Vorgänge fand nun nicht mehr statt, denn ich wurde abgelenkt. Ein Rascheln füllte alle Zimmer, ein Geknister wie von ganzen Mäuse-Heeren, obwohl keines der possierlichen Tierchen zu erblicken. Spuk. In den Gemächern ging es um. Kam der Kopf? Noch ließ er sich nicht blicken, und die Gedanken galten kurzzeitig der Fremdwelt hinter den undurchdringlichen Mauern. Konnte es sein, dass nicht die Landschaft gewechselt hatte, sondern das Haus ‘gewandert’ war? Ich zwickte mich derbe in den Unterarm, denn definitiv glaubte ich nun an einen Traum. Die Szenen wirkten verwischt, unreal.
Und das Geraschel in all den Zimmern steigerte sich hin zu unerträglicher Lautstärke. Es nahm sich nun so laut aus, dass mir ernstlich die Ohren schmerzten. Die knappe Überlegung, von diesem lauten Geraschel taub zu werden, ereilte mich. Ich bestand ohnehin fast nur noch aus Vorstellungen. Die Hände hatte ich auf die Ohrmuscheln gedrückt, dabei lief ich wie ein Berserker geduckt immer her und hin. Ruhig dasitzen war nicht möglich, nur durch Bewegung wurde die Situation einigermaßen erträglich, wenn man hier davon überhaupt sprechen kann. Doch so plötzlich, wie die Töne gekommen waren, schwanden sie auch. Ich wurde zusehends ruhiger, begann dann, die Hausuhren zu überprüfen. Sie liefen nicht. Hier war es beim alten geblieben.
Zu den Fenstern hin! Die bläulich leuchtende, schmale Steinsäule. Die Baumleiche. Doch der Kopf - wo blieb der Kopf?
Hastend blickte ich um mich. Nichts. Kein Kopf. Alles eine Farce? Der Umschlag mit den Geldscheinen - ihn überprüfte ich ebenfalls. Als ich den Inhalt herausnahm, zerfiel dieser zu Staub. Ich war darüber nicht einmal überrascht. Doch ich zwang mich dazu, nicht über Meyers nachzudenken. Ich hoffte einfach, ihn nie wieder zu sehen. Eigentlich wollte ich überhaupt nichts mehr wahrnehmen.
Plötzlich kam mir in den Sinn, dass hier bald die Atemluft schwinden würde, wenn ich längere Zeit Türen und Fenster nicht aufbekam. Was war hier zu tun? Würde sich dieser Umstand von selbo wieder auflösen? Die Situation gab sich grotesk, konfus. Immer mehr kam in mir die Frage auf, wie das alles vonstatten ging. Es handelte sich um dunkelste Magie, soviel war klar. Doch wie funktionierte sie - diese Magie? Es war klar: Darauf gab es für ein unwissendes Menschlein keine Antwort.
Wieder ging ich zum Fenster und starrte hinaus. Und zuckte zusammen! Säule und Baum waren verschwunden, dafür zeigte sich wieder das gewohnte Straßenbild mit ihren Abfällen am Rand, mit ihrem Schmutze. Ich war schockiert. Was für einen Platz, welch eine Stätte, hatte ich nur vorher erblicken müssen? Warum das alles?
Und schlussendlich konnte ich die Fenster wieder öffnen, auch die Haustür. Alles Material war wieder wie sonst. Pures Entsetzen schüttelte mich durch. Und ich stand inzwischen auf der Straße vor dem dunklen Haus und sah mich um. Nach links, rechts, oben. Doch ich hatte wohl nicht nach hinten geschaut, und da war die offene Wohnungstür …
Ich hatte jäh eine unergründliche Todesfurcht, in diese meine Wohnung zurückzukehren. Und ich sah einen goldenen, seltsamen Schimmer durch die Fenster schimmern, im Bereiche der Stube. In Pantoffeln und dünnem Pullover rannte ich weg! Nur fort, weg von diesem Spukhause - irgendwohin. Hauptsache, nicht nur weg, sondern sehr weit weg. Ich war davon überzeugt, dass hinter meinem Rücken der Kopf Konstanzes in die Räumlichkeiten eingeschwebt war …
Unterwegs fragte ich einen Pennbruder nach der Uhrzeit. Dieser konnte mir freilich keine Auskunft geben. Ein anderer Mann, ein feiner Herr, sah mich zwar erstaunt von oben bis unten an - mich, der ich schnaufend und völlig außer Puste vor ihm stand, in Pantoffeln, im Pullover - doch erteilte er mir die Information, es wäre kurz nach zwei Uhr in der Nacht. Somit war anzunehmen, dass die dunkle Kraft noch was geschafft hatte: Zeitverschiebung! Ich sah die Säule vor mir, den dunklen Baum. Ich hoffte, während ich entsetzt weiter rannte - unter den skeptischen Nachblicken des feinen Herren - dass ich nicht um Jahre nach hinten oder vorn des Zeitstrahls gereist . In der Eile und Hektik hatte ich schlicht vergessen, ergänzend nach dem Jahr zu fragen.
Der Kopf hatte nun noch zahlreiche Nachtstunden, Zeit der Dunkelheit, zur Verfügung. Hass sollte auf mich abgeladen werden, Konstanzes ganze Abneigung. Aber vielleicht, so kam es mir während meiner Flucht in den Sinn, hatte sie schon immer gewollt, ein fliegender, schnappender Kopf zu sein - ein dämonisches Körperteil voller Menschenverachtung …
Ich rannte einfach so dahin, so schnell ich konnte, und so weit ich konnte. Irgendwann einmal kam ich auf freiem Felde an, über welches der Wind dahin pfiff. Im schwachen Nachtlicht sah ich einige Gebüsche stehen, und da ich vollkommen erschöpft war, wühlte ich mich schwer atmend in ein solches hinein. Hier kam ich nach einigen Minuten halbwegs wieder zu Kräften.
Ich starrte angestrengt über das Feld vor mir hinweg, durch das Gebüsch hindurch über diese schwergraue Ebene. Seltsame Nachtgeräusche hörte man neben dem Sturmwind. Schallende, hohle Laute, die mir Rätsel aufgaben. Ich lauschte, fror dabei erbärmlich. War das Wort ‘Richard’ zu vernehmen? Bis jetzt nicht, lediglich diese eigenartigen Töne mit ihrem gespenstischen Nachhall. Ich ballte vor mir die Hände zu Fäusten und pochte verzweifelt auf den Erdboden.
Das war in der Tat merkwürdig. Ich konnte mir absolut nicht erklären, was dies für eine Geräuschkulisse war, zumal ich jenen wunderlichen Lärm vorher noch nicht gehört - zumindest gab es keine Erinnerung daran. Der Entschluss fiel, noch länger hier liegen zu bleiben, allerdings nicht so lange, bis die Kälte mir ernsthaft gefährlich werden konnte.
Da - war es da nicht - jenes goldene, schimmernde Leuchten, welches sich auch innerhalb meines Hauses breitgemacht hatte? War es hinter mir her? Sicher! Da vorn befand sich eine Gruppe krautiger Büsche, eng an die dunkle Erde geschmiegt, und dort sah man auch das Schimmern, welches plötzlich wieder schwächer wurde. Was war das nur? Mit einer innerlichen Erklärung konnte ich leider nicht aufwarten, weitere Beobachtung musste stattfinden. Jedoch: Ich spürte diese unbegreiflich dichte Angst, wellenartig schwappte sie jäh über mich. Ganz so, als würde eine schwarze Woge des Bösen heran geschoben. Das war keine Warnung mehr, sondern schon ein Befehl zur Flucht! Ich stand auf, ja sprang hoch - in meinen Pantoffeln und dem dünnen Pullover. Und ich hetzte wieder fort, dass unter meinen Füßen gar Erdbrocken davon flogen. Gnadenlose Hatz. Die Macht, welche hinter mir her war: Mit ihr durfte man nicht spaßen, dies fühlte ich. Ziellos spurtete ich dahin über die Ebene, über dieses Feld, das hier und da zur Wiese wurde. Welkes Gras, zitternd in Nachtluft.
Ich wusste mit keiner Silbe, wo ich mich befand. Es handelte sich um ein einziges Dahingehetze, vollkommen planlos. Ab und an blickte ich im Lauf keuchend zurück, konnte aber außer Dunkelheit nichts erkennen. Wenn dabei der Blickwinkel allerdings schräg nach oben abdriftete, sah ich die trostlos tiefen Wolkenberge, leicht sich abhebend vom Hintergrunde der Nacht. Allein war ich. Kein Bellen eines Hundes, nicht der klagende Laut einer Katze. Lediglich Wind. Und ich konnte nicht mehr weiter rennen. Der Atem flog, die Beine versagten wohl auch gleich den Dienst. So blieb ich alsbald mitten auf weiter Fläche stehen. Mein Brustkorb hob und senkte sich wie ein Blasebalg. Unglaublich angreifbar war ich. Völlig ohne Deckung. Zitternd sank ich zu Boden. Kalt war dieser, ungemütlich, unbequem. Zum Komfort meiner Wohnung sehnte ich mich dennoch nicht zurück. Nein - nicht mehr! Die Sache mit dem Kopf der Verstümmelten - sie war noch lange nicht aus der Welt geschafft. Die Hölle selbst schien sich dort breitgemacht zu haben.
Ich saß schnaufend da, atmete tief durch, hob und senkte den Kopf, um die verspannte Muskulatur ein wenig zu lockern. Und da passierte es: Vielleicht hundert Meter vor mir im Nachtschwarz tauchte das goldene Schimmern auf. Wie ein kompakter Ball wirkte es, der aber nach außen hin lichtschwächer und fasriger wurde. Jenes Gebilde - und ob es wirklich etwas festes war, entzog sich jeglicher Kenntnis - kam auf mich zu. Langsam. Gemächlich. ES wusste, dass ich hier auf kalter Erde saß. Und es ließ sich Zeit. Wenn ich rannte, war ich definitiv schneller. Doch mit Sicherheit war das Einholen meiner Wenigkeit für das Phänomen kein Problem. Jedenfalls hielt mich nichts mehr, die Flucht ging weiter. Wie schon bisher rannte ich einfach immer der Nase nach.
Auf einmal tauchten schwache Lichter auf, als ich eine lang gezogene Senke erreichte. Eine Ortschaft! In der Tat gelangte ich in ein Dorf. Ich kannte es nicht, denn nur selten hatte ich bisher meine Heimatstadt verlassen. Ich hatte auch nie sonderlich Interesse für Land & Leute gehegt - dies rächte sich nun freilich. Ansonsten wären mir vielleicht gute Verstecke in den Sinn gekommen. Obwohl ich diesen Gedanken auch sofort wieder verwarf. Konstanze würde mich finden … Aber ich wollte es versuchen.
Kleine alte Bauernkaten gab es, meist mit verwilderten Vorgärten. Diese wieder hinter reparaturbedürftigen, morschen und schiefen Holzzäunen. Es roch nach fauligem Holz, und dieses ganze kärgliche Elend lag im schwachen Funzellicht von zwei oder drei rostigen Gaslaternen. Mitten im Ort blieb ich also stehen, schaute hetzend um mich. Sollte ich mich im Unkraut eines Vorgartens verbergen? Der Wind raunte während dieser Gedanken, hauchte Unheil heran, welches immer näher kam …
Nein, besser wäre es sicherlich, eines der alten Häuschen zu betreten, vielleicht konnte ich das elendigliche Verfolger-Ding abschütteln - wobei ich noch hoffte, auf eine unbewohnte Hütte zu stoßen. So kamen mir diese eigentlich allesamt vor, ohne Bewohner, denn es war von der Aura her, als hielte man sich in einem Geisterdorf auf.
Nun, obgleich der Gedanke einer gelungenen Flucht an für sich lächerlich war - denn wie sollte ich eine auf die Erde gekommene Höllenmacht überlisten und verunsichern können - sah ich im Moment keine andere Möglichkeit, um wenigstens mein aufgewühltes Gemüt zu beruhigen. Vielleicht würde ich bis zum Tagesanbruch meine Ruhe haben. So schaute ich noch einige Seitenblicke in das starre Düster dieses winddurchflehten Ortes hinein, um sofort darauf auf die erstbeste Kate zuzugehen. Ich hatte insofern Glück, dass die Türe nur angelehnt war. Entweder der Satz stimmte, dass es hier keine Leute mehr gab, oder aber es existierte kein Lumpenpack und man konnte sich seiner Dinge hier sicher sein. Ich huschte tiefer in das kleine Haus und fragte schließlich im Flüsterton, ob jemand zu Hause wäre. Stille. Keine Antwort. Die gespensterhafte Lautlosigkeit dröhnte regelrecht in meinen Ohren.
In einer Ecke brannte eine kleine Öllampe auf einem Wandbrett, und ich sah, dass in einer Nische eine Frau schlief. Ein grauer, dünner Vorhang befand sich vor dem derben Bette, und durch eine Ritze hindurch sah ich die tief Schlafende. Ich verhielt mich sehr leise und schlich zum linksseitigen kleinen Fensterchen. Draußen schien mir alles in Ordnung zu sein, diesen Anschein hatte es zu Beginn. Doch in der Ferne, weiter weg vom Dorf, glomm es leicht auf. Ich wurde noch immer verfolgt!
Aufregung überkam mich, und schnell blickte ich umher. Viel zu erkennen war in diesem Schlaf- und Wohnraum nicht, der schwache Schein der Lampe reichte beileibe nicht in sämtliche Ecken und Winkel dieses Kabuffs. Doch ich gewahrte einen größeren, bauchigen Korb - angefüllt mit - Büstenhaltern und Miedern. Vielleicht lagerten diese Stücke hier, um gewaschen zu werden, eventuell nähte die Schlafende sie auch und verdiente damit ihren Unterhalt - ich wusste es nicht und es konnte mir auch egal sein. Jedenfalls stieg ich schnell in dieses Behältnis und wühlte mich regelrecht in diese Dinger hinein - in der bangen Hoffnung auf ein sicheres Versteck.
Kurz nur dachte ich an diese wahnwitzige Verfolgung innerhalb dieser Weiberkleidung. Kurz nur, weil mich jäh der unangenehme Geruch, ja Gestank, erreichte. Mein Riechorgan wurde gemartert wie nur selten, denn hier roch man etwas wie offene Wunden, stinkende Salbe, vermischt mit stichiger Faulheit von Fleische - so zumindest meinte ich’s zu bemerken. Und es kam freilich von diesen ganzen Miedern und Büstenhaltern her, die ringsum mich einhüllten. Ich arbeitete mich hektisch heraus aus diesem fürchterlichen Wäscheberg. Dabei achtete ich mitnichten mehr aufs Stillesein. Der Ekel wühlte. Und vor mir, im Schwachlichte sah ich es, kam die Schläferin aus ihrer Nische heraus, das Bett verlassend. Sie stierte mir irr entgegen, und ich sah ihre ganze entstellte Nacktheit. Das Grauen schnürte mir die Kehle eng, denn die Brust jener Frau hing halb verfault herab - offenes Fleisch, Entzündung, Gewürm im Schmer! Sie hatte mich gesehen, und nun kam sie langsam auf mich zu, der ich mit einem Satze das morbide Behältnis verließ - aufschreiend, vollkommen angewidert. Das Tuch, welches die Nische verdeckt hatte, schwang sanft in seine Ausgangslage zurück; die Entstellte befand sich nur noch drei oder vier Schritte von mir entfernt. Sie ächzte eigenartig, und in ihrem Gesichte, welches neutrale Wirkung auf mich zeitigte - weder schön noch hässlich war es - blitzte gar ein verwischtes, merkwürdiges Lächeln auf, das ich nicht einzuordnen vermochte. Sollte es eine Verlockung darstellen, in Richtung meiner Person? Ich schüttelte den Kopf, und noch einen Schritt näher kam sie. Als gar die Hände in meine Richtung ausgestreckt wurden, geschah es plötzlich!
Goldener Schimmer fiel durchs Fenster ein. Wildeste Töne, seltsam nachhallend, drangen heran. Ich kam zu keiner Bewegung mehr. Krachend brach das Fensterglas - ich war gefunden worden … Glühendes Etwas schnellte herein, biss sich aber augenblicklich fest im kranken Fleisch meiner Gegenüber, die einen gellenden, markerschütterten Schrei ausstieß, indem alle Angst dieser Welt lag. Das Glühen erlosch, und es schälte sich nun tatsächlich der Kopf Konstanzes hervor. Ich wich schockiert zurück, während vor mir ein Grauen seinen Lauf nahm, welches ich so intensiv noch nicht hatte erleben müssen …
Dieser Kopf hatte sich schnappend, hackend, in die offenen Brustwunden hineingehakt, so dass eine Lösung vom Körper unmöglich schien. Wilde Bewegungen waren auszumachen, und die Geräusche, welche es begleitend gab, sind nicht beschreibbar in ihrer gesamten Abscheulichkeit. Blut rann in wahren Sturzbächen den Körper der Geschundenen hinab, und die qualvollen Schreie der Bedauernswerten mussten eigentlich das ganze Dorf wecken, was nicht geschah, denn keiner eilte zu Hilfe. Man sah, wie der Kopf ganze Stücke der Frau wegriss und auf den Boden fallen ließ. Die Knochen des Brustkorbes wurden sichtbar, umhüllt von Fleischfetzen, Haut und Blut. Wie rasend war der Kopf, und das Geifern und Sabbern werde ich ein Leben lang als schrecklichstes Bild vor mir haben.
Ich wich zurück, den Blick abgewandt. Warum die kranke Frau, die mit der Sache nichts zu tun hatte? Das begriff ich nicht. Mir schien es fast, als sei die Fremde nur als ‘Vorspeise’ gedacht. Als ich rücklings nach der Tür tasten konnte, tat ich sie flugs auf und huschte nach draußen in die Kühle der Nacht. Sofort rammte ich die Tür gegen den brüchigen Rahmen und schickte mich an, erneut in rasende Flucht überzugehen, wobei ich mich innerlich kurz als Feigling sah, da ich dieser erbarmungswürdigen Frau nicht half. Aber es war ohnehin zu spät - diese Verletzungen konnte sie nicht überstehen. Und außerdem wäre es mir sicher nicht möglich gewesen, gegen diese höllische Magie vorzugehen.
Ich stieß heftig mit einem kleinen Mann zusammen, blieb sofort stehen. Im Nachtlicht stand - Endrich Meyers!
Er schob mich augenblicklich zur Seite und stieg in seinen hohen Hacken zur Tür, hinter der sich blanker Terror abspielte. Er betrat das niedrige Gebäude, schrie unheimlich klingende Worte, mit denen ich absolut gar nichts anfangen konnte. Dann war es schlagartig still. Leichenstill. Er hatte da drinnen eine Bannung durchgeführt, dies lag auf der Hand. Da der Lärm entschwunden war, wohl sicher mit Erfolg.
Durchschnaufend drehte ich mich langsam um die eigene Achse, sah zittriges, welkes Gras - sah nackten, kargen Boden. Oben die Wolkenungetüme, gigantisch, fürchterlich finster. Nur eine Frage schoss durch mein Hirn: War es zu Ende?
Mir war völlig schleierhaft, wie Meyers hierher gefunden hatte; man musste wahrscheinlich davon ausgehen, dass er einfach mehr wusste. Dieser kleine Mann wirkte plötzlich wie ein Wunder auf mich, wie etwas extrem Seltenes, was er wohl auch war. Wie er sich nur gab … zu grotesk einfach! Auch mit seinen sexuellen Neigungen schien mir irgendetwas nicht in Ordnung zu sein, denn die Sache mit den Damenschuhen wies höchste Absonderlichkeit auf.
Doch wie es sich auch verhielt, für mich war wichtig, dass endlich Ruhe vorhanden, denn momentan empfand ich nichts wichtiger. Und nach einer ganzen Weile kam Meyers endlich aus dem Bauernhaus heraus, von einem zum anderen Ohre grinsend. Er wedelte skurril mit den Händen in der Luft herum und sprach leise mit sich selbst. Ab und an schüttelte er seinen deformierten Kopf, als könne er dies alles selbst nicht glauben. Vor mir blieb er schließlich stehen und starrte mit seinen verschlagenen Verbrecheraugen zu mir empor. Er zog seinen Hut ein wenig ins Genick und hub an, zu sprechen. Die mir bekannte blecherne Stimme erklang, und sie war für mich auf einmal tausendmal angenehmer als die schrecklichen Laute, die noch kürzlich hier gewesen. “Es ist nicht eigenartig oder seltsam”, knarzte er, “sondern vielmehr ein eigenes Gesetz. Von der Bauersfrau da drin ist nur noch ein matschiger Haufen übrig. Doch die Seele wird bei Gott ankommen …”
Er riss sich sein flatterndes Mundhäutchen weg; es war wohl zerstört worden, als er die Bannworte gesprochen hatte. Der Wind trieb es über den Boden dahin, und es verschwand in der Dunkelheit. “Wut”, fuhr Meyers fort, “Zorn steckten im Dämon. Der Kopf schaute die Bauersfrau und ging ohne Zögern zur Vernichtung über. Es hätte auch sie erwischen können, Richard, doch die Blutgier stoppte die Intelligenz. Ein niederer Dämon ist dies, ein Triebwesen, vor allem zu Zeiten als ihr Weib, Richard … hähähähähä! Sie wären mit Sicherheit danach drangekommen. Ihre Flucht war klug gewesen, das einzig Richtige.”
Er meckerte nun seltsam herum, wie ein kleiner Ziegenbock. Mir wurde immer klarer, dass ihm Besonderes innewohnte …
“Das kleine Experiment mit ihrem Hause, die Barriere ohne Entkommen, die vorgegaukelte Ortsveränderung, das Versprechen mit der regelmäßigen Geldauszahlung - alles kleine Scherze von meiner Seite. Ich liebe die Halbwahrheit. Und als ich ihnen die Nachricht zukommen ließ, sie würde als Kopf kommen, stimmte dies ja. Hähähähähä … Ich bin mächtiger als dieser lächerliche Konstanze-Kopf, der jetzt irgendwo in seiner eigenen Hölle steckt und nicht mehr die Möglichkeit hat, diese Ebene hier aufzusuchen. Es war ein kleiner Versuch am Kleindämonen. Der Übergang zu etwas Anderem - wie schnell würde er sich vollziehen? Die Antwort kenne ich nun, doch es sollte auch genug sein. Es war nie meine Absicht, größere Blutbäder anzurichten, höchstens minimale. Der Konstanze-Kopf kennt nur die Gier. Mit ihrer Tötung, Richard, wäre der Alptraum lediglich eingeleitet worden. Für sie jedenfalls ein solcher, für mich unter Umständen ein Genuss, wenn ich in Stimmung dazu bin.”
Endrich Meyers - und ich lachte innerlich über diesen sonderbaren Namen, denn nie im Leben konnte das Wahrheit sein - reckte sich voller Genugtuung. Listig blinzelten mich seine kleinen Augen im kalten Nachtlicht an. “Ich weiß”, schnarrte er, “dass sie annehmen, mir nicht trauen zu können. Was sie glauben und denken, ist allein ihre Sache. Ich mische mich da nicht ein, obwohl ich es könnte. Für mich ist nur das Ergebnis des Versuches eminent gewesen. Dieser musste auf dieser Ebene des Erdbodens stattfinden, aus Gründen, die sie nicht verstehen können, Richard. Das hat chemische sowie atomphysikalisch-magische Anstriche, mehr werden sie wohl nicht verdauen können. Die Leute des okkulten Zirkels - welch ein herrliches Wort, okkult … hähähähä - sie kamen um, alle! Diese ignoranten Fratzen konnte ich eigentlich schon lange nicht mehr ertragen. Sie, Richard, gefielen mir, da sie sich aus der Sache herausgehalten haben. Es ist besser, sich Dingen fern zu halten, die man nie begreifen kann, da man ein Menschenhirn besitzt …”
Erneut geckerte und meckerte er leise. Im raunenden Nachtwind hörte sich dies äußerst unheimlich an. “Nur aus diesem Grunde lasse ich sie als Mitwisser leben, Richard. Ich habe meine hehre Absicht bewiesen, denn soeben rettete ich ihr Leben, wie sie zugeben müssen.”
Mir war die Kehle sehr trocken geworden, ich fühlte mich auch alles andere als wohl und sicher. Trotzdem nickte ich, eigentlich wie im Zwange. Diese Person vor mir strahlte hypnotische Wellen aus.
“Dieser krüppelige Baum …”, stotterte ich, “diese Steinsäule - was …” Mein Gegenüber ließ mich nicht zu Ende sprechen. “Die Hölle.” entgegnete er nur. “Nur ein Abbild eines bestimmten Gebietes, das sich um ihr Haus gelegt hat. Und bevor die Frage kommt, die schon in ihren Windungen bereit liegt: Ja, die Zeit spulte ich kurz zurück, damit die Nacht noch ein wenig länger wurde. Ich wollte sehen, wie es weitergeht. Der Sonnenaufgang hätte dem Kopf schaden können, das wollte ich nicht. Konstanze ist schon einzigartig, und anderswo wird sie mir noch so manchen pikanten Wunsch erfüllen …”
Ich schluckte, denn seltsame Szenarien taten sich kurz vor mir auf. Dann musste ich die Konzentration wieder auf diesen Meyers richten, da er redete und redete …
“Gewalt, Mord, Totschlag - wie pikant sind diese Dinge, mit wie viel Amusement nur verbunden. Irgendwann einmal wird es Trilliarden solcher Köpfe geben. In der letzten Schlacht … Hier wird es jetzt ruhig weitergehen, ganz wie gewohnt. Den Kopf gibt es hier nicht mehr, es wird diesen auch so bald nicht mehr auf dieser Erdebene geben.” Meyers furzte laut, hob dabei ein Bein an. Der Gestank, welcher mir entgegen quoll, sorgte fast für meine körperliche Lähmung. Doch Meyers kicherte nur. “Hihihihihi … Die restlichen Mitglieder des Zirkels: Bestimmt werden sie vermisst werden, Polizei wird sich einschalten. Doch es wird keine Hinweise geben. Und sie, lieber Richard, können nichts dafür. Sagen sie einfach die volle Wahrheit. Man wird noch weiterforschen, doch von Nutzen sein kann dies natürlich nicht. Hihihihihihi …”
Ich nickte betäubt. Dann musste ich endlich die Frage loswerden. “Wer sind sie?”, stellte ich im atemlosen Ton die Frage in den Raum. Kalt glitzerten mich die Augen des Gegenüber an. Der Wind raunte, ich fröstelte im dünnen Pullover. Nur noch einen Pantoffel trug ich, der zweite musste wohl bei der Flucht aus der Büstenhalterkiste verloren gegangen sein.
“Was glauben sie, wer ich bin, Richard?”, fragte Endrich Meyers lauernd.
“Ich weiß es nicht.”
“Hihihihihi!” Er kicherte wie ein Irrer.
“Sagen sie es mir!”, forderte ich ihn auf. Der Gesichtsausdruck des Verunstalteten änderte sich, was durchaus als gefährliches Zeichen eingeschätzt werden konnte. “Hm. Wer ich bin … Hm …” Was nun geschah, war unglaublich. Meyers schrumpfte! Es nahm sich derart fremd aus, so bedingungslos und einmalig seltsam, vermischt mit dem Zweifel am gesunden Verstand, dass es nicht fassbar. Was sich hier vollzog, konnte nun wirklich & absolut nicht mehr begriffen werden - und plötzlich schlug sich ein beißender Gedanke bei mir fest, es mit dem BÖSEN zu tun zu haben! Anders, nein anders, konnte es nicht sein. Der Mond beleuchtete die Szene plötzlich mit apokalyptisch anmutender, kühler Helle. Es war fast, als hätte die größere Wolkenlücke schon die ganze Zeit über einen festen, geplanten Platz in diesem Schauspiel gehabt, das an Perversität nicht überboten werden konnte. Meyers schrumpfte immer weiter und veränderte sich dabei zusehends. Und dies ging alles sehr schnell, vielleicht nur wenige Sekunden. Obszöne Töne, sehr ekelig und irgendwie feucht klingend, stellten bei der grauseligen Wandlung die Begleitmusik dar. Theatralischer konnte man es sich nie & nimmer ausdenken. Die Kleidung des Wesens, der Hut, die Damenschuhe, sie gingen Verbindung ein mit den weich gewordenen Körperpartien, und sie schienen darüber hinaus noch zum gleichen Materiale zu werden, wobei ich nicht von Fleisch sprechen will. Das, was da vor mir, war etwas anderes. Aber was? Nur noch ein klumpiger Ball lag mir zu Füßen, der sich noch mehr verkleinerte, wie gesagt schnell und nun noch mit puffenden, zischenden Geräuschen angereichert. Dann sah ich - einen langen, fetten Regenwurm! Und der blieb!
Von einem plötzlichen Auslöser angefacht, angestachelt vom WISSEN, dass hier das Böse vor mir, rammte ich den rechten, pantoffelbewehrten Fuß auf den sich langsam schlängelnden Wurm.
Im gleichen Moment jedoch bekam ich von hinten einen derben Stoß. Der Schmerz zuckte durch den Rücken, ich flog regelrecht nach vorne und schlug hart auf dem Boden auf. Ich wälzte mich stöhnend herum. Ich sah, in bekannter Statur, Endrich Meyers … Grinsend thronte er über mir.
“Der Wurm war ich nicht.”, schnarrte er. “Ich materialisierte mich hinter ihnen, während sie gebannt auf das Tierchen starrten. Reingelegt! Reingelegt!” Ich erstarrte, denn dieses Wort ‘reingelegt’ wurde verlangsamt mit einer astreinen Kinderstimme vorgetragen … “WER SIND SIE?”, schnaufte ich. Speichel spritzte mir von den Lippen. Seine gespenstische Gestalt wurde vom Mondlicht umspült.
“Der Herr der Nacht.”, sagte er mit seiner gewohnt metallischen Stimme. “Das Monster aus der Tiefe. Der Regent aus dem Nichts. Das Scheusal aus den Sümpfen. Das Geschöpf aus den Bergen. Das Tier aus den Wolken. Der Killer aus der Unterwelt. Die Macht aus dem Kosmos. Ihr Endrichter - deswegen Endrich …”
“Kein Geschwafel!”, keuchte ich. “Ich will es wissen! Ich will die Wahrheit kennen! Wer? WER?” Ich war laut geworden. Die deformierte Gestalt sagte nichts, sondern löste sich blitzartig in eine kleine Rauchwolke auf, die erbärmlich stank. Ich selbo stand da wie ein Pfahl, den man in die Landschaft gerammt hatte - zu keinem Nutzen, keinem Zweck. Ich sah zu, wie der Qualm vor mir verwehte, dann schloss sich hoch über mir das Wolkenloch. Finsternis … Aus der Luft aber vernahm ich eine Stimme, jenige von Endrich Meyers. Er war nicht sichtbar. Doch die Worte, die geschnarrt wurden, werde ich nie vergessen können. Sie wandelten meine Weltansicht von Sekunde an.
“Einer der wenigen Menschen bist du, die den Teufel gesehen haben - körperlich gesehen - nicht nur gefühlt.”
Aus.
Ruhe.
Nur noch der Nachtwind.
Irgendwie fand ich nach Hause. Starrend, mit halboffenem Munde. Durst! Ich hatte einen unglaublich intensiven Durst. Meine Haut brannte wie unter Säure - hatte mich ein Rest des Qualmes berührt? Wankend ging ich dahin, und die Gedanken wirrten verrückt umher, kreisten ständig um sich selbst. Dieses Erlebnis zu verarbeiten würde sehr schwer werden, vielleicht gelang dies auch nie. Auch zweifelte ich das alles an. War es wirklich so geschehen?
Zum Glück trug ich den Schlüssel in meiner Pullovertasche. Die Tür des Wohnhauses war nämlich zugeworfen worden. Vielleicht vom Konstanze-Kopf? Diesem Ding, welches nicht mehr auf Erden war? Mit zitternden Händen öffnete ich das Haus in der schmutzigen Straße.
Zunächst stellte ich mit einem kurzen Gang durch die Räumlichkeiten fest, dass es keine Zerstörungen gab. Es roch nach Kaffee, wie gewöhnlich. Ein wenig Staub lag auf den Möbeln, ich würde sie noch säubern müssen, gut. Erleichterung. Die Atmosphäre gab sich neutral, ja rein. Irgendwann aber sah ich die Holztruhe, welche in der Lager-Nische stand. Ich kannte den Gegenstand nicht, er war mir fremd in meinen vier Wänden. Eigenartig. Zunächst trank ich etwas, dann setzte ich mich hin und überlegte. All meine Müdigkeit war wie weggeschwemmt. Und itzo, da ich ohnehin nur noch an die Truhe dachte, suchte ich das gute Stück auf. Das hoffentlich gute Stück …
Unschlüssig stand ich davor. Gab es einen Inhalt, sollte ich nachschauen? Das alles schien mir etwas mit meinen Erlebnissen zu tun zu haben. Bestimmt hatte kein Postbote die Kiste hergeschleppt. Andere Leute sicher ebenfalls nicht. Mir fiel eigentlich nur Meyers ein. Dieser Meyers, für den er sich - ha! - ausgegeben hatte. Ich konnte mir schlimmste Dinge ausmalen, regelrecht plastisch sogar. Ein Tor zum Beispiel. Ein Schlupfgang vom Jenseitigen für den Konstanze-Kopf in meine Behausung. Horror in Vollendung, meiner Person geltend, die sicherlich ohne weiteres geschlagen und besiegt werden konnte. Oder aber: Gab es in der Schwarzwelt Ehre? Ich wagte den Gedanken kaum zu Ende zu bringen …
Vorsichtig steckte ich noch einmal den Kopf am Vorhang vorbei und spähte in die einsehbare Wohnung, ganz so, als hätte ich Furcht vor Beobachtung. Die Zimmer lagen still da, und doch nahm es sich auf eine Weise seltsam aus, welche man kaum oder gar nicht erklären konnte. Es schien, als läge ein Grauschimmer in der abgestandenen Luft. Ja, es gab sich optisch so, dass man erkennen konnte, wie die Luft leicht waberte. Bilder an den Wänden dahinter gaben sich etwas verzerrt & verwischt. Nur Einbildung? Real? Jedenfalls war das vollendet gespenstisch. Hier wirkte noch etwas nach, doch durch mein Studium okkulter Bücher wusste ich, dass dies bald aufhören würde. Nur allmählich vielleicht, aber doch enden.
Ich wandte mich erneut der geheimnisvollen Truhe zu, die sich vor mir in sattem Schwarz präsentierte. Eisenbeschläge gab es, das übertünchte Holz sah mir dick und kräftig aus. Es existierten Schließplatte sowie Bügel für ein Vorhängeschloss, doch ein solches würde ich noch anbringen müssen, wenn ich es denn wollte. Auf Lager hatte ich keines. Dann aber griff ich nach dem Deckel, sehr spontan und ohne weitere Maßnahmen einer gehobenen Vorsicht. Mein Gefühl sagte mir, es so gefahrlos handhaben zu können. Die Truhe stand offen, und ich sah hinein. Geldscheine. Bis zum Rand nichts als Geldscheine. So viele, dass man sie hätte in zehn Leben nicht aufbrauchen können. Ich war ein reicher Mann. Das waren Tausender-Scheine, hier lagen viele Millionen vor mir. Ich atmete tief durch, doch ich freute mich nicht. Schon einmal war Papiergeld zwischen meinen Händen zerrieselt. Die Nummern der Scheine waren professionell ungeordnet. Mit der Betrachtung des Geldes ging noch etwas einher: Schmerzen im Gesichtsbereich. Der Truhe entfloh ein leise ausgesprochener Satz mit der Stimme eines Kindes. “Deine Nachmaterie ist mir nicht von Nutzen. Du bist ein ehrlicher, tiefer Christ. Pfui Spucke! Doch ein kleines Vergnügen sollte mir gegönnt sein.”
Im Spiegel sah ich es dann: Ich war zum Monster geworden. Mein Antlitz: Eine einzige, nässende Kraterlandschaft …
Vom Gelde leistete ich mir Lakai und einsames altes Haus. Mein Diener betreut nun mich Gebrechlichen. Jahre sind es her, und das Geld gibt es noch immer. Nicht zerfallen zu Staub. Doch ich alter Mann: Schleiche, ohne Schlaf zu finden, nachts stöhnend in meinem Gemäuer umher. Hans, der Lakai, kennt mein Mysterium nicht. Ich war dem Leibhaftigen begegnet.
Das ist alles.
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ENDE