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Indien
'Your first time in India?' fragte mich ein freundlich aussehender Inder, als ich mit meinem neuen Rucksack und Trekkingschuhen aus dem Bungalowflughafen in die nächtliche Wärme von Mumbai trat. 'yes. it is.' und im Nachhinein sehe ich noch die Dollarzeichen in seinen Augen, doch um zwei Uhr nachts hatte ich mehr Probleme meine aufzubehalten, als auf üble Abzocker aufzupassen. Er kannte ein billiges Hotel, nur 1000 Rupies, und das in Bombay. Ich würde später erfahren, daß man dafür in Radjastan ca. eineinhalb Wochen ein Zimmer bekommen hätte, doch mein Hirn glich einem Teller voll aufgeweichter Haferflocken und trotz aller Warnungen von bereits Indien Erfahrenen schmiss ich meinen Rucksack in den vor mir parkenden offenen Kleinbus, wo mich ein völlig bekiffter Opa anglotzte- ich wollte nach hause. Der Transfer zum Hotel sei natürlich kostenlos, also startete der Fahrer seine altersschwache Rostlaube und holperte über die unzähligen 'Speedbums', was die Haferflocken in meinem Hirn dann völlig zu einem pessimistischen, depressiven Brei zusammenkleben ließ. Ich versuchte meine Augen offenzuhalten, denn ich wollte ja nicht von dem Fahrer in eine dunkle Gasse bugssiert werden.
Der grauhaarige Opa bog kurz darauf, als hätte er thelephatische Fertigkeiten, links in eine dunkle Gasse ein. Dieses Verkehrsmanöver brachte durchweg nur positives mit sich: ich war überraschender Weise wieder hellwach ('Der fährt mich jetzt zu seiner kanibalistischen Familie!' und ähnliche Gedanken waberten träge durch die zähe Masse meines Kopfinhaltes) und der durchaus unkomfortable Transfer zum Hotel- ja, sie nannten diese verschimmelte Barracke wirlich Hotel!- neigte sich seinem Ende zu. Der Wagen hielt kurz darauf vor einer grauen Betonruine, die sich nicht merklich von den anderen Betonruinen nebenan unterschied. Träge wälzte sich der Fahrer von seinem quitschendem Sitz, mit dem er bereits eine obskure Synthese eingegangen war, so daß er sein ganzes Körpergewicht einsetzen mußte um das klebende Hemd von der Rückenlehne abzuziehen. Ich war am Ende. Ich schwitze, mein Rücken begann zu schmerzen, wir war schlecht und der Gehirnzellen-Synapsen-Mix hinter meiner Stirn fabrizierte auch keinen klaren Gedanken mehr. Ich lud meinen Rucksack aus, versuchte dem mit offener Hand dastehendem Fahrer des kostenlosen Minibustransfers zu erklären, daß ich kein Bakschisch bei mir habe, was mir auch leid tat, da er doch schon ein beträchtliches Alter erreicht hatte und für wenige Rupien nachts um zwei irgendwelche 'sich-selbst-suchende' Touris durch die Stadt kutschierte.
Ich wankete durch die offene Tür und versuchte im Dunkel des Raums die Schemen einzuordnen, die sich in der Schwärze abzeichneten. Kurz darauf entdeckte ich, nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, einen älteren Typen, der langgestreckt auf der Rezeption lag. Mir gingen so einige Gründe für sein Verhalten durch den Kopf, der plausibelste war wohl, daß sein Bett voll Wanzen sei und er nun genötigt war auf dem Tisch im Hoteleingang zu schlafen. Mein Führer redete kurz mit dem alten Busfahrer, drückte ihm einige zerknüllte Scheine in die Hand und kam auf mich zu. Er sah den Alten auf der Rezeption und gab ihm einen ordentlichen Stoß, sodaß er beinahe vom Tisch gefallen wäre und er binnen einer Sekunde aufwachte und die Situation mit seinem außergewöhnlichen Gespür für 'money, money' richtig einzuschätzen vermochte: Ein reicher Tourist, der mitten in der Nacht in ein Hotel in Bombay kommt und saubere Sachen am Körper trägt, das bedeutet 'MONEY'. Seine Visage verwandelte sich von wieso-weckt-ihr-mich-ihr-Penner in welch-ehre-daß-sie-bei-uns-nächtigen-wollen. Mir war mittlerweile alles egal- ich wollte mich in ein flauschiges bett kuscheln und meinen Rausch ausschlafen, den ich mir im Flugzeug bei Cola-whisky geholt hatte. ,My best room! Only 1500 Rupies.' Ich bekam die Krise und das sah mir der Hotelmanager auch an und entschloß sich, nach kurzer Absprache mit seinem schweigendem Pendant, der mich dorthin geführt hatte, mir ein Zimmer für schlappe 1100 Rupies geradezu zu schenken. Ich war begeistert. Nach zehnminütiger Diskussion bekam ich dann ein Doppelzimmer ohne Fenster für 900 Rupies- das entsprach zwei Tagesbudgets. Nachdem der Alte mir das Zimmer gezeigt hatten, den dort nächtigenden Hotelbesitzer aus dem Zimmer holte und mir weißzumachen versuchte, daß dieser nur das Zimmer sauber machte, sorgte ich mich ernsthaft um den Gesundheitszustand dieses Inderns. Selbst ein gerwerkschaftsloser Kohleknabe aus dem 19. Jhrdt hätte wohl geahnt, daß in Indien die Zimmer nachts um zwei nicht von nackten Herren mit verquollenen Augen,durch die sie wahrscheinlich sowieso nur Silouetten erkennen konnten, gereinigt werden.
Einige Sekunden später hatte ich es geschafft und saß völlig perplex auf der dreckigen Matratze im fensterlosen Loch, das in den letzten drei Jahren bestimmt nicht gesäubert worden war, als es bereits wieder an meiner Tür klopfte. Man bat mich doch an der Rezeption einzuchecken, was natürlich aus bürokratischen Gründen, die mir verborgen bleiben sollten, nicht am darauffolgenden Morgen erfolgen konnte.
Ich sollte die Daten meines Reisepasses und meines Visums nach fünf Wochen ähnlich gut beherrschen wie das Drehen von Joints. Nach dieser unumgänglichen Prozedur war ich nun wirklich am Ende. Ich trat in das Zimmer, verschloß die Tür und fiel auf das steinharte Bett, was ich aber erst beim ungedämpften Aufprall meines Kopfes und Brustkorks bemerkte und mir vorerst die Luft nahm. Ich konnte es mit meinen Muskel jedoch nicht mehr vereinbaren, mich vollends auf die Matratze zu schieben. So schlief ich dann in meinen durchschwitzten Sachen, meinen neuen Trekkingschuhen an den Füßen, die über die Bettkante herausragten. Durch mein nicht-realisieren des Zustandes von Matratze, Kopfkissen und Bettlaken verlor ich bereits in der ersten Nacht meine Scheu vor versifften, stinkenden und steinharten Matratzen, die ich noch in etlichen Variationen vorfinden sollte. Doch dieses Bett vermochte all die kleinen und größeren Unannehmlichkeiten auf 2 Quadratmeter zu konzentrieren. Ich schlief direkt ein oder ich verlor mein Bewußtsein - das war mir nicht ganz klar, doch wachte ich erst am nächsten Morgen im Laufe des späteren Vormittags auf. Ich stand auf und zog mir meine Klamotten aus. Mein Kopf brummt wie ein Presslufthammer. Ich streckte meine Glieder und untersuchte meine Beule am Hinterkopf und diagnostizierte eine Schwellung-aufgrund-eines-mit-erhöhter-Geschwindigkeit-aufgeschlagenen-Hinterkopfes. Ich inspizierte vorsichtig die Badezimmertür und stieß vorsichtig dagegen, ich wollte keine weitere Überraschung erleben.
Ledigliche eine kleine Schaabe erwartete mich kauernd in der Seifenschaale. Ich berührte mit Ehrfurcht meinen ersten indischen Wasserhahn und wusch mir mein Gesicht. Das Wasser stank nach Ammoniak, hatte aber trotzdem eine belebende Wirkung. Ich wagte mich nun ermutigt an die Dusche. Ich versuchte mich überheblicher Weise am Heißwasserhahn und wurde mit einem Rinnsahl aus der Brause belohnt, der mich an die Prostatabeschwerden meines Opas erinnerte. Wenig später rann mir dann das kalte Wasser der Dusche über meinen Rücken und ließ die Müdigkeit der Nacht schlagartig verschwinden.
Frisch und munter, meine Kopfschmerzen ließen nach, gönnte ich mir den Luxus frische Sachen anzuziehen. Ich wußte, daß Eitelkeit hier keine Chance hatte, doch sollte der erste Tag im wohlriechendem Outfit beginnen. Mit der Wahl eines dünnen feinkarierten Hemd lag ich voll im Trend der restlichen zehn Millionen Männer Bombays, nur die kurze rote Hose, die meine weißen Beine entblößte, fand weniger Anhänger. Die Trekkingschuhe wanderten an die Seiten des Rucksacks und Sandalen an meine Füße. Die Checkout-time war Shiva-sei-dank erst 24 Stunden nach dem Check-in. So blieben mir noch mehr als 12 Stunden, um die nähere Umgebung zu erkunden.
Ich schlenderte aus der Rezeption in die glühende Hitze. Es war fast mittag und die Männer saßen im Schatten und gafften mich an, ja, es schien so, als existierten sie nur aus einem Grund: mich anzustarren, mich zu begutachten und dann wieder zu starren. Ihre Blicke fixierten meine Dreads mit solch einer Intensität, daß ich sofort ein debile, tollwütige Rehe mit ihnen assozierte. Die meisten von ihnen rotzte alle fünfzehn Sekunden auf einen großen roten Haufen, den sie wie ein Lagerfeuer umgaben, und es sah mir stark nach einem Gruppentreffen der lokalen Tuberkuloseinitiative aus. Ein Greis, der der Vereinsvorsitzende zu sein schien, winkte mich heran und binnen weniger Sekunden stand ich neben ihm und bekam ein industriell hergestelltes Päckchen, auf dem bunte hinduistische Zeichen geprägt waren. ‚Mulsi’, sprach der Alte und riß ein weiteres Päcken auf. Er grinste mich verschmitzt an und präsentierte mir seine verfaulten, vom Mulsi rotgefärbte Zähne. Ich probiere gerne neue Sachen und so riß ich die Packung auf und betrachte das Häuflein graue Mäusescheiße, die sich auf meiner Hand verlor. Erwartungsvoll schmiß ich das Zeug ein und kaute euphorisch darauf rum. ‚Endlich meine erste indische Droge.’, dachte ich und fühlte, wie sich ein Vernebelungsfilter über mein Hirn legte und ich wurde schmerzlich an den vergangenen Abend erinnert. Doch war mein Zustand wesentlich angenehmer und so saß ich beduselt neben dem Alten und grinste die Männer an, die wiedereinmal ihre Blicke nicht von mir wenden konnten. Ich kippte langsam wie ein Mammutbaum nach hinten um. Über mich beugten sich die verschiedensten Gesichter und überschütteten mich mit infantilen Grimassen und Lauten, die ich dumpf durch meine neue Schutzhülle wahrnahm.