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Insomnie
Phase 1: Die schmutzige Welle
Ich konnte jedes einzelne Haar hören, das über den rauen Körper kratzte. Wie es sich erst leicht bog und schließlich nach hinten wegknickte. Als ich einen Blick auf die Fliege warf, wurden meine Eindrücke bestätigt.
Immer wieder streiften die haarigen Beine über ihre großen Augen, während die Flügel leicht vibrierten. Das Bild der Fliege erschien mir riesenhaft und völlig der Wirklichkeit entrückt. Ihre Erscheinung ekelte mich an und ich war froh, dass sie auf der anderen Seite der Frontscheibe saß und ich außerhalb ihrer Reichweite lag. Wahrscheinlich wäre ich panisch davon gelaufen, hätte sie den Weg ins Innere gefunden und allein der Gedanke daran vervielfachte meinen Ekel. Ich war müde und kaum noch fähig, meinen Kopf oder gar meine Augen in einer aufrechten Position zu halten. Meine Nackenmuskeln gaben einfach nach und ich spürte den kalten Kunststoff des Lenkrads auf meiner Stirn. Ich spürte die Unebenheiten des abgegriffenen Materials. Jeder Reiz traf mich wie ein Schlag, mochte er auch noch so klein sein. Ich wünschte, ich hätte einen Knopf, oder einen Schalter, der es ermöglichte alle Sinne auf Wunsch auszuschalten. Wie erholend wäre es gewesen, wenn ich hätte atmen können ohne zu riechen. Ich roch alles, auch den Geruch billiger Autopolitur, der so beißend war, dass es sich anfühlte, als würde eine heiße Nadel direkt in meine Nase getrieben. Vielleicht waren es aber nicht meine Nasenlöcher, sondern meine Augen, die bei jedem Windzug wie Feuer brannten. Und vielleicht war es dieser Schmerz, der sich ausbreitete und sich im gesamten Bereich des Gesichtes bemerkbar machte. Ich sehnte den Schlaf herbei, ja ich flehte ihn sogar an, er möge zu mir kommen, aber er kam nicht. Er war schon seit Tagen nicht mehr zu mir gekommen und langsam rückte ich dem Wahnsinn näher. Ohne Schlaf nimmt man Dinge wahr, die es nicht gibt und so schritt ich Stück für Stück eben jenem Wahnsinn entgegen.
Nur ein paar Stunden hätten mir genügt. Die Welt wäre wieder in Ordnung gewesen und meine Augen hätten nicht mehr ausgesehen, wie das Ergebnis eine Boxkampfes. Die Eindrücke, die ich gewann glichen einer gigantischen Welle, die mich überspülte. Eine wahre Reizüberflutung. Die Welle war das Sinnbild meines Problems, denn der Schlaf war nichts anderes. Für mich waren es Zustände der Erholung, die sich in eben dieser Form aneinander reihten. Vier Wellen, vier Phasen. In der ersten Welle schlief man ein, dann folgte die zweite Phase. Ein leichter Schlaf, der unmittelbar in der mittleren Schlafphase mündete. Und schließlich kam die vierte und letzte Welle heran, der Tiefschlaf. Ich befand mich immer in der ersten Welle, aber sie besaß nicht diese Schönheit, nicht diese Eleganz. Sie ließ mich auch nicht los, sondern schleuderte mich ununterbrochen in ihrem schmutzigen Wasser umher, so dass ich mich immer in einem Zustand permanenten Einschlafens befand.
Ich spürte allzeit wie der Schlaf herankam, wie er mich mit sich riss und wie er mich dann wieder fallen ließ, als sei ich nicht gut genug für ihn. Es ist ein andauerndes Auf und Ab und ein Gefühl, als müsste ich alle Qualen dieser Welt gleichzeitig ertragen. Manchmal schaffte ich es ein paar Minuten zu schlafen, manchmal sogar ein oder zwei Stunden. Gerade soviel, dass ich nicht einfach tot umfiel, aber das Gefühl der Müdigkeit ging nie verloren. Doch das war gar nicht das Schlimmste. Viel schlimmer war, was der fehlende Schlaf mit sich brachte. Es war eine Grenze und jenseits dieser gedachten Linie verbarg sich etwas, das dem endgültigem Zerfall sehr nahe stand. Ein Zerfall, den ich nicht erleben wollte und so gab ich mir einen Ruck. Ich stellte mir vor, wie ein Schwall von Energie durch mich hindurch flutete. Energie, die mich belebte und mir die Kraft gab aus dem Auto zu steigen.
Ein dichter Nebel stand in den Straßen, der nur für mich existierte. Der Nebel war Teil meines Dämmerzustandes. Es war ein trockener Nebel, der mich zu erdrücken drohte. Ich eilte durch die trübe Luft und hielt direkt auf mein Ziel zu. Ein kleines Hotel in der Stadtmitte.
Phase 2: Tolle Typen
Mit einer Reisetasche stand ich an der Theke des heruntergekommenen Hotels. Ich wusste nicht, warum es sich selbst so nannte. Für mich glich es einer alten und verbrauchten Frau, die sich selbst den Namen Chantal gegeben hatte. Und dieser Kerl, der mich von der anderen Seite des hölzernen Tresens anglotzte, könnte ihr Mann gewesen sein. Die letzte Dusche hatte er sicherlich vor ein paar Tagen gesehen und da nur von außen. Ich roch ihn und dieser Geruch stieg mir so penetrant in die Nase, dass ich mich gleich dort übergeben wollte. Und ich hätte dabei gelacht und mich selbst beglückwünscht.
„Bleiben sie länger?“ Er sah mich an und erneut begann ich zu würgen. Sein Blick hatte etwas ekelerregendes, aber ich schluckte den schleimigen Speichel in meinem Mund wieder herunter. „Wer weiß“, antwortete ich ihm. „Aber erst mal für diese eine Nacht.“
Er kaute auf etwas herum und als er seinen Mund öffnete, um mir zu antworten, konnte ich erkennen, dass es ein alter Knopf war, der sich allem Anschein nach schon länger in seinem Besitz befand. Und dieser Knopf hatte das Innere seines Mundes wohl schon öfters gesehen, als irgend eine Zahnbürste.
„Was gibt uns denn die Ehre?“ Dabei schnalzte seine Zunge wieder nach vorne und der Knopf fiel ihm beinahe aus dem Mund. „Bekomm ich das schönste ihrer Zimmer, wenn ich antworte?“
„Alle unsere Zimmer sind schön.“
„Ja, das hab ich mir fast gedacht. In einem Hotel wie diesem trifft man einfach die tollsten Typen. Und die tollsten Typen haben die tollsten Geschichte. Und davon brauch ich ne Menge.“
Mir war es egal, wie ich antwortete. Ich hatte nicht die geringste Hoffnung, dass der Mann so etwas wie Ironie verstand und sein Verhalten gab mir recht, denn er kaute stumm weiter.
„Ich schreibe“, drückte ich meiner vorherigen Antwort hinterher und er schien zu verstehen.
„Ah, Gedichte und son Kram? Komm ich dann auch in ihr Buch. Ich mein, ich bin ja dann auch ein toller Typ.“ Ich nahm mir den Schlüssel, den er eben auf die Theke gelegt hatte, unterschrieb ihm seinen Zimmerzettel, ließ das Geld für ihn da und verschwand mit den Worten, die ihn wissen ließen, dass er der Tollste sei und, dass er die Hauptfigur meines Gedichts werden würde.
Ich hatte Mühe die Treppe im hinteren Teil des Hauses zu ersteigen, denn während meines Gespräches mit dem tollen Typen, hatten sich Kopfschmerzen angekündigt. Schmerzen, die durch ein wenig Schlaf verschwunden wären. Bei jedem Schritt klopfte mein Kopf und es fühlte sich an, als wolle etwas von innen nach außen. Ich musste schnell in mein Zimmer, meine Tasche auf den Boden werfen, mich in ein Bett legen und eine Dose Bier trinken. Vielleicht könnte ich ja sogar eine Stunde schlafen, bevor ich mich daran machte etwas zu schreiben. Der Druck war maßlos, musste ich doch bis zum Ende der Woche ein komplettes Buch abgeben und ich hatte noch nicht eine einzige Seite geschrieben. Manche nannten so etwas eine Schreibblockade. Ich nannte es das Schwarze Loch. Es war tief, dunkel und leer; reichte also ungefähr an das Bild meiner kreativen Ader heran.
Die Treppe mündete in einem langen Flur, der rechts und links mit Türen gespickt war. Zwischen jeder von ihnen hing eine alte Lampe. Die vor meiner Tür umrahmte ein Stück der vor Schmutz starrender Tapete, die sich von der darrunterliegenden Wand gelöst hatte. Und gegenüber stand eine Frau, die nur einen kurzen Jeansrock und ein enges rosa Top trug. Es war so eng, dass es aussah, als würden ihre Titten nach oben hin flüchten wollen. Es waren Titten, auf denen ich in großen Lettern die Wörter „Du sollst nicht!“ lesen konnte. Und wahrscheinlich hatten diese Wörter recht. „Sag mal Süßer. Wenn du magst kannst du auf nen Sprung zu mir reinkommen.“ Ihre Stimme klang rauchig und in ihr lag etwas Verdorbenes und das sprach mich in meinem jetzigen Zustand an. Ich sah sie genauer an, musterte sie förmlich und was ich sah gefiel mir. Vielleicht wirkte sie auch einfach nur um ein vielfaches attraktiver, weil sie sich von dieser Absteige abhob. Zu diesem Zeitpunkt erreichten meine Kopfschmerzen ihren Höhepunkt. Sie waren kaum noch zu ertragen und wieder wollte ich nur noch schlafen, aber ich wusste, dass ich es nicht konnte, denn wenn man um den Schlaf kämpfte, dann hatte man schon verloren. So hatte es meine Mutter immer gesagt. Aber was wäre, wenn ich ihn herausforderte, wenn ich meinen Körper über die Grenze schob. Dann wäre die Erschöpfung so groß, dass der Schlaf mich holen müsste. Ich drehte mich von ihr weg, öffnete meine Zimmertür und schob die Reisetasche mit meinem Fuß hindurch. Dann verschloss ich die Tür wieder. „Sagen wir mal so. Ich wäre nicht abgeneigt. Wie viel willst du denn dafür?“ Sie begann breit zu grinsen, wusste sie doch, dass sie schon gewonnen hatte. „Für dich fünfzig.“ Sie fixierte mich mit ihren blau untermalten Augen und brachte gleichzeitig ihr braunes Haar mit einer gekonnten Drehung ihres Kopfes wieder in die richtige Position. Als ich dem Weg ihrer Haare mit meinen Augen folgte, brannte jede ihrer Bewegungen wie Feuer. „Fünfzig? Für so eine wie dich. Hast du mal gesehen, wo du dich hier rumtreibst. Ich könnte mir schon was von dir holen, wenn ich nur mit dir rede.“ Ihr Grinsen verschwand, aber nicht ihre Selbstsicherheit. „Hör mal Arschloch. Wenn du’s brauchst, dann fünfzig, ansonsten kannst du es dir selber machen.“ „Ich mach dir nen Vorschlag. Wir bringen es hinter uns und ich seh dann mal, wie viel ich dir bezahle.“ Immer noch sah ich die Buchstaben auf ihren Titten stehen, die mir nun noch größer vorkamen als zuvor. „Das ist ja ne ganz tolle Idee. Du scheinst mir ja ein toller Typ zu sein.“ Ich musste grinsen. „Ja, das bin ich wohl und weil ich so toll bin, weiß ich auch, dass du das Geld gebrauchen kannst“, dabei deutete ich mit einem Nicken auf die deutlich sichtbaren Nadeleinstiche an ihrem Unterarm und damit ging auch ihre Selbstsicherheit verloren. „Fick dich!!“ „Ja oder Nein?“ Sie blieb einen Moment still, entspannte sich aber schließlich und ihre Titten hüpften kurz, wobei die Worte sich neu ordneten. Nun stand da zu lesen „Sollst du nicht?“
„Na, dann komm mal her.“ Sie zog mich zu sich heran und rammte mir ihre Zunge direkt und ohne Vorzeichen tief in den Hals. Ein kurzes Gefühl des Ekels überkam mich, als ich daran dachte, wo diese Zunge zuvor schon gewesen sein mochte, aber trotzdem begann ich zu saugen und drückte mich noch enger an sie, so dass ich ihre bedruckten Titten an meiner Brust spüren konnte. Es dauerte schließlich nur wenige Sekunden, bis sie mir zwischen die Beine griff und mir der Gedanke kam, dass sie es mir gleich mitten auf dem Flur machen würde. Aber es kam nicht dazu. Die Tür neben meiner flog auf und ich sah schon das Bild vor mir, wie sie aus den Angeln sprang und berstend auf dem Boden landete. Doch sie hielt und heraus trat ein dunkelhäutiger Mann, der ebenso wie der Mann hinter der Theke seine besten Tage hinter sich hatte. „Du miese Schlampe. Vögelst du wieder mit anderen rum. Du gehörst mir!“ Seine kahler Kopf schaukelte bedrohlich hin und her. Dabei machte er den Eindruck, als würde er jeden Moment einfach abfallen. „Und wer bist du? Noch so ein mieser Wichser!“ Das war keine Frage und ich begriff, dass hier irgendwas nicht stimmte, also stieß ich die Frau durch ihre Tür zurück in ihr Zimmer, dass hinter ihr aufklaffte wie das schwarze Loch meiner Kreativität. „Verpiss dich du Nutte“, schrie ich ihr zu. „Wenn du wen vögeln willst, dann hol dir was anderes.“ Ich drehte mich um und ging in mein Zimmer, ohne einen von beiden noch einmal anzusehen. Sie schrie mir wüste Beschimpfungen hinterher, gab mir Tiernamen und dazu die ein oder andere Geste, aber das war mir egal. Ich hatte dem Ärger aus dem Weg gehen können und auch wenn ich meinen Einschlaffick nicht bekommen konnte, so hatte ich immer noch mein Bier, auf das ich nun alle Hoffnungen setzte. Ich trank es in einem Zug aus, ließ mich auf das Bett fallen, das wie alles hier in dieser Absteige nur noch als Schrott zu bezeichnen war. Ich sah mich um. Die Tapete war dieselbe wie jene auf dem Flur, in dem nun handfestes Geschrei zu hören war und auch hier löste sich das braune Papier von den Wänden. Mir ging die Frage durch den Kopf, ob sie wohl schon immer braun gewesen war und dann fielen meine Augen zu. Einfach so.
Phase 3: Die gerechte Strafe
Ich sah die Decke und mir kroch ein Geruch in die Nase, den ich zuvor nicht wahrgenommen hatte. Ich blickte mich um, um festzustellen wo dieser Gestank herkam und da sah ich, dass sich die Tapete komplett gelöst hatte und nun in Falten auf dem Boden lag. Eine komplette Bahn hatte sich verabschiedet und eine nasse Wand freigesetzt, von der ganz offensichtlich dieser Geruch ausging. Die Tapete musste es vorher versiegelt haben, aber nun verbreitete sich dieses abartige Aroma in dem kleinen Zimmer. Ich lief zum Fenster und öffnete es. Wohltuend wehte mir die frische Luft um die Ohren und für einen Augenblick roch ich nichts außer den täglichen Abgasen, die diese Stadt verschönerten. Hatte ich geschlafen? Meine Augen brannten und meine Sinne reagierten immer noch überempfindlich. Oder stank dieses Ding wirklich so bestialisch? Als von draußen wieder Geschrei zu mir hereindrang, da wusste ich, dass ich nicht geschlafen hatte und die immer noch schwach leuchtende Sonne bestätigte dies. Hatte sie es doch schon getan, als ich hier angekommen war. Nutze es, befahl ich mir. Welche Schriftsteller haben schon so viele Stunden für ihre Arbeit wie du. Also setzte ich mich an den kleinen Tisch in der Ecke, packte meinen Laptop aus und wartete darauf, dass das System arbeitete. Schließlich blinkte der vertraute schwarze Strich auf weißem Grund. Schreib, sagte ich mir. Schreib! Aber ich tat es nicht. Was sollte ich schon schreiben. Ich saß vor diesem kleinen Monitor und richtete meine schmerzenden Augen auf das grelle und flackernde Licht. Es mögen Stunden gewesen sein, die ich damit verbrachte den Bewegungen des Cursorstrichs zu folgen. Immer wieder fielen meine Lider zu, aber es brachte weder den Schlaf noch Linderung für meine Schmerzen. Jetzt, schlaf ein! Ich redete wieder zu mir selbst, als dieses Brummen den Raum erfüllte. Ich blickte auf und mitten auf dem Monitor landete eine schwarze Fliege. „Ob es wohl die von eben ist?“ Mir fiel auf, dass ich nun sogar laut sprach, obwohl niemand im Raum war, dem ich diese Frage hätte stellen können. Aber anstatt mir um meinen Geisteszustand sorgen zu machen, fiel mir ein warum ich hier war. Ich hatte mir diesen Ort zum Schreiben ausgesucht, weil ich glaubte, dass hier die Dinge passierten, die es aufzuschreiben lohnte und dann begannen meine Finger zu tippen und das schwarze Loch schloss sich. Ich folgte den Wörter auf dem Monitor: Ich konnte jedes einzelne Haar hören, das über den rauen Körper kratzte. Wie es sich erst leicht bog und schließlich nach hinten wegknickte...
Ich schlief ein und bevor ich Phase Zwei erreichte dankte ich im Stillen noch der höheren Macht, die mir nun den Schlaf schenkte.
Die Welle konnte mich nicht halten, denn etwas zog mich mit Gewalt aus ihr heraus. Es war das Läuten eines Telefons, dass schrill in meinem Kopf wiederhallte. Mein Herz klopfte und mein Verstand wehrte sich, doch ich war wieder wach und ich wusste, dass ich kaum geschlafen hatte. Es mochten vielleicht wenige Minuten gewesen sein, denn ein Blick aus dem Fenster verriet mir, dass es immer noch dämmerte. Ich raffte mich auf, zwang mich die Augenlider offen zu halten und folgte dem Geräusch, dass mir Schmerzen bereitete. Das Telefon stand auf dem Boden in der Ecke. Es war ein altes Exemplar, dessen Wählscheibe so abgegriffen war, dass man die Zahlen kaum noch erkennen konnte. „Ja?“ Am anderen Ende der Leitung blieb es still und ich fühlte wie die Wut in meinem Bauch mir zu Kopf stieg, als sich plötzlich doch etwas tat. „Du mieses Arschloch. Ich werde dir das heimzahlen. Du wirst zahlen, hörst du!“ Es klickte, und das Gespräch war beendet. Meine Gedanken rasten und es brauchte eine Weile, bis ich begriff, was sich soeben abgespielt hatte. Die Stimme gehörte der Frau auf dem Flur und ich hatte sie wohl mehr verärgert, als ich gedacht hatte. War ich doch der festen Überzeugung, dass ich nicht der erste Mann gewesen war, der sie aus welchen Gründen auch immer, abgelehnt hatte. Aber weiter kam ich nicht in meinen Überlegungen, denn aus dem Zimmer neben mir gab es einen Knall, gefolgt von einer kurz aufheulenden, hellen Stimme. Dann blieb es eine ganze Weile still und ich wusste das mit Gewissheit, denn ich lauschte angestrengt in das Unbekannte, wollte ich doch wissen, ob die Dame, die mich gerade so nett beschimpft hatte nun auch ihrer gerechten Strafe zuteil geworden war. Nach etwa einer Minute war das deutliche Quietschen eines Bettes zu hören, dessen Rahmen immer wieder gegen die Wand schlug. Ein Mann ächzte im Hintergrund, eine Frau hörte man nicht. Ihr kopfloser Liebhaber hatte sie zuerst wohl geschlagen und vergnügte sich nun an ihr, weil ihn dieser Akt der Gewalt aufgegeilt hatte. Das genügte mir als Strafe und ich zog mich wieder zurück auf mein Bett mit der Hoffnung, dass mich die erste Phase noch einmal erreichen würde. Ich schloss die Augen und versuchte an nichts zu denken, lies den Schlaf ruhig kommen, aber etwas hielt ihn fern und ich hätte schreien und in einem wahnhaften Anfall alles um mich herum zerstören können, doch ich tat es nicht, weil ich selbst dafür viel zu wenig Kraft besaß. Der Kopflose schien ein ganz schönes Durchhaltevermögen zu besitzen, denn das Bett hörte einfach nicht auf zu quietschen. Ich presste mir ein Kissen auf mein Gesicht und vergrub den Kopf in meinen Armen, aber ich hörte, wie er sich grunzend abmühte. Und über all dem lag dieser widerwärtige Geruch. Alle meine Sinne fühlten sich an, als würden sie gleich zerreißen und nichts würde mehr von ihnen bleiben, bis auf einen lauten Knall, an den ich mich auf Ewig erinnern würde und als mich fast die letzte Hoffnung verließ, wurde es still. Kein Quietschen, kein Grunzen. Wahrscheinlich lag er jetzt schwitzend auf ihr und dämmerte vor sich hin.
Dann hupte jemand. Reifen drehten durch. Eine Frau schrie. Es war wieder still. Ein Motor wurde angelassen. Ein Hund bellte. Eine Mülltonne fiel um. Stille. Und es begann wieder von vorne, nur nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Das offene Fenster ließ alles hinein und ich konnte mir mit ein wenig Fantasie genau ausmalen, was sich gerade auf der Straße vor diesem Haus tat. Also schloss ich das Fenster und fand mich im Geiste schon einmal mit den Gerüchen der Tapete ab, die sich nun stauen würden. Dabei entdeckte ich den Grund für die lange Dämmerung, denn gegenüber brannte ein Apothekenschild. Es war nur ein kleines Schild, aber es genügte, um das Zimmer niemals in der Nacht versinken zu lassen. Als ich wieder im Bett lag und der Gedanke an dieses Licht mich nicht mehr losließ, konnte ich nicht anders als fluchend aufzustehen. Zu meinem Entsetzten stellte ich fest, dass nichts existierte, um das Fenster zu verdunkeln. Weder Gardine noch Rolllade. Ich nahm ein Bettlaken und spannte es um das gläserne Loch, während ich versuchte möglichst nicht zu tief einzuatmen. Ich näherte mich der Grenze des Wahnsinns bei diesem Vorhaben wohl auf wenige Zentimeter, denn wenn ich es auf einer Seite befestigt hatte, fiel es auf der anderen wieder herunter und selbst als alles hielt, drang immer noch Licht herein. Ich fühlte mich schon wie ein Vampir, der sich vor sämtlichem Licht fürchtete und als ich als dieser Vampir ein weiteres Mal in meinen gedachten Sarg stieg, klingelte das Telefon erneut. Ich griff zum Telefon und fand es schon beim ersten Mal. „Ja!“ „Hast du jetzt was du wolltest?“ Das war es. Mehr hatte sie nicht zu sagen und das war auch gut so. „Ja,“ antwortete ich in die Stille der Leitung und legte auf, schloss die Augen und genoss das Gefühl, dass sie nun im Dunkeln lagen. Das Brennen endete zwar nicht, aber es war erträglich.
Es stank und es klingelte wieder. „Das kann es doch nicht sein,“ schrie ich und nahm ab. „Gut. Das wollte ich nur wissen.“ Mein Gehirn protestierte, machte ihm doch die kleinste Anstrengung sehr viel Mühe und wenn ich es zum nachdenken brachte, dankte es mir mit einem weiteren Migräneanfall. Was wollte sie nur wissen? Ich dachte nach. Sie wollte wissen, ob ich bekommen hatte, was ich wollte und ich hatte mit ja geantwortet. Aber sie hatte doch schon aufgelegt, oder war sie noch in der Leitung gewesen? Ich konnte einfach keinen klaren Gedanke fassen und alles in mir schien sich abzuschalten bis auf meine Nase. Sie roch mehr denn je, aber alles was es hier wahrzunehmen gab, war dieser Gestank, der fast greifbar war. So räumlich, dass er mich erdrückte. Ich musste hier raus. Mit eisernem Willen brachte ich es fertig, das Bett und das Zimmer zu verlassen und draußen stand sie, genau wie vorhin. Ich blinzelte zu dem anderen Zimmer hinüber und wunderte mich über ihr Gesicht. Ich hätte gedacht, dass sie immer noch unter ihrem schlafenden Freund lag und eine schöne, bläuliche Gesichtsfärbung trug, aber da war nichts dergleichen. „Wenn du jetzt was willst kannst du es vergessen. Für dich nicht.“ Ich schüttelte nur den Kopf, ging den Gang hinunter und entleerte meine Blase in das einzige Klo, dass es auf der gesamten Etage gab. Und dieses Klo sah genauso aus wie es roch. Auf meinem Rückweg fand ich die Frau nicht mehr vor und darüber war ich froh. Ich ging wieder hinein, versuchte die Ausdünstungen der Tapete nicht wahrzunehmen und legte mich hin. Das wievielte Mal an diesem Abend ich das versuchte weiß ich nicht mehr.
Phase 4: R.E.M.
Diese wunderschöne Welle. So klar und rein, dass ich sie nie mehr verlassen wollte. Ich schwor ihr meine Liebe, meine Treue und dann hörte ich das Telefon. „Das war dann das letzte Mal!“ Ich schnappte mir das Kabel und zog so fest daran, bis ich keinen Widerstand mehr spürte. Direkt darauf dämmerte ich wieder weg. Ich wachte auf, schlief ein, wachte auf. Der immer gleiche Zyklus, doch diesmal war es anders. Der Ärger war genauso gut wie der Fick, den ich geplant hatte, denn nichts konnte mich nun noch wach halten. War ich es, so dauerte es nur Sekunden, bis ich wieder in der Dämmerung verschwand. Es gab nur eine einzige Möglichkeit mich nun aus der Welle zu reißen und das war das Telefon, das nun schellte. Meine Augen glitten unkontrolliert in ihren Höhlen hin und her. Das war unmöglich. Das konnte nur die Grenze sein, die ich überschritten hatte. Es läutete weiter und immer weiter und es hörte nicht auf. Ich schrie. Ich heulte. Ich kämpfte und ich stand auf. Die Welt um mich herum war nur ein verschwommener, sich selbst verzögernder Film. Es war das Gefühl nach dem Aufstehen, das Gefühl einer langen Nacht und es verschwand nicht. Ich nahm ab. „Schläfst du auch gut?“ „Ich schlafe überhaupt nicht du Fotze.“ Ich hatte das Telefon ausgesteckt, oder hatte sich das Kabel zuvor nur irgendwo verhangen und sich gelöst, aber der Stecker nicht. So sehr ich auch nachdachte, ich kam zu keinem Ergebnis. Ich lief zum Fenster, riss das Laken herunter und rannte wieder zurück, um die Dose in der Wand zu finden, den Hörer während der ganzen Zeit an meinem Ohr. „Na? Kannst du genug sehen?“ „Und ob ich das kann.“ Der Stecker war noch drin. „Ah“, summte die Stimme, „er ist noch drin.“ Ich lies das Telefon fallen. Sie konnte mich sehen. Sie konnte alles sehen. Meine Augen suchten das Zimmer ab. Es musste eine Kamera geben, oder ein Loch in der Wand, doch die Wände waren kahl wie der Kopf ihres Mannes und nichts war zu entdecken. Ich spürte, wie ich zitterte und ich fühlte wie mir warme Tränen die Backen herunterliefen. Dies war ein Alptraum, nur ohne den dazugehörigen Schlaf.
Der Film lief weiter vor mir ab und wenn ich etwas tat, so konnte ich es Sekunden später sehen; so langsam funktionierte mein Gehirn, aber es war noch in der Lage Entscheidungen zu treffen und mein Körper war noch in der Lage sich ein weiteres Mal zu bewegen. Ich trat auf den Flur hinaus und blickte mich um. Ihre Tür war offen, aber zwischen all den herumliegenden Sachen und zwischen all dem Dreck war sie nicht zu finden. Sie musste bei ihm sein. Bei dem, der fast seinen Kopf verloren hatte. Ich stürzte wieder hinaus, halb laufend, halb stolpernd. Der Film war nur noch schwarzweiß und ich glaubte sogar das Summen der Lampen hören zu können, als ich vor seiner verschlossenen Tür stand und überlegte was ich tun konnte. Aber ich führte die Überlegungen nicht einmal zu Ende, denn als ich die Tür bereits aus den Angeln getreten hatte, hatte ich diese Entscheidung noch nicht einmal gefällt. Sie lag auf dem Bett und er halb auf ihr. Ich hatte Mühe alles aufzunehmen, aber ich konnte erkennen, dass auf ihrer Brust nichts mehr stand, aber dafür hatte sie ein blaues Auge. Ich stürmte hinein, ohne mir weitere Gedanken darüber zu machen und ging direkt auf ihr Telefon zu. Ich wollte es für immer aus dem Verkehr ziehen. Im Augenwinkel sah ich ihn, kopfwippend, auf mich zulaufen. Ich nahm also das Telefon und schlug es ihm gegen den Kopf, der darauf nach hinten wegkippte, genau wie der Rest seines Körper. Sie stand schreiend auf und fixierte mich mit einem irren Blick. Ich konnte nicht hören, was sie schrie, denn die Lampen waren viel zu laut, aber ich konnte mir denken, dass sie mich wieder beschimpfte. So nahm ich das Telefon ein weiteres Mal und diesmal war das Gespräch für sie. „Du sollst nicht“, flüsterte ich ihr zu, verlies das Zimmer und schloss mich in meinem ein. „Ich liebe dich! Ich werde dir treu sein!“ Ich flehte und bettelte und als die schmutzige Welle mich verschluckte, hörte ich wie irgendwo im Haus ein Telefon schellte und sich eine Fliege über ihre großen Augen putzte. Und all das war noch viel lauter als das elektrische Summen der Lampen.