Mitglied
- Beitritt
- 08.03.2005
- Beiträge
- 17
Intensivstation
Jetzt sitze ich hier mit Tränen in den Augen und muss diese Zeilen schreiben um Ruhe zu finden. Wir haben November 2004. Ich sitze in meinem Fernsehsessel und schaue gelangweilt eine Krankenhausserie.
Frau Möller muss operiert werden. Durch Ihren schlechten Allgemeinzustand birgt die OP zahlreiche Risiken. Aber bei Prof. Simonie, Dr. Heilmann, Dr. Kreutzer und Frau Dr. Globisch scheint Frau Möller in besten Händen. Plötzlich wird es dramatisch: Die Herzfrequenz erhöht sich erst extrem, dann kommt es zum Herzstillstand. Aber das routinierte Team der Ärzte holt sie schnell ins Leben zurück, die OP klappt und Frau Möller landet auf der Intensivstation. Ihr Mann, der draussen vor dem OP wartet, wird mit ernstem Gesicht davon informiert, das es seiner Frau nicht gut ginge. Der Mann geht nun zu seiner Frau. Er trägt einen grünen Kittel und Mundschutz. Von aussen schaut er zuerst durch ein Fenster auf seine Frau, die mit frisch frisierten Haaren im Bett liegt. Ein stiller Raum, in angenehmen Minttönen gehalten, die Frau braucht schliesslich Ruhe. Ständig schaut jemand der Ärzte nach Frau Möller. Sie wird künstlich beatmet. Eine grüne Vorrichtung hat Sie deshalb im Mund, durch die ein Schlauch eingeführt wurde. Im Hintergrund steht eine Apparatur, durch die Medikamente in Ihren entspannten Körper fliessen. Ich denke bei mir, das Frau Möller die Sache wohl bestens überstehen und das Team um Prof. Simonie wohl für alle Eventualitäten gerüstet sein wird.
Meine Gedanken schweifen in der Zeit zurück, wir haben Anfang Okt 2003 und ich sitze im Auto auf dem Weg zum Krankenhaus. Meine Frau soll heute Morgen untersucht werden und wir haben uns gestern Abend verabschiedet, mit dem Versprechen, uns um 12:00 Uhr nach den Untersuchungen zu sehen. Unterwegs greife ich zum Autotelefon um mich zu erkundigen, ob meine Frau schon wieder auf dem Zimmer ist. „Bitte warten Sie einen kleinen Moment“, mit diesen Worten stellt man mich in eine Warteschleife. Irgendwie kommt ein ungutes Gefühl auf. Plötzlich meldet sich eine müde Männerstimme, die mein ungutes Gefühl bestätigt und mir lakonisch mitteilt: „Ihre Frau musste zur Untersuchung verlegt werden und ist dort während der Untersuchung ins Koma gefallen. Bitte wenden Sie sich dort an den Pförtner.“ Ein Schlag in die Magengrube. Beinahe übersehe ich einen Fussgänger der unvorsichtig die Strasse überquert. Zitternd wende ich und fahre in das andere Krankenhaus am anderen Ende der Stadt. Unterwegs telefoniere ich mit meiner und der Familie meiner Frau. Überall nur lähmendes Entsetzen und Unverständnis. In der Klinik frage ich mich zur ITS durch. Endlich stehe ich vor der grossen geschlossenen Metalltüre. Auf mein klingeln meldet sich jemand über den Sprechapparat und fordert mich auf, auf dem Flur Platz zu nehmen und zu warten. Nach einer ganzen Weile öffnet sich die grosse, kalte Metalltür und ein junger Arzt, der recht übermüdet wirkt, öffnet mir. Er erklärt mir, das meine Frau während der Untersuchung diverse Organversagen erlitten hat und das es jetzt wichtig sei, als erstes die Nierenfunktion wieder in Gang zu bekommen. „Ich bin sehr optimistisch, das alles klappt, wenn… „ Ich höre gar nicht mehr richtig zu und will endlich einfach zu Ihr. „Bitte warten Sie hier noch etwas, wir holen Sie dann gleich herein. Ziehen Sie einen der Kittel dort aus dem Schrank über und desinfizieren Sie sich die Hände dort am Waschbecken. Das ist eigentlich nicht, um zu verhindern, das Sie Keime einschleppen, sondern eher, das Sie keine mit hinausnehmen“. Sehr irritiert höre ich die Worte und greife mir einen der alten, grauen und verwaschenen Kittel, die so gar nichts von dem haben, was ich mir vorgestellt habe. Ich schaue mich in dieser Schleuse zwischen den Welten der Kranken und Gesunden um. Kahle, gelbe Wände. Ein Riss zieht sich über die eine Wand und das altertümliche Waschbecken mit dem Desinfektionsspender befindet sich in einer Ecke. Ein Schild weist darauf hin, das die Hände vor dem Betreten und nach dem Verlassen der ITS unbedingt zu reinigen seien. Nachdem ich 15 min in dieser kahlen Hölle gewartet habe, ist es endlich soweit. Jemand öffnet mir die Türe und weist mit einem kurzen Wink darauf hin, dass meine Frau sich am Ende des Flures rechts im Zimmer befände. Irritiert schaue ich mich um, als man mich so einfach stehen lässt. Auf dem Flur ist es kalt und das Neonlicht strahlt hart und kalt von der Decke. Es stehen Betten, Kisten, Aktenschränke und andere Gegenstände herum. Mit schweren, angstvollen Schritten bewege ich mich langsam in die Richtung, in der ich meine Frau finden soll. Irgendwie ist alles anders hier, als ich es mir vorgestellt habe. Wo ist die Ruhe? Die angenehmen Farben und die sanfte Beleuchtung? Prof. Simonie und seine Leute sind auch nirgends zu sehen. Die Atmosphäre erinnert mehr an eine Fabrik, als an ein Krankenhaus. Ich bin wohl nicht der einzige, der irritiert ist, denn ich höre eine Frau fragen, ob denn die ganze Zeit ein Arzt bei ihrem Mann sei und, warum er nicht in einem Einzelzimmer läge. Es hetzen Pfleger und Schwestern an mir vorbei und eine von ihnen bemerkt bissig auf die Frage der Frau zu Ihrer Kollegin: „Die schaut wohl zuviel Arztserien“. Links an einer Türe steht ein Schild: Wachraum. Hier befinden sich viele Monitore, einige davon blinken und ein ständiges piepen ist zu hören. Der Arzt, der mich vorhin begrüsst hat, sitzt dort und erledigt Papierkram. Ich spreche ihn an, worauf er mich zu meiner Frau begleitet. Ich erlebe den nächsten Schock. Das „Krankenzimmer“ ist ein Saal, in dem 8 Betten stehen, die durch billige Plastikvorhänge abgeteilt werden können. Das erste was ich wahrnehme, ist ein regelmässiges Tickgeräusch. Ein nackter Mann wird eben von 2 Schwestern umgedreht und gewaschen. Keiner gibt sich die Mühe, den Vorhang zu zuziehen. Jetzt sehe sich meine Frau und erkenne auch gleich die Ursache für das Tickgeräusch. Ein Schlauch geht in ihren Mund, fixiert durch einen Mullverband, der um Kinn und Nacken läuft. Künstliche Beatmung! Ihr Brustkorb hebt und senkt sich im Rhythmus des Tickens. Am Schlüsselbein und Hals sind zahlreiche Schläuche, die in den Körper gehen. Hinter dem Bett steht ein Monitor und eine Apparatur durch die über die zahlreichen Schläuche Medikamente fliessen. Ich sehe jedes Detail mit absoluter Klarheit. Ihr Haar ist verschwitzt, das Gesicht wirkt aufgedunsen. Unter den halb geöffneten Augenlidern sehe ich, dass sich die Augäpfel ganz braun verfärbt haben. Hilflos sehe ich zu, wie eine Schwester ans Bett tritt und einige Notizen macht. Ich halte die verschwitze Hand meiner Frau, als plötzlich der Monitor, der die Herzfrequenz und den Blutdruck überwacht, Alarm schlägt. Keiner reagiert und ich laufe in den Wachraum, der gerade völlig leer ist. Als ich jemanden auf dem Flur anspreche, begleitet er mich zu meiner Frau und schaltet den Monitor-Alarm aus. „Das ist nicht schlimm, das passiert dauernd“ Ich begreife es nicht: Er soll nach meiner Frau schauen und schaltet nur den Alarm am Monitor aus. Inzwischen sind mehrere Stunden vergangen und ich bin hilflos, wie noch nie in meinem Leben. Man sagt mir, ich soll nach Hause fahren „Wir informieren Sie sofort, wenn sich etwas tut.“ Verzweifelt und nur widerwillig fahre ich nach Hause. Am nächsten Tag fährt unser Sohn mit zum Krankenhaus und ich sehe, wie schockiert er ist, als er seine Mutter so sieht. Endlich habe ich die Kraft mich durchzusetzen und ein längeres Gespräch mit einem Arzt zu führen. Der Mann ist offen und direkt zu mir als er mir sagt, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Dieses Gespräch ist ehrlich und ich bin froh, dass der Arzt so mit mir redet. „Es kann jeden Moment vorbei sein, es können aber auch Tage vergehen, da Ihre Frau ein starkes Herz hat.“ Am späten Nachmittag fahre ich nochmals in die Klinik und ich weiss, dass es der letzte Besuch sein wird. Um 19:00 Uhr klingelt das Telefon und ich ahne, dass von nun an nichts mehr so sein wird, wie es war.
Als meine Gedanken wieder in die Gegenwart zurückkehren, sehe ich wie Herr Möller seine Frau liebevoll umarmt und der Professor und sein Team strahlend in dem sauberen, freundlichen Raum mit den leisen Apparaturen steht und der Abspann über den Bildschirm flimmert.