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Intra out

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05.09.2005
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Intra out

„Es ist wirklich schwierig.“
„Hey, was soll das denn jetzt? Wir konnten uns immer alles sagen.“
„Das ist anders.“

Das Wort "anders" traf meine Situation genau. Ich war ja schließlich anders. Jana, 18, weiblich, blond …
Die Normalität war so absurd durchschnittlich, dass mir das eigene Spiegelbild zur Qual wurde. Vor meinen Augen hatte ich in meinem Körper immer ein totes Bleibecken voller Wellen, voller ungeweinter Tränen.
Meine erste Party vor zwei Jahren war auch ganz normal, vielleicht ein bisschen spät für Mädchen der heutigen Zeit, aber noch im Rahmen der Akzeptanz. Es war nett, es wurde getrunken, getanzt, alles in einer alten Lagerhalle, die zu einer Jugenddisko umfunktioniert war. Die grelle, blitzende, unregelmäßige Beleuchtung gab dem ganzen das Gefühl von Unwirklichkeit. Durch diesen Umstand, und wahrscheinlich wegen dem unbekannten Alkohol in meinem Blut, überwand ich mich schließlich und begann mit dem Jungen mit den braunen Augen zu tanzen.
Es war ungewöhnlich, aber schön. Es wurde später, die Musik langsamer, ich trank mehr. Die Halle leerte sich zusehends und in mir erwachte die Sehnsucht. Nach was genau wusste ich instinktiv schon lange, nur konnte mein verunsicherter, beschämter Verstand des eigenen Selbst das ganze nicht richtig zuordnen. Als er mich dann endlich küsste ließ ich es gewähren. Bis mir klar wurde wie grausam ich zu ihm war.
An diesem Abend floh ich nicht zum ersten Mal. Vor der Halle erbrach ich mich in die Büsche.
Mittlerweile wird es wieder warm. Meine Abiturprüfungen sind geschrieben, ich warte nur auf die Ergebnisse. Und der Junge mit den braunen Augen auf eine Entscheidung, auf eine Antwort.
Nach der Party sah ich ihn lange nicht wieder. Er ging auf die benachbarte Gesamtschule, eine Klasse unter mir. Er hielt mich in der Lagerhalle wohl jünger als ich war, aber das tun alle Menschen die mich sehen. Flachbrüstig und ohne weibliche Formen.
Ich traf den braunäugigen Jan erst im nächsten Sommer wieder, als ich mein sechswöchiges Praktikum in einer IT Firma begann. Ich mag Computer. Sie sind unpersönlich, logisch, steril. Aber sie funktionieren. In der Firma hatte Jan eine Ausbildung begonnen.
„Ich kenn dich. Du bist die Kotzerin aus der Lagerhalle.“
Schande über mich und mein verkorkstes Leben.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du das noch gesehen hast.“
„Ich bin dir damals gefolgt. Wollte den Abend noch nicht enden lassen.“
Er strahlte wie ein Kind.
„Wenn du willst, können wir ja mal ins Kino gehen oder was essen. Sub Way ist echt cool.“
Ich sagte nein. Ich sagte viele male nein, bis endlich die Sehnsucht nachgab und ich das halbe Kind in mein Leben ließ.
Wir trafen uns das ganze Jahr über, machten Sport, gingen aus, knutschten herum. Jeden Abend sagte ich mir, dass es aufhören müsste. Wenn er wüsste, was du bist, würde er sich schneller abwenden, als das er „abscheulich“ sagen könnte.
Meine Mutter schien vollauf zufrieden mit der Beziehung. Ihre Devise: Verrat ihm nichts von deinem Handicap und lass ihn nicht zu nah dran. Ihre größte Angst, entlarvt zu werden, die sie mir immer eingeimpft hatte, war vorerst gebannt. Solche wie ich hätten doch keine Beziehung.
Doch die Unruhe steigerte sich. Aus dem Bleibecken war morsches Holz geworden. Der braunäugige Jan gab mir alles, was ich mir gewünscht hatte. Die Erkenntnis, dass dies nichts änderte, erschreckte mich zutiefst. Als er zudringlich wurde, mit mir schlafen wollte, wusste ich, dass ich um seinetwillen Schluss machen müsste. Ich wusste was ich war, ihn hatte ich mit der Erkenntnis verschont, was er da anfasste und liebte. Mein Egoismus war zu groß geworden, ich wollte ihn behalten, ihm im Arm haben und mich normal fühlen.
Jetzt sitze ich hier mit ihm und versuche zu erklären, warum ich Schluss mache, warum ich nie wirklich mit ihm zusammen sein kann, körperlich wie geistig.
„Es ist wirklich schwierig.“
„Hey, was soll das denn jetzt? Wir konnten uns immer alles sagen.“
„Das ist anders“
Meine Hand will schon die Akte von der Uniklinik nehmen. Zu steril, denke ich und lache ein bisschen bei dem passenden Gedanken.
Aber ich beginne zu erzählen: Von einem doppelten Leistenbruch bei der Geburt, Gonaden in der Bauchhöhle, einer Gebärmutter aber keinen Eierstöcken, einer verkürzten Scheide und einer Hormonbehandlung ohne die ich nicht mal Brüste hätte.
Der braunäugige Jan, der auf einmal ganz blauäugig aussieht, schaut mich fragend an.
Ich sage nur „Ich bin eigentlich ein Mann. Mein Geschlecht ist XY. Ich bin intrasexuell.“
Er scheint nun zu verstehen und schweigt. Ansehen tut er mich nicht.
Dann murmelt er „Also quasi ´ne kotzende y-Frau?“
Er geht bald nach Hause. Aber er hat mich Frau genannt.

 
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@ Zerbrösel Pistole

Puh, vielen Dank für diesen frühen Warnhinweis. Ich sollte anfangen meine Geschichten Schritt für Schritt zu korrigieren, irgendwann sieht man selbst happige Fehler nicht mehr. Da ich dabei nie chronologisch vorgehe, sind solche Sachen bei mir meistens am Anfang.
Die Einleitung ist schwierig, dabei bin ich so festgefahren. Ich beginne gerne mit einem Dialog, der nach und nach aufgeklärt wird, vielleicht sollte ich mich von meinem Muster lösen.
Gute Nacht
Yulivee

 

Na, ich denke mal um sich weiterzu entwickelt muss ich mir unbedingt mal etwas anderes einfallen lassen.
Ich werd mich mal an einen alternativen Anfang setzten.
MFG
Yulivee

 

Hallo Yulivee,

Eine nette Geschichte, die du da geschrieben hast. Nicht toll, aber nett.
Als Leser ist man motiviert dran zu bleiben, da man natürlich eine Antwort will, auf die Frage, die sich durch den gesamten Text zieht, wie wohl auch durch das Leben der Protagonistin. Auch deine unkomplizierte Erzählweise trägt dazu bei. Dein Stil ist, so er mich auch nicht mit besonderen Blüten zu begeistern vermochte, variantenreich.
Ungünstig fand ich einzig, dass Jan so oft als "braunäugig" bezeichnet wird. Ein derartiges Leitmotiv ist zwar an sich nicht schlecht, wird hier jedoch für meinen Geschmack ein wenig zu einfallslos und häufig gebraucht. Auch der Name des Jungen taucht ein wenig plötzlich auf. Zunächst wir er zweimal (?) einfach als der "braunäugige Junge" bezeichnet und auf einmal ist er dann der "braunäugige Jan".
Besonders positiv fiel mir diese Stelle auf:

„Ich kenn dich. Du bist die Kotzerin aus der Lagerhalle.“
Schande über mich und mein verkorkstes Leben.

Sie wirkt echt und bringt auf der anderen Seite etwas bittere Ironie in die Sache.
Obwohl ich es andererseits seltsam finde, dass er sie zwar kennenlernen will, sie bei diesem Wiedersehen aber als "Kotzerin" bezeichnet. Vielleicht verstehe ich einfach nichts von Frauen, aber das scheint mir arg uncharmant. :lol:

Das Ende haut mich zwar nicht vom Hocker, aber es ist stimmig und gut umgesetzt.


Gruß,
Abdul

 

Hallo Abdul
Vielen Dank für deine Kritik.
Ich freue mich wirklich darüber, dass eine meiner Geschichten mal nicht komplett verrissen wird, obwohl ich natürlich noch lange nicht perfekt bin (kann man das überhaupt je sein?)
Ein "nett" spornt dazu an, dass vielleicht jemand die nächste Geschichte "toll" finden kann.
Das der Name plötzlich auftaucht, ist mir noch gar nicht bewusst geworden. Sie lernt ihn ja quasi erst während ihres Praktikum richtig kennen. Vielleicht habe ich ja nach der vergangenen zeit den Abstand gefunden, mir die Geschichte nochmal objektiver zu Gemüte zu führen.

MFG Yulivee

 

Hallo Yulivee

... Es war nett, es wurde getrunken, getanzt
so in diesem Stil erzählst Du leider auch die Geschichte - was muss es in einem brodeln, welche Ängste müssen ausgestanden und welche Verzweiflung angesichts der Erkenntnis suchen einen heim. Da möchte ich ein bisschen tiefer sehen, als das stereotype Gekotze einer Pubertierenden nach zu übermäßigem Alkoholkonsum - das sehe ich fast jeden Abend am Dorfbrunnen.
Da ist mehr in so einem Menschen und ich denke, dass es auch sehr schwierig ist, das Leiden dieser Prot. nachzuvollziehen - um es authentisch zu transportieren. Gut zu lesen, flüssig und trotz einiger Kommafehler zusammenhängend geschrieben -
... das mit dem perfekt ist richtig - ich glaube auch, dass es das nie geben wird und das ist auch gut so - nach was ließe sich dann streben? Perfekt ist der Tod. Wir sind hier, um zu lernen; Jede Geschichte, die ich lese, lehrt mich etwas, löst etwas aus, fordert, gibt und motiviert. In diesem Sinne.
Liebe Grüße
Detlev

 

Hallo Yulivee,

für deine Kurzgeschichte, auf die ich durch den Titel aufmerksam geworden bin, hast du dir kein leichtes Thema ausgesucht – umso schwieriger ist es, die Hintergründe nachvollziehbar zu schildern. Ich hatte etwas Mühe, mich in deine Protagonistin hineinzufinden, die Geschichte ist sprachlich zwar flüssig, aber doch recht einfach geschrieben; zunächst war es eine pubertierende Teenie-Story, und so empfand ich beim Lesen kaum Spannung. Zwar erweckte der Anfang eine gewisse Neugierde, aber "anders" kann so vieles sein, ich rechnete zunächst mit einem eher typischen Teenie-Problem. Mein Interesse beim Lesen wuchs erst, als Janas Mutter das Handicap erwähnte. Doch als du am Ende dann auf den Punkt kamst, war die Geschichte bereits nach wenigen Sätzen zu Ende. Ich finde den Aufbau in Form eines Dialogs zwar gut; dennoch bin ich Detlevs Meinung: Der Kurzgeschichte fehlt der nötige Tiefgang, um eindringlich und emotional auf den Leser zu wirken.
Die Party, das Gekotze, okay, das gehört mit zur Umsetzung ... Aber was mich wirklich interessiert hätte: Wie haben ihre Eltern bei der Geburt reagiert? Wie ist sie während der Kindheit damit zurecht gekommen? Usw.
Auch Jans Verhalten kann ich nicht ganz nachvollziehen: Janas Erklärung fällt mit "Ich bin eigentlich ein Mann. Mein Geschlecht ist XY. Ich bin intrasexuell." eher spärlich aus, und alles, was er darauf antwortet, ist "Also quasi ´ne kotzende y-Frau?" Ich weiß nicht recht ... Ich an seiner Stelle hätte mich mit dieser Erklärung nicht zufrieden gegeben und fand die Antwort etwas ... befremdlich. Vor allem, wenn ihm wirklich etwas an Jana lag. Klar war er im ersten Moment verstört ... Aber versteht er wirklich so schnell? Und hätte er nicht eher Mitleid oder so mit ihr haben müssen?
Mit dem Begriff "intrasexuell" konnte ich persönlich zunächst nichts anfangen (geläufiger erscheint mir "intersexuell"), und dann hätte ich an deiner Stelle die ein paar Zeilen weiter oben stehende Erklärung, durch die der Leser Jan gegenüber ja einen Informationsvorsprung hat, lieber direkt in den Dialog mit eingebaut – denn sonst nimmst du zu früh die Auflösung vorweg. Wäre sie direkt im Dialog, erschiene mir Jans Verstehen plausibler, und man könnte als Leser länger miträtseln.
Irritiert hat mich außerdem etwas die Namensgebung ... Jan und Jana.
Zu Beginn schreibst du "Jana, 18, weiblich, blond …" – als ich den Namen Jana las, dachte ich mir beinahe schon, dass deinen Protagonistin weiblich ist (vom Ende ahnte ich ja noch nichts); die Nennung des Geschlechts halte ich also hier für überflüssig. ;)

Fazit:
Eine Kurzgeschichte mit einer ernsthaften Thematik, bei der ich mir mehr Tiefgang, und dadurch mehr Emotionalität, gewünscht hätte.

Ich hoffe, du kannst mit meiner Kritik was anfangen und sie hilft dir weiter. :)

Liebe Grüße,
Michael

 

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