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Intra out
„Es ist wirklich schwierig.“
„Hey, was soll das denn jetzt? Wir konnten uns immer alles sagen.“
„Das ist anders.“
Das Wort "anders" traf meine Situation genau. Ich war ja schließlich anders. Jana, 18, weiblich, blond …
Die Normalität war so absurd durchschnittlich, dass mir das eigene Spiegelbild zur Qual wurde. Vor meinen Augen hatte ich in meinem Körper immer ein totes Bleibecken voller Wellen, voller ungeweinter Tränen.
Meine erste Party vor zwei Jahren war auch ganz normal, vielleicht ein bisschen spät für Mädchen der heutigen Zeit, aber noch im Rahmen der Akzeptanz. Es war nett, es wurde getrunken, getanzt, alles in einer alten Lagerhalle, die zu einer Jugenddisko umfunktioniert war. Die grelle, blitzende, unregelmäßige Beleuchtung gab dem ganzen das Gefühl von Unwirklichkeit. Durch diesen Umstand, und wahrscheinlich wegen dem unbekannten Alkohol in meinem Blut, überwand ich mich schließlich und begann mit dem Jungen mit den braunen Augen zu tanzen.
Es war ungewöhnlich, aber schön. Es wurde später, die Musik langsamer, ich trank mehr. Die Halle leerte sich zusehends und in mir erwachte die Sehnsucht. Nach was genau wusste ich instinktiv schon lange, nur konnte mein verunsicherter, beschämter Verstand des eigenen Selbst das ganze nicht richtig zuordnen. Als er mich dann endlich küsste ließ ich es gewähren. Bis mir klar wurde wie grausam ich zu ihm war.
An diesem Abend floh ich nicht zum ersten Mal. Vor der Halle erbrach ich mich in die Büsche.
Mittlerweile wird es wieder warm. Meine Abiturprüfungen sind geschrieben, ich warte nur auf die Ergebnisse. Und der Junge mit den braunen Augen auf eine Entscheidung, auf eine Antwort.
Nach der Party sah ich ihn lange nicht wieder. Er ging auf die benachbarte Gesamtschule, eine Klasse unter mir. Er hielt mich in der Lagerhalle wohl jünger als ich war, aber das tun alle Menschen die mich sehen. Flachbrüstig und ohne weibliche Formen.
Ich traf den braunäugigen Jan erst im nächsten Sommer wieder, als ich mein sechswöchiges Praktikum in einer IT Firma begann. Ich mag Computer. Sie sind unpersönlich, logisch, steril. Aber sie funktionieren. In der Firma hatte Jan eine Ausbildung begonnen.
„Ich kenn dich. Du bist die Kotzerin aus der Lagerhalle.“
Schande über mich und mein verkorkstes Leben.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du das noch gesehen hast.“
„Ich bin dir damals gefolgt. Wollte den Abend noch nicht enden lassen.“
Er strahlte wie ein Kind.
„Wenn du willst, können wir ja mal ins Kino gehen oder was essen. Sub Way ist echt cool.“
Ich sagte nein. Ich sagte viele male nein, bis endlich die Sehnsucht nachgab und ich das halbe Kind in mein Leben ließ.
Wir trafen uns das ganze Jahr über, machten Sport, gingen aus, knutschten herum. Jeden Abend sagte ich mir, dass es aufhören müsste. Wenn er wüsste, was du bist, würde er sich schneller abwenden, als das er „abscheulich“ sagen könnte.
Meine Mutter schien vollauf zufrieden mit der Beziehung. Ihre Devise: Verrat ihm nichts von deinem Handicap und lass ihn nicht zu nah dran. Ihre größte Angst, entlarvt zu werden, die sie mir immer eingeimpft hatte, war vorerst gebannt. Solche wie ich hätten doch keine Beziehung.
Doch die Unruhe steigerte sich. Aus dem Bleibecken war morsches Holz geworden. Der braunäugige Jan gab mir alles, was ich mir gewünscht hatte. Die Erkenntnis, dass dies nichts änderte, erschreckte mich zutiefst. Als er zudringlich wurde, mit mir schlafen wollte, wusste ich, dass ich um seinetwillen Schluss machen müsste. Ich wusste was ich war, ihn hatte ich mit der Erkenntnis verschont, was er da anfasste und liebte. Mein Egoismus war zu groß geworden, ich wollte ihn behalten, ihm im Arm haben und mich normal fühlen.
Jetzt sitze ich hier mit ihm und versuche zu erklären, warum ich Schluss mache, warum ich nie wirklich mit ihm zusammen sein kann, körperlich wie geistig.
„Es ist wirklich schwierig.“
„Hey, was soll das denn jetzt? Wir konnten uns immer alles sagen.“
„Das ist anders“
Meine Hand will schon die Akte von der Uniklinik nehmen. Zu steril, denke ich und lache ein bisschen bei dem passenden Gedanken.
Aber ich beginne zu erzählen: Von einem doppelten Leistenbruch bei der Geburt, Gonaden in der Bauchhöhle, einer Gebärmutter aber keinen Eierstöcken, einer verkürzten Scheide und einer Hormonbehandlung ohne die ich nicht mal Brüste hätte.
Der braunäugige Jan, der auf einmal ganz blauäugig aussieht, schaut mich fragend an.
Ich sage nur „Ich bin eigentlich ein Mann. Mein Geschlecht ist XY. Ich bin intrasexuell.“
Er scheint nun zu verstehen und schweigt. Ansehen tut er mich nicht.
Dann murmelt er „Also quasi ´ne kotzende y-Frau?“
Er geht bald nach Hause. Aber er hat mich Frau genannt.