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Jack O’Grady: Eine alte Rechnung ...
Bumm! Bumm! Bumm!
Klingt, als würden die krautfressenden Säcke unsere Gräben wieder mit Zehn-Zentimeter-Granaten bepflastern. Wahrscheinlich bereiten die Deutschen einen Sturmangriff vor. „Fritz“ kündigt einen Besuch in unseren Stellungen immer mit so ‘nem Kanonenkonzert an.
Bumm! Bumm! Bumm!
Ich grunze und ziehe mir die Decke über den Kopf. Nicht mal in Ruhe pennen …
„Jack!“
Scheiße, woher zur Hölle kennt der Krautfresser denn meinen Namen? Der Stimme nach könnte das aber auch mein Sergeant sein. Nicht, dass das besser wär. Keine Ahnung, wer gefährlicher ist.
„Jack! Telefon für dich!“
Bumm! Bumm! Bumm!
Die Stimme gehört nicht dem Sergeant, sondern meiner Vermieterin.
Mit verklebten Augen und einem Geschmack im Mund, als hätte ich auf ‘nem Büffelarsch rumgekaut, schäle ich mich aus der verschwitzen Decke.
„Jack! Ist alles in Ordnung bei dir?“
„Ist ja gut, Norma. Hör schon auf, meine verdammte Tür einzuschlagen. Ich komme gleich!“
Ich riskiere es und stehe auf. Mein Kopf fühlt sich allerdings an, als würde er noch irgendwo im Bett liegen. Einen Moment lang führe ich einen Kampf gegen die Schwerkraft. Ich gewinne und knalle mit meiner Fresse nicht auf den Boden. Würde jetzt ein Zuschauer einen Blick hier reinwerfen, könnte er sich am Anblick einer Bude erfreuen, die wie ein Schnapsladen nach einem Raubüberfall aussieht. Und einem ziemlich ramponierten Jack O’Grady, der Ähnlichkeit mit etwas hat, das man nach drei Tagen aus ‘nem Abwasserkanal gefischt hat. Mit anderen Worten – ein ganz normaler Morgen in meinem Leben.
Ich muss was gegen den Büffelarsch in meinem Mund unternehmen. Auf dem Nachttisch neben meinem Bett stapeln sich zerknitterte Zigarettenpackungen und ein überquellender Aschenbecher. Ich fische mir ‘ne verbogene Lucky aus der Packung, zünd mir den Sargnagel an und sauge den Rauch tief ein. Ah, schon besser! Meine Ma hat immer zu mir gesagt, es geht nichts über ein gutes Frühstück. Und seiner Mutter widerspricht man nicht!
Während ich zur Tür schlurfe, schiebe ich mit den Füßen meine zerknitterten Sachen aus dem Weg und weiche den Scherben einer Flasche Bourbon aus. Ich versuche, mich daran zu erinnern, wie das passiert ist, aber nicht nur von der Flasche sind nichts als Bruchstücke übrig, sondern auch vom gestrigen Abend. Na, egal. Solange ich keinen umgelegt habe, wird’s nicht so schlimm sein.
Norma hat mittlerweile ihr Artilleriefeuer auf die Tür eingestellt. Als ich aufmache, steht sie mit vor Sorgen gerunzelter Stirn vor meiner Wohnung und reibt sich nervös die Hände an ihrem ausladenden Dekolleté. Unwillkürlich muss ich grinsen. Die gute alte Norma ist locker Ende Fünfzig und könnte meine Mutter sein. Und meistens benimmt sie sich auch so. Ich hab‘ den Eindruck, dass sie ein bisschen in mich verschossen ist. Ganz praktisch, wenn die eigene Vermieterin in einen verknallt ist. Das hat mir schon oft unbequeme Fragen erspart, wenn ich mal wieder pleite war und deshalb die Miete auf sich warten ließ. Alle anderen Vermieter hätten mich wahrscheinlich schon längst an die frische Luft gesetzt. Norma fragt stattdessen, ob ich auch genug zu essen habe. Wäre sie knapp dreißig Jahre jünger und ungefähr 180 Pfund leichter gewesen, hätte ich mich zumindest ab und zu mal mit einem Schäferstündchen für ihre Geduld und Gutherzigkeit bedankt. So aber muss sie mit einem Grinsen, meinem Anblick in Shorts und fleckigem Unterhemd und meinem Charme Vorlieb nehmen.
„Wer ist denn dran, Süße?“
In Normas Miene geht trotz der Sorgenfalten die Sonne auf. Sie schafft es sogar, ein bisschen rot zu werden, was bei der Fleischmenge in ihrem Gesicht keine Kleinigkeit ist. Yeah, ich hab’s halt bei den Bräuten einfach drauf. Selbst in Unterwäsche, die schon vier Tage alt ist.
„Ach du! Hör auf, einem alten Mädchen sowas zu sagen. Jesus, wenn mein Virgil, Gott hab ihn selig, hören würde, wie du mit seiner Frau sprichst, der würde dir den Frack schon strammziehen. Einmal, da gingen wir gerade erst zwei Wochen zusammen, das war, warte, ja, das muss 1902 gewesen sein, da hat so ein unverschämter Flegel auf dem Viehmarkt drüben in Jousten …“
„Norma. Der Telefonapparat. Wer ist dran?“
„Oh, richtig. Die Polizei ist dran. Irgendein Detective Stone. Jesus Maria, Jack, du steckst doch nicht schon wieder in Schwierigkeiten? Ich weiß noch, das letzte Mal, als du…“
Ich muss das jetzt abkürzen, sonst kann ich den Anruf in den Wind schreiben. Wenn Norma erstmal in Fahrt ist, ist sie genauso leicht zu bremsen wie eine Lokomotive. Ich hauche ihr einen Kuss auf die Stirn und schiebe mich an ihr vorbei den Flur runter zum Telefonapparat. Ein Glück, dass das verdammte Ding nicht in meiner Wohnung steht. Wer will denn dauernd erreichbar sein und zu jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit gestört werden? Ich jedenfalls nicht.
„Jack O'Grady hier, Privater Ermittler.“
„Mr. O’Grady, mein Name ist Detective Mike Stone, 23. Revier. Ich bin von der Mordkommission und hab ein paar Fragen. Ich will, dass Sie…“
„Ich war’s nicht. Hab ein bombensicheres Alibi“, unterbreche ich den Bullen und muss grinsen. Ich weiß, das ist ein ziemlich müder Gag, aber irgendwie ist mir danach.
Stone findet’s wohl nicht so lustig wie ich, wenn ich seinen Tonfall richtig deute, der um zehn Grad kälter wird.
„Sehr komisch, O’Grady. Ich hab schon gehört, dass Sie ein richtiger Spaßvogel sind. Na, dann hab ich auch einen kleinen Witz für Sie auf Lager. Entweder, Sie schwingen ihren Arsch noch vor Zwölf in mein Büro, oder ich lass Sie einbuchten." Keine Ahnung, ob's an meinem Schädel oder dem Bullen liegt, aber ich kapier nicht, was das hier für ein Spielchen werden soll.
"Keine Sorge, ich finde schon irgendwas, um Sie aus dem Verkehr zu ziehen. Und wenn’s bloß deshalb ist, weil Sie nach dem Pinkeln nur zweimal abgeschüttelt haben." Gutes Stichwort, ich müsste nämlich tatsächlich mal so langsam 'ne Stange Wasser in die Ecke stellen. Hoffentlich ist der Cop gleich fertig mit seinem Vortrag, bevor ich das Blumenmuster auf Normas Teppich gieße.
"Sind Sie noch dran, O'Grady? Ist das bei Ihnen angekommen, Sie Komiker?“ Ok, er ist fertig.
„Mal langsam, Stone. Bevor ich auch nur einen Fuß in Ihr Büro setze, will ich erstmal wissen, um was es geht und ob ich ‘nen Rechtsverdreher mitnehmen muss. Vorher sag ich Ihnen nicht mal die Uhrzeit. Ist das bei Ihnen angekommen?“
Der Cop seufzt. Ich kenne solche Typen wie ihn zur Genüge. Tun immer unheimlich hart, hauen unnötig auf den Putz und überschreiten auch gerne schon mal ihre Grenzen, um ans Ziel zu kommen. Stone ist in gewisser Weise wie Norma – nicht zu bremsen, wenn sie erstmal in Fahrt sind. Allenfalls mit der Drohung von ‘nen Anwalt.
„Es geht um einen Freund von Ihnen. Morris Philby. Den kennen Sie doch noch, oder?“
„Philby? Der hat doch einen lebenslangen Ruhesitz auf Staatskosten in Deadwood Island.“
„Seit Dienstag nicht mehr. Er hat sich selbst Hafturlaub gewährt und eine Frau und einen Polizeibeamten umgelegt. Wir haben Grund zur Annahme, dass er es auch auf Sie abgesehen hat. Außerdem brauchen wir unter Umständen Ihre Hilfe, um ihn zu schnappen. Also, was ist jetzt? Zwölf Uhr auf dem Revier? Wollen Sie vielleicht noch ein Küsschen von mir, damit Sie herkommen?“
Morris Philby. Großer Gott, an den hab‘ ich seit über drei Jahren nicht mehr gedacht. Ich hatte mal was mit seiner Frau Moira, nachdem er in den Knast gewandert war. Hatte sie kurz nach der Verhandlung kennengelernt, wo ich als Zeuge aussagen musste. Sie hatte sich ziemlich an mich rangemacht. Ich fand‘s etwas merkwürdig, warum sie sich ausgerechnet dem Mann an den Hals warf, der ihren Alten in den Knast gebracht hatte. Vielleicht war es ja Dankbarkeit. Der Grund war mir angesichts ihres Hinterns damals ehrlich gesagt egal gewesen.
Es war ein kurzes, aber heftiges Abenteuer. Ich hatte nie kapiert, was so ein heißer Feger ausgerechnet an einem Kerl wie Morris gefunden hatte. Soweit ich weiß, hatte sie keine Probleme mit den Augen gehabt. Sie hatte damals jedenfalls keine Brille getragen. Wenn ich so recht überlege, hatte sie außer einem Lächeln eigentlich nie etwas getragen, wenn wir zusammen waren.
„Na meinetwegen. Aber ich will kein Küsschen, sondern einen Kaffee, wenn ich da bin.“
„Schwarz, anders hab‘ ich ihn nicht.“ Stone schiebt mir eine verkratze Tasse Kaffee über seinen mit Papierbergen überladenen Schreibtisch rüber. Natürlich hat der Cop irgendwo Zucker und Sahne rumstehen. Dämliche Machtspielchen.
„Perfekt. Ich trinke meinen Kaffee immer schwarz.“ Ich grinse ihn an und nehme einen großen Schluck. Bitter und allenfalls lauwarm, aber wenigstens Kaffee und, soweit ich das sehe, schwimmt keine Kippe drin.
Stone zückt Stift und Notizblock.
„Also dann erzählen Sie mir doch ein bisschen was von Mr. Philby. Woher kennen Sie ihn, was wissen Sie über ihn? Alles, was Ihnen zu diesem Mann einfällt.“
„Na ja, wir haben früher mal beide bei Wells Fargo als Wachleute gearbeitet. Das war nach dem Krieg. Ungefähr zwei Jahre lang, von ‘19 bis Ende ‘21. Wir haben auch ‘ne Zeit lang zusammen geboxt. Aber nur ein paar Mal. Im Ring war Morris ein richtiges Tier mit Wahnsinnsreflexen. Unglaublich, wie blitzschnell er Schlägen ausweichen konnte. Im Profisport hätte er es verdammt weit bringen können.“
„Wenn Sie dann fertig sind, seine sportlichen Fähigkeiten zu bewundern, würde ich gerne erfahren, was Sie sonst noch über ihn wissen.“
„Mir wurde das auf Dauer zu deprimierend, jeden Tag einen riesigen Haufen Zaster zu sehen, ohne selbst was davon zu haben. Also bin ich bei Wells Fargo ausgestiegen und hab die Branche gewechselt. Morris fand’s wohl auch deprimierend. Er ist allerdings im Bankgewerbe geblieben, soweit ich weiß. Nur hat er sich dann mehr aufs Abheben spezialisiert. Vorzugsweise mit der Schrotflinte, wie man so in der Zeitung lesen konnte. Jedenfalls steht er eines Tages - ich will gerade Feierabend machen - vor meiner Bürotür. In der linken Hand seine Schrotflinte, rechts eine Tasche voller Dollars und im Bauch ein Riesenloch. Er bat mich um Hilfe und das hab‘ ich dann auch gemacht, nett wie ich bin. Hab zuerst die Cops und dann ne Ambulanz gerufen. Das letzte, das ich von ihm gehört habe, war, dass er lebenslänglich in Deadwood Island ohne Aussicht auf Begnadigung gekriegt hat. Ende der Geschichte. Mehr weiß ich nicht.“
Stone sieht mich nachdenklich an. Dann zündet er sich langsam eine Zigarette an und inhaliert tief den Rauch. Dabei lässt er mich nicht aus den Augen. Ich stutze innerlich. Warum will der Bulle mich einschüchtern? Ich habe ihm keinen Grund dafür geliefert. Ganz davon abgesehen, dass es ihm nicht gelingen wird, mich nervös zu machen, und wenn er sich vor meinen Augen die ganze Schachtel durchzieht. Dennoch werde ich neugierig. Und wachsam.
„Das ist also alles, ja? Und Sie haben da nicht zufällig noch eine kleine Kleinigkeit vergessen? Vielleicht in Bezug auf Mrs. Moira Philby?“
„Moira Philby? Was ist mit ihr und was hat das mit mir zu tun?“
Stone versucht weiterhin, mich mit seinem stechenden Blick einzuschüchtern.
„Eine gute Frage, Mr. O’Grady. Sie erinnern sich, dass ich am Telefon erwähnt hatte, dass Philby eine Frau und einen Polizisten ermordet hat. Nun, wir haben Moira Philby gestern Abend in ihrer Wohnung aufgefunden. Jedenfalls den größten Teil von ihr. Der Kollege, der zu ihrem Schutz abgestellt war, wurde vor dem Haus in seinem Streifenwagen erwischt. Die Fingerabdrücke beweisen eindeutig, dass Morris Philby der Täter ist. Als er damit fertig war, seine Frau über drei Räume zu verteilen, hat er mit Blut an die Schlafzimmerwand Ihren Namen geschrieben, Mr. O’Grady. Und ich glaube nicht, dass er das gemacht hat, weil ihm nach dem Doppelmord langweilig war. Wollen Sie mir vielleicht nicht doch noch etwas sagen?“
Ich muss unwillkürlich schlucken, als ich das von Moira höre. Wir waren zwar nicht lange zusammen - eigentlich waren wir, abgesehen von der Bettgymnastik, zu keinem Zeitpunkt so richtig zusammen - aber dennoch nimmt mich ihr Tod mit.
„Sie haben mich weder am Telefon, noch bei der Befragung vorhin nach Moira Philby gefragt, sondern Sie wollten von mir alles über ihren Mann wissen. Tun Sie also nicht so, als würde ich hier irgendwas verheimlichen.“
„Mr. O’Grady, man braucht keinen Sherlock Holmes, um sich denken zu können, dass Sie höchst wahrscheinlich sein nächstes Opfer sein werden. Warum wohl? Weil Sie ihn der Polizei ausgeliefert haben, als er Sie um Hilfe bat? Oder gab’s da noch einen weiteren … persönlichen Grund?“ Stone drückt die halb gerauchte Zigarette auf dem Schreitisch aus und wirft die zerdrückte Kippe in einen Metalleimer, der neben seinem Stuhl steht.
„Hören Sie, mir ist relativ egal, ob Morris Philby Sie umnieten will, weil Sie ihn verpfiffen oder seine Frau gevögelt haben. Aber da draußen läuft seit zwei Tagen ein verdammter Killer frei herum, der einen Polizisten getötet hat. Und das ist mir nicht egal. Ich werde den verdammten Bastard schnappen. Und Sie können mir dabei helfen.“
„Ah, daher weht also der Wind. Sie wollen, dass ich den Köder spiele. Jetzt kommen wir der Sache langsam näher.“
Stone schnaubt ärgerlich. Er braucht meine Hilfe und wir beide wissen das. Vielleicht hat er ja jetzt Zucker und Sahne für mich. Erst mal werd‘ ich ihn ein bisschen zappeln lassen. Mal sehen, wie ihm die Machtspielchen nach meinen Regeln gefallen, und zwar mitten in seinem Büro.
„Natürlich könnte ich ablehnen, Detective. Schließlich geht es um mein Leben. Vielleicht sollte ich mich lieber auf die Tüchtigkeit der Justiz verlassen. Was meinen Sie?“
„Wir würden Sie schützen, Sie Drecksack. Das wissen Sie genau.“
„So wie Moira Philby? Dann ist ja alles in Butter.“
Stone springt wütend auf und mir fallen zwei Dinge an ihm auf. Seine Drei-Dollar-Bullenkrawatte hat ein echt beschissenes Muster. Und da steckt ein interessanter Ballermann in seinem Gürtel. Ich hab‘ ‘nen Blick für Knarren. Die Standardkanone der Polizisten ist ein sechsschüssiger .38er Revolver von Smith&Wesson. Zuverlässiges Ding, aber nicht mein Geschmack. Ich persönlich bevorzuge meine .45er, die mir schon in Frankreich öfter den Hintern gerettet hatte, als ich zählen kann. Stone aber hat in seinem Gürtel eine waschechte deutsche 9mm Luger stecken. Ich weiß noch, wie wir damals in Frankreich bei fast jeder sich bietenden Gelegenheit gefangene, verwundete und tote Krautfresser nach den heißbegehrten Lugern durchsucht hatten. Das ging so weit, dass sich einer meiner Kameraden sogar eine blaue Bohne eingefangen hatte, als er in einem abgestürzten Flugzeug den Piloten durchsuchen wollte. Nun, er hatte recht gehabt. Der Pilot hatte tatsächlich eine Luger bei sich gehabt. Nur war er leider noch nicht tot, als mein Kamerad anfing, an ihm rumzugrabbeln. Und so hatte er von der ersehnten Luger nur die Patronen gekriegt – zwischen die Augen.
Stone bemerkt meinen interessierten und zugleich anerkennenden Gesichtsausdruck und sieht kurz zu seiner Waffe. Ich frage mich, wo er das gute Stück wohl herhat.
„Sie waren auch drüben, Detective? Oder haben Sie diese Schönheit als Souvenir hier in den Staaten gekriegt?“
Sein Blick geht kurz ins Leere und für einen Moment ist er wieder irgendwo in irgendeiner Scheiße an irgendeinem gottverlassenen Fleck weit weg von zu Hause. Ich kenne diesen Blick, denn oft genug glotzt er mich selbst schon früh morgens an, wenn ich in den Spiegel sehe.
„Ich war bei der vierten Marines, damals ‘18 in Belleau.“ Mit einem Ruck reißt er sich wieder ins Hier und Jetzt.
Ich sehe noch mal auf die Luger und dann in Stones Augen. Ich bin jetzt seit über zehn Jahren Privatschnüffler und verdiene meine Brötchen damit, Dinge zu sehen, die andere nicht sehen. Und dennoch bemerke ich erst jetzt diesen entschlossenen, zielstrebigen und erbarmungslosen Zug in seinen Augen. Stone ist ein Mann, der sich durch nichts aufhalten lässt, wenn er sich erstmal etwas in den Kopf gesetzt hat. Und jetzt hat er sich in den Kopf gesetzt, Morris Philby zur Strecke zu bringen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass ihm dieser sture Kampfgeist zwar jede Menge Ärger bei seinen Vorgesetzten einbringt, aber auch ‘ne Brust voller Orden und Medaillen. Eigentlich hätte ich einen Riesenarschtritt verdient, weil mir das nicht schon eher aufgefallen ist.
Ich bin jetzt nicht schwul oder sowas, und es stinkt mir gewaltig - die Polente ist schließlich mein größter Konkurrent - aber ob ich will oder nicht, so langsam wird mir dieser Detective sympathisch.
„Schluss mit den Spielchen, O’Grady. Sind Sie dabei oder nicht?“
Ich hole eine Lucky aus meiner Manteltasche und stecke sie mir in den Mund. Langsam zieht ein schiefes Grinsen meinen Mundwinkel nach oben.
„Haben Sie mal Feuer für mich, Stone?“
Norma wäre fast in Ohnmacht gefallen, als ich ihr erkläre, dass sie für ein paar Tage zu ihrer Schwester Ruth nach Boise fahren soll. Zuerst denkt sie, dass sei ein Scherz. Dann fängt sie an zu weinen, als sie erfährt, dass ich den Köder für einen entflohenen Mörder spiele und die Polizei meine Wohnung und damit ihr Haus braucht, um Philby eine Falle zu stellen. Da ich im Telefonbuch stehe, dürfte er keine Schwierigkeiten haben, mich zu finden. Außerdem wird Philby ziemlich bald zuschlagen müssen, denn der Strick zieht sich mit jeder Stunde, die er auf der Flucht ist, immer enger um seine Gurgel. Er muss sich irgendwo ein Versteck gesucht haben, wo er sich tagsüber aufhält. Die meisten Kakerlaken, die ich in meinem Leben schon getroffen habe, sind lichtscheu.
Norma heult immer noch Rotz und Wasser, als sie schließlich einwilligt und einen kleinen Koffer packt, bevor ein Taxi sie zum Bahnhof fährt. Stone, ich selbst und ein halbes Dutzend Cops müssen ihr hoch und heilig versprechen, dass mein hübsches Gesicht nicht einen müden Kratzer abkriegen wird.
Die verstohlenen Blicke und das dreckige, anzügliche Grinsen der Bullen, mit dem sie meine gutherzige, sanftmütige, dreißig Jahre ältere und fast dreihundert Pfund schwere Norma und mich bedenken, als sie mich unter Tränen zu Abschied umarmt, entgehen mir nicht. Am liebsten würde ich ihnen ihre dreckigen Gedanken zusammen mit meiner Faust in den Hals stopfen. Aber wenigstens schüttet es aus Eimern und ein schneidender Wind pfeift um die Häuser. Das bedeutet, die Kerle werden eine richtig lauschige Zeit haben, wenn sie an ihren Straßenecken und Kreuzungen die ganze Nacht Schmiere stehen müssen. Immerhin etwas.
„Viel Spaß im Regen, ihr Penner. Wenn ihr aufs Klo müsst, dann nicht bei mir. Und was Warmes zu trinken kriegt ihr von mir auch nicht. So, und jetzt verpisst euch nach draußen auf eure Posten.“ Bevor einer von ihnen etwas sagen kann, knalle ich die Tür vor ihren Nasen zu.
Es wird Abend. Stone hat es sich mit ‘nem Kaffee und einer Zeitung im Sessel gemütlich gemacht. Er will zu meinem „persönlichen“ Schutz unmittelbar in der Nähe bleiben. Ich vermute mal, er hat keine große Lust, bis auf die Knochen nass zu werden und sich eine Lungenentzündung einzufangen, wenn er‘s nicht muss. Vernünftiger Mann.
Ich selber kann wesentlich besser entspannen, wenn ich mir einen Bourbon hinter die Binde gieße. Zwei doppelte und drei Zigaretten später stelle ich die offensichtliche Frage, die mir schon eine ganze Weile auf den Nägeln brennt.
„Warum hat Morris seine Alte umgebracht? Dass er es auf mich absieht, kann ich verstehen. Ich habe ihn damals verpfiffen. Aber seine Frau? Zusammen mit meinem Namen an der Wand sieht das für mich so aus, als hätte er von unserem kleinen Techtelmechtel gewusst.“
Stone legt seine Zeitung weg und zündet sich ebenfalls eine Zigarette an.
„Wir haben in der Leiche der Frau einen Brief gefunden.“
„Sagten Sie gerade in der Frau?“
„In ihrem Mund. Der Brief stammte von ihr selbst. Moira hat Philby anfangs noch ein paar Mal besucht und ihm auch ab und zu geschrieben. Einmal jedenfalls müssen sich die beiden wohl ziemlich in die Haare gekriegt haben. Und da hat ihm seine Frau geschrieben, dass sie sich jetzt von dem Mann bumsen lassen wird, der ihn in den Knast gebracht hat.“
„Heißt das, die Affäre mit mir hat Moira nur deshalb angefangen, um ihrem Mann einen reinzuhängen? Das nenn ich ja mal abgebrüht.“
„Allerdings. Seit dieser Zeit aber wurde Philby seltsamerweise ein nahezu mustergültiger Häftling. Gehorsam, sauber, diszipliniert. Hat nie Streit angefangen, sich nicht geprügelt und nie versucht, etwas zu klauen oder zu schmuggeln. Er hat sein Rasierwasser tatsächlich zum Rasieren benutzt, und nicht, um daraus Schnaps zu panschen. Tja, jetzt wissen wir, warum.“
„Sie meinen, er hat das alles nur gemacht, um…“
„Genau. Er hat auf seine Chance gewartet. Drei Jahre lang freiwillig den Hof gefegt, nur damit die Wärter nachlässig bei ihm wurden. Ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit hat ihm gereicht.“
Ich gebe zu, ich bin widerwillig beeindruckt. Wenn jemand in der Lage ist, soviel Geduld, Disziplin und Selbstbeherrschung zu entwickeln, muss man schon verdammt motiviert sein. Hass ist so eine Motivation.
Stone scheint derselben Ansicht zu sein.
„Na wenigstens müssen wir uns keine Gedanken darüber machen, ob Philby nach Mexiko abhauen will. Wer sein ganzes Leben der Rache widmet, hört so kurz vorm Ziel nicht auf.“
„Sehr tröstlich, Detective. Vielen Dank auch.“, sage ich trocken und gönne mir noch einen Bourbon.
„Sie sollten sich nicht volllaufen lassen, O’Grady. Gut möglich, dass Sie…“
Wir werden vom Klopfen an der Tür unterbrochen. Stone lässt die Zeitung sinken und steht auf. Leise huscht er an die Wand neben der Tür und gestikuliert mir zu, ich solle antworten.
„Yeah? Wer ist da?“ Shit, das klingt sogar in meinen Ohren irgendwie dämlich. Da könnten wir auch gleich eine Leuchtreklame „Achtung – Polizeifalle“ über die Tür hängen.
„Mr. Jack O’Grady? Hier ist Corporal Weaver, 14. Revier. Würden Sie bitte die Tür öffnen, Sir?“
Überrascht sehe ich zu Stone hinüber. Dieser runzelt die Stirn und zuckt die Schultern. Ich werfe einen Blick durch den Türspion. Draußen steht tatsächlich ein Polizist in einer Motorraduniform. Er schreibt gerade etwas in seinen Block und hat sich zu der Lampe im Flur gedreht, so dass ich sein Gesicht nicht sehen kann. Ich nehme die Kette von der Tür und öffne.
„Was ist denn los, Corporal? Wollen Sie mir einen Strafzettel…“
Der Motorradpolizist lässt den Block fallen und rammt mich mit der Schulter zurück in meine Wohnung. Taumelnd gehe ich zu Boden. Der Bulle greift zu seinem Revolver. Ein Schuss dröhnt durch die Wohnung und der Motorradpolizist wird in die Schulter getroffen. Klappernd fällt sein Revolver zu Boden. Stone zielt mit seiner Luger auf ihn.
„Keine Bewegung, Philby.“
Vielleicht hat er ihn nicht richtig getroffen oder die dicke Lederjacke hat das Gröbste abgehalten. Was es auch ist, Philby ist noch nicht außer Gefecht. Im Gegenteil. Während ich mich aufrappeln will, sehe ich, wie er mit einem Satz zu Stone herüberspringt und ihm einen mächtigen Uppercut genau auf den Kiefer verpasst. Stone, der nicht mit der Gegenwehr eines Mannes gerechnet hat, der vor einer Sekunde noch eine 9mm-Kugel in die Schulter gekriegt hat, fliegt in hohem Bogen davon. Seine Luger leider auch.
Mein Brustkorb fühlt sich an, als hätte mich ein Maulesel getreten. Während ich versuche, vollends auf die Füße zu kommen, ziehe ich meine .45er.
„Nicht, Morris. Hör auf.“
Blöder, blöder, blöder Fehler. Ich hätte nicht mit ihm reden sollen, während ich die Waffe hervorhole. Das bereue ich jetzt. Ich kann die Kanone zwar noch heben, aber schon ist Morris wieder in Reichweite und schlägt sie mir aus der Hand. Stone und ich haben nicht eine Sekunde an seine Boxerreflexe gedacht.
Glück für Morris. Pech für uns.
„Weißt du noch, wer ich bin, du Ratte? Ich wette, du freust dich genauso mich zu sehen wie diese Schlampe Moira!“ Philby verpasst mir eine kurze, harte Rechts-Links-Kombination in Bauch und Brust und wieder taumele ich davon. Dieses Mal aber überrascht er mich nicht und ich kann zumindest ein wenig Deckung hochnehmen. Ich habe zwei Vorteile. Die dicke, schwere Lederkluft der Motorraduniform bremst ihn ein wenig, und er hat eine Kugel in der Schulter. Auch wenn davon nichts zu merken ist bei dem Schwinger, den er gegen meinen Kopf führen will. Ich kann gerade eben noch ausweichen, sonst hätte sich mein Schädel Richtung Eastside verabschiedet.
Jedoch ist durch den Schlag einen Moment lang seine Deckung offen und ich versenke meine Faust bis zum Handgelenk in seinem Magen.
Habe ich gerade gesagt, die Motorradklamotten seien ein Nachteil? Die Jacke dämpft meinem Schlag wie eine Matratze.
Morris knallt mir seine Faust auf die Schulter, so dass ich die Engel singen höre. Zum Glück hat er seinen verletzten Arm genommen, denn er schreit genauso schmerzerfüllt auf wie ich.
Wir trennen uns und umrunden uns langsam. Genauso wie früher beim Sparring.
„Warum hast du das gemacht, Jack? Ich dachte, wie wären Freunde. So behandelt man seine Freunde nicht.“ In seinen Augen funkelt die blanke Mordlust. Er will mich mit seinem Gerede nur ablenken und meine Aufmerksamkeit schwächen.
Mal sehen, ob das in beide Richtungen funktioniert.
„Ein gemeinsamer Job macht aus uns noch keine Freunde, Morris. Und bei einem Hintern wie bei Moira hätte ich nicht nein gesagt, und wenn du mein Bruder wärst.“
„Du mieses Schwein. Ich habe sie geliebt. Die Überfälle habe ich nur für uns beide gemacht. Und zuerst bringst du mich in den Knast und dann legst du meine eigene verdammte Frau in meinem eigenen verdammten Bett flach. Dafür mach ich dich alle.“
„Wär‘ dein Schwanz genauso groß wie dein Maul, wäre sie nicht in meinem Bett gelandet.“
Na endlich bringt das Gequatsche etwas. Speichelfäden fliegen durch die Luft, als Morris aufbrüllt und wie ein angeschossener Stier auf mich losstürmt.
Ich setze alles auf eine Karte und lass ihn rankommen. Ich nehme sogar die Arme runter und stehe völlig ohne Deckung da. Wenn ich jetzt einen Fehler mache, reißt er mich in Stücke. Morris will mich offenbar in voller Fahrt über den Haufen rennen. Ich kann seinen schlechten Atem riechen, so nah ist er.
Jetzt!
Mit einem Satz springe ich zur Seite und trete ihm in vollem Galopp die Beine weg. Morris stößt ein überraschtes Grunzen aus, als er schlagartig den Bodenkontakt verliert. Bevor er sich drehen oder seine Arme heben kann, beendet die Wand seinen Flug. Mit einem ziemlich beeindruckend klingenden Bumm! knallt er mit dem Schädel voran an die Mauer und hinterlässt eine stattliche Delle im Putz. Oh je, das wird Norma nicht gefallen.
Die Tür wird aufgestoßen und die sechs tropfnassen Polizisten stürmen in meine Wohnung.
„Ach, seid ihr auch schon da, ihr Clowns?!“ Ich ziele mit meiner .45er auf Morris, während ich mit der anderen Hand immer wieder an Stone rumrüttele, um ihn endlich wach zu kriegen. Langsam kommt er wieder zu sich. Stöhnend, die Augen noch geschlossen, tastet er über seinen geschwollenen Kiefer.
„Keine Angst, Detective, der Kopf sitzt noch da, wo er hingehört, aber Sie sollten ins Krankenhaus. Und auf die Gesangsstunde werden Sie auch ‘ne Weile verzichten müssen.“
Große Töne spucke ich da. Ich selber fühle mich, als würden meine Rippen an meinem Rückgrat kleben. Draußen kann ich die Sirenen der Polizeiwagen und Ambulanzen hören. Hoffentlich ist auch eine für mich dabei.
„Wie geht’s dem Kiefer, Detective?“
„Ist noch dran. Wie geht’s den Rippen, O’Grady?“
„Zwei sind gebrochen und ein paar andere geprellt. Könnte schlimmer sein, schätze ich.“
Ich ziehe mir einen Stuhl ran und setze mich zu Stone ans Krankenbett. Vor Schmerz ächzend ziehe ich eine Packung Luckys aus meinem Trenchcoat, zünde zwei Zigaretten an und reiche ein zu Stone rüber. Für einen Moment habe ich das Gefühl, als wäre ich wieder in Frankreich. In einem Lazarett am Bett eines Kameraden nach einer gemeinsam überstandenen Schlacht. Ganz so groß war’s zwar nicht, aber das Gefühl kommt dem trotzdem ziemlich nahe.
„Ich hab‘ den Bericht erhalten, O’Grady. Philby hat einen weiteren Polizisten drüben in der Bowery umgebracht und sich so die Uniform besorgt. Dann hat er die Dunkelheit abgewartet und ist einfach an unseren Leuten vorbei ins Gebäude spaziert. Verdammte Sauerei, das!“
„Schwamm drüber, Stone. Wir leben. Für mich reicht das. Was geschieht mit Philby?“
„Er hat ziemlich was auf die Rübe gekriegt, aber bei seinem dicken Schädel wird er es überleben. Aber dass er zwei Polizisten und eine Frau umgebracht hat, dass wird er nicht überleben. Von versuchtem Mord mal ganz zu schweigen. Wenn er aus dem Krankenhaus rauskommt, wartet der Stuhl auf ihn.“
Ich ziehe an meiner Zigarette und sehe mich dabei im Krankenzimmer um. Ich mag Krankenhäuser nicht. Das einzige, was mir daran gefällt, ist vielleicht die ein oder andere Krankenschwester. Je eher ich hier raus bin, desto besser.
Aber vorher muss ich noch etwas klären.
„Wissen Sie was, Detective? Wenn Sie wieder auf dem Damm sind, dann gehen wir beide mal zusammen einen trinken. Was halten Sie davon? Ich kenne da ‘ne Bar, die meinem Kumpel Fat Eddy gehört.“
Stone grinst, was ihm mit seinem bandagierten Kiefer alles andere als leichtfällt.
„Klingt gut, O’Grady. Wir legen zusammen eine gute Flasche Bourbon trocken und tauschen Kriegsgeschichten aus. Aber eines sage ich Ihnen – meine Luger kriegen Sie nicht.“
Verdammt!