Jagdzeit
Jagdzeit.
Reißzeit.
Fleischzeit.
Wir jagten. Durch den lichten Wald. Die Beute vor uns in Sichtweite. Noch trieben wir sie nur vor uns her. Wir machten sie müde. Uns auch. Noch war ein deutlicher Abstand zwischen ihr und uns. Wir waren zu dritt. Mein Herz schlug rasch aber nicht zu rasch. Mein Lauf war gleichmäßig. Rhythmisch. Ein Lied. Ein Jagdlied. Fast lautlos flogen meine rauen Sohlen über den weichen Waldboden. Federnd. Kraftsparend für den Endspurt.
Wir liefen mit dem Wind. So wie es die Beute wollte. Sie konnte uns riechen. Konnte den Abstand riechen. Konnte die Gefahr riechen. Sie lief selbst noch nicht mit voller Kraft. Das spürten wir. Sie hielt uns nur auf Abstand. Listig. Das machte mir Sorge. Was plante sie? Plante sie? Keine Zeit zum Denken.
Ta links von mir keuchte. Ein junger Krieger. Ein junger Bart. Ein schlechter Werfer. Ein schneller Läufer. Sehnig. Zäh. Uns immer etwas voraus. Verließ die Linie und konnte sonst kreisen, ihr den Weg abschneiden. Aber heute nicht. Heute war sie zu schnell. Er würde sie niederwerfen müssen. Ihr im Lauf die Sehnen zerschneiden. Das war seine Aufgabe. Ta würde Angst haben. Ein bisschen. Noch. Er mochte das töten nicht, aber er hatte Hunger. Schrecklichen Hunger. Der Winter war zu lange gewesen. Diesmal musste es gelingen. Unser letzter Versuch. Ta vertraute mir. Ta liebte mich.
Harei rechts. Kämpfte. Jagte. Sein Blick war noch scharf. Er konnte werfen. Manchmal blieb er etwas zurück. Er zwang sich vorwärts. Seit der Verwundung war er nie mehr der alte geworden. Ein Berg von einem Mann. Wuchtig. Erfahren. Dieses Jahr schnell müde. Gealtert. Harei liebte das Fleisch.
Ich wich einem Zweig in Augenhöhe aus. Duckte mich. Ich war der Mittelläufer. Ich hatte das sagen. Meine Waden streiften Dornen. Ich spürte den Schmerz nicht. Ich spürte das Adrenalin. Ich spürte den Durst. Den Durst auf Blut. Ich liebte das töten.
Ein kleine Senke. Schnell hinab. Die Beute geriet kurz außer Sicht. Ich keuchte und gab das Signal, schneller zu werden. Etwas schneller. Wenn sie jetzt anzog, konnten wir sie verlieren. Am Waldrand würde es sich entscheiden. Wenn sie müde war, würde sie kämpfen. Wenn sie nicht müde war würde sie laufen. Galoppieren. Nur Ta würde folgen können. Ich wollte sie vorher stellen. So war es sicherer. So war der Plan. Wir mussten.
Der leichte Anstieg brannte mir in der Lunge. Wieder Zweige. Mehr Dornen. Das reinigende Feuer war schon zu lange hergewesen. Wurzeln wie Fallen. Immer auf der Hut sein. Nur nicht Fallen. Nicht zurückfallen. Ta kreischte, ich wagte keinen Blick, jetzt nicht. Aber er war da, ich spürte ihn. Er lief auf seiner Position. Harei fiel wieder etwas zurück, auch das spürte ich. Sein Grunzen wurde leiser. Ich gab nochmals Laut. Er musste aufschließen. Wenn sie kämpfte, brauchten wir ihn. Er keuchte. Rasselte. Halt durch! Wenn die Beute floh, musste er werfen. Er musste treffen, sonst war er nutzlos. Wir mussten näher ran. Sie war für einen guten Wurf zu weit weg, selbst für Harei. Das Risiko zu groß.
Sie zeigte sich immer wieder zwischen den Bäumen. Schüttelte die tiefen Zweige. Fleisch. Voll leben. Voll Kraft. Schaute sich nicht um. Roch uns. Floh durch grünes aufblühen. Schwierige Beute. Voll leben. Helles grün, kleine Knospen. Fleisch. Lichter Laubwald. Mischwald. Hier und da eine Tanne, dunkel. Dazwischen viel Licht. Ein schöner Wald. Jagdwald.
Wir kamen näher. Wir würden siegen. Ich hörte ihre Beine dumpf den Boden schlagen. Ich hörte sie atmen. Ich sah den heißen Dunst aus ihrer Lunge. Ich spürte ihre Wärme.
Ta lief an. Zu früh. Ich konnte ihn nicht zurückhalten. Ich konnte nur atmen. Atmen. Laufen. Konzentriert. Wieder Zweige. Wieder Dornen. Ein wenig zurück. Dann wieder kämpfen. Jagen. Aufschließen.
Ein Vogel schoss quer vorbei. Harei schrie. Er fiel. Ich hörte es. Kam wieder auf. Schnell. Lief weiter. Kämpfte auch. War aber gefallen. War abgefallen.
Die Beute hatte Ta gewittert. Die Beute hatte die Schlagzahl erhöht. Zu leicht. Sie war noch nicht müde. Wir mussten Folgen. Mein Herz schlug lauter. Füllte meine Brust. Ein erstes Brennen in der Wade. Atmen. Immer atmen, immer weiteratmen.
Der Abstand wurde wieder größer. Selbst Ta konnte nicht mithalten. Ich fühlte Harei nicht mehr. Wo war er? Ich konnte keinen Blick wagen. Ich durfte nicht fallen. Wieder wurzeln. Wieder Zweige. Peitschen.
Der Wald wurde lichter. Bald kam die Ebene. Ich gab das Signal. Wir mussten. Ich kämpfte. Mein Waden brannten jetzt. Beide. Mein Herz schlug wild. Bäumte sich auf. Gab mir Kraft. Die Luft. Es fehlt mir Luft. Ich atmete. Presste Luft in meinen Körper. Es würde besser werden. Wir würden gewinnen.
Ta lief an. Ich konnte Harei nicht spüren.
Ich sah Tas Gesicht. Schweiß glänzend. Die Zähne gebleckt. Hungrig. Wir mussten es schaffen. Die Beute lief schnell. Die Beute lief schneller. Wir folgten. Ich folgte. Tas Anlauf verpuffte. Wir folgten. Aber folgten nur. Keine Luft mehr für ein Signal. Immer lichter der Wald. Immer heller. Immer schöner. Immer gleich weit weg. Die Beute. Fleisch.
Dann das Ende des Waldes. Die Beute lief schneller. Sie war nicht müde. Sie stellte sich nicht. Ich würde nicht mehr folgen können. Ich warf. Jetzt oder nie. Ich schrie. Ich bangte. Ich verfehlte.
Ta schrie. Ta warf. Ich bangte. Und er verfehlte. Ta kam aus dem Tritt. Sein Rhythmus zerbrach. Wir würden nicht folgen können. Wir würden nicht folgen können.
Ich lief aus. Langsam. Ta mit mir. Wir sahen uns an. Schweiß. Atmen. Japsen. Wo war Harei?
Harei kam. Als er sah, dass es vorbei war, lief auch er aus. Lief falsch !? In seinem linken Bein war ein tiefer Riss. Blut. (Der Durst.) Er war völlig erschöpft. Er fiel auf den Boden. Er atmete. Er stöhnte. Er hatte Schmerzen. So war er nutzlos.
Ta sah mich an. Ich sah Ta an. Sein Blick war hungrig. Verzweifelt. Harei stöhnte wieder. So war er nutzlos. Ich umschloss fest meine Waffe. So war er nutzlos. Der Hunger war eine Qual. Ich umschloss fest meine Waffe. Ta sah mich an. Ein junger Bart. Ta würde Angst haben. Ein bisschen. Noch. Ich liebte das töten.
Jagdzeit.
Reißzeit.
Fleischzeit.