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Jaime und Susana (Tagebuch)

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01.05.2009
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Jaime und Susana (Tagebuch)

Aus meinem Tagebuch

Jaime und Susana


In jenen Zeiten, das ist schon länger her, war es nicht schwierig, Geld aus dem Ausland zu erhalten.
Besonders leicht war es, wenn Einzelnen geholfen werden sollte. Europäer, besonders Deutsche, waren bereit und willig zu helfen, wenn man nur an ihr Mitleid appellierte. Für großartige Ideen, es gab kaum welche, war es schwierig, Hilfe zu bekommen.

Für einen neuen Bootsmotor war Geld gekommen. Der Fischer hatte aber schon einen, woher auch immer, wahrscheinlich hatte er ihn irgendwo gestohlen. Er war auch danach gleich mit seinem Boot und Motor verschwunden.
Er arbeite jetzt irgendwo im Süden, erzählte seine Frau allen. Es ging aber das Gerücht herum, dass er mit einem Mädchen unterwegs war und dass er wahrscheinlich nie wieder zurückkommen würde.

Für die Operation des Blinden war also Geld da.

Jaime war als Kind irgendwie erblindet. Einige sagten, er sei krank gewesen, andere, er habe zu viel onaniert.
Es hieß immer, man könne ihn operieren, wenn nur ausreichend Geld da wäre.
Er fand sich gut zurecht, seine Hütte war klein, alles musste immer am gleichen Ort stehen. Das war nicht schwer, stand da doch fast nichts in der Hütte.
Er fiel auch im Ort nicht besonders auf, höchstens seine große Sonnenbrille. Er saß wie die anderen Männer herum, trank mit ihnen, wenn Geld da war, Bier oder Wein.
Manchmal zuviel.
Wenn er ein Klavier hätte, wäre er sicherlich ein berühmter Pianist, sagte er immer wieder. Meistens, wenn er zu viel getrunken hatte.
Er hatte von einem berühmten blinden Pianisten gehört.
Gute Freunde von ihm hatten einmal versucht, ein Klavier für ihn zu erwerben. Sie waren irgendwo eingebrochen, hatten einen Flügel aus einem Haus geholt. Die Hausbesitzer waren gerade irgendwo in Europa. Der Transport bereitete größere Schwierigkeiten. Es gelang ihnen, einen Lastwagen zu besorgen.
Der Flügel passte aber dann nicht durch die Tür von Jaimes Hütte. Als sie die vordere Hauswand einreißen wollten, war Jaimes Frau Susana dagegen. Das Piano habe auch in der Hütte keinen Platz, sagte sie.
Eines Tages nach viel Wein versuchte Jaime ein Konzert unter freiem Himmel zu geben. Als er merkte, dass das nicht funktionierte, meinte er, man könne nur unter Dächern spielen. Alle berühmten Leute hätten stets unter einem Dach ihre Konzerte gegeben.
Der Flügel stand dann längere Zeit bei Regen und Sonnenschein auf der Straße herum, Kinder sprangen auf ihm herum.
Irgendwann wurde er zu Feuerholz verarbeitet. Mit dem Draht der Saiten konnte man die Dächer der Hütten fester anbinden und Wäsche aufhängen.

Fast alle Frauen der Población (Elendsviertel) arbeiteten irgendwo.
Susana machte bei reichen Leute die Häuser sauber. Sie fand immer leicht eine Stelle. Jede Hausfrau stellte sie sofort an, war sie doch keine Gefahr für deren Ehemann.
Susana hatte einen schönen Körper, war überall gepolstert, wo es sein sollte. Sie hatte gute Beine, lange schwarze Haare, war nicht zu groß und nicht zu klein. Im Bett brauchte man ihr kein Kissen unter den Hintern zu legen, wie man es hier ausdrückte. Und eine Stimme hatte sie, weich und verführerisch.
Aber ihr Gesicht war kaum zu beschreiben, sah es doch aus wie Frankensteins Gesicht nach mehreren missglückten Operationen.
Die Eheleute liebten sich beide sehr, gingen zärtlich miteinander um.

Ich fuhr in die Hauptstadt, sprach mit verschiedenen Ärzten. Jaime wurde untersucht. Ja, man könne ihn operieren, wahrscheinlich könne er dann normal sehen.
Susana brachte ihn ins Krankenhaus, sie war begeistert, Jaime auch.
Ein neues Leben würde für sie beginnen, vielleicht würde Jaime sogar Konzertpianist. Sie würden dann zusammen bis ans Ende aller Tage in einem schönen Haus wohnen, mit einem großen Garten, vielleicht auch mit Schwimmbad.
Susana hatte solche Häuser bei ihrer Arbeit kennen gelernt.

Nach einer Woche ging ich ins Krankenhaus.
Jaime lag strahlend im Bett. Er konnte jetzt sehen. Er müsse mir etwas sagen, erklärte er. Ich merkte, dass es ihm ziemlich schwer fiel.
Nein, er brauche sich nicht großartig zu bedanken, das sei unnötig, meinte ich.
Es gehe um etwas anderes, sagte Jaime:
„Don Pedro, ich habe mich von Susana getrennt“!

 

Hallo Kurtchen,

Die Handlung der Geschichte finde ich, wie bei anderen Deiner Geschichten, sehr interessant, doch glaube ich, die Ausführung könnte besser gestaltet werden. Der Titelzusatz hat mich etwas stutzig gemacht, denn im Ton der Geschichte finde ich nicht viel, das das Potential einem Tagebucheintrag ausnutzt, wie die Gedanken und Gefühle des Erzählers, es ist mir zu platt erzählt. Z. B. finge ein Tagebucheintrag auch nicht mit “in jenen Zeiten” an. Die Figuren, weder Erzähler noch Jaime und Susana, sind mir nicht lebendig genug. Die Erzähllast zu groß und da ist zu viel Abstand da für jemanden, der Jaime und Susana ja gut kannte. Ausdrücke wie “eines Tages”, vertiefen diesen Abstand. Anekdoten wie die Geschichte mit dem Piano, geben etwas mehr Einblick in die Figur von Jaime, doch würden Dialoge und weitere Details dies dem Leser noch näher bringen. Der Erzähler war ja dabei.

Die Eheleute liebten sich beide sehr, gingen zärtlich miteinander um.”
Finde ich etwas wenig, um ihre Beziehung zu beschreiben.

Eins wäre interessant: Wie steht Jaime zum Sehen, abgesehen davon, dass ihm seine Frau nicht mehr gefällt? (hatte eine blinde Studienkollegin, die kurz vor der Operation stand. Sie hatte sehr gemischte Gefühle, in der Angst vor dem Sehen, vor dieser neuen Dimension in ihrem Leben, eine große Rolle spielte. Laut ihr, haben die meisten Blinden, die sich operieren lassen, Angst davor). Bin mir aber nicht so sicher, ob das da reinpasst zu dem, was Du mit der Geschichte sagen willst.


Der Punkt, auf den Du die Geschichte, glaube ich, bringen willst, ist, dass (insbesondere ausländische) finanzielle Hilfe in Entwicklungländern oft Auswirkungen hat, über die sich der großzüge Spender keine Gedanken gemacht hat. Ist eine Realität und kommt schon rüber, ist aber auch eine heikle Botschaft, die Leute, die ohnehin nicht bereit sind, zur Verbesserung der Lebensbedingungen des Großteils der Menschheit in irgendeiner Weise beizutragen, ohnehin zur Genüge ausschlachten. Einem blinden Mann, den man kennt, eine Operation zu bezahlen ist, meines Erachtens, eine konkrete, wirksame Handlung, und nicht unbedingt das beste Beispiel für das, was Du hier aussagen willst, auch wenn es in diesem Fall traurige, unerwünschte Folgen hat.

Du spielst – glaube ich – darauf an, wo Hilfe besser angelegt wäre. Ist aber, für jemanden, der nichts damit zu tun hat, nicht wirklich ausführlich genug.

Für großartige Ideen, es gab kaum welche, war es schwierig, Hilfe zu bekommen.”

Die zweite Geschichte – die mit dem Bootsmann, weist zwar gewisse Paralellen auf mit dieser, hat aber keinen besonderen Grund, da zu stehen. Würde ich streichen.

Gut gefiel mir, wie Du auf Susanas Äußeres hinweist – durch die Arbeitsstellen und den Mangel an Grund zur Eifersucht der Hausherrinnen. Das ist schön unauffällig und verrät nicht gleich die Pointe.

Kurz: gute Handlung, würde ich etwas weniger moralisch gestalten (Anfang), weil es eine sorgfältig zu handhabende Message ist. Sprachlich etwas aufpolieren. Der Erzähler könnte mehr von sich geben (wer/wie ist er überhaupt, warum tut er’s, wie fühlt er sich dabei, wie steht er zu dem Paar) und mehr Details aus der Geschichte zeigen anstatt erzählen.

Alles Gute und liebe Grüße

Elisabeth

 

Morgen Elisabeth,

fast allen deinen Anmerkungen stimme ich zu. Es handelt sich eher um eine Notiz in einem Tagebuch, dass ich im Ausland 10 Jahre lang geführt habe.
Was ich eigentlich rüberbringen wollte, hätte ich wohl für hiesige Leser anders schreiben müssen. In der spanischen Version kam es besser an, weil die Menschen dort ihre Realität kennen.

Ich danke dir für deine Anregungen, werde darüber nachdenken.

Einen schönen Sonntag.

Kurtchen

 

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