Was ist neu

Jolie Julie

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12.03.2004
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Jolie Julie

"Abgefuckt" ist ein Zustand, den nicht nur die ein oder andere Theaterbühne von ihren Schauspielern verlangt, häufig trifft er auch auf eine bestimmte Art von Hotelgästen zu. Diese Art pflegt in der Regel bis zum Schichtwechsel am frühen Morgen an der Hotelbar zu sitzen, und sich wahlweise Worten oder Tränen hinzugeben. Oder beidem zugleich.

Unwillig war ich hier abgestiegen, in der tiefsten Provinz, aber "man kann sich nicht aussuchen, wo der Kunde wohnt, und der Kunde, der ist bei uns König". Sagte mein Chef. Ich hasste ihn dafür. Nein, Hass trifft es nicht ganz; eher noch verachtete ich ihn.
Der Kunde ist König, das ist so ein Supermarktspruch, das ist sogar der Supermarktspruch schlechthin.
"Hm", meinte der Barkeeper nur und füllte mein halbleeres Glas neu. Mir war es egal, ob er überhaupt zuhörte, oder in Gedanken schon seine Freundin schwängerte. Ich war einfach nur dankbar, dass er mich reden liess. Und trinken. Ich hatte den Abend ganz gepflegt mit etwas Weißwein begonnen, dazu Zeitung und Zigarre. Understatement.
Dann war ich irgendwann bei den Cocktails gelandet, inklusive interessiertem Blick auf die anderen Gäste; dann beim Wodka inklusive der Erkenntnis, als letzter an der Theke zu sitzen und dabei einen Monolog mit dem Barkeeper, den sein Arbeitsvertrag an mich band, aufrecht zu erhalten.
Ich war mittlerweile - und trotz meines Zustandes - sicher, dass ich ihn nervte. Bestimmt hatte er schon bessere Betrunkene als mich gehabt, mit interessanteren Geschichten, oder interessanteren Trinkgewohnheiten.
Dann Stille. Eine Gesprächspause, die in den tauben Lippen zuckte und meine Aufmerksamkeit, oder das, was davon übrig war, verschämt auf meine Fingernägel lenkte. Zeitlupengedanken jagten sich im Kreis, das Wort "Einschläfern" polterte gerade katastrophal langsam aus meinem Hinterkopf Richtung Zunge, als Julie die Bar betrat und mich so rettete. Natürlich wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass die Frau, die da ihre spitzen Brüste hereinführte und auf dem Hocker am anderen Ende der Theke Platz nahm, Julie hiess. Sie bestellte einen Cocktail, wie echte Frauen mit Klasse es zu tun pflegen. Falsche Frauen mit Klasse verhalten sich übrigens ähnlich, sind aber anders gebaut und erreichen schlichtweg nicht die geforderte Perfektion.
Einen Swimmingpool also. Ich musste an den gleichnamigen Film denken. Ehrlich gesagt schaffte ich es nur bis zum Plakat des Films. Ich sah in mein Glas, achtunddreißig Prozente auf klares Wasser verteilt, kein Geheimnis, freie Sicht bis zum Grund... - und dann zu ihr. Ich fühlte mich nackt. Vom Alkohol blossgestellt, der Sprache beraubt und des Witzes. Ein jammender Bittsteller am Altar der Lust. Meine Zunge war gelähmt, an ihr haftete noch immer das "Einschläfern".
Julie nippte währenddessen am Swimmingpool, strich sich die dunklen Haare hinters Ohr - war da ein Blick? -, steckte sich eine Zigarette in den Mund und suchte etwas in ihrer kleinen Handtasche. Offenbar ein Feuerzeug, denn als sie nicht fündig wurde, sah sie erwartungsvoll zu mir herüber. Sofort versank ich in ihren schwarzen Augen, bis mein Blick zu ersticken drohte und sich wie zur Rettung an ihr Dekollete klammerte.
„Ah, Gauloise“, hörte ich mich sagen. Mein Sprachzentrum hatte sich hinterrücks reaktiviert und arbeitete nun an sämtlichen Kontrollinstanzen vorbei direkt zum Mund hin.
„Würde ich ja gerne“, sang Julie, „wenn der Herr so freundlich wäre?“
Der Herr war so freundlich. Besonders stolz war der Herr übrigens auf die Tatsache, das Feuerzeug noch bedienen zu können.
Würde er auch diese Frau bedienen können? Würde sie mich auf ihren Brüsten in den Schlaf wiegen?
„Ich bin Julie.“
„Schön.“
Gut, das war nun wirklich zu einsilbig, ich legte nach:
„Schöner Name, wirklich.“
Besser. Augenblick: Hatte ich meinen Namen gesagt, mich vorgestellt?
Nein, verpatzt. Gewollt verpatzt. Eine Frau. Sie hiess Julie.
„Jolie Julie“, küsste ich rettend ihre Hand, „danke, dass Sie meine Sinne geweckt haben. Ich fühle mich nun in der Lage, mein Zimmer aufzusuchen.“ Mit den letzten Worten hatte ich die Bar schon verlassen, spürte nur noch Nachwirkungen ihres enttäuschten Blickes. Augen wie Tränen.

Bitte seien wenigstens Sie, verehrter Leser, nicht auch enttäuscht. Julie war einfach zu viel für mich. Ihr Name war ganz offensichtlich französisch. Sie hätte mich die ganze Nacht wach haben wollen, ich jedoch wäre ihr nach einer halben Stunde entschlafen.
Ich darf nicht die ganze Nacht wachbleiben, ich muss morgens früh weiter. Schliesslich befinde ich mich auf der Flucht vor all den starken Frauen mit spitzen Brüsten und französischen Namen.
Hotelbars mit ihren Hütern und ihrem Alkohol sind meine einzige Passion.
Ich höre mich selbst gern sprechen, aber nur wenn niemand zuhört.
Morgens muss ich früh weiter.
Vor meiner Zimmertür drehte ich mich noch einmal um und rief:
"Mädchen, höre! Ich habe schon bittere Tränen wegen Deines Geschlechts vergossen."

 

Hallo Eiffel,

Du beschreibst auf zynische Weise eine unterkühlte Begegnung zweier Hotelgäste. Der Mann, der sich bei Schichtwechsel an der Bar in der Hotellobby besäuft, förmlich genötigt durch seinen Beruf, und die Frau, Julie, die einen Flirtversuch startet, dieser jedoch an dessen Unbeholfenheit im alkoholisierten Zustand, und an dessen beruflicher Tristèse scheitert. Die Figuren, auch der Barkeeper, sind mit Klischees vollgepackt, so dass sich aus dieser Konstellation eine gute Satire ergibt. Meiner Meinung nach aber könntest du die Pointe noch deutlicher herausarbeiten.
Hat mir gut gefallen.

Lieben Gruß,
moonaY

 

Hallo Eiffel,

doch, hat mir gefallen!

Über die Intention deines Textes bin ich mir nicht ganz im Klaren. Ein Barkeeper, der solche oder ähnliche Szenarien wohl zur Genüge kennt. Eine hübsche Französin, die den angetrunkenen Gast gerne im Bett hätte ... und ein Gast, der befürchtet die Wünsche der Frau nicht erfüllen zu können und sich in berufliche Ausreden flüchtet.
Er ist also im Grunde genommen genau so gebunden wie der Barkeeper.

Wie MonnaY schon bemerkte sind deine Protagonisten tatsächlich sehr klischeebeladen, was der Geschichte aber meiner Meinung nach keinen Abbruch tut.

Sprachlich auch einwandfrei!

LG
Bella

 

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