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Jonas

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06.05.2005
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Jonas

Jonas


Jonas fällt es schwer das Buch wieder ins Regal zurück zu stellen. Er hat den Klappentext gelesen, dann die ersten Seiten. Diesen Roman muss er haben, das ist ihm klar. Sollte er vielleicht einfach...? Aber unter seiner Jacke ist schon Eins, ein Zweites würde als kleine quadratische Form - die jeder als Buch erkennen könnte - seinen Parka ausbeulen. Es geht nicht.

Lieber jetzt schnell raus, bevor die Versuchung zu groß wird. Schnell, aber bloß keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Jonas passiert die Krimi-Abteilung und die Regale mit den Bestsellern. Er tut so als würde er sich die Sonderangebote "Sechs Mängelexemplare für den Preis von Fünf" anschauen. Noch ein letzter Blick zur Kasse: die Kassiererinnen plaudern miteinander und nehmen nichts anderes wahr. Jonas drehte sich um und verlässt die Buchhandlung.

"Geschafft. Eigentlich ganz einfach. Wie immer.", denkt er.
Eine heimliche Freude steigt in ihm empor. Er fühlte sein Herz noch immer schneller schlagen und daneben das Buch, mit dem Arm an seine Brust geklemmt. Jonas ist erleichtert. Eigentlich tut er das hier nicht gerne. Aber für ihn gibt es kaum ein Gefühl, dass diese Mischung aus Entspannung und Zufriedenheit übertreffen könnte, die er jetzt genießt.

Jonas verlangsamt seine Schritte und biegt in eine Seitenstraße ein. Er nimmt das Buch aus seiner Jacke und schaute es sich an: Ein Taschenbuch, Diogenes Verlag - die mit den geschmacklosen Bildern auf der Vorderseite, Acht Euro, Neunzig Cent. - Ist es das wert gewesen? All' die Aufregung? Er hätte ohne weiteres das Geld für diesen Roman gehabt, auch wenn sein Verschleiß an Büchern groß ist. Aber warum etwas kaufen, was man auch umsonst haben kann? Er hatte das mal einen Mitschüler im Deutsch Grundkurs zu erklären versucht:

"Weißt du, dass ist so: Meiner Meinung nach, gehören diese Bücher gar nicht den Buchläden oder einen Verlag. Es ist kein Diebstahl, weil Geschichten nicht Eigentum von Jemanden seien können und wenn, dann höchstens das des Autors. Außerdem mach ich das ja auch nur in den großen Buchkaufhäusern, dass tut niemanden weh.
Autoren wollen gelesen werden. Es ist eher eine symbiotische Beziehung aus der jeder seinen Nutzen zieht."
- aber sein Mitschüler - Jemand der nur Musikzeitschriften las, hatte ihn nur verwirrt angeschaut, als Jonas weiter ausführte:
"Ich bin ein echter Leser und das heißt, ich bin kein Konsument. Ich lese ein Buch nicht weil es auf der Spiegel-Bestseller-Liste ist. Die meisten Leute lassen sich vorschreiben, welcher Roman ihnen gefällt. Das ist doch pervers. Ich sehe mich als Leser, nicht als Käufer. Verstehst du, ich mach da einfach nicht mit."

Aber während Jonas durch seine Neuerwerbung blättert wird ihm bewusst, dass es in Wirklichkeit ganz anders ist. Mit Rationalität hat seine ungewöhnliches Hobby nur wenig zu tun. Er kann einfach nicht anders.
Jonas weis nicht genau woran es liegt. Ihm gefällt es Buchseiten unter seinen Daumen kitzeln zu fühlen. Er mag den Geruch von Büchern. - Die meisten Leute wissen gar nicht wie unterschiedlich Bücher riechen. Es ist ihm ein Genuss einen neuen ungelesenen Roman in der Hand zu haben, zu merken wie sich die Bindung dehnt und schließlich bricht, wie sich das Buch auffächert. Er liebte den Prozess des Lesens, der eigentlich die Zerstörung des Buches bedeutete: Zu erst ist ein Buch neu und unbenutzt. Es hält seinen Inhalt versteckt und dann wird es nach und nach zerfleddert, bis es ausgelesen ist.

Jonas hat es schon immer gefallen Geschichten zu hören. Manchmal erscheint ihm die fiktive Welt seiner Romane wirklicher als die Realität. Oft kann er die Charaktere in Büchern besser verstehen als seine Mitmenschen.

Auf seinen Weg nach Hause überkommen Jonas Zweifel ob er die richtige Entscheidung getroffen hat. Hätte er vielleicht nicht doch das andere Buch nehmen sollen? Er muss es einfach haben. Bald. Falls er diese Nacht wieder so lange wachläge, wie die letzen Nächte, würde er Nachschub brauchen. Aber jetzt noch mal zurückgehen? - Viel zu weit. Er bleibt stehen und blickte hinter sich die Straße hinauf: Eine dieser typischen Straßen, die aus dem Einkaufsviertel in die Wohnbezirke führen. Einzelhandel, niedrigere Mieten als in der City, weniger Laufkundschaft: eine Kneipe, ein Bäcker, ein Ein-Euro-Laden und eine kleine Buchhandlung. Soll er seine Goldene Regel brechen? Es würde ihm Zeit sparen und Jonas hat keinen Nerv noch einmal in die Innenstadt zurück zu gehen.
"Ich geh da rein und bin schnell wieder draußen. Das mit der Konsumkritik ist eh nur eine Ausrede.", denkt er sich.

Jonas öffnet die Tür des Buchladens und eine kleine Glocke, die über der Tür angebracht ist beginnt zu schellen. Er bleibt stehen und sieht sich um. In diesen Laden ist er noch nie gewesen. Er schreckt auf als plötzlich eine Stimme ihn anspricht:
"Kann ich dir irgendwie helfen? Suchst du was Bestimmtes?", fragt ihn das Mädchen hinter dem Kassiertresen neugierig. Sie hat den ganzen Vormittag auf Kundschaft gewartet und ist nun froh endlich jemanden bedienen zu können.
"Nein, danke. Ich wollte mich nur mal umsehen".
Jonas hat sie beim Eintreten gar nicht bemerkt. "Vielleicht wäre es besser sofort wieder raus zu gehen", denkt er, jetzt wo er schon soviel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.
"Also dahinten findest du Belletristik, rechts den Gang hinunter Reisebücher und Karten und dann da vorne so Hobby Sachen und Ratgeber. Und wenn wir was nicht haben, kann ich das dir auch bestellen, ist dann in drei Tagen da."
Jonas mag es nicht wenn Leute aufdringlich werden. Er braucht keine Hilfe beim Aussuchen seiner Bücher. Verkäufer sollen, nach seiner Meinung, kassieren und mehr nicht. "Nichts Sagen ist auch eine Antwort.", denkt sich Jonas und schweigt. Das Mädchen setzt sich enttäuscht wieder hin und ließt weiter in ihrem Buch. Jonas passiert die Lebenshilfe-Fibeln und geht nach hinten in den Laden, dorthin wo nach Aussage des Mädchens die Romane stehen sollen.

Schnell hat er das Buch, das er suchte gefunden. Er nimmt es aus dem Regal und schlendert weiter, so als würde er nur noch ein wenig stöbern, ehe er zum Bezahlen an die Kasse ginge. Nachdem er sich vergewissert hat, dass man ihm an der Stelle wo er steht von dem Kassiertresen aus nicht sehen kann, steckt er das Buch hastig unter seine Jacke. Jonas beginnt zu schwitzen, so unwohl hatte er sich bis jetzt noch nie bei einen Diebstahl gefühlt. Irgendwas in ihm mahnt ihn dazu den Roman einfach wieder zurück zustellen. Aber er tut es nicht.
"Warum bin ich überhaupt in diesen Buchladen gegangen?", denkt sich Jonas während er langsam richtig Panik bekommt. Dann ist da plötzlich nur noch ein Gedanke: Raus, bloß raus. Schnell weg und alles hinter sich lassen.

Er bewegt sich auf die Eingangstür zu. Das Mädchen blickt von ihrer Lektüre auf und schaute zu ihm rüber. Als Jonas so etwas wie Überraschung in ihren Blick erkennt, rennt er los.
"Raus, schnell raus, so was mach ich nie wieder", hämmert es in seinen Kopf. Er ist schon an der Kasse vorbei, ehe sie um den Tresen herumgelaufen kommt..
"Hey, was soll das?", ihre Stimme ist nicht mehr freundlich.
"Hey, bleib stehen!"
Jonas ist an der Tür. Reißt an der Klinke. Die kleine Glocke bimmelt.
"Jonas!"
Er stoppt auf der Schwelle, halb schon aus den Laden, die Tür in der Hand. Hat sie gerade wirklich seinen Namen gesagt?

"Ich kenn dich. Du bist doch Jonas aus der Dreizehn!"
Jonas dreht sich um während er die Tür immer noch offen hält. Das Mädchen steht drei Meter von ihm entfernt. "Wer ist sie?", fragt er sich. Erst jetzt schaut er sie sich richtig an: klein und dünn in einen zu großen Pullover, dessen Ärmel über ihre Handgelenke rutschen.
Es fällt ihn ein woher er sie kennt. Sie geht auf seine Schule, ist aber ein oder zwei Stufen unter ihm.
"Anna ist glaube ich ihr Name, oder war es Hannah", Jonas ist sich nicht sicher. Sie ist ihm eigentlich kaum aufgefallen. Einmal hat er sie mit einen Taschenbuch von Naomi Klein in der Aula sitzen gesehen: "No Logo" oder war es doch Noam Chomsky's "War against People"? Also Michael Moore war es auf jeden Fall nicht.

"Was soll das denn? Wolltest du das Buch wirklich klauen?", ihre Stimme ist wieder ruhiger. Sie streicht sich eine Strähne ihres braunen lockigen Haars aus den Gesicht und schiebt sie hinter ihr Ohr.
"Sie ist eigentlich ganz hübsch", findet Jonas "...aber der Pulli ist echt scheiße."
"Hmm, das ist wohl meine Form der Globalisierungskritik.", über den Satz hat er überhaupt nicht nachgedacht. Er ist ihm einfach so passiert.
"Das ist doch Unsinn! Das ist doch Scheiße! Das hat mit Globalisierung gar nichts zu tun. Das ist Diebstahl und wenn du das Buch nicht zurücklegst, ruf ich die Bullen!"
Jonas schweigt, er könnte immer noch los rennen.
"Was hast du dir eigentlich gedacht? Dachtest du ich seh' das nicht oder ich lass dich laufen, weil ich dich kenne?"

"Hey Anna...", Jonas versucht locker zu wirken, so als hätte er immer noch alles im Griff.
"...ich hab dich doch gar nicht erkannt. Sonst hätte ich das ja auch sein gelassen. Tut mir jetzt auch echt voll leid, und so"
Sie schweigt. Jonas nimmt den Roman aus seiner Jacke und legte ihn auf den Tresen. Dann geht er wieder zur Tür.
"ehm, also entschuldige bitte.", er wird unruhig als das Mädchen immer noch nichts sagt und nur die kleine Glocke über ihn fixiert.
"Ich kann das Buch jetzt auch bezahlen, wenn du möchtest? Dann ist der Globale Markt wieder im Gleichgewicht und Niemanden wurde geschadet."
"Hau ab, du Arsch!", sie schaut ihn an. Jonas wird bewusst wie verletzt sie ist. Er schämt sich, ist sich selbst eklig. Er dreht sich um und öffnet die Tür. Die kleine Glocke bimmelt. Jonas verlässt den Laden.

Nach ein paar Schritten hört er wie die Tür der Buchhandlung auf geht, wieder diese Glocke.
"Hey Jonas...", die Stimme des Mädchens klingt wieder sicher. Jonas blickt sich um.
"Ich heiße gar nicht Anna. Mein Name ist Lena."

 

Hallo Teenage Angst!

Deine Geschichte finde ich recht interessant. Die Idee, dass man Bücher/Geschichten nicht bezahlen braucht, ist witzig. Eigentlich hätte mir ein Diebstahl gereicht. Die Gefühle des Protagonisten bei dem ersten Diebstahl hättest du noch genauer beschreiben können, das mit der Erklärung für seinen Freund etc. Der zweite Diebstahl und das Treffen mit dem Mädchen kam mir etwas zu überflüssig vor. Wenn du die Gedanken, die du im letzten Drittel der Geschichte auf den ersten Diebstahl verdichten könntest, dann wäre die Geschichte noch spannender.
Trotzdem habe ich deine Geschichte gerne gelesen. Übrigens solltest du einige Rechtschreibfehler überarbeiten. Wenn der Protagonist denkt, brauchst du keine wörtliche Rede verwenden.

Gruß,
Theo

 

Hallo Teenage Angst!

Im Gegensatz zu Theo kommt mir der zweite Teil ganz und garnicht überflüssig vor, er bringt Spannung und einen guten Schluss. Neugierig wie ich bin, würd ich natürlich sofort fragen: und, wie ist das, am nächsten Tag in der Schule? Aber als Kurzgeschichte darf sie natürlich genau da aufhören, wo Du sie auhören lässt. Ich finde seine Gefühle während den Diebstählen sehr gut beschrieben. Die Reaktion des Mädels und seine Gedankengänge (häßlicher Pulli, wenn sie ihn darauf anspricht) sind ebenfalls lebendig und auf eine Art beschrieben, dass man Dir das einfach abnimmt, was Du da erzählst. Wirklich - alles in allem hats mir gut gefallen!

schöne Grüße
Anne

 

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