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Jugend damals
DER BUND DER ARGONAUTEN
Das Treffen am Fluß
Wie gewöhnlich ging er am Fluß entlang, der hier noch mehr einem Bach glich. Der Fluß war noch nicht sehr breit. Verschiedene Bäche hatten jedoch dafür gesorgt, daß sich das kleine Flüßchen ein für die bescheidene Breite recht tiefes Bett gegraben hatte. Der Junge mußte aufpassen, daß er nicht ins Wasser rutschte. Die Böschung war nämlich vom Regen noch naß und an einigen Stellen glatt oder vielmehr glitschig. Die dicht am Ufer wachsenden jungen Bäume machten es notwendig, daß er manchmal ganz dicht an die glatte Böschung kam. An einigen Stellen mußte er sich sogar an den Zweigen der Bäume festhalten, um nicht zu rutschen oder das Übergewicht zu verlieren. Da er ja aber schon sehr oft hier gewesen war, kannte er sich aus.
Plötzlich hörte er in einiger Entfernung den Ruf eines Kauzes. Den Kauz kenne ich, dachte er. Wirklich, hinter der nächsten Krümmung des Flusses wurde er schon erwartet. "Da kommt ja auch der Jason. Wohl etwas verspätet, wie es seiner Stellung zukommt." Der Jason genannte trat in den kleinen Kreis der zwölf und dreizehnjähriger Jungen, zeigte auf seine alte Taschenuhr und sagte: "Die Gute ist vielleicht nicht mehr die Jüngste, aber genauer als eure Armbanduhren geht sie immer noch. Jetzt ist es eine Minute vor zwei. Um zwei hatten wir uns hier verabredet. So seid mir gegrüßt, ihr tapferen Argonauten. Es ist zwar noch etwas kalt, aber ein erfrischendes Bad im Fluß wird uns allen gut tun."
Es dauerte dann auch nicht lange, da hatten sich die Jungen ihrer Kleider entledigt und planschten übermütig im Wasser des Flusses. Anschließend rannten sie auf der kleinen Lichtung, sich gegenseitig jagend hin und her, im Bemühen schnell wieder warm und trocken zu werden. Keiner von ihnen hatte ein Handtuch dabei, aber offensichtlich hatten sie so etwas schon viele Male gemacht und hätten die Warnungen vor einer möglichen Erkältung lachend in den Wind geschlagen.
Die kleine Gruppe bestand aus insgesamt sechs Jungen. Da war Walther Schwarz, genannt Orpheus. Dieser schlanke große Junge sah klug aus. Eine Tatsache, die noch durch seine goldumrandete Brille unterstrichen wurde. Er war ein Zahnarztsohn und besuchte das hiesige Gymnasium. Dann war da Wolfgang Helmers, genannt Peleus. Der gutmütige Peleus, der sicherlich dem Vater des gewaltigen Peliden nicht sehr ähnlich war, ging auch auf das Gymnasium. Er war der Sohn eines Rentiers, der von den Einkünften seiner verschiedenen Investitionen bequem mit seiner Familie leben konnte. Dem alten Helmers gehörte übrigens das Haus, in dem einige der sechs Jungen, die jetzt hier versammelt waren, wohnten. Als nächster war da der offensichtlich auf sein Äußeres bedachte Günther Möller. Er wurde Theseus genannt und war Schüler der Oberrealschule. Sein Vater war Makler. Dann war da der untersetzt wirkende Horst Eilers, der eigentlich gar nicht untersetzt war, sondern eher mittelgroß, aber von breiter, kräftiger Gestalt. Seine, für einen Jungen seines Alters, erstaunliche Kraft hatte dazu geführt, daß er Herakles genannt wurde. Er war der Sohn des Kutschers Eilers. Schließlich war da der rothaarige Fritz Maschner, Sohn eines Friseurs, dessen mageres Gesicht von einer großen Anzahl von Sommersprossen geziert war. Er wurde Telamon genannt. Ob aber der Vater des großen Ajax auch rote Haare und Sommersprossen hatte, ist uns leider nicht überliefert. Herakles besuchte die in der Nähe gelegene Volksschule, während Fritz Maschner zur Mittelschule ging.
Der Anführer der kleinen Schar, mit dem zusammen wir ja am Anfang auf den Rest der Gruppe stießen, hieß Rolf Hansen und man hatte ihn, seiner Stellung als Anführer der Argonauten entsprechend, Jason genannt. Der Vater hatte im Erdgeschoß eines großen Hauses eine Kolonialwarenhandlung, in der Rolf manchmal als Botenjunge mithelfen mußte. Auch er war von kräftiger Statur und hatte seinen Mut vor einigen Monaten bei der Rettung eines kleinen Mädchens aus dem damals Hochwasser führenden Fluß bewiesen. Zusammen mit Fritz Maschner besuchte Rolf Hansen die hiesige Mittelschule.
Die Gruppe wurde von den Jungen übrigens nicht Gruppe genannt, eine solche Bezeichnung wäre wohl als Beleidigung angesehen worden, sondern sie war ein Bund. Sie nannten sich der Bund der Argonauten und hatten den Bund auch feierlich durch das eigenhändige Einschneiden in die Hand, das Vermischen und letztendlich Auflecken des gemeinsamen Blutes bekräftigt. Dazu wurde gegenseitige Treue und Verschwiegenheit gelobt. Wahlspruch und höchstes Gebot des Bundes war "Dem Schwachen zum Schutz, dem Starken zum Trutz". Sie waren also Blutsbrüder. Das mit dem eigenhändigen Einschneiden war natürlich auch nicht so einfach gewesen. Theseus war fast und Peleus war wirklich ohnmächtig geworden. Aber geschnitten hatten sie alle und das Blut ‚getrunken' hatten sie auch alle. Orpheus hatte aus der väterlichen Praxis Desinfektions- und Verbandsmittel mitgebracht und verstand sich auch in Erste Hilfe.
Geschehen war das Ganze vor fast einem Jahr im rückwärtigen Teil des Helmerschen Grundstücks. Dort befand sich ein kleines Gebäude dessen unterer Teil dem Kutscher Eilers zur Unterbringung seines Wagens und als Stall für die beiden großen Braunen, zwei schwere Belgier, zur Verfügung stand. Im Dachgeschoß war ein Raum für Heu für die Pferde mit einer großen Luke, die stets offen war und an der eine Leiter die Verbindung zwischen Stall und Heuboden herstellte. Hiervon abgetrennt war noch ein kleiner Raum, den Herr Eilers, der Vater des Herakles, früher als Vorratsraum benutzt hatte. Jetzt befanden sich dort nur noch alte Möbel. Zu erreichen war dieser Raum über eine Treppe an der Seite des Gebäudes. Dieser Raum wurde von den Jungen jetzt als Versammlungsraum benutzt. Herr Helmers, der Hauswirt, hatte die Benutzung eines offenen Feuers des leicht entflammbaren Heues und der Tiere wegen strengstens verboten. Da die Versammlungen aber nur nachmittags stattfanden und genügend Licht durch zwei Dachfenster hereinfiel, ergab sich kein Problem.
Die jungen Argonauten wohnten in verschiedenen Nebenstraßen am Rande des Kerns einer Stadt von etwa 40.000 Einwohnern. Ihr Glück war es, daß an dieser Seite der Stadt vor dem Stadttor gleich die Wiesen und Weiden begannen, während die Umgebung der Stadt an der anderen Seite bereits bis über die alte Stadtgrenze hinaus besiedelt worden war. So war es auch nicht weit für die Jungen, den Wald zu erreichen, an dessen Rand sich der Fluß entlang schlängelte. Hier befand sich die kleine Lichtung, die sie meistens als Treffpunkt außerhalb der Stadt benutzten.
Wie alles begonnen hatte
Es war der Fluß gewesen, der sie zusammengeführt hatte. Dort hatten sich im vorletzten Winter, als der Fluß zum größten Teil zugefroren und nur eine schmale Rinne in der Mitte sichtbar war, Jason und Telamon auf der einen Seite und Herakles und Peleus auf der anderen Seite getroffen. Damals nannten sie sich allerdings noch Rolf und Fritz bzw. Horst und Wolfgang. Gewiß, die jetzigen Argonauten waren sich vorher schon begegnet und kannten sich natürlich, soweit sie im gleichen Haus wohnten, vom Ansehen und einige von ihnen auch von der Schule her, aber sie hatten, mit Ausnahme der beiden sich jetzt gegenüberstehenden Zweiergruppen, noch keinen Kontakt miteinander gehabt. Die meisten hatten sogar noch nie mit den anderen gesprochen.
"Heda, ihr Flaschen, was wollt ihr denn an unserem Fluß?" Das war Wolfgang Helmers, der die beiden am anderen Ufer in Sicht kommenden zur Rede stellte. Rolf Hansen, nicht gewohnt sich von anderen Jungen, selbst wenn sie älter waren, etwas gefallen zu lassen, antwortete gelassen: "Wenn hier einer Ansprüche auf dieses Gebiet stellen kann, dann sind wir es wohl. Außerdem haben wir es gar nicht gerne, wenn uns so ein grüner Junge unaufgefordert anquatscht, und dazu noch so blöde."
Wolfgang war baff erstaunt ob dieser offensichtlichen Frechheit. "Komm, Horst, wollen wir es denen mal zeigen?" Aber der kräftige Horst war gar nicht so enthusiastisch. "Ach, laß die beiden Flaschen doch laufen. Die haben nur eine große Klappe, sonst nichts." Rolf, der vom anderen Ufer dieses Zwiegespräch hören konnte, sagte daraufhin laut genug, daß auch er auf der anderen Seite gehört und verstanden wurde: "Hast du wohl gehört, Fritz, die da drüben haben Schiß. Das war ja aber vorauszusehen, so wie die aussehen."
Die Herausforderung wird angenommen
Da hatte er aber die Rechnung ohne Horst Eilers gemacht. Als der hörte, daß man ihn auch noch verhöhnte, schoß im das Blut in die Wangen und er rief seinem Freund Wolfgang zu: "Komm, denen woll'n wir es jetzt doch mal zeigen, wer hier Schiß hat, oder es jetzt besser haben sollte. Wir geh'n rüber." So leicht war das mit dem Rübergehen aber an dieser Stelle nicht. Sofort tönte denn auch vom anderen Ufer die Stimme von Fritz: "Ihr habt nicht nur Schiß, nein, ihr seid auch ganz schön blöd. Hier kann man ja gar nicht rüber, sonst hätten wir Euch schon längst in die Flucht geschlagen."
Noch wütender betrachtete Horst jetzt das Ufer, das Eis und die Rinne. Es muß gehen, man muß nur genügend Anlauf nehmen und der Absprung muß schnell und darf nicht hart sein. Ziemlich unmöglich, aber gehen muß es. Er ging wie unbeabsichtigt ein paar Schritte zurück. Plötzlich schnellte er vor und rannte über das hartgefrorene Ufer auf den Fluß zu. Trotz seiner etwas schwerfällig aussehenden Figur war er ein guter Läufer. Im Laufen schätzte er noch einmal die notwendigen Schritte ab, während sein Blick auf die schmale Rinne in der Mitte des Flusses fixiert war. Der Fluß war ja nicht sehr breit, so daß von Ufer zu Ufer jeweils zwei oder drei Schritte auf dem Eis und dazwischen der Sprung notwendig waren. Bereits beim zweiten Schritt auf dem Eis fühlte er zu seinem Schreck, daß er dessen Festigkeit überschätzt hatte. Jetzt war es aber zu spät. Der Absprung nach dem dritten kurzen Schritt gelang zwar, doch brach auch gleichzeitig das Eis unter ihm, so daß der erzielte Schwung nicht ausreichte, um ihn aus der Gefahrenzone zu katapultieren.
Bruchteile von Sekunden schwebte er so der anderen Seite entgegen. Dabei war ihm klar, daß sein Abenteuer im Wasser enden würde. Lächerliche zwei Meter hätten genügt. Es würden bei dem Absprung aber wohl nicht viel mehr als ein Meter, vielleicht sogar noch weniger werden. Und dabei sprang er auf dem Sportplatz fast niemals unter fünf Meter. Aber was nützte das jetzt. Sein einziger Vorteil war, daß er bei so einem kleinen Sprung dann auch nicht sehr hart landen würde. Aber auch da hatte er sich verschätzt. Eis ist hart und starr, nicht zu vergleichen mit normalem Gelände, gar nicht zu reden von der Sandkiste auf dem Sportplatz. All das hatte er wohl bedacht und es wäre ja auch gutgegangen, wenn das Eis an den Seiten etwas stärker gewesen wäre.
Er versuchte mit der Hauptlast seines Gewichts auf einem Bein zu landen und sich dabei abzufedern. Obgleich ihm dies auch zum Teil gelang und er sich noch nach vorn werfen konnte, brach das Eis zuerst unter seinem Fuß und dann auch unter dem hart landenden schweren Körper. Im nächsten Moment war er im kalten Wasser. Das Wasser war hier zwar nicht sehr tief, aber es reichte ihm doch fast bis zur Brust.
Rolf und Fritz sahen staunend was passierte. Als klar wurde, daß der andere Junge aus dem eisigen Wasser nicht alleine, oder nur sehr schwer, ans feste Ufer kommen konnte, rief Rolf: "Schnell, Fritz, den großen Ast dort drüben." Während Fritz den Ast heranschleppte, war Rolf bereits vorsichtig vom festen Ufer auf das Eis getreten. Jetzt nahm er den Ast, schob ihn zur Mitte des Flusses vor und legte sich selbst, den Ast umklammernd auf das Eis. "Komm, gib mir deine Hand und halte dich mit der anderen am Ast fest." Es war nicht einfach, dem schweren Horst aus dem Wasser zu helfen. Aber es gelang. Dann standen sich die beiden Knaben gegenüber. Horst lief das kalte Wasser an den Beinen herunter. Rolf zog dem widerstrebenden Gegner die Jacke aus, die naß und eisig war. Schnell riß er sich seine eigene Jacke runter und legte sie um den vor Kälte zitternden Jungen. "Vergessen wir mal, was vorhin war. Du mußt jetzt sofort nach Hause." Horst war bestrebt, sich die fremde Jacke wieder abzustreifen und wollte auf seinen Retter losgehen. Der aber rief: "Wenn du jetzt mit meiner Jacke nach Hause gehst, verspreche ich dir, daß ich bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit bereit bin, das Versäumte nachzuholen. Daß du Mut hast, das hast du ja bewiesen, ob du aber auch der stärkere bist, kannst du dann unter Beweis stellen."
Fritz hatte währenddessen den am anderen Ufer zurückgebliebenen Wolfgang beobachtet. Wolfgang, der zwei Schritte hinter Horst zur Überquerung des Flusses gestartet war, kam am Ufer zu einem abrupten Halt, als er gewahr wurde, daß Horst es nicht schaffen würde. Er sah, was drüben am anderen Ufer passierte. So schnell er konnte lief er am Ufer entlang bis zu einer ihm gut bekannten Stelle. Hier traten die Ufer des Flusses dichter zusammen. Die mittlere Rinne war hier zwar etwas breiter, dafür war aber auf dem Eis auf beiden Seiten nur jeweils ein einziger Schritt notwendig. Er besann sich jetzt nicht lange, sondern rannte noch einmal auf den Fluß zu. Den ersten Schritt setzte er knapp einen Meter vom Ufer auf das Eis und sein Anlauf zog ihn sofort weiter, dem anderen Ufer entgegen. Auch dort traf er wieder auf Eis, das gerade fest genug war, um ihn für den Bruchteil einer Sekunde zu tragen, bevor er sich vornüber dem festen Ufer entgegenwarf. Er landete mit dem Oberkörper auf der Uferböschung liegend. Das Ganze war nur möglich gewesen, das wußte er wohl, weil er viel leichter war als Horst und weil er Zeit gehabt hatte, die günstigste Stelle zu erreichen.
Er rappelte sich wieder hoch und versuchte zu den anderen zu laufen. Aber ganz so reibungslos war die Flußüberquerung auch bei ihm nicht verlaufen. Erst jetzt merkte er, daß er sich am Knie verletzt hatte. Das mußte bei der Landung geschehen sein. So humpelte er denn zu der Stelle, an der die anderen drei immer noch standen. Rolf war noch mit Horst beschäftigt, aber Fritz grinste ihn schadenfroh an. Das war zu viel für Wolfgang. Wütend stürzte er sich, seine Zähne zusammenbeißend, auf Fritz und schrie: "Dir werde ich es zeigen, wer hier über wen lachen kann." Rolf und Horst drehten sich beide abrupt um. Jeder redete auf seinen Freund ein. Horst sagte zu Wolfgang: "Wir sind gerade überein gekommen, den anderen Teil bei der allernächsten Gelegenheit nachzuholen. So halte dich jetzt zurück und laß uns sehen, daß wir möglichst schnell nach Hause kommen." Immer noch zitternd vor Kälte warf er Rolf die trockene Jacke wieder zu, nahm sich seine eigene nasse Jacke vom Boden und rief Rolf zu: "Wie wir besprochen haben, am kommenden Montag zur gleichen Zeit hier am Fluß." Darauf drehten sich die beiden mutigen Überwinder des winterlichen Flusses um und zogen so schnell es ging, der eine immer noch triefend vor Nässe, der andere humpelnd, der elterlichen Wohnung im Helmerschen Haus entgegen.
Bei den beiden Zurückgebliebenen war die Stimmung für Spiele an diesem Nachmittag auch vorbei. Fritz versuchte immer noch, sich über das Mißgeschick der beiden anderen lustig zu machen, aber Rolf sagte nur: "Das hätte uns auch passieren können, wenn man uns so gereizt hätte und wir auch genug Mut gehabt hätten, den Sprung zu wagen." Da Fritz nicht ganz sicher war, ob er sich solch einen Sprung zugetraut hätte, sagte er dann auch nichts mehr.
Erstes Kräftemessen
Am nächsten Montag waren Rolf und Fritz als erste an der Stelle angekommen. Sie hatten sich aber kaum umgesehen, da erschienen auch schon Horst und Wolfgang auf dem schmalen Pfad, der von der Stadt her über die Wiese führte. Alle vier grinsten sich zuerst etwas verlegen an. Dann sagte Horst: "Wie wollen wir es machen, einzeln oder zwei gegen zwei?" "Zwei gegen zwei" sagte Fritz sofort, wurde dann aber überstimmt. Man einigte sich, daß Rolf zuerst mit Horst kämpfen sollte. Anschließend sollten dann die anderen beiden kämpfen.
Beide Jungen entledigten sich ihrer Jacken und krempelten sich trotz der Kälte die Hemdsärmel hoch. Es konnte gerungen und auch geboxt werden. Auf einen Zuruf Rolf's sprangen beide gegeneinander an. Rolf versuchte seinem Gegner gleich einen Haken unters Kinn zu geben, traf aber nur das Ohr von Horst. Da der Schlag offensichtlich geschmerzt hatte, stieß der jetzt wütend eine volle Gerade in Rolf's Gesicht, was prompt die Nase zum Bluten brachte. Wie zwei junge Kampfhähne sprangen sie sich jetzt an. Horst versuchte Rolf auszuheben und niederzuwerfen, was aber mißlang. Jetzt versuchte Rolf, Horst in den Schwitzkasten zu nehmen, wurde aber von diesem dabei hochgehoben und wäre auch hingeworfen worden, wenn Horst nicht gestolpert wäre. Plötzlich waren sie beide am Boden. Erst sah es so aus, als wenn Rolf die Oberhand gewinnen würde, aber dann wendete sich das Blatt. Horst saß auf Rolf's Brust. Der konnte sich nicht mehr bewegen und wartete nur noch auf die den Kampf beendenden Fausthiebe ins Gesicht. Im nächsten Augenblick war Horst auf den Beinen und hielt dem erstaunt hochblickenden Rolf seine Hand entgegen. Blitzschnell durchzuckte es Rolf. Wie vorige Woche, nur da war es umgekehrt gewesen. Noch zögernd ergriff er Horst's Hand, ließ sich dann aber von diesem auf die Beine ziehen.
Wolfgang und Fritz wußten gar nicht, was passiert war. "Warum hast Du ihn denn nicht völlig fertiggemacht?" fragte Wolfgang erstaunt. Horst sagte nur: "Hast du denn nicht gesehen, daß unser Kampf unentschieden ausgegangen ist?" Weder Wolfgang noch Fritz konnten verstehen, was damit nun wieder gemeint war. Aber da die beiden anderen offensichtlich einig waren, sagten sie dann auch weiter nichts. Nun mußten sie beide ja noch gegeneinander kämpfen.
Auf das verabredete Zeichen sprangen sie sich an. Wolfgang wurde beim ersten Zusammenprall beinahe umgeworfen. Doch dann gelang ihm ein Befreiungsschlag. Ein kurzer Hieb, der für Fritzens Nase gedacht war, landete daneben. Er landete aber so unglücklich, daß die linke Augenbraue von Fritz aufplatzte und zu bluten begann. Dieser schlug zwar wütend zurück, konnte aber bald nicht mehr zielen, da sein Gesicht blutverschmiert und die Umgebung des einen Auges bereits stark angeschwollen war. Horst sprang zwischen die beiden Kämpfenden und stoppte den Kampf. Nur widerwillig gaben die beiden sich damit zufrieden. Schließlich einigte man sich aber doch dahingehend, daß auch dieser zweite Kampf unentschieden ausgegangen sei.
Während Rolf's Nase aufgehört hatte zu bluten, sah Fritzens Gesicht furchterregend aus. Unter Benutzung der zur Verfügung stehenden Taschentücher versuchten sie jetzt gemeinsam, die Spuren des Kampfes im Gesicht von Fritz durch das Spülen mit eiskaltem Wasser zu mildern. Sie bekamen es zwar ganz gut hin, nur die schöne bunte Färbung der Augengegend ließ sich nicht vermeiden. Angesichts dieses Schönheitsflecks fiel es Wolfgang ausgesprochen schwer, seine freche Zunge im Zaum zu halten. Lediglich dem wuchtigen Ellenbogen und den bösen Blicken seines Freundes Horst war es zu verdanken, daß der Nachmittag in Eintracht endete. Man verabredete sich wieder für den kommenden Montag.
Am kommenden und an den darauf folgenden Montagen, an denen die vier Jungen sich immer näher kamen und die einstmalige Gegnerschaft bald völlig vergessen war, beschloß man einen Bund zu gründen. Die Idee kam von Rolf, der meinte, daß man dann doch vielmehr gemeinsam unternehmen könne und daß ein Bündnis sie noch enger zusammenschließen würde. Es war Wolfgang, der den Vorschlag machte, doch noch zwei oder auch drei andere Jungen in das geplante Bündnis mit einzubeziehen. Dieser Vorschlag wurde nicht mit sehr viel Enthusiasmus aufgenommen. Rolf hielt es auch für unwahrscheinlich, daß sie so ohne weiteres noch welche finden würden, die mutig, verschwiegen und zuverlässig wären. Doch auch da wußte Wolfgang schon die Antwort. Bei ihnen im Hause wohnten zwei Jungen, die ungefähr gleichaltrig seien. Horst unterbrach ihn jetzt und sagte: "Meinst du Walther und Günther?" Ja, die beiden meinte Wolfgang. "Der Walther geht bei mir in der Klasse und der Günther wohnt seit eh' und je neben uns." "Passen die beiden denn für ein Bündnis?" fragte Horst zweifelnd, "das sind doch zwei wohlbehütete, brave Knaben." Aber Wolfgang war bereit, sich für die beiden zu verbürgen. "Außerdem können wir ja alle noch Mutproben ablegen, als Aufnahmeprüfung."
Rolf hielt sich zurück, da er keinen der beiden kannte. So wurde denn verabredet, daß Wolfgang am nächsten Montag die beiden Kandidaten mitbringen sollte. "Führ' sie uns mal vor" sagte Fritz.
Zwei Neulinge
So kam es denn, daß der Klassenprimus Walther Schwarz bereits am nächsten Tag von seinem Klassenkameraden Wolfgang Helmers vertraulich von dem geplanten Bündnis in Kenntnis gesetzt wurde. Er ließ sich die anderen Knaben schildern und erklärte sich bereit, das mal mit anzusehen. Ähnlich erging es Wolfgang mit seinem Nachbarn Günther. Der verstand zwar nicht, warum man das so feierlich machen mußte, war aber auch bereit am nächsten Montag mitzukommen.
Am Montag waren die anderen drei schon am verabredeten Platz, als Wolfgang mit den beiden Neuen in Sicht kam. "Mensch, sonne kluge Brillenschleiche paßt doch bestimmt nicht zu uns" konnte sich Rolf nicht verkneifen zu sagen, als er Walther sah. Da aber sagte Horst: "Täusch dich in Walther nicht, den kenne ich auch ein bißchen. Der ist nicht so, wie du meinst." Dann waren die drei aber schon da und wurden durch Handschlag begrüßt. Wolfgang sagte zuerst die Namen der Neuen, um dann auch die Namen der drei anderen zu nennen. Horst kannte ja Walther und auch Günther, da sie seit vielen Jahren im selben Haus wohnten. Seit sie aber auf andere Schulen gingen und die Familien des Dr.Schwarz und des Herrn Möller nichts mit der Familie des Kutschers Eilers gemein hatten, außer daß sie im gleichen Haus wohnten, hatten auch die Kinder seit Jahren kaum miteinander gesprochen. Rolf und Fritz, denen die beiden zwar vom Ansehen bekannt, sonst aber unbeschriebene Blätter waren, verhielten sich, eingedenk dessen was Horst über diesen Walther gesagt hatte, neutral. Man werde ja sehen.
Rolf machte den Vorschlag, an einer besonders schmalen Stelle des Flusses einen großen Ast von Ufer zu Ufer zu legen, um zur Lichtung auf der anderen Seite zu gelangen. Dieser Vorschlag fand allgemeine Zustimmung. Gesagt, getan. Schon war Rolf über einen langen kräftigen Ast, den sie zusammen aufgerichtet und dann zum anderen Ufer zu umgekippt hatten, geklettert und Walther wurde als zweiter drüben erwartet. Auch er konnte ohne Schwierigkeiten über den Ast das gegenüberliegende Ufer erreichen. Dann war Fritz an der Reihe. Die anderen beiden hatten sich unterwegs an zwei Gabeln des Astes festgehalten. Fritz meinte aber, daß er das andere Ufer auch freihändig erreichen könne und blieb auch trotz Warnungen von beiden Ufern stur. Über der Mitte des Flusses balancierend stieß er mit einem Fuß gegen einen dicken Zweig, den er nicht beachtet hatte. Er versuchte zwar jetzt noch die nächste der beiden hochstehenden Gabeln zu erreichen, verlor aber das Gleichgewicht und fiel unter dem Gejohle der anderen ins Wasser.
Walther, vom Verhalten des Balancekünstlers so etwas Ähnliches voraussehend, war im nächsten Augenblick bereits über Fritz und zog ihn heraus. Rolf, der Sekunden nach ihm herankam, half ihm dabei. Da man sich hierdurch jedoch nicht den Nachmittag verderben lassen wollte, wurde Fritz nach Hause geschickt. Im wahrsten Sinne "wie ein begossener Pudel" zog Fritz daraufhin allein zurück zur Stadt, während der Rest der Jungen, nachdem alle anderen erfolgreich den Fluß überquert hatten, weiter zur Lichtung zog.
Die große Eiche
Auf der Lichtung angekommen, schlug Rolf vor, daß sie alle zusammen die große Eiche in der Mitte der Lichtung erklettern könnten. Dieser Vorschlag erhielt allgemeine Zustimmung. Da der unterste der Äste von keinem der Jungen ohne Hilfe erreicht werden konnte, hoben Horst und Rolf Wolfgang so hoch, daß er bequem den dicken Ast ergreifen und sich auch auf dem Bauche liegend dort oben halten konnte. Nun war es ein leichtes für ihn sich aufzurichten und den nächsten Ast zu erreichen. Als nächster kam Walther und dann Günther an die Reihe. Als auch die beiden gut oben angelangt waren, stieg Rolf zuerst in die vor dem Bauch gefalteten Hände und dann auf die Schultern von Horst. Es war nicht schwer für ihn sich nun auf den Ast zu schwingen. Doch nun wurde es schwierig. Horst, der schwerste von den Fünfen, war jetzt alleine unten übriggeblieben. Rolf und Horst hatten die weitere Vorgehensweise aber schon geplant.
Während Walther und Günther vorsichtig weiterkletterten, war Wolfgang auf den untersten Ast zurückgekehrt und lag nun bäuchlings, sich mit den Beinen in den dickeren Zweigen absichernd, neben Rolf. Beide streckten ihre Arme soweit sie konnten nach unten. Auf Rolf's Zuruf machte Horst einen Satz und streckte gleichzeitig beide Arme nach oben. Rolf und Wolfgang konnten zwar jeder einen Arm ergreifen, wären aber, hätten sie nicht wieder losgelassen, durch das Gewicht von Horst mit hinuntergerissen worden. So schwierig hatten sie sich das doch nicht vorgestellt.
Nach kurzer Beratung schlang Rolf seine Beine um eine Astgabel, die das Gewicht von zwei Jungen wohl halten konnte, und ließ seinen ganzen Körper vornüber nach unten hängen. Jetzt wurde Horst aufgefordert in die gefalteten Hände von Rolf zu steigen. Aber auch das mißlang, da er die Arme von Rolf immer nach vorne wegdrückte. Letztendlich klappte es erst, als Rolf sich, zusätzlich abgesichert von Wolfgang, rückwärts nach unten hängen ließ. Jetzt hatte er Horst vor sich und konnte auch seine Arme entsprechend als Tritt halten. So waren sie denn auch bald alle oben im Baum. Rolf's Beine sahen zwar etwas zerschunden aus, aber er sagte, daß er es kaum merke.
Die anderen beiden hatten drei Meter höher gewartet und zugesehen, was sich unten tat. Jetzt ließen sie Rolf, der bereits einmal auf diesem Baum gewesen war, den Vortritt. Damals hatte er sich extra ein Seil zum Klettern mitgebracht und es war viel leichter gegangen, obgleich er alleine gewesen war. Daran sollte man das nächste Mal auch wieder denken. Leider aber wußte man ja vorher nie genau, was man an so einem Nachmittag alles anstellen würde. Er konnte sich erinnern, daß nur auf einer Seite der großen Gabelung, die jetzt vor ihnen war, der Stamm ausreichend feste Zweige zum sicheren Klettern hatte. So stieg er denn langsam weiter nach oben. Hinter ihm kletterten Walther und Günther, dann Wolfgang und am Ende Horst. Jetzt waren sie schon so hoch, daß sie einen guten Blick über das ganze Gelände bis zur Stadt hatten. Zur anderen Seite zu, hinter ihnen, sahen sie nur gegen die Wipfel des hier beginnenden Waldes. Rolf beabsichtigte hoch genug zu klettern, daß er auch über den Wald hinwegsehen könnte. Möglich müßte das wohl sein, dachte er, denn diese Eiche war der höchste Baum weit und breit. Er kam jedoch bald dahin, wo der dünner werdende Stamm anfing, beängstigend zu schwanken. Ein Blick nach unten zeigte ihm, daß Walther noch dicht hinter, bzw. unter ihm war, während die anderen weit zurückblieben.
"Günther wurde es etwas schwindelig, darum sind die anderen beiden noch bei ihm" erklärte Walther. "An deiner Stelle würde ich nicht weiter geh'n, der Stamm wird zu dünn für dich, zumal in dieser Höhe." Als Rolf ihm dann erklärte, daß er beabsichtigt hatte, über den Wald hinwegzublicken, sagte er: "Laß mich mal vorbei, ich bin bedeutend leichter als du. Vielleicht gelingt es mir noch höher zu kommen." Vorsichtig umkletterte er Rolf, kam dann aber auch nicht viel weiter. Zwei Meter höher war es auch für ihn zu Ende. "Ich kann jetzt zwar über die meisten Bäume des Waldes blicken, es sind aber doch zu viele höhere Bäume da, die den weiteren Blick versperren." "Dann laß uns umkehren" rief Rolf. Einige Minuten später waren Rolf und Walther wieder bei den anderen.
Der Abstieg dauerte etwas länger als der Aufstieg, weil man den Platz für den nächsten Tritt nicht wie beim Aufstieg vor Augen hatte, sondern unter sich suchen mußte. Vom untersten Ast sprangen alle auf den weichen Boden.
Rolf, der Walther und Günther während des Nachmittags beobachtet hatte, fragte als ersten Horst, der mit ihm zusammen etwas abseits stand: "Was meinst du, könnten wir die beiden bei uns gebrauchen?" "Ich glaube schon. Ich kenne beide ja bereits seit einigen Jahren. Heute Nachmittag hat es mir mit ihnen Spaß gemacht. Ich glaube, die sind in Ordnung." Jetzt wandte Rolf sich an Walther: "Hast du dir mal überlegt, ob du Lust hättest, mit uns zusammen einen Bund zu gründen?" "Ich hab' mir das durch den Kopf gehen lassen." Sagte Walther. "Nach diesem Nachmittag kann ich aber nur sagen, daß ich schon Lust hätte, öfter mit Euch zusammen zu sein." Zufrieden sagte Rolf daraufhin: " Schön, das freut mich zu hören." Und sich an Günther wendend, fragte er diesen: "Wie steht es mit dir, Günther, willst du auch weiter bei uns mitmachen?" Statt Günther antwortete Wolfgang: "Ich habe gerade mit Günther darüber gesprochen und er sagt, der Nachmittag mit uns hätte ihm sehr gut gefallen und er würde gerne weiter mitmachen." Günther nickte hierbei zustimmend.
"Prima" sagte daraufhin Rolf, "wann und wo treffen wir uns denn das nächste Mal?" "Ich hätte da einen Vorschlag zu machen. Ich weiß zwar, daß ich noch zu neu bei euch bin, um Vorschläge zu machen, aber vielleicht gefällt er euch." "Na, Günther, dann man raus mit der Sprache." Gespannt lauschten sie alle auf Günthers Vorschlag.
"Mein Vater hat ein Boot, weiter unten am Fluß, wo er doppelt so breit ist wie hier und wo die kleine Anlegestelle ist. Vielleicht könnten wir uns ja da treffen, und etwas mit dem Boot herumfahren?" "Was ist das denn für ein Boot?" wollte jetzt Horst wissen. "Ach, es ist nur ein großes Ruderboot, hat aber bestimmt genug Platz für uns sechs. Mein Vater benutzte es früher, um vom Boot aus zu angeln. Jetzt braucht er es schon seit langem nicht mehr." "Klingt gut" sagte Rolf und alle anderen stimmten ihm bei. So einigte man sich denn, auf nächsten Montag um zwei Uhr an der kleinen Anlegestelle, die allen bekannt war.
Griechische Helden und die Argo
Diesmal war Günther zuerst zur Stelle, um sicherheitshalber das Boot vorher noch mal in Augenschein zu nehmen. Er war schon seit Monaten nicht mehr hier gewesen. Als Fritz und Rolf dann auftauchten, war er gerade dabei mit einer alten Blechdose das eingedrungene Wasser rauszuschöpfen. "Is wohl sonne Art U-Boot, was?" sagte Fritz. Rolf aber sah sofort, daß es sich bei dem Wasser nur um die normale Menge handelte, die man bei einem alten Holzboot erwarten mußte. "Wann hast du das denn das letzte Mal gemacht?" fragte er daher nur. "Das muß irgendwann im Frühling gewesen sein. Also etwa zwei Monate her" sagte Günther erklärend und suchte in Rolf's Gesicht nach eventueller Kritik. Aber Rolf sprang ins Boot, nahm die andere dort liegende Büchse und beteiligte sich am Schöpfen. "Das sieht ja alles doch ganz gut aus, das bißchen Wasser werden wir gleich haben." Günther war sichtlich erleichtert, daß Rolf das Boot gefiel. Dann würde es den anderen auch gefallen.
Minuten später trafen die anderen drei ein. Da sie ja im selben Haus wohnten, hatten sie sich dort bereits getroffen. "Kommt mir vor wie die Arche Noah" rief Horst. "Nein," sagte Walther, "dafür ist es wohl doch zu klein. Aber mit etwas Phantasie könnte man es ‚Argo' nennen." "Was heißt hier Argo?" wollte Fritz wissen. Wolfgang, der den Gedanken begeistert aufgriff, mußte dann für diejenigen, denen die Argo kein Begriff war, die Argonauten-Sage im Telegrammstil erklären.
"Also das war so" begann er. "Vor etwa dreieinhalbtausend Jahren, noch vor Troja, von dem ihr ja vielleicht gehört habt, bestieg eine Reihe von griechischen Helden ein Boot namens Argo, um dem Anführer Jason bei einem Abenteuer zu helfen. Das Boot Argo war zwar um einiges größer als unsere Argo hier, aber das macht ja nichts. Aus diesem einen Abenteuer wurden dann unterwegs mehrere, bei denen sie sich bewähren mußten. Diese Helden sind als die Argonauten bekannt." "Klingt ja toll, wir als alte Griechen. Hatten die denn auch Namen, außer diesem Jason?" fragte Horst.
Wolfgang, der die Sagen der alten Griechen liebte, war nur zu gerne bereit mehr darüber zu erzählen. "Außer Jason, dem Anführer, waren da unter anderem noch der starke Herakles, dann Peleus, der Vater des Achilles, und Telamon, der Vater des Großen Ajax. Ferner waren da noch Orpheus, der wundervolle Sänger, und Theseus, der spätere König von Athen, und natürlich auch noch andere."
"Ist ja toll, das waren gerade sechs. Das reicht ja. Wie wäre es denn, wenn wir uns entsprechende Namen geben würden?" fragte Fritz eifrig. "Ja, das bietet sich direkt an" fiel jetzt auch Walther ein. "Rolf wäre dann der Jason, da er ja hoffentlich auch weiterhin gewillt ist, unser Anführer zu sein. Herakles könnte natürlich nur der starke Horst sein. Peleus könnte dann mein Klassenkamerad Wolfgang sein, von dem ich gar nicht wußte, daß er die Geschichten der alten Griechen so gut im Kopf hat und .." - aber bevor er weitersprechen konnte, fiel Wolfgang ihm ins Wort: "Wenn ich Peleus sein soll, dann mußt du aber der große Sänger Orpheus sein."
"Nun hört aber mal auf. Geht das nicht ein bißchen zu weit? Ich weiß auch nicht, ob ich weiterhin der Anführer sein möchte" meinte jetzt Rolf. Da war man im Kreis jedoch anderer Meinung. Horst nahm jetzt das Wort: "Ich finde die Idee von Walther gar nicht so schlecht. Daß Rolf auch weiterhin unser Anführer sein muß, dürfte doch wohl klar sein. Schließlich hatte er ja auch die Idee mit dem Bund. Und warum sollten wir uns keine solchen Namen geben, durch die nur wir uns dann identifizieren können. Mit dem Herakles, das weiß ich nicht. Wenn ihr aber meint, mache ich auch da mit. Wolfgang muß mir nur sein Buch, in dem das alles beschrieben steht, mal leihen, damit auch ich etwas darüber weiß."
Das fand zwar die Zustimmung der bisher genannten, nur Fritz und Günther hielten sich etwas zurück. "Was ist denn jetzt mit euch beiden?" wollte Wolfgang wissen. "Habt ihr keine rechte Lust dazu?" "Das schon, aber ihr habt euch schon große Namen gegeben, so daß für uns nicht mehr viel übrig bleibt." sagte Günther.
"Warte mal," rief da Walther, "meinst du im Ernst, daß Theseus, der König von Athen, und Telamon, König von Salamis und Bruder des Peleus, schlechter sind als die anderen? Ich will gerne mit einem von euch tauschen."
"So war es ja auch wieder nicht gemeint. Das kam nur alles so plötzlich. Ich habe zwar von den Argonauten schon einmal gehört oder gelesen, ich muß aber zugeben, daß ich mir nicht mehr viel darunter vorstellen konnte. Es wird wohl notwendig sein, daß wir alle diese Argonauten-Sage lesen, damit wir uns dann auch etwas mit den einzelnen Helden identifizieren können." Dieser Vorschlag von Günther wurde bereitwillig aufgegriffen. Man einigte sich dann auch darauf, daß Fritz den Namen Theseus und Günther den des Telamon erhalten sollte.
Das Bündnis
Jetzt hatte Rolf aber noch einen Einwand. "Wenn ihr euch schon alle einig seid, dann möchte ich vorschlagen, daß die Gründung unseres Bundes und die Namensgebung nicht hier an der Uferböschung, sondern mit einer kleinen Zeremonie verbunden werden. Wir könnten das zum Beispiel in einem Keller bei uns oder auch irgendwo bei euch in eurem Haus machen."
"Ich hab' da eine Idee" sagte jetzt Wolfgang. "Bei uns auf dem Grundstück haben wir hinten ein Gebäude, in dem der Vater von Horst seinen Wagen und die Pferde unterbringt. Da ist noch ein kleiner Raum, der jetzt eigentlich nicht benutzt wird. Ich bin sicher, daß mein Vater uns erlaubt, dort etwas für uns herzurichten. Einen alten Tisch und mindestens sechs Stühle sollten wir dort auch finden. Wir dürfen nur keinerlei offenes Feuer, zum Beispiel Kerzen, dort benutzen, wegen des im Nebenraum befindlichen Heus und wegen der Pferde. Wir wollen unsere Versammlungen ja aber nur am Nachmittag abhalten."
Das fanden alle gut und so wurde denn ein Tag in der kommenden Woche festgelegt. Fritz machte dann noch den Vorschlag, eine Blutsbrüderschaft einzugehen. Diesem Vorschlag wurde erst zugestimmt, als Walther zusagte Desinfektionsmittel und Verbandszeug aus der Praxis seines Vaters mitzubringen.
An diesem Nachmittag wurde das Boot erst einmal von allen eingehend begutachtet und man beriet, was man für eine Fahrt auf dem Fluß noch benötigte. Heute begnügten sich alle damit, sich auf die Plätze zu verteilen und über die geplante erste Fahrt der Argo zu sprechen. Aus der Gruppe der sechs Jungen war damit der Bund der Argonauten, bestehend aus Jason (Rolf), Herakles (Horst), Peleus (Wolfgang), Orpheus (Walther), Telamon (Günther) und Theseus (Fritz) geworden.
Bei ihrem nächsten Treffen hatten sie das Bündnis dann bereits mit ihrem Blut besiegelt. Jeder von ihnen hatte inzwischen die Argonauten-Sage gelesen und war stolz auf seinen neuen Namen, dem er Ehre zu machen gedachte.....