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Jump the shark
David wollte gerade die letzte Bahn pflügen, als Isa ihm von der Hintertür aus zurief: „Wie lange dauert das denn noch? Es könnte jeden Moment anfangen.“
Er hielt die Maschine an und sprang aus der Fahrerkabine. Seine Füße landeten auf der frisch aufgewühlten Erde. Am Gewächshaus vorbei hastete er zum Hintereingang und riss sich die Stiefel von den Füßen. Er überlegte einen Augenblick, ob er nicht besser die Tür abschließen sollte, aber dann ließ er es bleiben und rannte so schnell wie möglich in das Wohnzimmer.
„Da bist du ja endlich“, sagte Isa. Sie, Thomas und Enrico saßen schon auf der Couch und Holger -wie immer- auf dem Boden. David bemerkte, dass sie zwar bereits ihre Helme aufgesetzt hatten (bis auf Holger), aber die Steckplätze am Emoview-Fernsehgerät noch frei waren.
„Eine Unwetterwarnung für die südlichen Distrikte“, sagte Holger, während David seinen eigenen Helm aufsetzte. „Wir haben noch zehn Minuten Zeit bis es losgeht und ihr könnt noch die Charaktere zuordnen, falls ihr wollt.“
Ab und zu, dachte er, bringt so ein Sandsturm auch mal was Gutes mit sich.
„Ich verstehe dich nicht“, sagte Isa zu Holger. „Wir haben fünf Steckplätze am Fernseher und trotzdem sind jedes Mal nur vier belegt, weil du nicht mitmachst. Wozu bezahlen wir denn für Emoview wenn wir es nicht voll auslasten?“
„Genau“, sagte Thomas. „was hast du eigentlich von diesen Kritzeleien, die du immer machst? Du weißt gar nicht, was dir da entgeht.“
Und nun schalten wir noch schnell zu Pascal Birnbaum, sagte der Nachrichtensprecher, der für uns vor Ort in Neu-Nürnberg zugeschaltet ist…aber auch wenn es Sie nicht persönlich betreffen sollte: nicht wegschalten, denn gleich danach gibt’s wieder eine neue Folge von Circle of Five!
„Was ich davon habe? Also erstens“, sagte Holger mit Nachdruck, „sind das keine Kritzeleien, sondern Statistiken und zweitens weiß ich, was mir entgeht, wenn ich es nicht machen würde.“
Holger war ein so genannter ‚Shipper’. Er führte Buch (falls man das überhaupt so nennen konnte) über die romantischen Beziehungen zwischen den Charakteren und erstellte Prognosen für den weiteren Verlauf der Serie. Außerdem schrieb er Fanfiction für eine der zigmillionen Circle-Fanseiten im Internet. Aber David konnte sich einfach nicht vorstellen, wieso er dafür auf das Erlebnis verzichtete, dass so gut wie alle Marskolonisten jeden Abend aufs Neue teilten. Schließlich kratzte Holger auf diesem Weg doch noch nicht einmal die Oberfläche der Gefühlswelten an, in die man mit Emoview eintauchen konnte. Die totale Identifikation mit den Charakteren der Serie konnte man nur erreichen, indem man auch ihre Empfindungen teilte. Aber das hatte er Holger schon etliche Male eintrichtern wollen. Immer kam er dann mit seinen merkwürdigen Shipper-Argumenten an. Keine Chance.
Was soll’s, dachte er, dann ist halt immer ein Helm für die Katze übrig. Vorausgesetzt, dass- …ob es bei Tieren auch funktioniert?
„Ich nehme wieder Louise“, meinte Isa und Holger stöpselte den Stecker ihres Helms an den Fernseher an.
„Und ich wollte eigentlich Peter nehmen“, sagte Enrico, „aber da müssen wir uns wohl erst wieder kloppen.“ Er sah David an.
“Stimmt. Ich nehme Kopf“, sagte er und Holger warf daraufhin eine Münze.
„Zahl.“
„Verdammter Mist“, klagte David. Gerade heute, wo Peter sich an Louise ranmachen wird (wenn er der Programmzeitschrift Glauben schenken konnte), musste Rico ihm seinen Lieblingscharakter wegschnappen.
„Also gut, dann muss ich mich wohl heute mal mit Nelson begnügen.“
„Tja, Tommy“, sagte Holger, „dann entscheide dich mal zwischen Ted und Amber.“ Er lachte und schloss die restlichen Stecker an.
David überlegte, warum Holger nicht abgewartet hatte, wie Tommy sich entscheiden würde, sah aber gleichzeitig ein, dass das unnötig gewesen wäre. Schließlich wäre er gar nicht mit der Flut an weiblichen Gefühlen zurechtkommen, hätte er sich für Amber entschieden. Oder etwa doch? Er fragte sich, wie das wohl wäre, wenn er nicht an Nelsons, sondern an den Steckplatz für Amber angeschlossen wäre.
Aber er würde es trotzdem nie ausprobieren. Denn im schlechtesten Fall müsste er ja eine ganze Episode dafür opfern, in der er nicht Peter oder Nelson nachempfinden konnte.
Er lehnte sich zurück.
Sehen Sie nun eine neue Folge von „Circle of Five“. Mars 2…mit dem Zweiten fühlt man besser.
Ja, und mit den Dritten kaut man besser, dachte David.
„Circle of Five“ wird ihnen präsentiert von… „Steich“ - die Schokolade für das Subproletariat.
Nun kam, wie immer, ein Rückblick auf die wichtigsten Ereignisse der vergangenen Episoden. Was diesmal besonders lange dauerte, denn diese Folge war die erste einer neuen Staffel.
Nun sind wir also an dem Punkt der Serie angelangt, wo die Rückblicke mehr Zeit verschlingen, als die Episoden selbst, stellte er entnervt fest.
„Ich habe doch nicht eine Woche gewartet, nur um dann Rückblenden zu sehen“, sagte David.
„Pssst“, meinte Thomas und stieß ihn mit seinem Ellenbogen in die Rippen, „gleich geht’s los.“
David kam zu dem Schluss, dass die Serie momentan das Einzige war, was das Leben in der Kolonie für ihn überhaupt erträglich machte. Vor allem, da Alkohol und andere Drogen auf dem Mars unerschwinglich waren. Bis solche Stoffe nicht mehr von der Erde importiert werden müssen, können noch zehn oder fünfzehn Jahre vergehen, erkannte er. Daher blieb nur das Emoview mit „Circle of Five“ um sich von der tristen Arbeit auf dem Feld zu erholen. Das galt zumindest für ihn. Die Anderen arbeiteten alle in den Lebensmittel-Fabriken nahe der Stadt.
Konnte man davon süchtig werden, grübelte er, als die Titelmusik abgespielt wurde. Bisher hatte er sich darüber noch keine Gedanken gemacht. Der Techniker, der das Gerät vor einem halben Jahr installiert hatte, wies zwar darauf hin, dass in sehr wenigen Fällen epileptische Anfälle auftreten könnten, aber erwähnte sonst keine weiteren Nebenwirkungen.
„Ich bin so aufgeregt“, sagte Isa.
Ein großer Saal in einer Villa. Eine Party. Viele Leute. Peter kämpfte sich durch die Menschenmenge auf Louise zu. Sie lehnte an einer Säule und als sie ihn bemerkte, drehte sie sich rasch weg.
„Hi, Louise.“ Sie beachtete ihn nicht, aber Peter schien das egal zu sein.
„Hey, ich…ich weiß, es ist lange her, aber…willst du mit mir schlafen. Jetzt gleich.“ Das hatte sie nicht erwartet. Peter hatte sie damit vollkommen überrumpelt. Man sah, dass sie verwirrt war, aber gleichzeitig konnte man in einer Großaufnahme ihrer Augen ihr Verlangen erkennen. Durch seine Frage hatte Peter gleich mehrere Stufen des Annäherungsprozesses übersprungen und war gleich zum entscheidenden Punkt gekommen. Nun war es ihre Entscheidung. Was würde sie tun? Würde sie ihm eine scheuern? Natürlich nicht! Der Zuschauer, der alle vierhundertzwanzig Staffeln von „Circle of Five“ gesehen hat, weiß ganz genau, was sie sagen wird. Nämlich:
„Ich kenne einen Ort, wo uns niemand sieht.“
Sie gingen die Treppe hinauf in ein Zimmer dessen Tür zufällig offen stand. Die Tür schloss sich und die Kamera zeigte nun das Schlüsselloch, fuhr dichter heran. Man sah nur für eine Sekunde Louises nackten Oberkörper, dann wechselte der Schauplatz in ein Schnellrestaurant. Unten wurden die Zeit und die Buchstaben „BTS“ eingeblendet. Es waren zehn Minuten zur letzten Szene vergangen.
„Schnell, schnell, schnell!“, schrie Isa aufgeregt, „Das Behind-the-Scenes Modul. Los, Holger, steck es in den Fernseher!“
Enrico sah, in Anbetracht der Tatsache, dass sie zuerst gefragt hatte, etwas enttäuscht nach David, der wiederum mit den Schultern zuckte. Wie ein Einbeiniger bei einem Arschtritt-Wettbewerb, dachte er, genau so muss sich Enrico jetzt fühlen. Er hatte Peter bekommen, ja, aber Sex mit ihm, oder besser gesagt die Empfindungen, bekam letztendlich nur Isa. Wer ist jetzt eigentlich beschissener dran, unterbrach er seinen komplizierten Gedankengang, ich oder Rico?
„Ja, ich mach ja schon…“, sagte Holger und unterbrach seine Arbeit. David bemerkte, dass er unglaublich konzentriert und angestrengt aussah. Mein Gott, dachte er, lehn dich doch einfach mal zurück und setz deinen Helm auf, wie alle anderen auch. Wie ein normaler Marskolonist.
„Von wegen‚ ‚ich mach ja schon’“, keifte Isa. „Ehe du fertig bist, sind die beiden schon viermal beim Höhepunkt angekommen.“ Sie konnte sich gar nicht wieder beruhigen.
„Oder die nächste Szene spielt an einem anderen Tag“, warf Rico ein, „Dann kannst du das BTS auch nicht mehr einsetzen.“
„Gib ihr schon ihren Orgasmus, Holger. Ich denke Sie hat es verdient“, meinte David rücksichtsvoll. Dabei dachte er an die zwei Sexszenen, die er vor zwei Wochen hatte und die Soft-Core Szene, bei der er das Modul natürlich nicht brauchte. Enrico hätte ihm damals beinahe erwürgt.
Holger fand endlich die klobige Steckkarte und schob sie in einen Schacht an der Seite des Fernsehers. Im Menü wählte er jetzt aus, welche Szene er gerne fortführen möchte und an welche Person die Emoview-Gefühle übertragen werden sollten. Er wählte die eben vergangene Sexszene mit Peter und Louise aus und bestätigte Steckplatz eins.
Isa lümmelte sich auf der Couch hin und her. Stöhnte. Keuchte. Schwitzte.
„Ja-ja-ja-ja-ja-ja….jaaaaa-ah.“
„Ich habe so ein Gefühl“, sagte Enrico zu Holger, „dass du das Modul genau im richtigen Moment aktiviert hast.“
Nach einem kurzen Intermezzo mit Ted und einem völlig unwichtigen Nebencharakter zeigte man nun wieder Louise und Peter. Sie wollten gerade wieder den Raum verlassen, in dem sie es vor ein paar Minuten noch miteinander getrieben hatten, als sie Nelson vor der Tür bemerkten.
„Ich habe alles mitbekommen!“, sagte Nelson entrüstet.
„Nelson. Oh mein Gott! Nelson…Schatz. Es ist nicht so, wie du denkst…“
„Doch, Louise. Es ist so, wie ich denke…wie ich immer dachte! Jetzt habe ich endlich Gewissheit.“
Die simulierten Emoview-Gefühle kamen immer etwas verzögert an, doch nun fühlte auch David den Zorn, die Raserei, die Nelson gerade erleben musste. Aber irgendwie hinterließ es diesmal einen schalen Beigeschmack bei ihm und hatte nicht die erregende Wirkung, wie sonst immer. Irgendwie stimmte die Reaktion des Nelson-Darstellers nicht mit den Emotionen, die übermittelt worden, überein. Das ist das erste Mal, dass ich nicht mit den Schauspielern zufrieden bin, stellte er überrascht fest. Generell wirkten die Darsteller auf ihn in dieser Folge ziemlich hölzern. Aber letztendlich waren es die Gefühle, die zählten.
Muss wohl ein schlechter Tag am Set gewesen sein, nahm er an.
„Wollen wir das gleich hier klären oder gehen wir an die frische Luft?“, fragte Peter.
„Frische Luft kannst du haben“, erwiderte Nelson und schlug ihm mit der Handfläche ins Gesicht. Peter prallte gegen die Wand und fiel wie ein nasser Sack auf den Boden.
„Neiiin! Was hast du getan?“, sie kniete sich neben Peter.
„Ich habe ihn K.O. geschlagen. Hält nicht viel aus, dein neuer Freund, was?“
„Ich hasse dich…ich hasse diiiiich!“, sie fing an zu heulen.
Wird fortgesetzt…
„Das war grauenhaft“, sagte Thomas. „Völlig unglaubwürdig. Nicht nur die Schauspieler werden immer schlechter, sondern auch die Drehbücher.“
„Ich fand’s auch nicht gerade berauschend“, meinte David.
„Ich schon…“, sagte Isa und wischte sich den restlichen Schweiß von der Stirn.
„Ach, hör auf“, brachte Enrico hervor. „Nächstes Mal bin ich schneller. Es ist so unfair, dass wir nur eine Behind the Scenes-Karte haben dürfen. Scheiß UNO.“ David sah ihm dabei zu, wie er den kleinen Joghurtbecher wegstellte, in den er ejakuliert hätte, falls er statt Isa Behind-the-Scenes gegangen wäre. Rico dachte glücklicherweise immer einen Schritt voraus, auch wenn ein Taschentuch beispielsweise noch besser wäre, als ein Joghurtbecher.
Aber musste man ihn denn immer rausholen? David hatte das jedenfalls nicht nötig. Nicht, weil seiner zu klein war, nein: einfach aus Prinzip! Er kam zu dem Schluss, dass die anderen (minus Holger) das nur taten um Eindruck auf Isa zu machen. Aber woher wussten die denn, dass ausgerechnet sie eine von den Frauen ist, die darauf stehen?
„Aber mal ehrlich“, meinte David um von seinen abwegigen Gedanken loszukommen, „Irgendwas hat heute nicht gepasst.“
„Na ja. Diese Serie läuft nun immerhin schon über zwanzig Jahre“, warf Thomas ein. „Irgendwann…passiert so was einfach.“ Er wusste anscheinend nicht, wie er es formulieren sollte und fuchtelte sinnlos mit den Armen herum.
„Ja, ich fürchte jetzt ist es soweit.“, bemerkte Enrico.
„Was ist soweit? Wird die Serie jetzt abgesetzt?“, fragte Isa etwas ängstlich.
Enrico schüttelte den Kopf: „Natürlich nicht. Ich meine, dass wir jetzt diesen Punkt erreicht haben, wo es mit der Serie nur noch abwärts geht. Es gibt sogar einen bestimmten Ausdruck, eine englische Redewendung dafür, aber ich komme gerade nicht drauf. Irgendwas mit Haien. Shark…catch the shark oder…na, ist ja auch egal, jedenfalls könnte das jetzt auch mit „Circle“ passieren.“
„Es ist noch viel schlimmer Leute“, sagte Holger bedrückt und zerknüllte das Blatt Papier, auf dem er sich während der Episode Notizen gemacht hatte, die bei näherer Betrachtung eigentlich nur Strichmännchen waren. Die anderen sahen ihn erschrocken an.
„Vor der Sendung hab ich einen Newsletter von der Fanseite bekommen, für die ich Fanfiction schreibe. Ich wollte es erst nicht glauben, also hab ich noch etwas abgewartet.“
Das ist typisch Holger, dachte David, immer muss er einen auf die Folter spannen. Sag uns doch einfach was los ist, Mann.
Holger fuhr sich durch sein wirres Haar und fuhr fort: „Ich dachte, ihr würdet es auch merken, aber das war nicht so. Wahrscheinlich überlagern die Emoview-Reize die optische Wahrnehmung so, dass sie vom Gehirn vorrangig verarbeitet werden und sogar das Logische Denken blockieren.“ Er rief das Menü des Fernsehers auf und wählte die Wiederholung der Episode aus.
David versuchte vergeblich, zu erraten, worauf Holger hinaus wollte. Natürlich ist man während einer Emoview-Übertragung auf die übermittelten Gefühle fokussiert, aber er war doch nicht blind. Wenn hier jemanden etwas entgeht, schlussfolgerte er, dann Holger. Aber auf der anderen Seite, würde es eine völlig andere Erfahrung sein, Circle mal wieder ohne die Helme zu sehen.
Die Aufzeichnung der Episode wurde abgespielt. Holger spulte bis zu der Szene, wo sich Nelson mit Peter versöhnt.
„Seht ihr’s jetzt?“
Es stach ihm regelrecht in die Augen. Die hölzernen Bewegungen, die monotone Sprechweise, der tote Blick und vor allem die asynchronen Lippenbewegungen. Klar, es war eine deutsche Serie, aber trotzdem… sie wurde auf amerikanischem Niveau produziert.
Es ist so offensichtlich, bemerkte er, und doch haben wir es nicht bemerkt.
„Es sind Computeranimationen. Keiner der Schauspieler ist echt“, sagte Holger.
Isa stolperte verwirrt zum Fernseher, rutschte so nah an die Bildröhre, wie sie konnte.
„Das kann nicht sein“, sagte sie unnachgiebig, „ich meine, wieso sollten die plötzlich alle Schauspieler gegen diese billigen Imitationen austauschen? Das käme doch sowieso irgendwann raus.“
„Vielleicht, weil sie die Gagen einsparen wollten, um bald einen Spin-Off zu produzieren“, antwortete David.
„Oh, das wäre cool.“, meinte Thomas, „Aber um beim Thema zu bleiben: Wieso das alles? Das ergibt doch keinen Sinn.“
„Oh, doch“, sagte Holger gelassen, „Ihr müsst wissen, die Serie wurde schon zehn Jahre lang nicht mehr produziert, als sie das erste Mal hier auf dem Mars gezeigt wurde. Der Schauspieler, der Ted spielt, ist angeblich sogar schon tot. Und jetzt, wo hier wiederum die letzte Staffel zu Ende gegangen ist, wollten die Produzenten dort nahtlos anknüpfen. Mit Ersatz-Schauspielern sozusagen.“
“Nur um uns bei der Stange zu halten? Ich glaub das nicht“, sagte Enrico.
„Doch, es ist so“, erwiderte Holger und stand auf. Wenn es etwas gab, was David an ihm bewunderte, dann seine Fähigkeit solche wichtigen Dinge ganz nebenbei zu erwähnen. Wer weiß, überlegte David, möglicherweise sagt er uns morgen, dass das gar keine Sandstürme sind, sondern Konfettiwinde, die gerade über die südlichen Regionen hinweg ziehen.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte ihn Isa.
Holger zeigte auf das Regal über dem Fernseher. „Wir sehen uns die alten Folgen auf Emo-VD an.“
„Das ist langweilig!“, kreischte sie hysterisch, „Ich will hier weg! Ich will weg von diesem Drecksplaneten."
„Richtig“, schrie Enrico fast, „Dachten die etwa, wir sind bescheuert und merken das nicht?“
Nun, überlegte David, wenn alle Circle-Zuschauer die Helme tragen würden, hätte es geklappt. Wir hätten noch jahrelang so weitergemacht und nie etwas bemerkt. Die Produzenten hätten auf diese Weise den kompletten Mars zum Narren gehalten und auf der Erde würde keiner davon Notiz nehmen, denn dort läuft die Serie schon lange nicht mehr.
„Ach, in einer Woche, bringen die bestimmt was Anderes“, beruhigte ihn David. „Oder die UNO schickt mehr Drogentransporte hierher. Vielleicht können wir nächste Woche schon wieder Koks kaufen.“
„Ja, das wäre möglich. Ich fahr gleich mal in die Stadt und frage im Supermarkt nach. Vielleicht können wir gleich ein paar Kilo für uns reservieren.“ Enrico zog sich seine Jacke an und verließ das Haus. Die anderen sahen ihm träge hinterher.
Das mit dem Koks, grübelte David, kam wohl nicht klar genug als Scherz rüber. Daraufhin stand er auf und ging zum Fenster. Hinten auf dem Feld standen die großen Landwirtschaftsmaschinen und verloren langsam die Wärme, die sie tagsüber aufgenommen hatten. Er war sich nicht sicher, ob er das Feld heute noch zu Ende pflügen würde. Abends arbeitete er normalerweise am liebsten, aber heute fehlte ihm irgendwie die Motivation. Dann hörte er, wie Isa in Tränen ausbrach. Wahrscheinlich wurde sie von Thomas getröstet. Holger schaltete den Fernseher ab und ging in die Küche.
"Sagt mal Leute, hat hier einer den Kabeldienst gerufen?", fragte Holger verwirrt.
"Nein", meinte David, "Wieso?"
"Na, weil da draußen so ein Dienstwagen steht." Er zeigte in Richtung Küchenfenster.
"Ich geh mal raus und frage, was die wollen", sagte David und ging zur Vordertür. Holger zögerte einen Moment und gab dann doch seiner Neugier nach. Isa und Thomas blieben auf der Couch sitzen. Für sie war der Abend gelaufen.
Ich hätte meine Jacke mitnehmen sollen, dachte David, als er auf den Wagen zuging. Als einer der Techniker ihn bemerkte, fuhr er seine Scheibe runter. "N'abend, Mister...äh...Schröder. Um ihre Frage vorweg zu nehmen: wir sind hier, um Ihren normalen Emo-View Anschluss wieder einzurichten."
"Wieder? Ich glaube, hier liegt ein Mißverständiss vor. Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob wir noch länger Emo-View beziehen möchten, nach dem, was heute passiert ist." Holger hatte sich nun auch zu ihm gesellt und nickte bekräftigend.
"Aah, jetzt verstehe ich. Man hat Sie anscheinend nicht über den Test informiert. Heute wurde in einigen Haushalten eine Art Gruppenexperiment durchgeführt und Mars 2 hat uns damit beauftragt. Dazu wurde gestern ihr normaler Kabelanschluss gegen einen anderen ausgetauscht, der ein leicht abgeändertes Programm übertragt, bei dem die Schauspieler durch CGI und diesem ganzen Mist ersetzt werden. Dabei ging es vor allem um diese Serie. Wie heißt die doch gleich?"
"Sie meinen, das war alles nur eine Täuschung?"
"Sie wussten wirklich nichts? Dann ist der Brief wohl nicht angekommen. Passiert oft in einer Gegend wie die hier."
"Aber der Newsletter? Die Webseite?", fragte Holger wütend. "Das war auch alles ein Fake? Soll das heißen, die Serie läuft auf der Erde noch?"
Der Techniker grinste. "Aber ja doch. Das kann ich Ihnen mit Sicherheit sagen. Meine Tochter lebt da und die guckt diesen Mist jeden Tag." Er reichte David einen Block auf dem ein Formular eingespannt war und einen Kugelschreiber. "Also machen wir's kurz. Wenn Sie die echten Schauspieler wieder sehen wollen, dann machen Sie da ein Kreuz und unterschreiben hier unten. Damit Mars 2 weiß, dass man Sie nicht verarschen konnte, Mister."
David unterzeichnete mit leicht zittrigen Händen. "J-ja klar, schon gut." Wenn es so leicht war, eine solche Aktion durchzuführen, war theoretisch alles möglich. Von wegen 'der Brief ist verloren gegangen'.
"Okay. Öffnen Sie am besten schon mal Ihren Verteilerkasten. Mein Kollege kommt dann gleich." Er öffnete eine Bierdose. "Aber jetzt machen wir erstmal Pause. Woll'n Se auch was?"
ENDE