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Juttas Besucher
Jutta hatte gerade geduscht und wollte gleich ins Bett gehen, als es an der Tür klingelte. Wer um diese Zeit noch zu ihr wollte, sollte schon einen triftigen Grund haben. Sollte er es sein?
Heute war doch ihr Sportabend. Wie jeden Donnerstag war sie zum Handballtraining gegangen und nun war sie erschöpft und müde. Das harte Training hatte sie geschlaucht wie einen Rekruten in der Grundausbildung, aber sie liebte es. Sie waren doch erst für morgen verabredet. Hatte er das etwa vergessen? Wahrscheinlich vermisste er sie so sehr, dass er es nicht bis morgen aushalten konnte. Ihre anfängliche Wut wurde durch ein leichtes Gefühl des Verliebtseins etwas gemildert.
Da klingelte es noch einmal. Stirnrunzelnd ging sie zur Gegensprechanlage. Es war schon nach 22:00 Uhr, er hätte verdammt noch mal anrufen können! Sie zog ihren weißen Bademantel zu, als ob man sie durch die Gegensprechanlage sehen könnte. Nein wirklich, auf einen Besuch war sie nicht vorbereitet. Im Bademantel Gäste empfangen? Und ihre Haare erst – noch nass und strubbelig!
„Wer ist da?“
„Ich bin’s, Süße, dein Bärchen!“
Sollte sie sich ihm so zeigen? Jutta war nun schon zwanzig Jahre alt, ein Alter, in dem einige ihrer Mitschülerinnen schon Heiratspläne schmiedeten, doch sie hatte gerade ihren ersten Freund kennen gelernt. Sie war groß, sehr groß für ein Mädchen und auch kräftig gebaut. In der Tat überragte sie die meisten Jungs, die sie kannte und das war ein ernstes Problem für ein Mädchen. Leider war auch ihr pausbackiges Gesicht nicht so niedlich wie das der kleinen Marietta, dem Zuckerpüppchen.
„Auf jedes Töpfchen paßt ein Deckelchen“, hat Mutter sie getröstet, als sie keinen Partner für die Tanzstunde fand. Doch dann kam Arno. Er war ein richtiger Bulle, groß und muskulös. In seinen riesigen Pranken wirkten selbst ihre Hände zierlich. Ja, dieser bärenstarke Arno, der wie für sie gemacht war, stand gleich vor ihrer Tür und sie sah aus wie eine alte Hexe. Warum hatte sie nur auf den blöden Türöffner gedrückt? Hätte sie ihn nicht einfach wegschicken können? Morgen musste sie um 6:00 aufstehen und eigentlich, ja eigentlich widerstrebte es ihr, ihn jetzt in die Wohnung zu lassen. Sie waren erst ein paar Mal zusammen ausgegangen, zu einem Spiel, zum Bowling und ins Kino. Da hatten sie geknutscht wie die Teenies. Ihr Herz schlug ihr damals bis zum Hals, als seine Hand unter ihre Jacke wanderte. Auch jetzt, ein paar Tage später, schoss ihr bei dem Gedanken das Blut in die Wangen. An jenem Abend hatte sie ihre Bluse nicht wie sonst achtlos in den Wäschekorb geworfen. Sie hatte den Deckel schon geöffnet, als ihr der männliche Geruch auffiel, sein Geruch, der noch daran haftete. Die würzige Mischung von Aftershave und frischem Schweiß. Sie hatte die Bluse wie einen Teddy mit in Bett genommen, und war mit dem herrlichen Gefühl eingeschlafen, nicht mehr allein zu sein. Wie lange hatte sie warten müssen! Hätte sie ihn wegschicken sollen, riskieren, dass er nie wiederkommt? Zu spät. Schon hallten seine schweren Schritte durchs Treppenhaus. Ihr Herz schlug höher, als er anklopfte. Das Klopfen an ihrer Tür ließ eine Welle Adrenalin durch ihren Körper schießen und ihr Herz höher schlagen. Ihre Hände zitterten, als sie aufschloss. Sie öffnete die Tür so weit, wie die kleine Sicherheitskette es zuließ, und spähte scheu durch den Spalt.
„Hallo Süße, da bin ich!“
Arno hatte eine rote Nase und ganz kleine Pupillen. Durch den Türspalt schlug ihr eine mörderische Fahne entgegen, die jedem Säufer zur Ehre gereicht hätte. Er lehnte sich mit dem rechten Arm gegen die Tür und versuchte, den Kopf hereinzustecken. Dabei drückte er seine Wangen so zusammen, dass er eine Schweineschnauze bekam.
„Bussi!“
Sein Speichel zog ein Fädchen vom Mund zum Türrahmen. Die Bierfahne begann den Duft ihres Duschbads "Grüner Apfel“ aus dem Flur zu verdrängen, tatkräftig unterstützt vom Qualm seiner Zigarette. Hatte er nicht gesagt, er rauche nicht? Sie war angewidert, so etwas hatte sie nicht erwartet.
„Warum lässt du mich nicht rein?“, maunzte er wie ein liebestoller Kater.
„Nein, das geht nich!“
Wäre er nüchtern gewesen, wäre sie vielleicht schwach geworden, aber so? Nein, so wollte sie ihn nicht in ihrer Wohnung haben. Nicht einmal sehen wollte sie ihn so. Ekelhaft!
„Geh nach Hause Arno, wir sehen uns morgen.“.
Sie war gewillt, ihm zu vergeben. Sicher hatten seine sauflustigen Kumpel ihn abgefüllt und aufgestachelt. Die meisten seiner Clique hatte sie für in Ordnung gehalten. Sie waren normale junge Männer, nur etwas versoffen, rauflustig und notgeil. Nur einer war ihr unheimlich, Leader nannten ihn die anderen respektvoll. Seine hellen Augen hatten sie geringschätzig gemustert. Er war nicht unhöflich, nein im Gegenteil, er hatte echte Manieren, aber sein Blick war so kalt und gefühllos, dass es sie fröstelte. Sie konnte sich vorstellen, wie die Jungs ihr Bärchen aufgestachelt hatten:
„Los Alter, geh hin! Leg die Tussi flach. Sein doch kein Loser!“
„Lass mich rein, Jutta!“
Die Art, wie er ihren Namen aussprach, ließ ihr eine Gänsehaut über den Rücken laufen. So einen kalten, fordernden Ton hatte er noch nie angeschlagen.
„Geh jetzt, wir sehen uns morgen!“
„Mach auf, verdammt noch mal!“
„Sei leise, die Nachbarn!“
„Ich will nicht leise sein! Scheiß auf die Nachbarn! Lass mich rein, oder....“
Die Sicherheitskette selbst war schon ziemlich stabil, aber Tür und Rahmen waren aus billigen Spanplatten. Unter dem mörderischen Druck seiner zweieinhalb Zentner Lebendgewicht spannte sich die Kette wie eine Gitarrenseite und drohte aus der Verankerung zu reißen.
„Arno, bitte! Sei doch vernünftig!“
Hätte sie ihn nur nicht hoch gelassen! Wut stieg in ihr auf. Musste er alles kaputt machen? Sie war so glücklich gewesen in den letzten Tagen und nun das! Nein, sie musste die Tür schließen. Vielleicht würde er dann gehen. Sie begann zu drücken, doch es schien aussichtslos. Gegen ihn kam sie nicht an. Nun hatte er auch noch den Fuß in die Tür gestellt. Aussichtslos.
„Komm schon! Lass mich rein! Was soll das?“
Er geriet immer mehr in Rage und rüttelte keuchend am Türknauf.
„Ich lass mich nicht zum Trottel machen!“
Er begann zu toben und drückte nun ernsthaft gegen die Tür, versuchte sie aufzubrechen. Jutta stemmte sich mit aller Kraft dagegen.
„Hau ab!“
„Mach jetzt auf oder ich vergess’ mich!“
„Verschwinde, oder ich rufe die Bullen!“
„Ha!“. Und plötzlich hörte er auf zu drücken. Die Tür krachte ins Schloß, dass es nur so schepperte. Für eine Sekunde blieb sie gegen die Tür gelehnt stehen. Gerettet? Ihr Herz schlug bis zum Hals und das Adrenalin sauste durch ihren Körper. „Atmen, Jutta, atmen, du hast es geschafft!“.
Da krachte etwas mit der Kraft eines Dampfhammers gegen die Tür. Diese löste sich aus dem Türrahmen und knallte ihr vor den Kopf. Samt Tür segelte sie durch den kleinen Flur und kam im Wohnzimmer zum Liegen.
Sie sah für einen Moment nur Sternchen. Ihre linke Gesichtshälfte war taub und aus der Platzwunde an der Augenbraue sickerte Blut. Aber das war jetzt nebensächlich. Etwas Großes schien dort zu stehen, wo eben noch ihre Wohnungstür war. Als einen Moment später beide Augen wieder deckungsgleiche Bilder lieferten, erkannte sie, dass er es war.
„Na, wo sind jetzt deine Bullen?“
Was war nur mit ihm los? Wie hatte er sich in so ein brutales Monster verwandeln können?
„Auf die Beine!“, schoss es ihr durch den malträtierten Kopf. Sie musste aufstehen, weglaufen, doch es gab nur einen Ausgang und da stand King Kong. Stand? Nein, jetzt kam er langsam auf sie zu. Sie war wirklich nicht schwächlich, aber Arno konnte sie allein durch seine Masse erdrücken. Er machte einen Schritt auf sie zu, sie wich einen zurück. Dann noch einen und noch einen. Dann war Schluss. Die wacklige Schrankwand war hinter ihr und Omas Weingläser protestierten mit einem ängstlichen Klirren gegen die Erschütterung.
„Jetzt hab ich dich!“
Sein Gesicht hatte sich zu einer widerlichen Fratze verzerrt. Das konnte doch nie und nimmer ihr Bärchen sein? Mit gierig funkelnden Augen streckte er die Rechte aus und wollte nach ihr greifen.
„Jetzt woll’n wir doch mal sehen...“
„Warum hilft mir keiner?“ Mit dem Mut der Verzweiflung trat sie ihm zwischen die Beine, aber er war schnell und musste damit gerechnet haben, denn er konnte noch mit der Linken den Tritt teilweise abfangen. Er fiel stöhnend vor Jutta auf die Knie, mit der Linken die Eier haltend, mit der Rechten in ihren Bademantel gekrallt. Sie konnte nur zur Seite weg und versuchte das mit aller Kraft, doch seine Pranke hatte beide Seiten des Bademantels fest eingespannt wie ein Schraubstock.
„Hier geblieben, Schlampe!“
Er versuchte aufzustehen, ihr Ziehen half ihm dabei. Sie zog mit aller Kraft und ihre linke Brust rutschte heraus. Ein gieriges Grinsen erschien auf seinem Gesicht. Er war fast wieder auf den Füßen, als sie die Taktik änderte und ihn ansprang. Den Schwung aus seiner und ihrer Kraft konnte er nicht ausgleichen und fiel krachend auf den Rücken. Sie landete mit dem Knie auf seinem Bauch und eine säuerliche Mischung aus Bier und Pommes schoss ihm aus Mund und Nase. Jutta rappelte sich aus der Kotze hoch in Richtung Tür, aber Arno war ein zäher Hund. Ehe Jutta außer Reichweite war, hatte er sich auf den Bauch gewälzt und erneut nach ihr gegrabscht. Sie ließ ihrer Wut nun freien Lauf, trat ihm mit einem Bein auf die Schulter und drückte den Arm mit der Kraft der Verzweiflung in eine Richtung, die Mutter Natur dafür nicht vorgesehen hatte. Er hielt brüllend dagegen, aber auf dem Boden liegend, inmitten der Trümmer des kleinen Tisches, konnte er seine Kraft nicht optimal einsetzen. Nach einem ewig erscheinenden Moment hörte sie ein Übelkeit erregendes Knacken und der Widerstand bracht zusammen. Er schrie wie am Spieß.
„Scheiße! Meine Schulter!“
Von Überlegenheit war in seinem Gesicht nichts mehr zu sehen. Schmerz und Angst spiegelten sich nun wieder. Er versuchte, jede Bewegung des Armes zu vermeiden, da sie höllische Qualen verursachten mussten. So konnte sie ihn zu Tür hinaus bugsieren wie einen Bullen am Nasenring.
„Verschwinde!“, presste sie hasserfüllt raus.
Der verletze Arm hing reglos herunter und die Schulter hatte sich in einen hässlichen Buckel verwandelt. Mit dem gesunden Arm versuchte er, den verletzten zu entlasten. Ausgekugelt! Das hatte sie bei einer Sportverletzung schon einmal gesehen. Fast hätte sie Mitleid mit Arno gehabt. Wie die XXL-Version des Glöckners von Notre Dame schleppte er sich zum Fahrstuhl. Hier hatte er nichts mehr verloren. Ein hasserfüllter Blick noch.
„Das wirst du bereuen, du Schlampe!“