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Körper und Seele
Wir schliefen vom losgelösten Laken umhüllt in ihrem Bett. Trotz all des Schweißes, der an uns klebte und sich auf unseren aneinandergeschmiegten Körpern vermischte, roch es nach Räucherstäbchen. Ihr kleines Ritual. Während wir miteinander schliefen, zündete sie welche an und schnupperte wieder und wieder wie ein kleiner Hund, bei dem sich die Nasenlöcher bewegen. Manchmal kicherte sie dann ihr berüchtigtes Kichern: halbes Schweinegequieke vermischt mit hastigen Atemzügen durch die Nüstern.
Ihre Intelligenz beschränkte sich auf das Auswendiglernen von Fachterminologie. Von Literatur jedoch hatte sie keinen Schimmer. Einmal hatte ich ihr mein liebstes Buch gereicht und sie war bloß in schallendes Gelächter verfallen. "Was ist das? Ein Buch?". Kein Versuch ihre Anwiderung zu verdecken, sie machte nicht mal einen Hehl daraus, wie viele Bücher sie schon gelesen hatte. "Zwei. Beide Male Harry Potter. Beim zweiten Mal jedoch nur bis zur Hälfte, also eigentlich nur eins." Nur eins? Und das war Harry Potter? Wie viele Durchschnittsbürger hatten Harry Potter gelesen? Das zählte nicht, das zählte kein bißchen. Außerdem strebte ich nach höheren Sphären. Ich war kein Durchschnittsbürger. Aber aus irgendeinem Grund liebte ich so und versuchte mich jedes Mal, wenn wir nach dem Sex wieder zu Kräften kommen mussten, mich selbst ein bißchen mehr zu verstehen.
Mit Selbsverständlichkeit benutzte ich meine Zunge, um sie aus dem Reich der Träume zu holen. Ich leckte über ihren Rücken, leckte vom Schulterblatt bis zu dem kleinen Muttermal darunter und kreiste begeistert zwei Mal um diesen Punkt. Wie sie da lag! Wie sie da lag und sich langsam zu bewegen anfing, langsam ihre Hand in die Höhe streckte, sich umdrehte und mir mit den blitzenden Augen einer Verliebten auf den Mund starrte, mich zur Begrüßung küsste! Warum schliefen wir miteinander? Was liebte ich an ihr so unglaublich?
Als sähe ich sie zum ersten Mal, begutachtete ich ihren Körper im gedämpften ockerfarbenen Licht der Morgendämmerung.
"Warum liebst du mich, Liebling?", brachte sie mich in die Bredouille.
"Weil du so klug bist!", log ich.
Bezogen auf ihre Körpergröße (1,73) lag sie außerhalb der Messwerte des BMI`s (BodyMassIndex), hätte also eigentlich tot sein müssen. Indes sah ich kleine Speckröllchen auf ihrer Hüfte, die sich wie Gardinen aufbauschten. Unterhalb der Brüste konnte man wie bei einem Skelett die Knochen zählen, da sie gegen das magere Fleisch pressten... Ich liebte nicht ihre schweineähnliches Kichern, nicht ihre hochmütige Art aufgeschnappte Fremdwörter zu verwenden, nicht ihre Eigenarten, nicht, das sie vor dem Geschlechtsverkehr Räucherstäbchen entzündete oder wie sie gleichgültig mit Belletristik umging, nicht ihren dumpfen und niederen Charakter - ich liebte einzig ihren Körper, diesen dünnen wundervollen Körper mit jeder Einzelheit, die seine Makellosigkeit unterstrich.
Ich sog an ihren Nippeln, die vor Schweiß nach Salz schmeckten. Ich hörte sie kichern, sah auf und starrte in das endlos tiefe Meer ihrer blauen Augen.
Der hypnotische Sog ihrer blauen Augen war Komplizin meiner Liebe zu ihr. Zwei Tage nachdem ich die Augen noch in makellosen Zustand hatte betrachten dürfen, umrahmte ein gewaltiges blaues Feilchen ihr rechtes Auge und es schmerzte mich, erfüllte mich mit ungemeiner Sorge, diese Verunstaltung sehen zu müssen. Plötzlich hatte das Blau der Augen an Kraft eingebüßt, war nur noch kümmerlich und unbedeutend in dem Kontrast zu dem mysteriösen Feilchen. Ich berührte sanft die Verletzung und näherte mich ihrem Gesicht, als wolle ich die verlorene Kraft irgendwo einfangen und wieder zurück an Ort und Stelle bringen, fand aber einzig ihre Grübchen, welche die lächelnden Lippen flankierten. Ihr ewig dumpfes Lächeln. Sogar jetzt lächelte sie. Hatte sie denn nicht in den Spiegel geschaut?
Wir saßen diesmal auf der Bettkante, obschon ich eigentlich wünschte liegend ihre Brüste zu massieren. Das Entsetzen jedoch war zu groß. Ich legte eine Hand auf ihren Oberschenkel, rückte näher an sie, um sie durch den Kontakt unserer Körper zu kräftigen.
"Was ist geschehen?", fragte ich entsetzt.
Ihr Lächeln verschwand und kehrte wieder, als hätte es eine Pause gebraucht.
"Nichts Liebster. Schranktüren können schrecklich stören, wenn sie nicht geschloßen sind." Kichern. "Ich habe mich bloß gestoßen, ich war zu eilig. Willst du wissen, wann ich so eilig war? Als ich auf deinen Anruf wartete und das Telefon klingeln hörte. Es lag in der Küche, weißt du... und meine Mutter hantierte mit dem Gewürzen, ließ den Schrank offen stehen und Rums! Da war es schon geschehen mit dem Auge!"
Sie zeigte auf die Verletzung, als müsse sie noch mal verdeutlichen, welches Auge gemeint war. Ich versuchte die Situation wie beschrieben in meine Phantasie zu rufen, aber da kam nichts. Das klang einfach zu absurd und dennoch, gerade wegen dieser Absurdität schien es nicht gänzlich unwahr zu sein.
"Nichts weiter?"
Kopfschütteln.
Ich zögerte.
"Dich hat niemand geschlagen?"
Kurzzeitig ging ein Schaudern durch ihre Schulter, die zwei Mal schnell zuckte. Ihr Atemgang wurde lauter und ich glaubte das Pochen ihres Herzens wahrzunehmen, als Stille den Raum erfüllte. Natürlich konnte ich unmöglich den Herzschlag gehört haben und wahrscheinlich habe ich mir all diese Einzelheiten wie Schulterzucken und das Pochen ihres Herzens eingebildet. Alle samt. Vermutlich hatte sie einfach dort gesessen, ohne jegliche bedeutende Reaktion. Aber ich bin mir sicher - das hätten Blinde und Taubstumme spüren können - das sie außerordentlich nervös war.
Ich harkte nach: "Dich hat niemand geschlagen?"
"Niemand!"
"Du bist gegen die Schranktür gelaufen?"
"Genau! Ich war unvorsichtig!"
Ich nickte, glaubte ihr. Warum auch zweifeln? Ich liebte ja nicht ihre Seele - nein - kein bißchen. Ganz sicher nicht. Darauf könnte ich einen Meineid leisten. Ich liebte ihren Körper. Und auch wenn diese Liebe durch den Anblick des Feilchens für kurze Zeit ins Schwanken geraten war, so war der Anblick ihrer Brüste noch genügend Anreiz, um mich in ihr Bett zu locken. Also tat ich nichts weiter, als die ganze Zeit auf ihre Brüste zu starren, während wir miteinander schliefen. Keine Sorge, Keine Sorge, mein Herz war nicht durchbohrt von Sorge, keineswegs.
Das Feilchen verschwand, sie nahm innerhalb von 4 Wochen noch einmal zwei Kilo ab und fing plötzlich an, unterschiedlichste Sonnenbrillen zu tragen. Ich hielt es anfänglich für den Ausdruck einer gespielten Attitüde, wurde erst stutzig, als sie die Brille auch im Bett und beim Gang zur Toilette tragen wollte. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich mit der Erklärung zu begnügen, das sie einen merkwürdigen Fetisch für sich entdeckt hatte.
Schließlich wucherte mein Misstrauen unkontrollierbar. In mir spielten sich absurde Phantasien ab, die ich nicht unterdrücken konnte. Vielleicht waren da gar keine Augen mehr, vielleicht hatte sie sich die Augen rausgerissen oder sie waren rausgerissen worden! Und wenn da keine Augen mehr waren, was dann? Konnte ich ihren Körper auch ohne Augen lieben?
Es war ein Tag ohne viel Sonnenschein, aber mit einer unangenehmen Schwüle, die bis in jede Ecke vordrang. Wir ruhten mit nackten Oberkörpern regungslos auf ihrem Bett; zu schwach, um uns auch die Hosen auszuziehen und zu kräftig, um nicht noch Sehnsucht nach Sex zu empfinden. Zwischen uns fanden keine Gespräche statt, ab und zu wurden elektrisierende Blicke getauscht. Wir betrachteten den glänzenden Schweiß auf dem Brustkorb des Anderen und streckten zwischendurch unsere müden Arme, um ein wenig davon an der Fingerspitze aufzusaugen.
Mich wunderte es, das wir es solange geschafft hatten, uns zu lieben, ohne uns in die Augen zu schauen. Ihre Augen! Jäh schoß mir der Gedanke durch den Kopf und trotz aller Trägheit, die meine Glieder erschwerte, sprang ich ruckartig auf, schüttelte zwei, drei Mal ungläubig den Kopf und fixierte letztlich ihre von den Brillengläsern verhüllten Augen. Dahinter steckte die Wahrheit.
"Zeig mir deine Augen!", befahl ich.
Wieder ihre Grübchen. Wieder ihr typisch dumpfes Lächeln, das niemals zu enden schien.
"Zeig mir deine Augen!", schrie ich, wobei Speichel in ihre Richtung flog.
Ihr Lächeln gefror. Ein Problem weniger. Endlich war ich dieses dumpfe Lächeln los.
"Liebling, beruhige dich."
Kopfschüttelnd und voller Misstrauen, die sich Stück für Stück in Wut wandelte, marschierte ich hin und her, auf der Suche nach irgendeinem sinnvollen Gedanken, nach irgendeiner logischen Schlußfolgerung. Ich ahnte, was hinter dem Auge verborgen wurde. Ich ahnte es, wollte jetzt alle Antworten aufgetischt bekommen, blieb wieder stehen und starrte sie an, starrte sie ohne jeden Lidschlag an. Wieso hatte ich mich nur so zum Narren halten lassen? Es lag doch auf der Hand.
"Du kannst mir nichts befehlen. Du bist nicht in der Position dazu.", erklärte sie und ließ ihren Kopf auf die Matratze zurück fallen.
Nicht in der Position? Ich schüttelte wieder den Kopf, führte einen schnellen Hechtsprung in ihre Richtung aus, lag auf ihr - sie schreiend, wie ein Fisch im Netz zappelnd - und riss ihr diese verfluchte Brille von der Nase.
"Lass mich! Du bist verrückt!", schrie sie.
Sie merkte gar nicht, das ich sie schon losgelassen hatte und entsetzt auf das Feilchen auf ihrem Auge starrte.
"Du wirst geschlagen?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Geh runter vor mir!"
Ich versuchte aufzustehen, stolperte und fiel hin. Mein Gesichtsausdruck war eben so erstarrt wie die Wut in meinem Inneren. Mein Kopf schien zu pochen - vermutlich von der Hitze.
"Du weißt nichts von mir, rein gar nichts. Spiel dich nicht auf wie ein zehnjähriger Ehemann. Was glaubst du, mache ich in meiner Freiheit? Auf den Sex mit dir warten?"
"Wer schlägt dich?"
"Was geht dich das an? Nichts, ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Zieh dich an und verschwinde!"
Ich gehorchte, hörte ihr unterdessen gefangen in einem Zustand der Apathie zu. Sie sprach gelassem, ohne jedes Anzeichen von Trauer, ohne jedes Anzeichen des durchbohrten Herzens, das ich in mir spürte.
"Und ich werde es dir trotzdem erklären, damit sich deine Egozentrik endlich im Nichts auflöst. Ich liebe dich nicht... Ich schlafe mit dir. Andere Kerle spielen in meinem Leben eine Rolle. Ja, manche schlagen mich, manche sind gewalttätig, aber - weiß Gott - sie sind besser als du elendes Arschloch. Ja, heul nur, wein dich richtig aus. Geh heim und fühle richtig, was Schmerz bedeutet."
Ich weinte. Mit dem vom Feilchen umrahmten Augen, mit dem nackten Oberkörper und der hochmütigen Miene wirkte sie wie eine elende Nutte. Wer war denn elend? Sie oder ich? Sie hätte sich sehen sollen... Aber was spielt das für eine Rolle? Niedergeschlagen zog ich davon und schloß hinter mir leise die Tür. Während jegliche Gedanken chaotisch umherwirbelten, nahm ein Gedanke mehr und mehr Form an, warf einen gewaltigen Schatten über jeden Anderen und raubte mir fast die Luft, als ich auf die Straße hinaus trat und mich das Licht der Abenddämmerung empfing.