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Kaffee am See
Der Sommernachmittag war himmlisch angenehm - noch. Ich saß im Außenbereich eines Cafés und blätterte fröhlich Dankespsalmen summend in der Karte. Nur ganz einfachen Café oder Latte oder Café Luz oder Cappucino oder Café Arabika oder Coretto oder – ah, da – Café celestis? Halleluja, die ganze Welt des Kaffees lag mir zu Füßen, frohlockte ich. Lobet den Herren! Und ich hätte ihn auch noch gepriesen, wenn eine nette Bedienung irgendwo zu sehen gewesen wäre, war aber nirgends zu sehen. Naja, ein bisschen warten an solch einem Tag – und schließlich war ich ja für meine Engelsgeduld bekannt.
Ich beobachtete die Leute, welche in der Fußgängerzone umherwuselten. Alte, Junge, Kleine, Große, Dicke, Dünne. Herrlich. Und sie machten plötzlich alle Platz für einen Krankenwagen mit blinkendem Blaulicht und störendem Tatütata. Auch das muss eben sein. Unmittelbar nachdem der Wagen mich passiert hatte, sprang der Tod heraus, einen dicklichen Herren mittleren Alters mit nacktem Oberkörper und dunkler Anzugshose hinter sich herziehend. Mich traf bei dem Anblick fast der Schlag. Atemlos sah ich, wie der Tod mit seiner Sense in meine Richtung winkte und direkt auf mich zu steuerte. Ich seufzte. Er kam wegen mir. Hatte er denn wirklich nichts besseres zu tun? Dann war jetzt der angenehme Teil des Tages schon vorbei. Den Herrn im Schlepptau stellte der Tod an einer nicht allzu fernen Laterne ab.
„Noch frei?“, fragte er auf den Sitz neben mir zeigend.
Ich nickte, zugegebenermaßen widerwillig. Der Tod bedankte sich und stellte, bevor er sich setzte, etwas umständlich seine sperrige Sense an die Hauswand hinter uns. Darauf blickte er noch mal kritisch darauf und sagte: „Hoffentlich fällt sie nicht um, nicht dass noch jemand dran glauben muss.“ Ein erwartungsvoller Blick schoss aus seinem Totenschädel hervor. Ich machte einen kläglichen Versuch zu lächeln, um höflich zu sein, das konnte nie schaden.
„OK, war wohl kein besonders guter Scherz“, raunte er vor sich hin.
„He da! Bitte bleiben Sie dort stehen“, rief er zu dem Herrn an der Laterne, der sich gerade aufgemacht hatte, ein bisschen umherzuwandern. Artig machte dieser kehrt.
„Wie geht’s?“, fragte mich der Tod.
„Ich lebe.“
Der Tod kicherte. „Der war gut. Respekt!“
„Schön hier heute, nicht?“
„Ja. Bis eben.“ Ich gab mich einsilbig. Der bisherige Verlauf des Gesprächs entsprach nicht meiner Erwartungshaltung. Was wollte er von mir?
Der Tod lehnte sich vor, stützte seine Ellenbogen auf das Tischchen und knackte mit den knöchernen Fingern, dass einem Heiligen der Schein verrutscht wäre. Vermutlich wollte er durch diese Geste etwas vertraulicher wirken, was ihm ganz und gar nicht gelang, insbesondere deshalb nicht, weil ich mir einbildete, dass von ihm ein ekliger, süßlicher Geruch ausging – der Geruch von Verwesung.
„Und läuft’s mit den Schafen?“, fragte er.
„Hm – mal so mal so.“
„Und der Familie? Alle gesund?“
Ich legte den Kopf schief. Ich war etwas ratlos.
„Alles bestens. Und selbst?“
„Ach“, seufzte er und dann: „Um ehrlich zu sein – ich mach mir ein bisschen Sorgen.“
Jetzt war ich überrascht.
„Sorgen.“
„Die Sache mit Genf.“
„Genf?“
„Die Experimente?“
„Experimente?“
Er sah sich um und wirkte dabei verstohlen, so verstohlen wie eben eine Totenfratze wirken konnte.
„Schwarze Löcher“, raunte er geheimnisvoll, „du weißt schon. Und man munkelt bereits, ich weiß nicht, ob ich das sagen darf, und frag mich bitte nicht, von wem ich das habe, aber in gewissen Kreisen – ich meine, das Wort mit A ist schon gefallen.“
„Astrophysik war noch nie mein Ding, da ist von meinem alten Herren nichts rüber gekommen. Metaphysik ist mein Metier.“ Ich schmunzelte. „Jobangst. Selbst der Tod! In welchen Zeiten wir leben. Ich dachte es geht wieder aufwärts mit der Wirtschaft. Mehr Arbeit, mehr Stress, mehr Herzinfarkte, oder? Und immer diese Hitzewellen. Und im Herbst die Grippe. Und man munkelt bereits, es gäbe wieder eine ganz neue. Genug zu tun.“
„Ja, schon“, gab der Tod zu.
„Bitte!“, rief er unvermittelt und befehlend zu dem Herrn an der Laterne, der darauf wieder kehrt machte.
„Ich kann nicht so lange bleiben“, sagte er und deutete dabei entschuldigend auf seine Arbeit, die er da vorne abgestellt hatte. „Aber ich dachte, wenn an der Sache was dran wäre, dann müsstest Du doch etwas drüber wissen. Insbesondere wegen dem A Wort, meine ich.“
„Allwissend ist anders.“
„Komm schon.“
„Ich weiß es nicht.“
„Laß mich nicht Bitte sagen. Und Du hättest dann was gut bei mir.“
„Ha! Du machst Dir ja echt Sorgen. Und ich weiß es echt nicht, ob da was dran ist oder nicht.“ Und dann rutschte mir noch aus Versehen raus: „Ich sehe es mir mal an.“
„Schön. Dann ist das abgemacht.“
Allerdings, ich stöhnte. Jetzt nahm ich schon Jobs vom Tod an, das würde wieder Ärger geben. Irgendwann landete ich noch in Teufels Küche.
„Ich muss dann“, sagte der Tod, schnappte sich seine Sense und winkte noch mal kurz. „Tschüss, Michael. Wir sehen uns.“
„Ja, Tschüss Tod. Leider.“
„Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein“, ätzte ich vor mich hin. Es war aber auch so ein schöner Tag gewesen. Und der Kaffee, ach – ich hatte ja noch gar nicht bestellt, wie treffend. Ich rückte mir den Nimbus zurecht und spreizte die Flügel. Dann halt in Genf, Kaffee am See, eigentlich auch sehr schön.