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Kaffee am See

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08.04.2010
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Kaffee am See

Der Sommernachmittag war himmlisch angenehm - noch. Ich saß im Außenbereich eines Cafés und blätterte fröhlich Dankespsalmen summend in der Karte. Nur ganz einfachen Café oder Latte oder Café Luz oder Cappucino oder Café Arabika oder Coretto oder – ah, da – Café celestis? Halleluja, die ganze Welt des Kaffees lag mir zu Füßen, frohlockte ich. Lobet den Herren! Und ich hätte ihn auch noch gepriesen, wenn eine nette Bedienung irgendwo zu sehen gewesen wäre, war aber nirgends zu sehen. Naja, ein bisschen warten an solch einem Tag – und schließlich war ich ja für meine Engelsgeduld bekannt.

Ich beobachtete die Leute, welche in der Fußgängerzone umherwuselten. Alte, Junge, Kleine, Große, Dicke, Dünne. Herrlich. Und sie machten plötzlich alle Platz für einen Krankenwagen mit blinkendem Blaulicht und störendem Tatütata. Auch das muss eben sein. Unmittelbar nachdem der Wagen mich passiert hatte, sprang der Tod heraus, einen dicklichen Herren mittleren Alters mit nacktem Oberkörper und dunkler Anzugshose hinter sich herziehend. Mich traf bei dem Anblick fast der Schlag. Atemlos sah ich, wie der Tod mit seiner Sense in meine Richtung winkte und direkt auf mich zu steuerte. Ich seufzte. Er kam wegen mir. Hatte er denn wirklich nichts besseres zu tun? Dann war jetzt der angenehme Teil des Tages schon vorbei. Den Herrn im Schlepptau stellte der Tod an einer nicht allzu fernen Laterne ab.

„Noch frei?“, fragte er auf den Sitz neben mir zeigend.
Ich nickte, zugegebenermaßen widerwillig. Der Tod bedankte sich und stellte, bevor er sich setzte, etwas umständlich seine sperrige Sense an die Hauswand hinter uns. Darauf blickte er noch mal kritisch darauf und sagte: „Hoffentlich fällt sie nicht um, nicht dass noch jemand dran glauben muss.“ Ein erwartungsvoller Blick schoss aus seinem Totenschädel hervor. Ich machte einen kläglichen Versuch zu lächeln, um höflich zu sein, das konnte nie schaden.
„OK, war wohl kein besonders guter Scherz“, raunte er vor sich hin.
„He da! Bitte bleiben Sie dort stehen“, rief er zu dem Herrn an der Laterne, der sich gerade aufgemacht hatte, ein bisschen umherzuwandern. Artig machte dieser kehrt.
„Wie geht’s?“, fragte mich der Tod.
„Ich lebe.“
Der Tod kicherte. „Der war gut. Respekt!“
„Schön hier heute, nicht?“
„Ja. Bis eben.“ Ich gab mich einsilbig. Der bisherige Verlauf des Gesprächs entsprach nicht meiner Erwartungshaltung. Was wollte er von mir?
Der Tod lehnte sich vor, stützte seine Ellenbogen auf das Tischchen und knackte mit den knöchernen Fingern, dass einem Heiligen der Schein verrutscht wäre. Vermutlich wollte er durch diese Geste etwas vertraulicher wirken, was ihm ganz und gar nicht gelang, insbesondere deshalb nicht, weil ich mir einbildete, dass von ihm ein ekliger, süßlicher Geruch ausging – der Geruch von Verwesung.
„Und läuft’s mit den Schafen?“, fragte er.
„Hm – mal so mal so.“
„Und der Familie? Alle gesund?“
Ich legte den Kopf schief. Ich war etwas ratlos.
„Alles bestens. Und selbst?“
„Ach“, seufzte er und dann: „Um ehrlich zu sein – ich mach mir ein bisschen Sorgen.“
Jetzt war ich überrascht.
„Sorgen.“
„Die Sache mit Genf.“
„Genf?“
„Die Experimente?“
„Experimente?“
Er sah sich um und wirkte dabei verstohlen, so verstohlen wie eben eine Totenfratze wirken konnte.
„Schwarze Löcher“, raunte er geheimnisvoll, „du weißt schon. Und man munkelt bereits, ich weiß nicht, ob ich das sagen darf, und frag mich bitte nicht, von wem ich das habe, aber in gewissen Kreisen – ich meine, das Wort mit A ist schon gefallen.“
„Astrophysik war noch nie mein Ding, da ist von meinem alten Herren nichts rüber gekommen. Metaphysik ist mein Metier.“ Ich schmunzelte. „Jobangst. Selbst der Tod! In welchen Zeiten wir leben. Ich dachte es geht wieder aufwärts mit der Wirtschaft. Mehr Arbeit, mehr Stress, mehr Herzinfarkte, oder? Und immer diese Hitzewellen. Und im Herbst die Grippe. Und man munkelt bereits, es gäbe wieder eine ganz neue. Genug zu tun.“
„Ja, schon“, gab der Tod zu.
„Bitte!“, rief er unvermittelt und befehlend zu dem Herrn an der Laterne, der darauf wieder kehrt machte.
„Ich kann nicht so lange bleiben“, sagte er und deutete dabei entschuldigend auf seine Arbeit, die er da vorne abgestellt hatte. „Aber ich dachte, wenn an der Sache was dran wäre, dann müsstest Du doch etwas drüber wissen. Insbesondere wegen dem A Wort, meine ich.“
„Allwissend ist anders.“
„Komm schon.“
„Ich weiß es nicht.“
„Laß mich nicht Bitte sagen. Und Du hättest dann was gut bei mir.“
„Ha! Du machst Dir ja echt Sorgen. Und ich weiß es echt nicht, ob da was dran ist oder nicht.“ Und dann rutschte mir noch aus Versehen raus: „Ich sehe es mir mal an.“
„Schön. Dann ist das abgemacht.“
Allerdings, ich stöhnte. Jetzt nahm ich schon Jobs vom Tod an, das würde wieder Ärger geben. Irgendwann landete ich noch in Teufels Küche.
„Ich muss dann“, sagte der Tod, schnappte sich seine Sense und winkte noch mal kurz. „Tschüss, Michael. Wir sehen uns.“
„Ja, Tschüss Tod. Leider.“

„Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein“, ätzte ich vor mich hin. Es war aber auch so ein schöner Tag gewesen. Und der Kaffee, ach – ich hatte ja noch gar nicht bestellt, wie treffend. Ich rückte mir den Nimbus zurecht und spreizte die Flügel. Dann halt in Genf, Kaffee am See, eigentlich auch sehr schön.

 
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Moi pihalbe,

Du machst mir Angst, ich habe eine kleine story halbfertig, da geht es um die Apokalypse, den personifizierten Tod und schwarze Löcher (nur mal für's Protokoll!).

Ich wollte aber kurz was anderes sagen: Ein sehr süßer Text, knackig-witzige Sprache, schön aufgezogen und gut getimt. Aber guck mal:

Ich saß im Außenbereich eines Kaffees
Das will ich sehen! :D
Café oder Latte oder Café Luz oder Cappucino oder Café Arabika oder coretto oder – ah, da – Café celestis?
Café ist, wo man drinsitzt, Kaffee ist das, was man dort trinkt (auch auch mal als Caffè Latte). Ich sehe hier keinen absichtlichen Grund für die Vertauschung, zumal Du es später korrekt verwendest; denke, das ist schade für den Text.

„Noch frei?“ fragte er auf den Sitz neben mir zeigend.
Ich nickte, zugegebenermaßen widerwillig. Der Tod bedankte sich und stellte, bevor er sich setzte, etwas umständlich seine sperrige Sense an die Hauswand hinter nun unseren Tisch. (...) Artig machte dieser kehrt.
„Wie geht’s?“ fragte mich der Tod.
„Ich lebe.“
Sehr schön, diese gesamte Passage. Witzig, ungewöhnlich; fein charakterisiert.

Ich überlege, ob nicht Seltsam besser passen könnte - andererseits werden ja gesellschaftrelevante Themen angesprochen. Kannst ja nochmal drüber nachdenken. Edit: ach, vermutlich paßt es schon gut hier. Mal was anderes!

Hat Spaß gemacht zu lesen, Du hast Dich ordentlich gesteigert, was Dynamik und Stil angeht, finde ich. Weiter so! :)

Herzlichst,
Katla

 

Ja, gefällt mir auch,

pihalbe,

das ist Freiheit: dutzend Variationen übern Kaffee und tausend Joghurts etc.

Aber gelegentlich zu viel Worte. Ein Beispiel: >Lobet den Herren! Und ich hätte ihn auch noch gepriesen, wenn eine nette Bedienung irgendwo zu sehen gewesen wäre, war aber nirgends zu sehen<, freilich nur mit dem Nebensatz, der ja eigentlich nur die Konjunktiv-Phase verstärkt.

>„Noch frei?“KOMMA fragte er ...< Kommt öfters vor.

>Der Tod bedankte sich und stellte, bevor er sich setzte, etwas umständlich seine sperrige Sense an die Hauswand hinter nun unseren Tisch.< Verwandele das nun in ein uns und der Satz ist immer noch ...

>Darauf blickte er noch mal kritisch darauf und ...< Wie schaut man >kritisch<?

>„Wie geht’s?“KOMMA fragte mich der Tod.<
Die korrekte Antwort - aber die bleibt unter uns, ne!? "Bis gerade ging es noch!"

>„Um ehrlich zu sein – ich mach mir ein bisschen Sorgen?“
Jetzt war ich überrascht.< Übers Fragezeichen?

„Schwarze Löcher,“ raunte er ...< Komma nach dem Gänsefuß.

usw. Schau noch mal durch.

Gruß

Friedel

 

Hallo pihalbe,

das liest sich ganz freundlich. Sehr klassische Besetzung, zwar ohne Teufel, dafür mit Michael und dem Tod; hat Michael denn eine spezielle Funktion beim Ende der Welt? Das wär mir entgangen.

Schade, daß die kleine Szene schon alles war, ich les immer gern Neues von Weltuntergängen, besonders denen aus der Schweiz, und hatte mich auf mehr von dem A-Wort gefreut. Mehr Handlung, meine ich. Der Stil allein macht es nämlich nicht fett, so ist es eben, naja, freundlich. Ich fand auch, daß zuviel erklärt und neben den Dialog geschwafelt wird, hier Beispiele:

Ich nickte, zugegebenermaßen widerwillig.
Ich machte einen kläglichen Versuch zu lächeln, um höflich zu sein, das konnte nie Schaden.
schaden wird hier übrigens kleingeschrieben.
„Ja. Bis eben.“ Ich gab mich einsilbig.
dass von ihm ein ekliger, süßlicher Geruch ausging – der Geruch von Verwesung.
Die fetten Sachen finde ich überflüssig und störend. Vielleicht gehörst Du ja zu denen, die gern nachher noch was streichen; in dem Fall wären das meine Streichvorschläge.
Guck Dir auch Deine Partizipialkonstruktionen nochmal an, bei denen (und noch irgendwo sonst) sind mir beim Lesen Kommafehler aufgefallen.

Hübsch fand ich den Dicken, der sich immer heimlich verdrücken will, und den zurechtgerückten Nimbus. In dem Zusammenhang klingt das Wort sehr niedlich.

Gruß,
Makita.

 

Hi Pihalbe!

Hat Spaß gemacht, die Geschichte zu lesen - Michael ist wohl, so schließ ich "messerscharf" ;-) , der Erzengel Michael. Der Stil ist leicht und hat einen frischen Plauderton!

Eine Sache wurde mir allerdings nicht ganz klar- hat der Gevatter nun Angst, dass durch die Experimente am CERN und Co. in der Schweiz jetzt die Welt untergeht oder fürchtet er sich eher, dass die Menschen durch die astrophysikalischen Experimente irgendwie unsterblich werden? Ich vermute aber, er fürchtet sich eher vor der "Apokalypse" - auch ein A-Wort!:-)

Wie gesagt, eine nette kleine Geschichte!

Viele Grüße vom EISENMANN

 

Da bin ich nochenemal,

liebe Leute.

Zuerst war ich auch wie Katla erstaunt, wo man überall zu sitzen kommen kann. Dann hab ich gedacht, okay, le café = der Kaffee, aber auch das KaffeeHaus zu Wien oder sonstwo im teutschen Sprachraum.

Wozu Internetcafées in der Hand der Söhne Osmans doch alles gut sind! Nach Wiki gab's das erste Café außerhalb des Osmanischen Reichs in Venedig (caffè).

Gruß aus'm warmen April

Friedel

 

Vielen Dank für die Anmerkungen.

@Katla: Insbesondere Dank für die Kaffee-Café-Entwirrung. Das hätte ich wohl noch hundertmal lesen können, ohne es zu merken.
Über die Kategorie war ich lange unschlüssig. Ich mag aber etwas über unsere Gesellschaft sagen bzw. - etwas hochtrabbender - ich mag den Interpretationsansatz des Nichts-tun-und-Kaffee-trinken während all abendlich in knallhart recherchierten Fernsehreportagen der Weltuntergang verkündet wird, sei dies nun durch vergiftete T-Shirts, Kinderspielzeug oder eben auch mal schwarze Löcher.

@Friedrichard: Insbesondere für die Kommas.

@Makita: Insbesondere für die Streichvorschläge. Da denke ich noch darüber nach. Michael spielt, so glaube ich mich dunkel an einen apokryphischen(schreibt man das so?) Text zu erinnern, Trompete bzw. Posaune. Da wird man ihn am Ende schon brauchen. So stelle ich mir das zumindest vor.

@Eisenmann: Meine Lesart von A-Wort ist Apokalypse; man darf aber gerne auch was anderes darunter verstehen.

 

Ich hab bei Wikipedia das hier gefunden, zum Thema Michael als Seelenwäger (toller Beruf übrigens):

Begleitet von vier Posaune blasenden Gerichtsengeln wägt er die Seelen, die durch den Klang der Posaunen erweckt, aus ihren Gräbern kriechen, um sich dem Gericht zu stellen.

 

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