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Kaffee, Kaffee
Die Wände wiegen hin und her, die Deckenlampen des Büros wackeln wegen des ohrenbetäubenden Geräusches aus der Küche. Die Tassen in den Schränken klirren, das Ding vor Bertha wackelt und speit dabei eine dunkle Flüssigkeit aus. Jedenfalls kommt es ihr so vor. Diese Kaffeemaschine macht sie ganz wirr im Kopf, sodass sie manchmal nicht mehr klar denken kann. In Wirklichkeit ist das Gerät recht leise. Nur wenn Bohnen gemahlen werden oder es sich auf das erneute Ausschenken vorbereitet, gibt es gurgelnde Geräusche von sich.
Bertha greift nach der Kaffeetasse. Das Aroma steigt ihr in die Nase. Noch ein Hauch dieses Duftes und sie kippt auf der Stelle um. Hier und jetzt auf dem Teppich des Flurs vor all den engstirnigen Menschen. Sie kann sich gerade noch bis ins Büro ihres Chefs zwingen, um dort die Tasse so schnell wie möglich loszuwerden. Die Tasse mit dem Untersetzer stellt sie lautlos auf den Tisch. Ihr Chef sitzt regungslos auf seinem Thron und studiert ein paar Unterlagen. Jedenfalls tut er so. Bertha beachtet er nicht eine Sekunde lang. Empört greift sie nach der alten Tasse und marschiert in die Küche zurück. Wütend schmeisst sie das Geschirr in den Spülstein, sodass dieses fast auseinander bricht. Dieser eingebildete Schnösel! Seit acht Wochen ist sie mittlerweile eine feste Mitarbeiterin und bekommt keine anderen Aufgaben als dem Chef stündlich seinen Kaffee zu servieren. Jedes Mal in einer neuen Tasse, als ob alte nicht mehr gut genug wäre. Schon lange hat sie um mehr Verantwortung gebeten, doch seitdem ist alles noch viel schlimmer geworden. Der Fettsack auf dem Chefsessel bringt nicht einmal mehr ein „Danke“ über die Lippen, wenn er bedient wird. Berthas Herz klopft wie wild.
„Dir werde ich es zeigen“, schwört sie sich.
Eine Kaffeetasse später steht sie wieder in diesem verdammten Büro. Dieses Mal geht sie mit dem Ding weniger sachte um und setzt es mit einem leisen Klirren auf das Pult und wartet. Nichts geschieht. Mit jeder zusätzlichen Kaffeetasse wendet sie ein wenig mehr Kraft auf, um sie möglichst geräuschvoll hinzustellen.
Einmal klirrt es so laut, dass sogar die Sekretärin in ihre Richtung schaut. Während die schwarze Flüssigkeit überzuschwappen droht, streicht sich Bertha nervös eine braune Haarsträhne aus dem Gesicht, rückt ihre Brille zurecht und wartet. Doch ihr Chef macht keine Anstalten, von seinen Akten aufzuschauen.
„Herr Wöhler, Sie haben zuerst meine Forderung nach mehr Verantwortung eiskalt ignoriert und jetzt ignorieren Sie mich!“, wirft sie ihm mit quieksender Stimme vor.
„Nun, Mathilde…“
„Bertha!“, räuspert sie sich.
„Natürlich. Bertha. Sehen Sie, momentan sehe ich für Sie keine andere Beschäftigung. Sie machen das, was Sie jetzt tun, doch ganz gut. Was wollen Sie mehr?“ Er schlägt ein Bein über das andere und legt beide Hände auf die Stuhllehnen.
„Verantwortung.“ Bertha verschränkt die Arme. „Abwechslung. Sonst kündige ich.“
„Die haben Sie doch. Sie müssen aufpassen, dass der Kaffee in der Tasse bleibt. Finden sie es etwa nicht abwechslungsreich, immer wieder neue Kaffeesorten auszuprobieren? Für etwas anderes sind Sie leider ungeeignet.“
„Das werden Sie noch bereuen. Ich kündige. Fristlos!“, schreit Bertha entrüstet, greift nach ihrer Tasche und stampft aus dem Gebäude.
Etwas überrascht ist Herr Wöhler nun doch, als er der aufbrausenden Kaffeefrau hinterher blickt.
„Davon werden wir keine roten Zahlen schreiben“, sagt er und blättert weiter in seinen Börsenberichten.
Drei Wochen lang hat Herr Wöhlers Sekretärin hinhalten müssen und spielte die Kaffeedame. Danach ist auch sie geflüchtet, wenn auch nicht auf Dauer. Eine Woche Ibiza tut’s auch, dachte sie sich wahrscheinlich und ging in die Ferien. Mit Ausnahme von ein paar Lieferanten, die ein und genau so schnell wieder aus gehen, ist niemand mehr im Büro. Herr Wöhler fühlt sich zunehmend unwohl. Er löst seine Krawatte, um mehr Luft zu bekommen. Kleine Schweissperlen bilden sich auf seiner Stirn und fliessen in dünnen Bächen bis zum Kragen seines Hemdes, wo sie aufgesogen werden. Neben ihm liegen ein paar leere Becher Bahnhofskaffee, die er sich heute Morgen vorsorglich gekauft hat, doch die reichen nicht aus, um den ganzen Tag zu überbrücken. Er braucht Koffein. Doch, so lächerlich es auch klingen mag, er weiss nicht, wie man die Kaffeemaschine bedient.
Jetzt steht er vor dem Hightechgerät mit den tausend Knöpfen und den mindestens doppelt so vielen Funktionen und weiss nicht, womit er anfangen soll. Ein Display zeigt „verkalkt“ an, sodass kein Kaffee mehr gemacht werden kann, bevor die Maschine nicht entkalkt wird. Herr Wöhler ist kurz davor den Notarzt anzurufen, da kommt ihm die rettende Idee. Diese Angestellte, die er eine Zeit lang hatte, diese... Wie hiess sie noch gleich?
„Mathilde, genau“, spricht er seine Gedanken laut aus. „Die konnte so gut Kaffee kochen wie keine.“
Seine Hände hinterlassen Schweissspuren auf den Seiten des Mitarbeiterregisters, als er Mathildes Namen sucht. Er kann ihn nirgends finden. Verzweifelt merkt er, wie er immer weniger Luft bekommt. Eine Art Dunst umgibt ihn, er weiss nicht, ob er sich das nur einbildet, oder ob es wirklich geschieht. Er ringt nach Atem, will das Fenster öffnen. Doch soweit kommt er nicht mehr. Vor dem Fensterbrett sackt er in sich zusammen und bleibt regungslos liegen.
„Bertha“, flüstert eine Frauengestalt durch eine Gasmaske hindurch und reisst die Seite mit ihrem Namen aus dem Mitarbeiterregister, „Bertha ist mein Name.“