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Kalter Traum

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16.09.2004
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Kalter Traum

Kalter Traum

Pässe 200 X - Mit zitterndem Finger fuhr er über die verblichene Druckerschwärze der Buchstaben und Zahlen auf dem Blatt. Dann steckte er hastig den kleinen Zettel zurück in einen großen Stapel vergilbter und zerfletterter Papiere. Beinahe so, als würde er damit versuchen, die Situation ungeschehen zu machen. Doch es war zu spät, die Erinnerungen verhakten sich schmerzhaft in seinem Kopf.

Es musste schon eine Ewigkeit vergangen sein, seit er diesen Zettel am Schalter des Einreiseamtes erhalten hatte. Drei furchtbar lange Stunden hatte er darauf warten müssen, endlich aufgerufen zu werden. Die Wort-Zahl Kombination war durch einen schrill quäkenden Lautsprecher gerufen worden. Kurz darauf war er in einen kleines, beengendes Zimmer geführt worden und durfte vor einem massigen Schreibtisch platz nehmen. Eine Frau mit angespannten Gesichtszügen hatte ihn dort in Empfang genommen und wortlos durch eine randlose Brille gemustert. „Pass“, hatte sie plötzlich aus heiterem Himmel mit rauer Stimme gebellt. Nervös hatte er in seiner Jackentasche gewühlt und ihr das Dokument überreicht. Mit fachmännischen Blick hatte sie es durchgeblätterte, ihren Blick dann gehoben und ihn nochmals streng gemusterte.
„Was wollen sie hier? Sind sie nicht ein bisschen weit weg von zu Hause?“
„Doch,... doch. Aber wissen sie, das Schicksal... manchmal muss man weite Reisen unternehmen, um auch nur einen Schritt...“, fing er zaghaft an zu erzählen.
„Ja, ja. Das reicht. Persönliche Schicksale interessieren mich nicht. Sie kommen doch alle aus dem selben Grund. Wir sind das, was sie nicht sind und besitzen das, was ihnen fehlt. Jetzt kommen sie hier her und wollen es natürlich auch haben“, hatte mich die Frau genervt unterbrochen.
„N-nein. Das stimmt so nicht ganz“, hatte er versucht, sich kleinlaut gegen ihre Beschuldigung zu wehren.
Mit einer herrischen Geste hatte die Frau ihn zum Verstummen gebracht. Nachdem sie sich steif in ihren Stuhl zurückgelehnt und ihn dabei einige Zeit lang unzufrieden angestarrt hatte sagte sie: „Nun gut. Seien sie froh, dass sie bei 200 X gelandet sind. Wären sie früher drangekommen, hätte ich ihren Antrag abgelehnt. Leider müssen wir mindestens fünf Prozent jeden Tag annehmen.“ Sie hatte theatralisch geseufzt, die Augen verdreht und ihm seinen meinen Pass zurückgeben.
„Behalten sie den erst einmal. Bald bekommen sie aber einen Neuen.“, hatte sie ihn informiert.
„Dankeschön“, hatte er vorsichtig geantwortet.
„Nichts zu danken. Sind nicht meine Gesetzte. Und vergessen sie nie - wenn es Ihnen nicht gefallen sollte, können sie jeder Zeit wieder gehen. Niemand wird sie davon abhalten.“
So war er in die neue Welt entlassen worden. Es hatte lange gedauert, bis er sich zurecht gefunden hatte. Bis sein kleines Herz sich soweit an die Kälte gewöhnt hatte, dass es auch ohne Wärme überleben konnte.

Er seufzte und pustete einen lästigen Fussel von seinem grauen Anzug. Pässe 200 X – das schlimmste, was ihm je passiert war. Mit einem Traum von Geld und Ruhm war er einst aufgebrochen. Mit dem Glauben, die Welt verändern zu können. Doch anstatt dessen hatte sie ihn verändert. Er hatte seinen alten Pass, seine alte Identität, gegen einen Neuen eingetauscht. Ein karges Stück Papier, das der Schlüssel zum Paradies hätte sein sollen, aber in eine eisige Hölle geführt hatte.
Einen Moment sah er nachdenklich aus dem penibel sauberen Fenster - vorbei an den toten Riesen aus Stein, in den grauen Himmel. In seiner Fantasie verschwamm das Bild und formten sich zu überfüllten Plätzen in staubigen Städte. Zu ein Meer an Menschen, das durch engen Gasse quoll und lärmend sich in alle Himmelsrichtungen verteilte. Plötzlich holte er aufgeregt den kleinen Zettel wieder aus dem Papierstapel hervor. Er faltete ihn vorsichtig und steckte ihn in die Innentasche seinen Jacketts. Dann packte er rasch seine wenigen persönlichen Habseligkeiten in seine Aktentasche und verließ das trostlose Zimmer, welches ihm zu lange ein heimtückischer Stundendieb gewesen war.
Draußen saß eine Frau mittleren Alters hinter einem Schreibtisch und runzelte verwirrt die Stirn, als er in den Raum platze.
„Sie, sie wissen, dass sie in wenigen Minuten Besuch von wichtigen Geschäftspartnern bekommen?
„Ja“, antwortete er frohen Mutes. „Das weiß ich.“
„A-aber,...“
Er schüttelte den Kopf und unterbrach sie sanft: „Es war schön sie kennen gelernt zu haben.“
Bevor sie irgendetwas erwidern konnte, machte er einen Satz und rannte aus dem grauen Gebäudekoloss hinaus ins Freie. Vorbei an den beiden Geschäftspartner, die gerade durch die Tür traten. Vorbei an der alten Putzfrau, die eine Zigarettenpause eingelegt hatte und ihm kopfschüttelnd hinterher sah und vorbei an dem Azubi, dem er nicht einmal den Mindestlohn gezahlt hatte. Er rannte und rannte. Solange, bis er sein neues Leben abgeschüttelt und sein altes eingeholt haben würde.

 

och,
...so kurz? Schade, ich hätte gern mehr gelesen.

Ich mochte sehr die vielen, kleinen Details und die bildhafte Sprache, leider ging mir das ganze viel zu schnell. Da lernt man den Prot. gerade ein bisschen kennen und schon rennt er weg. In machen Sätzen merkt man, wie du zusammenzufassen versuchst, was gerade passiert. Die klingen dann wie kleine Untertitel unter einer ansonsten sehr schön beschriebenen Geschichte.

Liebe Grüße, Simone.

 

Hi Tommy,

so dann wollen wir mal. Vorweg, das Bild das du beschrieben hast, hat mir gut gefallen. Aber wie Simone schon vollkommen richtig angedeutet hat ist die Länge. Da ist meiner Meinung mehr drin und auch mehr von Nöten. Dein Prot kommt an, macht seine erste schlechte Erfahrung in der Aufnahmstelle in der ihm gesagt wird, Wir wollen sie nicht, müssen aber. Und dann ist er auf einmal schon ein ( kommt nicht ganz so deutlich heraus ) erfolgreicher Geschäftsmann, ohne Werdegang. Das ist schon ein gewaltiger Schnitt den du dem Leser zumutest.

So noch ein paar Sachen zum Text.

er behutsam die über Druckerschwärze
er behutsam über die Druckerschwärze

den kleinen Zettel, zurück in einen großen Stapel vergilbter und zerfletterter Papiere.
Ich bin ja wahrlich kein Kommaspezialist aber ich glaube hier kommt keines.

weg von zu hause?“
weg von zu Hause?"
Nach der neuen Rechtschreibung schreibt man zu Hause soweit ich weiß immer groß. Bin mir grad im Moment aber net sicher. Wenn net :sealed:

Leider müssen wir mindestens fünf Prozent jeden Tag annehmen.“
Wow, diesen Satz finde ich mal richtig böse.

Schönen Gruß
Thor

 

Thx, für die Kritik :) . Die kleinen Fehler werde natürlich gleich ausgebessert. Mit der Länge muss ich mir noch was überlegen... .

Grüße

Thomas

 

Spannend geschrieben. Man wird neugierig auf deinen Protagonisten.
Das Leben in unserer Welt bezeichnet er als "eisige Hölle" und du erklärst auch warum. Mehr erfahren würde ich gerne darüber, was deinen Protagonisten wieder in sein altes Leben zurück zieht und aus welchen Lebensverhältnissen er kommt.

 

Man, man, man. Da kümmert man sich mal kurz nicht um sone Story und schon ist sie weg. Hier im Alltag ist in der Richtung ja wirklich viel los. Danke Dimusi für die Kritik! Viel länger wollte ich sie nicht machen, aber ich hab trotzdem versucht, sein altes Leben nochmal mit reinzubringen. *schulterzuck*

 

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