Kammerspiel
Vielleicht wäre es besser, wenn ich nicht dort anfange, wo der Ansatz meiner Geschichte ursprünglich beheimatet sein wollte, wenngleich es mir schwerfällt, einzugestehen, dass alle jenen Tag bildenden Situationen von
großer Hetze bestimmt waren. Es fällt mir um so schwerer, dem noch unahnenden Leser abnötigen zu wollen, die Vorbeschreibung zu jenem Erlebnis, welches meiner Feder Anlass zur Notiz gibt, mit Nüchternheit als eine einfache Spazierfahrt auf dem Fahrrad zu schildern, wobei doch gerade diese Angewohnheit, welche ich jeden Sonntag auf meinem Land unweit der Woodmountains unternahm, den Grund meiner schlaflosen Nächte einleitete :
Von körperlichem Bau bin ich durchaus von Kondition, das Alter streichelt mir zwar schon mit grauer Hand über das Haar, aber die frische Luft hier draußen hat mich nicht nur einmal gesehen, und ich würde sogar sagen, die Beschaffenheit meiner Ausdauer ist besser als die so mancher im Alter zu mir jünger im Unterschied stehender Artgenossen. Freilich bedeute diese Anmerkung keine Selbstlöbnis, ihr wissenschaftlicher Hintergrund will sich bald in den Wendungen, zu denen ich hier bemüht bin, skizzieren. Doch vorab noch:Niemals war mir der Dank für eingewohnte Strecken, wie ich sie mit Wegen, Pfaden und auch Straßen in mir durch meine zahlreichen, meist sonntäglichen Radtouren entlang des Vorgebirges eingeprägt hatte größer wie eben zu jenem Zeitpunkt, da mir mein Augenlicht den Vorschlag machte, dort auf der Straße, die meinem alten Rad durch ihr Gefälle Schwung schenkte, ein großes, dunkelbraunes buschiges Objekt als Bären zu erkennen. Ich lehnte dieses gerne ab. Heiß verzogen sich die feinen Drahtkabel meiner maroden Handbremsen und kalter Haut stolperte ich auf klotzigen Schusohlen bis zum Stillstand und wartete so zwei Sekunden. Hierauf folgte mein Entschluss zur Flucht. Ein brennendes Verlangen, dem ich auch nichts entgegenstellen wollte. Um hier vielleicht nachträglich einzufügen: Alles je Erlebte, eingeschlossen die in Stiller Einvernehmlichkeit schlecht beurteilten Gegebenheiten, die das Leben leider so mit sich bringt, machten mir in plötzlicher Umkehrung ihres Wesens Lust, stellten sich mit auf die Seite eines Willens, der auf das ausdrücklichste das Leben in mir beführwortete. Und um nichts weniger war ich dazu angetan, diesen Ort der Begegnung mit reichlicher Distanz zu füttern.
Das Tier pendelte seinen Kopf jetzt hin und her und besah mich.
Das reichte mir und schnaufend stieg ich auf die Pedalen.
Weil es aber so kein schnelleres Fortkommen gab den Berg hinauf wie durch einen Lauf etwa, ließ ich mein Drahtgestell fallen und joggte los. Welch gräßlicher Klang doch das Scheuern von Krallen über Straßenasphalt war, umsovielmehr, als das sie in direktem Zusammenhang mit meiner eigenen Bewegung, die der Flucht standen. Ich kam den Berg einfach nicht hinauf, als wäre er eine Schwellung, eine zähe, die Beine vierfach ermüdende Erhebung,
während die Kraft hinter mir immer näher stieß, dieses Raubtier, das seine Zähne und Krallen in mich schlagen, mich umherwirbeln und bei lebendigem Leibe kopfgroße Fleischstücke herausreißen würde, während ich schrie und ein geplantes Abendkonzert vor dem Radio sich dann in Blut und Dunkelheit auflösen würde. Das wollte ich nicht. Ich wollte das Konzert mitbekommen, hatte ich doch den ganzen Sonntag mich darauf gefreut! Und dieses Tier wollte mir das vereiteln?! Und jetzt lief ich wie kein zweiter. Der Bach sah mich mit einem Sprung über sich hinweg, dass Vögel, aufgeschreckt, schon hoch über den Uferböschungen, mir noch unter der Stirn lagen. Es war, als stieß mir der Wind in den Rücken und wehte mich mit großen Zügen voran. Wege und Strecken, vormals alle mit dem Rad gefahren, geleiteten mich in kürzester Verbindung zu meiner Festung, einem soliden Fachwerkhaus zurande des beschaulichen Dorfes, das ich heute immer noch meine Heimat nenne.
Was geschah weiter? Ich entkam dem Tier wie ein Kranker rennend, wie ein Irrer, dem der wahrhaftige Teufel hinterher gewesen. Und wie bereits oben angemerkt, tat die besondere Kondition, die den frischluftigen anstrengenden, landschaftlichen Erhebungen rings um meines Domizel Dank schuldig ist, nicht wenig dazu bei. Ich weiß heute, da ich im Schlaf oft in Alpträume hinabgleite, immer noch nicht, ob es hier mit Zuffall sein Wesen trieb, dass jenes Kammerspiel, das mich am Abend tatsächlich lebend vor dem Radio erwartete, als `Der Tanz des`Bären benannt wurde.