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Kannst du’s nicht, werd Toilettenmann!

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18.02.2002
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Kannst du’s nicht, werd Toilettenmann!

I

Macht bedeutet im Angesicht des Todes nichts. Erinnerungen bedeuten nichts. Nichts bedeutet etwas. Und trotzdem – vielmehr: deshalb – erzähle ich aus meinem Leben. Ich bereue nichts. Ich schäme mich nicht. Das ist keine Beichte. Du sollst mich nicht missverstehen, so lautet mein erstes Gebot.
Ein letztes Mal will ich die Lebenden nutzen.
Ich fordere Leben! Ich fordere Aufmerksamkeit!
Ich fordere dich, Leser!
Dich! – Ganz.

Einige Fähigkeiten entwickelten sich bei mir früher als bei anderen Kindern; mit vier Jahren las ich bereits mein erstes Buch: eine Geschichte über zwei Bärenbrüder, die, beim Fische fangen vom plötzlichen Anschwellen des Wassers überrascht, fortgeschwemmt werden. Nach zahlreichen überstandenen Abenteuern finden sie schließlich ihre Höhle wieder, nur um festzustellen, dass eine fremde Bärenfamilie darin lebt. Enttäuscht überlassen sie ihre Heimat den unschuldigen Dieben und begeben sich erneut auf Wanderschaft. Das Schicksal erbarmt sich ob dem Großmut der Brüder, einen Konflikt vermieden zu haben, und gleichsam als Belohnung stolpern sie über eine prächtige Höhle, in der Nähe reicher Nahrungsquellen und abseits jeder Gefahr. Dort leben sie glücklich etc.
Die moralische Korrektheit der Erzählung zeitigte geringe Auswirkungen auf meinen Werdegang. Ich war brav und voll Eifer meiner Umwelt, die mich mit Vorliebe als Sieger sah, zu gefallen, und schnell verstand ich, dass unlautere Mittel akzeptiert wurden, solange man damit Erfolge verzeichnete.
Während der Pause eines Vorlesewettbewerbs hatte ich meine Bewährungsprobe: die einzig ernsthafte Konkurrentin, Lilly, bis dahin eine enge Freundin, erpresste ich mit der Androhung, unseren Lehrern von ihren Doktorspielen mit zwei Schulkameraden zu erzählen. Sie gab mir diese sensible Information im Vertrauen auf unsere Freundschaft preis, und mein Verrat erschütterte Lilly stark; so stark, dass ihr Vortrag in einem äußerst peinlichen Weinkrampf endete und ich als Gewinner übrig blieb.
Am selben Abend plagten mich Zweifel. Ich gestand meinem Vater die Tat, der nach kurzem Überlegen fragte, ob es Zeugen meiner Unterhaltung mit Lilly gäbe? Als ich verneinte, wendete er sich ab:
„Das Gespräch hast du dir eingebildet.“
Mehr sagte er nicht. In Zukunft vermied ich, meiner ehemaligen Freundin in die Augen zu blicken und meinen Vater nach Rat zu fragen. Vergessen schien mir angebrachter; und ich vergaß.


II


Das Elite-Internat lag außerhalb von Zürich. Meine ersten Bekanntschaften begannen allesamt mit einer Lüge. Ich erlog eine bessere (lies: reichere) Herkunft, die mich nach eigenem Empfinden, auf eine Stufe mit dem Rest der Anstaltsbewohner hob. Mit der Zeit nahm die Konstruktion eines anderen Selbst unüberschaubare Ausmaße an und hätte ich es unterlassen meine Hirngespinste für echt zu nehmen, der Konflikt zwischen Wahrheit und Unwahrheit wäre nicht zu meistern gewesen.
Dabei kam mir gelegen, dass der Kontakt zu meinen Eltern auf zwei Besuche jährlich und wenige Telefonate beschränkt blieb. Nur einmal drohten Erschütterungen mein sorgsam aufgebautes Lügengebäude zu vernichten, aber meine Selbstsucht erwies sich als ungemein stabiler Baustoff.
Was meine körperliche Reife anging, war ich unterentwickelt; erst mit fünfzehn bildete sich spärliches Haar an Oberlippe und Genitalien. Um im Wettbewerb mit meinen größtenteils männlicheren Mitschülern bestehen zu können, bediente ich mich der Raffinesse des Schwachen: ich wob ein Netz aus Abhängigkeiten, sammelte Gefallen wie andere Sexbildchen und verzauberte die vermeintlichen Alpha-Tiere dahingehend, unentbehrlich zu sein.
Die Lehrkräfte mischten sich nicht in unsere Angelegenheiten, solange keine schulischen Schwächen oder andere Auffälligkeiten das Bild eines Schülers, und somit des Internats, trübten. Geschah solches, wurde hart gemaßregelt: Schulausschluss oder Disziplinarstrafen waren die Folge, je nach Ansehen und Wohlstand der Familie des Täters.
Felix Familie besaß weder Wohlstand noch Ansehen. Er selbst war begabt, aufgeschlossen, integer, der geborener Anführer und ein loyaler Freund, kurz, man musste ihn mögen. Im dritten Jahr freundeten wir uns an und obschon ich Vorsicht walten ließ, gestattete ich ihm tiefe Einblicke in mein Wesen. Wir waren die Größten: phantasievoll, voller Witz, intelligent und allen immer einen Schritt voraus.
Aber Vorteile wahrzunehmen, die Dritte schlecht aussehen ließen, wollte oder konnte Felix seinem Gewissen nicht aufbürden. Ganz im Gegensatz zu mir, dem eine Vorstellung davon was Gewissen sei, fremd war. Mein mangelnder Gerechtigkeitssinn und Felix ausgeprägtes Verständnis desselben, führten schließlich zum Bruch zwischen uns.
Nachdem ich ein weiteres Mal auf Kosten eines Mitschülers brillierte, der ohnehin der Fußabtreter aller war, sah ich Bewunderung heischend zu Felix und erschrak: seine Augen starrten kalt und Abscheu zeichnete seine Miene; er wich meinem Blick aus und ging.
In dieser Nacht suchte ich nach Gründen:
ich bin unschuldig, ich war klüger, ich bin beliebt, respektiert…er muss neidisch auf mich, meine Erfolge, meine Stärke sein, sonst hätte er nicht so reagiert; er will mich fertigmachen, er hasst mich, er hasst mich…
Ich weinte. Zorn, Furcht und Verzweiflung rissen an meiner Selbstwahrnehmung.
Mein einziger Freund, was soll ich ohne meinen einzigen Freund tun?
Mein Innerstes zerfiel zusehends, aber Doktor Selbstschutz stülpte, Kontrolle übernehmend, Ablenkung über meine klaffende Seele: er lenkte meine Aufmerksamkeit von mir weg, und für den Rest der Nacht hallten vier Worte als Endlosschleife in meinem Kopf:
er will mich fertigmachen…
Knappe zwei Wochen später ertappten sie Felix und ein paar andere. Die Gruppe kehrte gerade von einem nächtlichen Ausflug zurück, den ich einige Stunden zuvor bleich, fiebrig und elend absagen musste. Ausgerechnet jetzt krank zu sein, schrecklich; dass Mitleid meiner Kameraden war mir gewiss, und Felix – wir vertrugen uns wieder – versprach mir sogar eine Flasche Bier als Trostgeschenk.
Den Tipp erhielt die Lehrerschaft von Alexander, dem Fußabtreter, der überzeugt war, ich würde mich unter den Delinquenten befinden. Die Information fiel ihm scheinbar zufällig vor die Füße: ein Plan mit der besten Route über den Zaun, den geplanten Zeiten für unseren „Freigang“ und den Teilnehmern. Seine Rache traf nicht mich, sondern Felix: als einziger ohne den nötigen familiären Rückhalt, zum Sündenbock auserkoren, musste er die Schule verlassen. Jetzt konnte mich niemand mehr fertigmachen.

III


„Frauen sind wichtig für uns Männer, hat mein Vater immer gesagt, und jetzt weiß ich auch was er damit gemeint hat: je geiler, desto wichtiger!“
Wir lachten.
Auf dem Tisch standen bereits einige leere Flaschen Dom Pérignon. Er öffnete eine weitere, nahm einen tiefen Schluck, rülpste zufrieden und griff sich in den Schritt: „Eins ist schon mal klar, heute Abend bums ich Karina von hier bis nach Moskau, das Luder…“
Dass Phillip genau das tun würde, daran zweifelte niemand von uns. Ein jeder der vier Anwesenden wollte zum Stich kommen und unsere Chancen standen gut. Welches Mädchen mochte nicht mit einem attraktiven, viel versprechenden und wahrscheinlich bald steinreichen Jungunternehmer auf dessen Party vögeln?
„Ok, Jan, du hast die Wahl, Karina ist vergeben, ich nehme Meike und André nimmt Janine.“
Jan streichelte seinen Kinnbart, blickte zu mir, dann zu Phillip und sagte: „Scheiße, ich nehme dich, du geiler Hengst!“, sprachs, sprang auf und begann wie ein Irrer Phillip trocken zu ficken.
Der beugte sich willig nach vorne und umklammerte den Tisch, währenddessen beide keuchend und lachend Grunzlaute von sich gaben.
„Und was ist mit mir? Gefalle ich dir nicht? Du Schuft, du!“ André griff sich mit der einen Hand ans Herz, warf den Kopf zurück und hielt sich mit der anderen die Stirn. „ Wie konntest du mich so betrügen?“, jammerte er in Richtung Jan.
Ich klopfte ihm auf die Schulter und schlang meinen Arm um ihn: „Na komm Süßer, du hast ja noch mich.“, ließ ich ihn mit tiefer Anteilnahme wissen.
André sah mich an und für den Bruchteil einer Sekunde schien es, als ob echtes Verlangen in seinen Augen aufblitzte. Der Moment ging jedoch schnell vorüber und erst Monate später sollte mir diese Merkwürdigkeit wieder in den Sinn kommen. Vorerst schwelgten wir einfach zu sehr in unserem von Erfolg, Kokain und Alkohol induzierten Größenwahn.
Die Feier lief wie geplant; wir glänzten als großzügige Gastgeber, Aufputschmittel und Respektsbezeigungen aller Art ein- und entgegennehmend, aber das wichtigste waren die anwesenden Frauen, vor allem eine:
Meike, der blonde Stern, meine Favoritin.
Meistens hielt ich mich in ihrer Nähe auf und versuchte so zuvorkommend wie möglich zu sein, bei „Highheitsgrad: enorm hoch!“, nicht gerade ein Leichtes.
Heute Abend würde ich sie knacken, das schuldete ich meinem Ego, und nachdem die meisten der Gäste begrüßt und versorgt waren, ging ich zum Nahkampf über.
„Du siehst super aus, Meike.“ –
„Danke, du bist auch nicht übel.“ –
„Lass uns nach oben gehen, da sind wir ungestört.“
Schweigen.
„Das alles hier interessiert mich null Komma null null. Nur du interessierst mich!“, sagte ich forsch und legte meine Hände auf ihr Becken.
„Weißt du, ich mag dich wirklich.“ Sie stand nah bei mir, hielt den Kopf gesenkt und spielte mit ihren Fingern an meinem Hemdkragen. Das Fest tobte um uns herum, aber der Lärm und die Enge sorgten für Ungestörtheit.
„Es ist nur…“, jetzt sah sie mich an, „ich glaube, ich meine… vielleicht sollten wir noch ein bisschen warten. Ich bin nicht so eine.“
Ich wurde wütend, eine solche Antwort war in meinem Plan nicht vorgesehen. War sie denn nicht scharf auf mich? Was wollte die dumme Kuh eigentlich? Reden? Heiraten?
„Hör mal, entweder du kommst jetzt mit oder ich such mir eine andere, klar?“ fuhr ich sie an. Meike erschrak, unsicher wie sie meinen Stimmungsumschwung einordnen sollte, doch dann besann sie sich.
„Du ekelhafter, beschissener Drecksack. Du Arschloch, Schwein!“
Mit Tränen in den Augen stieß sie mich zur Seite und drängte wutentbrannt durch die Menge in Richtung Haustür.
„Ja, hau doch ab!“ murmelte ich leise und sah mich um. Phillip winkte mir zu. Ein Grinsen füllte sein Gesicht. Kein Wunder, er stand ja auch in einer Gruppe gut aussehender, lachender Frauen.
Na also, dachte ich, – mich zu Phillip gesellend – es gibt mehr als genug Weiber, eine so gut wie alle, alle für mich, scheiß auf Meike, jetzt genieße ich den Spaß hier…
…und erwachte neben einer nackten Brünetten, die ich nie zuvor gesehen hatte.
Mit hämmernden Kopfschmerzen gelang es mir mich aufzurichten und ins Bad zu schleppen, wo ich Waschbecken, Klo und Badewanne kaputt kotzte. Fetzen der gestrigen Nacht schoben sich in den würgfreien Sekunden ungewollt in mein Bewusstsein: Bilder von Brüsten, ein von einer – meiner? – Hand umschlossener Hals, mein Spiegelbild – halb irre – koksend, angsterfüllte Mädchenaugen, Lachen, Schweiß, Haare…kotzen.


IV


Den Beschluss fassten wir einstimmig: Wir wollten wachsen.
Unser Unternehmen, attraktiv aufgestellt, zog bereits jetzt die Aufmerksamkeit großer Gesellschaften auf sich. Den Vorsitzenden der Axxton-Group traf ich beim Skiurlaub in der Schweiz, in einem Restaurant, in dessen Garderobe jeder Pelzhändler vor Freude geweint hätte.
Er war ein ungewöhnlicher Typ: kräftig und untersetzt glich er eher einem Ringer als einem Geschäftsmann; dazu wurde er leicht laut, und seine Unkompliziertheit vermittelte ein Gefühl der Sicherheit, so als spräche man mit einem alten Kumpel, einem den man mochte und dem man vertraute. Gefährlich also.
An die Bar gelehnt nippte ich gerade an meinem Verdauungs-Likör, die High Society Ladies betrachtend. Wie aus dem Nichts riss mich eine dröhnende Stimme aus meinen Tagträumen.
„Geben Sie mir das gleiche, ja, ja richtig. Was der junge Herr da trinkt.“
„Ah, genau das richtige nach der Fresserei, nicht wahr junger Mann?!“
„Ja, ein feines Gesöff, räumt auf…“ sagte ich, meinen Bauch tätschelnd.
Wir standen uns jetzt gegenüber und ich erinnere mich zu rätseln, wie alt der Kerl vor mir wohl sei? Meine Überlegungen wurden unterbrochen: „Bartholomäus Freiherr von Geßthal. Sie können mich Bart nennen, sie sind mir sympathisch, wissen sie!“
Ich schüttelte seine Hand, eines Waffenscheins würdig, so breit und fest waren die Finger und akzeptierte das Du.
„Zum ersten Mal hier, hm? Nicht viele Leute deines Alters in dem Laden, von den jungen Dingern da mal abgesehen. Was machst du?“
Wir leerten unsere Digestiv, während ich ihm meine Tätigkeiten beschrieb. Er schien aufmerksam zuzuhören, bestellte zwei Obstler, nickte, hob das Glas:
„Prosit!“
Wir kippten.
„Noch zwei! – hör mal, mein Junge, das klingt interessant, sehr interessant sogar, habe von deiner Firma gehört. Morgen Zeit? Ja?! Sehr gut, wo wohnst du?“
Ich teilte ihm mein Hotel mit.
„Gut, morgen sieben Uhr?! Gut, gut. Du wirst abgeholt! Bring Hunger mit! Nun aber Prost.“
Er stürzte den Klaren, bezahlte, klopfte zweimal auf die Theke und ging. Einigermaßen verwirrt sah ich ihm hinterher, nicht sicher was ich von dieser Episode halten, geschweige denn erwarten sollte.

Ein Bediensteter führte mich durch dezent beleuchtete Gänge, an deren Wänden neben schweren roten Teppichen in regelmäßigen Abständen V-Schilde und gekreuzte Schwerter hingen.
Das martialische Ambiente des Schlosses, die hohen im Halbschatten gelegenen Decken, das flackernde Licht: ein Hollywood Streifen, ich der Hauptdarsteller und als Krönung des ganzen der Speisesaal; ein Tisch, nein, eine Tafel, gewaltig in ihren Ausmaßen, aus schwerem, fast schwarzen Holz gezimmert, atemberaubend und einschüchternd zugleich, beherrschte den Raum. Mein Gastgeber saß in einem hochlehnigen Stuhl und empfing mich mit Gönnermiene. Ganz Padrone, ganz Boss.
„Ah, mein Lieber, willkommen!“
Er schüttelte meine Hand.
„Johann, Essen her, ZackZack, ich habe Hunger!“
„Beeindruckend, das Schloss ist gigantisch. Also Bart, si…, entschuldige – wir duzen uns ja – also, du musst sehr Stolz darauf sein.“
„Ich besitze noch zwei weitere. Dieses hier ist das „mittelgroße“. Aber die Atmosphäre, die Atmosphäre…einfach unschlagbar. Wenn ich kann, komme ich hierher – leider viel zu selten.“
Ein Servierwagen schob sich durch die zweiflügelige Tür, ein edles Ding, blitzendes Gold und Silber und dahinter der distinguierte Johann, der perfekter Butler. Er begann zu servieren und wir begannen zu tafeln. Bart schien sich nur auf die Wahrnehmung der Speisen zu konzentrieren und während des Essens wechselten wir kein Wort.
Das Essen, nichts anderes hatte ich erwartet, schmeckte vorzüglich.
„So, mein Junge“, die Mokkatasse setzte geräuschlos auf dem goldumrandeten Tellerchen auf, „kommen wir zum Geschäftlichen. Du weißt wer ich bin (tatsächlich hatte ich mich genauestens informiert), und, kluges Köpfchen das du bist, ahnst du mein Interesse an deinen – euren – Unternehmungen…“, das „euren“ troff verächtlich, fast obszön, von seinen Lippen, „…und bestimmt wirst du mein Angebot nicht abschlagen. Wir steigen bei euch ein, im großen Stil, vorausgesetzt zwei deiner Teilhaber fliegen raus, genauer: Jan Prosch und André Seydwart. Die beiden sind unfähig, den Hampelmännern fehlt der Killerinstinkt.“
„Meine, äh, Freunde, rausschmeißen…wie…?“
„Hör mir gut zu: wenn du auch so leben willst“, er machte eine ausladende Geste, „solltest du das Wort „Freunde“ neu definieren. Ich bin dein Freund: ich habe Geld. Macht. Wie du es anstellst, die beiden wegzumachen? Mir egal. Kannst du’s nicht, werd Toilettenmann!“
Darauf wusste ich nichts zu sagen.
„Gut, ich habe noch zu tun. In drei Monaten hörst du von mir. Gibt es bis dahin keine befriedigenden Neuigkeiten, wirst du nie mehr von mir hören. Johann! Begleiten sie meinen Gast nach draußen.“
Ich war entlassen.
Auf der Nachhausefahrt blitzten Möglichkeiten. Gute Möglichkeiten. Ich nahm mein Mobiltelefon zur Hand und wählte Phillips Nummer.

V


„Wem dienst du?“
„Dir, Herr!“
„Was bist du?“
„Dein Sklave.“
„Was willst du?“
„Dich, Herr.“
„Falsche Antwort…du hast nichts zu wollen, rein gar nichts!“
„Ja, Herr.“
Die Peitsche traf empfindliche Stellen und André zuckte zusammen. Ich betrachtete das Ganze als Übung in Sachen Macht, eine Übung die mich stärken und die ihn, verliebt wie er war, vernichten würde. Das fehlende Quäntchen um seine Abhängigkeit komplett zu machen hatte ich bisher nicht eingesetzt: meinen Schwanz.
Offen gestanden, anfangs bereiteten mir unsere Homo-Machtspiele einige Schwierigkeiten, aber letztendlich genoss ich meine wachsende Herrschaft über André und jetzt, durchdrungen von seiner Willenlosigkeit, erregte mich der Gedanke an die bevorstehende Penetration. Die Idee seine Sexualität zu instrumentalisieren reifte nach dem Gespräch mit Geßthal. Mein Gehirn schenkte mir Rückblenden von Blicken und Gesten und ich erkannte plötzlich, was mein Bewusstsein lange nicht erkennen wollte: André war schwul und mir mehr als nur freundschaftlich zugetan.
Damals erinnerte ich mich an Lilly, meine Kindheitsfreundin, und ich verstand, dass sich an den Spielregeln grundsätzlich nichts geändert hatte. Informationen alleine machten aus niemandem einen Sieger, erst deren skrupellose Verwendung ermöglichte auf der Gewinnerseite zu stehen.
Inzwischen verlustierte sich Jan mit den angenehmen Dingen des Lebens, angestachelt von Phillip, einem echten Freund und seines Zeichens Lieferant von Drogen, Sex, noch mehr Drogen und noch mehr Sex. Unser Vorhaben schien aufzugehen: Jan und André hatten kaum noch Kontakt zueinander und beide waren von Leidenschaften versklavt, denen ihr mickriges Selbst nichts entgegen setzen konnte.
Mir blieb vorerst nur noch eines zu tun: zustoßen! – Und genießen.


VI


„So geht das nicht! Das ist doch Scheiße!“ Das Handy zerbarst an der Wand. André zuckte zusammen, schaute mich dumm-verliebt an und legte seine Hand auf meinen Arm.
„Der Kerl kann nicht mal mehr sprechen, der ist wieder komplett zu, das Arschloch!“
„Mir hat er versprochen heute fit zu sein“, sagte Phillip und zögerte kurz, „aber wie es aussieht, sind seine Versprechungen wertlos.“
„Er wird zu einer Last. Ich schlage vor, wir schmeißen ihn raus. Er bekommt eine Abfindung und fertig. Soll er sich doch das Hirn wegballern, wir haben ein Unternehmen zu führen, und ich zumindest kann mir diese Scheiße nicht länger antun. Er kostet uns Zeit, Zeit die wir nicht haben. Seid ihr einverstanden?“
Phillip gab eine Glanzvorstellung: in faustischer Verzweiflung schien er noch einmal alle Möglichkeiten durchzuwälzen, um letztendlich widerstrebend, auf Andreas’ drängen hin –
„Wir müssen an unsere Firma denken!“ – zuzustimmen:
„Na gut! Ihr habt mich überzeugt. Aber es fühlt sich falsch an, so falsch…“

Der erste, schwierigere Teil von Geßthals Forderung war damit erfüllt. Wir leiteten die Ausschließungsklage ein, um Jan rechtskräftig als Teilhaber eliminieren zu können und stellten den paranoiden Beinahe-Junkie vor vollendete Tatsachen. Was aus ihm wurde, weiß ich nicht; es hat mich nie interessiert.
André befolgte meine Befehle, er war zu meiner Marionette geworden. Erst stimmte er Jans Ausschluss zu, dann zwang ich ihn bei einem unserer Spielchen seine Verzichtserklärung zu unterschreiben. Kurze Zeit später beendete ich unsere Beziehung und er entschloss sich, einen Selbstmordversuch durchzuführen; und tatsächlich, Bart sollte Recht behalten, ihm fehlte jeglicher Killerinstinkt. Der Versuch scheiterte und André wurde Dauergast in diversen psychiatrischen Einrichtungen.
Ein paar Jahre danach erreichte mich ein Brief von ihm. Darin erging er sich über die alten Tage, den Spaß, den wir zusammen hatten, dann begann die Schrift immer unleserlicher zu werden:
„Ich liebe dich. Ich liebe dich noch immer. Alles was passiert ist, war meine Schuld. Ich hätte mich mehr für dich anstrengen sollen, aber deine…[unleserlich]…verstanden…[unleserlich]
…weiß ich was zu tun ist.
[unleserlich]…und wenn es bedeutet, dass du STERBEN (das Wort Sterben mehrmals nachgezeichnet und unterstrichen) musst. Du oder ich, einer von uns muss gehen!!!“
Ich schrieb zurück, hieß ihn zu mir kommen.
Er kam.
Ich schwor, dass ich ihn liebte, streichelte seinen Kopf, trocknete seine Tränen, zärtlich, liebevoll – und stach ihn ab.
Manche Menschen lernen nie und André gehörte zu diesen Unbelehrbaren. Sogar jetzt erschauere ich, nach all den Jahren, wenn ich fühle was ich damals fühlte: leuchtende Gnade, erhabene Ruhe, Göttlichkeit.
Für mich und Phillip, mit dem ich weiterhin gute geschäftliche Kontakte pflegte, begann ein ungeheuerlicher Aufstieg. Das Volumen unserer Unternehmungen verhundertfachte sich, genau wie das Geld auf unseren Konten. Von da an konnte ich mir alles leisten, alles nehmen, alles auskosten.

Das ist viele Jahre her und meine Erfolge langweilen mich, ekeln mich sogar, und deshalb erspare ich mir weitere Einzelheiten, verhasster Leser, und fluche stattdessen:
Dieser verdammte Körper. Dieser Mensch, der verlangt wie die anderen zu sein, fordert Gleichheit. Ich hasse Gleichheit. Ich hasse meinen Körper. Ich hasse Menschen. Die Schlechtweggekommenen mögen sich aus der falschen Gerechtigkeit, die das Dasein unerbittlich von uns fordert, Trost verschaffen; ich kann es nicht. Unsere Welt ist krank und sie teilt ihre Krankheit mit ihren Kreaturen. Ich hasse Menschen, weil sie kranke Tiere sind. Ich hasse diese Welt…
…umsonst.
Alles umsonst.

 

Hallo,
also ich kann nur sagen: Ich bin echt beeindruckt!
Super geschrieben und amüsant. Aber vor allem an so vielen Stellen erschreckend und trotzdem irgendwie unheimlich wahr!
Hat mir Spaß gemacht zu lesen :)
Gruß

 

Hallo Testos,(teron?)

ich muß gestehen, Deine Geschichte läßt mich etwas ratlos zurück.
Sicherlich, kraftvoll geschrieben in weiten Teilen, springend zwischen "American Psycho" und "Roter Drache", teilweise ein soger ein bisschen suggestiv. Für die Schreibe auf jeden Fall ein Kompliment.

Was mich ratlos zurüchläßt, ist der letzte Teil der Geschichte. Der Prot haßt die Menschen, okay, habe ich verstanden. Er war machtgeil, ist es jetzt nicht mehr? Haßt seinen Körper, aber nicht seinen Geist?
Haßt er sich selbst genug für einen Selbstmord?
Irgendwie scheint mir das Ende nicht rund genug. Für mich (das ist halt mein ganz persönlicher Eindruck), endet das Ganze zu abrupt. Ebenso wie die Beziehung zu, und das Leben von, André.

Lieben Gruß
Dave

 

Hallo,

freut mich das die Schreibe gut ankommt.

Dave, ist dir der Anfang entfallen? Der Protagonist stirbt. Er erzählt seine Geschichte auf dem Sterbebett. Er hasst seinen Körper (wenn du so willst: die Existenz an sich), weil er weiterleben will.

Grüsse

Testos

 

Hallo Testos,

die Geschichte laesst mich gaenzlich unschockiert und -geruehrt zurueck. Ich nehme diesem Schwafler seine sorgsam zur Schau gestellte Bosheit nicht ab.
Besonders die Jugendgeschichte bringts gar nicht. Erst der dramaturgisch unvorteilhafte Uebergang der duester grollenden Leseransprache zur ausufernd nacherzaehlte Bearchengeschichte, dann die etwas lahme und umstaendlich erzaehlte Lillygeschichte - da koennte ich mir tausend knackigere Bosheitsgeschichten zur Einfuehrung des Charakters vorstellen. Die Internatsgeschichte ist ebensowenig praegnant. Statt einer kurzen, eindrucksvollen Szene, eine ellenlange und bilderlose Erzaehlung.
Gut, und dann ist er ruecksichtsloser Geschaeftsman - klar wilde Parties, klar Weiber, klar Koks, man kennt sie ja, die Herren. Der Verrat an den Geschaeftspartnern wieder irgendwie unspektakulaer und die Morde ergeben sich fuer mich nicht aus dem zuvor gezeichneten Charakter. Dafuer ist alles zu banal und blass.

Den Schreibstil fand ich persoenlich auch oft umstaendlich und bemueht, genauso unsouveraen wie den pseudo-coolen Erzaehler.

Am selben Abend plagten mich Zweifel. Ich gestand meinem Vater die Tat, der nach kurzem Überlegen fragte, ob es Zeugen meiner Unterhaltung mit Lilly gäbe? Als ich verneinte, wendete er sich ab:
So indirekte Rede zum Beispiel erhoehgt das Tempo nicht gerade

ich wob ein Netz aus Abhängigkeiten, sammelte Gefallen wie andere Sexbildchen und verzauberte die vermeintlichen Alpha-Tiere dahingehend, unentbehrlich zu sein.
Das "wob" muss ich loben. Das ist ein super Wort, das oefter verwendet werden sollte. Das mit dem Sexbildchen halte ich fuer eine eitle Metapher und ob er sich unentbehrlich macht oder den Alphatieren das Gefuehl gibt, unentbehrlich zu sein, ist mir nicht klar. In jedem Fall ist "jemanden dahingehend verzaubern" schlimm verstelzt.

Ich weinte. Zorn, Furcht und Verzweiflung rissen an meiner Selbstwahrnehmung.
[...]
Mein Innerstes zerfiel zusehends, aber Doktor Selbstschutz stülpte, Kontrolle übernehmend, Ablenkung über meine klaffende Seele: er lenkte meine Aufmerksamkeit von mir weg
Diese Metaphern passen nicht so recht zum sonstigen Erzaehlstil. Als wuerde immer mal wieder die Lautstaerke aufgedreht, so als Echo des Pauken und Trompeteneinstiegs.

„Du siehst super aus, Meike.“ –
„Danke, du bist auch nicht übel.“ –
„Lass uns nach oben gehen, da sind wir ungestört.“
Schweigen.
„Das alles hier interessiert mich null Komma null null. Nur du interessierst mich!“, sagte ich forsch und legte meine Hände auf ihr Becken.
„Weißt du, ich mag dich wirklich.“ Sie stand nah bei mir, hielt den Kopf gesenkt und spielte mit ihren Fingern an meinem Hemdkragen. Das Fest tobte um uns herum, aber der Lärm und die Enge sorgten für Ungestörtheit.
„Es ist nur…“, jetzt sah sie mich an, „ich glaube, ich meine… vielleicht sollten wir noch ein bisschen warten. Ich bin nicht so eine.“
Da hab ich mich fuer die beiden ein bisschen geschaemt.

Aber am wenigsten hat mir der Einstieg gefallen:

Macht bedeutet im Angesicht des Todes nichts. Erinnerungen bedeuten nichts. Nichts bedeutet etwas. Und trotzdem – vielmehr: deshalb – erzähle ich aus meinem Leben. Ich bereue nichts. Ich schäme mich nicht. Das ist keine Beichte. Du sollst mich nicht missverstehen, so lautet mein erstes Gebot.
Ein letztes Mal will ich die Lebenden nutzen.
Ich fordere Leben! Ich fordere Aufmerksamkeit!
Ich fordere dich, Leser!
Dich! – Ganz.
:dozey:Flachwahrheiten, ueber die man besser gar nicht nachdenken soll. Aber er passt in seiner Widerspruechlichkeit gut zum jaemmerlich narzisstischen Erzaehler. Vielleicht habe ich auch bloss das erste Gebot gebrochen.
Tut mir leid, aber dieser Text ist ein Poser.

lg
fiz

 

Hallo Feirefiz,

einige Punkte deiner Kritik kann ich nachvollziehen. Die ersten zwei Kapitel sind tatsächlich eher mühsam. Die Geschichte entstand mit dem Ziel verschiedene Erzählformen auszuprobieren und entwickelte sich über 2-3 Monate zur jetzigen Form. Ab dem 3. Kapitel kommt direkte Rede ins Spiel etc.

"Der Verrat an den Geschaeftspartnern wieder irgendwie unspektakulaer und die Morde ergeben sich fuer mich nicht aus dem zuvor gezeichneten Charakter. Dafuer ist alles zu banal und blass."

Es ist nur ein Mord und nach allem was der Protagonist vorher mit Kälte ausgeführt hat, wundert ein Mord nicht wirklich. Soll auch so sein. Kalt, gefühllos.

Der Anfang wurde zum Schluss geschrieben, um gemeinsam mit dem Ende einen Rahmen zu bilden und ich verstehe, wenn der pompöse Tonfall manchen Leser wenig anspricht.

Das der Erzähler versucht "pseudo-cool" rüberzukommen, höre ich zum ersten Mal und empfinde das auch nicht.

Was sind "eitle Metaphern"? Und was ist ein "Poser"-Text?

Nicht alles kann allen gefallen.

Grüsse

Testos

 

Hallo Testos,

also ich hab Deine Geschichte nicht ungern gelesen. Nein, ich will nicht sagen, ich habe sie verschlungen, aber ich war doch rege interessiert. Und ich habe mich auch nicht gelangweilt, in keinem Abschnitt.

Aber ich habe mir auch die Frage am Schluss gestellt ??? wie jetzt, versteh ich nicht. Dachte mir den Bezug zum Anfang, der passt ja auch nicht zum Rest und war immer noch nicht schlauer. Und nun lese ich, dass der Typ im Sterbebett liegt ... das musst Du mir doch sagen :confused:! Also, ich meine, jetzt wo Du es sagst ... und selbst mit diesem Wissen erschließt sich das Ende mir nicht.

Dein Prot ist ein A..., dass hast Du in vielen Varianten hübsch ausgeschmückt, man hat so gar keine Gelegenheit ihn gern zu haben und das finde ich konsequent. Selbstverliebt und die Gier nach Macht, darauf lässt er sich reduzieren und ist somit dann doch wieder ein armer Sch...kerl, ach ne, er war einer ;).

Beste Grüße
Fliege

 

Hi Fliege,

freut mich, wenn die Geschichte einigermassen ankam.

Ich dachte sein baldiger Tod erschliesst sich aus folgendem:

"Macht bedeutet im Angesicht des Todes nichts. Erinnerungen bedeuten nichts. Nichts bedeutet etwas. Und trotzdem – vielmehr: deshalb – erzähle ich aus meinem Leben."

Aber naja, wenn man eine Geschichte schreibt, ist sie einem ganz anders klar, als jemandem, der sie liest.

Wie oben erwähnt, verflucht dieser "Nimmersatte" alle Existenz, er ist so verliebt in SEIN Leben, daß er es nicht ertragen kann nicht weiterzuleben und da er nur sich als Maß anerkennt, erscheint ihm alles andere als wertlos. Er ist im Grunde eine arme Wurst.

Grüsse

Testos

 

Hallo Testos

Ich dachte sein baldiger Tod erschliesst sich aus folgendem:
"Macht bedeutet im Angesicht des Todes nichts. Erinnerungen bedeuten nichts. Nichts bedeutet etwas. Und trotzdem – vielmehr: deshalb – erzähle ich aus meinem Leben."

Ich dachte Dein Prot plaudert seine Lebensphilosophie daher. Kann er ja auch denken, ohne dabei zu sterben. So habe ich es empfunden.

Die Erfahrung, dass man selber viel mehr über seine "Helden" weiß, als der Leser, habe ich auch schon gemacht. Passiert :).

Das er am Ende nur ne arme Wurst ist, habe ich verstanden ;) oder besser gesagt, dass hat sich mir schon erschlossen.

... er ist so verliebt in SEIN Leben, daß er es nicht ertragen kann nicht weiterzuleben.
Das wiederum nicht.

Ich hoffe, ich konnte helfen.

LG Fliege

 

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