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Karnivoren

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22.03.2015
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Karnivoren

Was die Sümpfe an Insekten auszubrüten vermochten, kreiste und flatterte um die Lichtfalle über Lorraines Kopf. Sie hatte es aufgegeben, schlafen zu wollen. Stattdessen lehnte sie sich auf das Balkongeländer und sog den Rauch der Zigarette zwischen ihren Fingern ein.
Die Nacht war schwül und windstill. Ein voller Mond hing über den Gewässern, die sich in der Dunkelheit wie ein Abgrund hinter dem Grundstück auftaten. Von irgendwoher vernahm Lorraine das weit entfernte Aufheulen eines Bootsmotors. Die ersten Fischer rückten aus. Nicht mehr lange bis Sonnenaufgang.
Aus dem Schlafzimmer hinter ihr drang ein kurzes Geräusch. Danach vernahm sie wieder das gewohnte, kehlige Schnarchen. Lorraine nahm den letzten Zug ihrer Zigarette und drückte sie auf der Steinplatte aus. Sie ließ den Träger ihres Nachthemdes über die Schulter rutschen und häutete sich aus dem seidenen Kleidungsstück, das geräuschlos zu Boden glitt. Sie hätte es ohnehin demnächst ausziehen müssen.
Lorraine schob die Vorhänge zur Seite und ging zurück ins Schlafzimmer. Unmittelbar neben der Lichtfalle hatte eine Spinne ihr riesiges Netz gesponnen. Kluges, geduldiges Tier.


Umgeben von hohem Schilf, beobachtete Russel Pearce zur selben Zeit, wie mehrere Männer eine Abdeckplane über die Ladefläche seines Pick-ups zogen. Neben dem Wagen stand ein Vorarbeiter und leuchtete ihnen mit einem Handscheinwerfer. Während sie die Verankerungen schlossen und sich die Plane anspannte, erteilte er Befehle in einer Sprache, die Pearce nicht verstand.
Die Arbeiter ließen von dem Wagen ab, rieben sich die Hände und klopften sich den Staub von den Klamotten. Im Halbdunkel bildeten sie eine kleine Gruppe und ließen zur Belohnung für die schwere Arbeit eine Packung Tabak von Hand zu Hand wandern.
Pearce trat ins Scheinwerferlicht seines Wagens und zog ein Bündel Geldscheine aus der Tasche. Der Vorarbeiter kam auf ihn zu.
„Geschafft, Mr. Pearce“, sagte er und entledigte sich seiner Arbeitshandschuhe. „Die Betäubung lässt nach Sonnenaufgang nach.“
Pearce warf einen Blick zum Wagen, streckte dem Mann dann das Geldbündel entgegen. Dieser nahm seinen Strohhut ab und griff danach. Doch Pearce ließ nicht gleich los.
„Männlich?“, fragte er. „Es bestehen keine Zweifel?“
„Nein. Keine Zweifel, Mr. Pearce. Ein Männchen.“
Pearce nickte und übergab sein letztes Bargeld in die von Hornhaut und harter Arbeit gezeichneten Hände. Der Vorarbeiter drückte das Geldbündel mit seinen Fingern zusammen. Die Dicke war ihm Prüfung genug. Er setzte sich seinen Hut wieder auf, zog ihn sich zur Verabschiedung tief ins Gesicht und drehte sich um.
Mit einem Pfiff rief er seine Männer zu sich und ging davon. Ohne dass sie sich noch einmal in Pearce Richtung umsahen, folgten sie dem Mann über einen Trampelpfad durch das hohe Sumpfgras und waren schon bald außer Sichtweite.
Pearce wartete einen Moment, ehe er zu seinem Wagen ging. Er öffnete die oberen Knöpfe seines Hemdes. Der Stoff klebte ihm auf der Haut.

Der Tag war bereits angebrochen, als Pearce den Pick-up über den Asphalt steuerte. Mit der Sonne kam auch die Hitze, die sich von nun an unaufhaltsam ausbreiten würde.
Die Straße, die vom Festland in Richtung der Inseln führte, war gänzlich von Wasser umgeben, in dem sich der noch orangefarbene Morgenhimmel spiegelte. Die ersten Fischerboote kehrten bereits von den frühen Fängen zurück.
Pearce klappte die Sonnenbrille herunter, ließ sich in den Sitz sinken und lauschte dem Fahrtwind, der über den Wagen hinwegfegte. Ein Straßenschild verriet ihm, dass er die Hälfte seines Weges bereits zurückgelegt hatte. Er bog den Rückspiegel zurecht und verschaffte sich einen guten Blick auf die Ladefläche. Der Wind zog an der Abdeckplane und rüttelte an den Verankerungen. Deutlich spürte Pearce das Gewicht seiner Fracht. Er sah wieder nach vorne, ließ den Kopf zurückfallen und drückte das Gaspedal durch.


„Oooooouuuhhjjaaaahhhhh!“
Noch immer stoßend, entlud sich Quinton Harris nach zweistündiger Verausgabung in seine Frau Lorraine, die sich daraufhin mit einem langgezogenen Seufzer bei ihm bedankte.
Harris entspannte sich und ließ seinen massigen Körper noch einige Minuten auf Lorraine ruhen, damit sie auch bis zum letzten Tropfen in den Genuss seines Erbgutes kam.
„Oh, Kleines“, stöhnte Harris, und rollte sich von ihr herunter. „Sag mal, warst du mir vielleicht irgendwas schuldig?“
„Nicht mehr als sonst.“
Harris lachte auf.
„Von wegen. Du hast mich ausgesaugt.“
Lorraine richtete sich auf und strich sich das gelockte, rote Haar hinter die Schultern. Sie griff nach ihrem Handy, tippte ein paar schnelle Zeilen und legte es ebenso zügig wieder zurück.
„Schätze, wir können es einfach immer noch“, sagte sie.
„Wie am ersten Tag, Kleines“, sagte er und zwickte ihren Oberschenkel. „Wie am ersten Tag.“
Harris hievte sich aus dem Bett und strich sich das schüttere Haar quer über die Halbglatze. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn.
„Gottverdammte Glut“, knurrte er.
Lorraine erhob sich ebenfalls und zog die Vorhänge auf. Sie lehnte sich gegen den Türrahmen des Balkons und blickte in die Ferne. Die Sonne stand bereits hoch und lähmte das Land. In einer Fata Morgana, weit draußen über den Gewässern, schmolz die Silhouette einer Yacht dahin.
Harris betrat den Kleiderschrank und griff gezielt nach seiner Badehose. Das Schwimmengehen nach dem Sex hatte er über die Jahre zu einer Art Ritual herangezüchtet. Ein persönlicher Trieb, dem er noch mit zwei gebrochenen Armen und Beinen nachgehen würde. Zu sehr genoss er es, wenn die noch immer kribbelnden Lenden in das kalte Wasser eintauchten.

Sekunden jedoch, nachdem Harris sich Schenkel um Schenkel in die Badehose gezwängt hatte, hörte er von unten die Türklingel. Er sah auf seine Armbanduhr.
„Viel zu früh“, knurrte er und verließ die Garderobe. „Lorry, ich brauche die Verträge und die Papiere von den Grundstücken an den unteren Keys. Den ganzen verdammten Kram!“
„In der oberen Schublade“, antwortete sie und beobachtete, wie Harris durchs Zimmer in Richtung Schreibtisch stampfte. „Du hast sie bereits unterschrieben.“
„Sehr schön“, gluckste Harris, öffnete die Schreibtischschublade und zog eine schwarze Ledermappe heraus. Ein triumphierendes Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus.
„Wer ist das?“, fragte Lorraine.
„Das ist Russel Pearce“, sagte er und schlug die Mappe auf. „Gekommen, um es auf die harte Tour zu lernen.“
Harris überflog die Dokumente, blätterte sich durch einen Haufen Kleingeschriebenes, von dem einem schwindelig wurde, wenn man es nicht verstand.
„Ist das auch wirklich alles?“, fragte er.
Lorraine hob die Augenbrauen.
„Wann habe ich dich das letzte Mal enttäuscht?“
Harris zog die Mundwinkel hoch und zwinkerte ihr zu. Er begann mit der Suche nach einem Stift, befreite die Schreibtischoberfläche von Vertragspapieren, schob das Börsenblatt und anderen Kram umher.
„Verflucht!“, schnaubte er.
Doch da war Lorraine bereits neben ihm aufgetaucht und hielt ihm einen silbernen Kugelschreiber mit seinen Initialen vor die Nase – Q.H. Grinsend nahm er ihn entgegen.
„Kleines! Was würde ich nur ohne dich tun?“
„Ausbluten“, antwortete Lorraine und verschränkte die Arme.
Harris lachte, gab ihr einen Klaps auf den nackten Hintern und schnappte sich seinen Morgenmantel.
„Zieh dir was an oder halt dich von den Fenstern fern!“, sagte er, während er zur Treppe eilte. „Und stell für später etwas Passendes zu trinken kalt. Heute wird gefeiert.“
Die letzten Worte rufend, verschwand Harris im Erdgeschoss. Lorraine wartete, bis er außer Hörweite war. Dann drehte sie sich um, verschwand im Badezimmer und schloss die Tür hinter sich ab.


Pearce wollte gerade zum zweiten Mal klingeln, als die Haustür aufgerissen wurde. In offenem Morgenmantel und Badehose füllte Harris den Türrahmen aus und schmiss Pearce zur Begrüßung ein Zähne freilegendes Lächeln zu.
„Guten Morgen“, sagte Pearce.
„Hereinspaziert!“, rief Harris und gab den Weg frei.
Pearce trat ein. In der Auffahrt hinter ihm parkte der Pick-up. Auf der leeren Ladefläche lag, fein säuberlich zusammengefaltet, die Abdeckplane. Harris warf einen flüchtigen Blick auf das rostige Gefährt und warf dann die Tür zu.
Pearce betrat die gänzlich im Kolonialstil errichtete Villa und entledigte sich seiner Sonnenbrille. In seiner Hand hielt er einen billig wirkenden Aktenkoffer. Er sah sich um. Vom Eingangsbereich aus öffnete sich das Haus zu allen Seiten. Die Decken waren hoch, die Räume weit und die antiken Möbelstücke schienen allesamt allein ihres Wertes wegen ausgesucht worden zu sein.
„Was ist passiert?“, fragte Harris und deutete auf einen Kratzer an Pearce rechtem Unterarm.
Die frische Verletzung zog sich vom Handgelenk beinahe bis hoch zum Ellbogen.
„Nichts weiter“, sagte Pearce. „Eine kleine Unachtsamkeit von mir. Das ist alles.“
Harris schnalzte mit der Zunge, näherte sich einem kleinen Tisch und öffnete eine darauf ruhende Zigarrenkiste. Er gewährte seinem Gast einen Blick auf den Inhalt.
„Danke“, sagte Pearce und hob abwehrend die Hand. „Aber die Dinger sind lebensgefährlich.“
„Richtig“, sagte Harris, während er sich selbst eine der Zigarren zwischen die Zähne schob. „Das sind sie.“
Er schloss die Kiste wieder, klemmte sich die Mappe mit den Verträgen unter den Arm und forderte Pearce mit einer Kopfbewegung auf, ihm zu folgen. Pearce nahm seinen Aktenkoffer wieder an sich und ging Harris hinterher.

Sie durchquerten das Wohnzimmer, das Herzstück des Hauses, welches ohne Probleme Platz für eine Herde Rinder geboten hätte. Die Südseite des Raumes bestand zum größten Teil aus Fenstern, die einen weiten Blick über die Sümpfe bis hin zum offenen Meer boten. Neben etlichen Kunstgegenständen fand sich hier auch eine mehrere Regale verschlingende Whiskysammlung, deren Vielfalt eine jahrzehntelange, globale Plünderung zugrunde liegen musste.
Ein anderer Bereich dagegen war dem Tod gewidmet. Jagdtrophäen aller Art schmückten die Wände. Dazu mehrere Fotos, von denen eines, welches Harris beim Posieren mit einem Elefantentöter in irgendeiner gottverlassenen Savanne zeigte, besonders hervorstach.

Harris führte aus dem Haus hinaus ins Freie, auf eine sandsteinfarbene Terrasse. Vor ihnen erstreckte sich ein perfekt getrimmter Rasen, der sich um das Anwesen zog. Ein schmaler Pfad aus Steinplatten wand sich von der Terrasse hinunter zu einem von hellem Holz umrandeten Pool mit dunklem, beinahe schon schwarz wirkendem Wasser. Dahinter erhob sich das Schilf, welches das Grundstück von den Sumpfufern trennte.
„Nicht schlecht“, stellte Pearce fest.
„Das will ich meinen“, antwortete Harris. „Und es klebt nur ganz wenig Blut daran.“
Harris nahm die Zigarre aus dem Mund und begann zu grinsen. Er war einer dieser Menschen, denen ein Lächeln unweigerlich etwas Teuflisches ins Gesicht schnitzte.
„Du kommst früh“, sagte er. „Ich wollte mich eben abkühlen gehen.“
„Es gibt Dinge, die will ein Mann einfach nur hinter sich bringen. Aber bitte, keine Umstände meinetwegen.“
Harris zwinkerte ihm zu und machte sich in Richtung Pool davon.
„Hier entlang.“
Pearce schob sich die Sonnenbrille zurück ins Gesicht und folgte ihm.

Eine große Wolke wanderte über das Anwesen, als sie den Beckenrand erreichten. Unter einem breiten Sonnensegel war in unmittelbarer Nähe eine kleine Bar errichtet worden.
„Whisky?“, fragte Harris und legte die Mappe zur Seite.
„Gerne.“
Harris griff hinter die Bar und holte zwei Gläser und eine Flasche Whisky hervor. Während er einschenkte, warf Pearce einen flüchtigen Blick zurück zum Haus. Die Vorhänge im oberen Stockwerk waren zugezogen. Ein gnädiger Wind kam auf, brachte das umliegende Schilf zum Rascheln und kühlte den Schweiß auf der Haut einen Augenblick lang ab.
„Auf die Geschäfte!“, sagte Harris und hielt eines der großzügig gefüllten Gläser in Pearce Richtung.
Erst jetzt stellte Pearce seinen Aktenkoffer ab und nahm das Getränk entgegen.
„Danke.“
Die beiden Männer hoben die Gläser, prosteten sich zu und tranken. Harris stürzte den Whisky mit nur einem großen Schluck hinunter, seufzte aber wie nach einem Glas kalten Wassers.
Pearce näherte sich derweil dem Pool. Während er hineinsah, köpfte Harris seine Zigarre, zog ein Feuerzeug aus seinem Morgenmantel und entzündete sie.
„Irgendwie unheimlich“, urteilte Pearce mit Blick auf die Wasseroberfläche.
Nicht bis auf den Grund sehen zu können, verlieh dem künstlich angelegten Becken etwas zutiefst Unnatürliches.
„Schwarzer Stein. Ganz neu angelegt“, sagte Harris, während er an seiner Zigarre paffte. „War die Idee meiner Frau. Sie hat ein Auge für solche Dinge.“
„Eindeutig“, erwiderte Pearce und nippte an seinem Glas.
„Na dann“, sagte Harris und klatschte in die Hände. „Bringen wir es zu Ende.“
Er griff nach der Mappe und drückte sie Pearce in die Hand.
„Ich hoffe, du nimmst das alles nicht zu persönlich“, sagte er.
Pearce nahm die Mappe entgegen, stellte seinen Whisky auf der Bar ab und öffnete den ledernen Umschlag. Er schlug die Verträge bis zur letzten Seite um und blickte auf die letzten Absätze über den Feldern für die Unterschriften, die alles besiegeln sollten.
„So, wie es aussieht, besitze ich auch gleich nichts mehr, was ich persönlich nehmen könnte“, sagte Pearce.
„Du weißt, wie das Geschäft läuft“, antwortete Harris und balancierte die Zigarre zwischen seinen Zähnen. „Zumindest hast du das immer behauptet.“
„Bevor ich damals in die Gegend kam, glaubte ich es zu wissen, ja“, entgegnete Pearce knapp.
Harris aschte ab und fuhr sich mit dem Handrücken über die glitzernde Stirn. Seine Augen wurden schmaler, als er sich aus dem Bademantel schälte und ihn mit einem gekonnten Wurf auf den Bartresen beförderte.
„Man nennt so was natürliche Rivalität unter Artgenossen“, sagte Harris und ließ die Finger knacken.
„Ich würde das hier ja eher Betrug nennen“, antwortete Pearce und hob die Mappe hoch.
„Wieder falsch“, schoss Harris zurück und warf Pearce den Kugelschreiber zu. „Es nennt sich Taktik.“


Lorraine ließ den Verschluss ihres zweiten Ohrrings zuschnappen und betrachtete sich im Spiegel. Mit dem Ergebnis durchaus zufrieden, zupfte sie ihre Bluse zurecht und vermied einen zu großzügigen Ausschnitt. Ein kurzer Windstoß blähte die Vorhänge auf und für einen Moment vernahm sie von draußen die Stimmen der beiden Männer.
Sie näherte sich ihrer Kommode unweit des Bettes und öffnete sie. Mit einer Handbewegung strich sie ihre darin befindliche Unterwäsche und die Dessous zur Seite und brachte eine schwarze Ledermappe zum Vorschein. Sie nahm sie heraus, ging damit zu Harris Schreibtisch und legte sie dort in die oberste Schublade.
Lorraine sah sich noch einmal um, glitt dann in ihre Schuhe, nahm ihr Telefon an sich und machte sich nun ebenfalls auf den Weg nach unten.


„Du hast die Investoren bestochen“, sagte Pearce, während Harris sich dicht an ihm vorbei zum Pool bewegte. „Meine Investoren!“
„Ich habe ihnen lediglich ein Angebot unterbreitet, dass sie unter keinen Umständen hätten abschlagen können.“
Harris setzte einen Fuß auf die obere Sprosse der Poolleiter, die unter seinem Gewicht ein ächzendes, metallisches Raunen von sich gab.
„Ich vermute, weil man ihnen sonst etwas abgeschlagen hätte“, sagte Pearce.
Harris warf erneut sein zähnefletschendes Grinsen auf, während sein Unterkörper in das Wasser eintauchte.
„Wie ich schon sagte“, grunzte er und zwinkerte Pearce zu, „Taktik!“
Er ließ die Leiter los, stieß sich vom Beckenrand ab und glitt rücklings in den Pool. Er schloss die Augen, tauchte sein Gesicht in das kühle Nass und strich sich dann die Haare nach hinten. Er gab Pearce ein Zeichen, näherzukommen. Pearce ging die wenigen Meter bis zum Pool und vor dem Wasser in die Hocke.
„Ich verschenke selten etwas“, sagte Harris, während er sich mit kreisenden Armbewegungen an der Oberfläche hielt. „Nie, um genau zu sein. Aber den Rat, den gebe ich dir jetzt umsonst. Ein kleiner Gefallen von Geschäftsmann zu Geschäftsmann sozusagen.“
Pearce legte in Erwartung den Kopf schief. Harris schwamm zu ihm, hob einen Arm aus dem Wasser und legte ihn auf den Beckenrand.
„Sieh es als Lektion, was heute passiert. Du hast jahrelang die Wirtschaftsschule besucht? Kannst gut mit Zahlen jonglieren und kennst den Markt wie deine eigenen Pinkelgewohnheiten? Am Arsch, sag ich dir!“
Harris machte eine kurze Pause, fuhr sich mit der Hand über das nasse Gesicht und blinzelte, um Pearce im gleißenden Licht besser sehen zu können.
„Solltest du dich von deiner Niederlage erholen, was zweifellos sehr lange dauern dürfte, und möchtest das Spiel von vorne beginnen, dann rate ich dir, vergiss in Zukunft den ganzen ethischen Scheiß, den sie dir ins Hirn gesät haben und auf den du andauernd so stolz bist.“
Pearce lächelte, stieß die Luft aus den Nasenlöchern und nahm die Sonnenbrille ab.
„Die unteren Keys 'waren' meine Zukunft, Harris. Das war mein Geschäft. Und du hättest dich nicht einmischen dürfen.“
Harris tauchte seinen Kopf unter, kam wieder zum Vorschein und spuckte einen Schwall Wasser aus.
„Die meisten Sprichwörter sind schön geschriebener Schwachsinn für Leute, die nicht kapieren, wie es läuft“, knurrte Harris. „Aber eines gibt es, das du dir merken solltest.“
Pearce nickte und blickte in die Ferne, wissend, worauf Harris hinauswollte.
„Erst kommt das Fressen. Dann die Moral.“
„Richtig!“, sagte Harris. „Schreib's dir auf die Stirn und schau jeden Morgen in den Spiegel, bevor du das Haus verlässt. Oder aber du wirst verschlungen, wieder ausgeschissen und vertrocknest unter der Sonne, ehe du 'Bankrott' rufen kannst.“
Pearce ließ die Worte sacken, schob sich dann die Sonnenbrille wieder über die Augen und stand auf. Mit zusammengepressten Lippen blickte er auf Harris hinab. Einen Moment lang gab es nur die Hitze, das sich sanft wiegende Gras und das Oratorium der Zikaden um sie herum. Harris Zehen berührten etwas, das weder Stein noch Wasser war. Etwas Fremdes.
„Danke für den Rat“, sagte Pearce und machte einen Schritt zurück. „Ich nehme ihn mir zu Herzen.“

Nicht eine Sekunde später wühlte sich das Wasser hinter Harris auf und entfesselte zwei riesige Kiefer, deren Zähne sich in seine Schulter schlugen und ihn vom Beckenrand fort rissen. Er ruderte mit den Armen und Pearce hob die Hand, um sich die aufspritzende Gischt vom Hals zu halten.
Harris setzte zu einem Schrei an, doch da füllte sich sein Mund bereits mit Wasser. Seine Finger suchten nach irgendeinem Halt, bekamen aber nur den gepanzerten, schuppigen Körper seines Angreifers zu fassen, der ihn weiter in die Tiefe zwang. Die ersten Knochen gaben unter dem anschwellenden Druck der Kiefer nach. Dann wurde es schwarz um Harris.
Pearce fuhr sich durch die Haare und wartete, bis sich die Wogen zu seinen Füßen wieder beruhigten. Dann drehte er sich langsam um und ging zur Bar. Er nahm den Rest seines Whiskys, schwenkte die bernsteinfarbene Flüssigkeit ein paar Mal umher und leerte das Getränk in einem Zug. Er stellte das Glas zurück und kostete den sich ausbreitenden Brand in seiner Kehle aus.

Wie ein unter Wasser losgelassener Korken ploppte Harris zurück an die Oberfläche. Nach Luft ringend, strampelte er panisch in Richtung Leiter. Mit nur einer Hand umklammerte er den Edelstahl und zog sich keuchend daran hoch. Pearce drehte sich um und beobachtete ihn.
Stöhnend hievte Harris sich über den Beckenrand. Sein Bauch war übersät von tiefen Bissspuren, die stoßweise Blut ausschütteten. Der linke Arm hing unnatürlich tief und zwischen Schulterblatt und Steißbein hatte sich eine große Öffnung aufgetan. Verstört wie ein Fisch an Land brach er neben dem Pool zusammen.

Pearce nahm seinen Aktenkoffer an sich und näherte sich dem Becken. Harris spuckte rotes Wasser, als Pearce neben ihm in die Knie ging und seelenruhig den Koffer öffnete. Statt handelsüblicher Papiere jedoch, zog er einen großen, aus Leder und Stahlriemen bestehenden Maulkorb hervor und ließ ihn neben Harris Gesicht zu Boden fallen.
„Wusstest du, dass männliche Alligatoren ihre Artgenossen fressen?“, fragte Pearce. Harris gab einen Laut von sich, der an das Fiepsen eines jungen Hundes erinnerte. Die Dichte des Wassers hatte seinen verletzten Körper zusammengehalten. Doch jetzt begannen die Schwerkraft und sein eigenes Gewicht, auf grausige Weise miteinander zu harmonieren. Sie öffneten die Wunden, dehnten sie aus und legten Harris Fleisch langsam aber sicher in Fetzen.
„Doch nicht einfach irgendwelche Artgenossen“, fuhr Pearce fort. „Nein, Harris. Sie töten und verspeisen nur die, die ihnen unterlegen sind. Kleinere, schwächere Tiere.“
„Was hast … du getan?“, krächzte Harris und lief knallrot an.
„Nichts habe ich getan, Harris. Das warst alles du. Du ganz allein. Vollkommen bedeutungslos, wie grausam und ungerecht dir deine Situation erscheinen mag. Am Ende des Tages bleibt es wohl nichts weiter als ein tragischer Unfall, den du selbst heraufbeschworen hast.“
Pearce hob den Kopf und sah zu dem gut viereinhalb Meter langen Alligator, der gespenstisch ruhig an der Oberfläche des Blutbades trieb.
"Denn sie waren schon hier, bevor wir kamen und in ihrem Gebiet unsere Straßen und Häuser errichteten“, fuhr Pearce fort und beugte sich tiefer zu dem Sterbenden herab. „Und solche Dinge passieren eben, wenn man sich ungefragt in fremden Territorien herumtreibt.“
„Du … du verschissener Hurensohn“, würgte Harris hervor.

Schritte ließen Pearce einen Blick über die Schulter werfen. Es war Lorraine, die ohne erkennbare Eile den Poolbereich betrat. Geschickt wich sie der sich ausbreitenden Blutlache aus und stellte sich neben ihn.
Pearce richtete sich auf und schenkte Lorraine zur Begrüßung ein kurzes, aber aufrichtiges Lächeln.
Harris Hand wanderte zitternd zu den Füßen seiner Frau. Sie drehte den Fuß zur Seite, sodass seine Finger sie um wenige Zentimeter verfehlten.
„Tut mir leid, Quinton“, sagte sie, ohne es so zu meinen. „Aber dein Kleines muss sich allmählich weiterentwickeln.“
Stöhnend zog Harris die Hand zurück.
„Ich danke dir für die Lehrstunde, aber wie du siehst, Harris, habe ich bereits meine eigene Taktik entwickelt. Etwas zeitaufwendig, muss ich gestehen. Doch ich persönlich bevorzuge es, unsichtbar zu bleiben, während ich fremde Gefilde betrete.“
Harris Gesicht hatte sich mittlerweile zu einer zornigen Fratze verzogen und entspannte sich erst wieder, als er seinen Blick ein letztes Mal von Lorraine zu Pearce wandern ließ. Er bleckte die Zähne für sein berühmtes Grinsen. Was er dann noch an Kontrolle über seinen Körper hatte, nutzte er für ein zaghaftes Kopfschütteln.
„Erst das Fressen ...“, keuchte Harris und verlieh seinen letzten Worten an Pearce einen mitleidsvollen Unterton.
Dann aber verließen ihn endgültig die Kräfte und sein Kopf schlug auf dem Beckenrand auf. Lorraine trat einen Schritt vor, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihren Mann eine Weile an. Pearce beobachtete sie dabei, wartete im Stillen, bis sie schließlich den Kopf hob und ihn ansah. Er nickte, ging um Harris herum, hob den Fuß und drückte ihn gegen den reglosen Körper. Mit einem kaum hörbaren Stöhnen verriet Harris jedoch, dass noch ein Hauch von Leben in ihm steckte.
„Es war mir eine Ehre, mit dir Geschäfte zu machen“, sagte Pearce.
Er bündelte seine Kraft und schob Harris mit einem einzigen Tritt zurück in den Pool.
Harris fiel ins Wasser und trieb einen Augenblick lang an der Oberfläche, ehe er schließlich versank. Der Alligator machte eine kleine Vorwärtsbewegung und glitt durch das Becken. Das Reptil ließ Pearce und Lorraine dabei keine Sekunde lang aus den Augen. Selbst dann nicht, als es geräuschlos unterging, um mit Harris endgültig in der Dunkelheit zu verschwinden.


Die Sonne hatte den höchsten Punkt längst passiert, als Pearce erneut am Steuer seines Wagens saß und zurück in Richtung Stadt fuhr. Er hielt sich an die geltenden Geschwindigkeitsbegrenzungen.
Lorraine saß neben ihm und drehte den Seitenspiegel weiter nach außen, um noch einige Sekunden länger verfolgen zu können, wie die Inseln hinter ihnen kleiner und kleiner wurden, bis sie letztlich in der flirrenden Ferne verschwanden. Auf ihrem Schoß ruhte die Mappe mit den Grundstücksverträgen. Pearce beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Sie bemerkte es und schenkte ihm ein verschmitztes Lächeln. Dann widmete sie sich wieder der Aussicht.
Seit sie die Villa verlassen hatten, hatten sie kein Wort mehr miteinander gesprochen. Pearce Aktenkoffer war mitsamt Maulkorb bei voller Fahrt aus dem Auto befördert worden, um von der Strömung ins offene Meer getragen zu werden.

Ein paar Kilometer vor der Stadt verließ Pearce die Straße und brachte den Wagen auf einem kleinen, staubigen Parkplatz nahe dem Wasser zum Stehen. Er und Lorraine stiegen aus und sahen sich um. Wie geplant, war außer ihnen niemand hier. Sie vernahmen das entfernte Geräusch der Wellen und in Ufernähe zerfielen die letzten Reste eines Fischerbootes. Trotz der herrschenden Hitze sog Lorraine die Luft ein.
Am Horizont war mittlerweile eine dunkle Wand aus Wolken entstanden. Aus der Ferne einem riesigen Heuschreckenschwarm ähnelnd, ergoss sich der erste Regen über dem Meer. Auf dem Weg in Richtung Festland.
„Die Putzfrau wird ihn in ungefähr zwei Stunden finden“, sagte Lorraine mit Blick auf die Uhr. „Offiziell habe ich die Nacht und den heutigen Morgen in einem Hotel verbracht.“
„Und ich war seit Tagen nicht in der Gegend“, sagte Pearce.
„Wenn der Anruf kommt, fahre ich zurück und tue, was es zu tun gilt“, beendete Lorraine ihre Geschichte.
Sie ging auf Pearce zu und reichte ihm die Mappe mit den Verträgen. Ihre Finger berührten sich für einen kurzen Moment.
„Willkommen zurück im Geschäft“, sagte sie.
„Ist das alles?“, fragte er und nahm die Verträge entgegen.
Sie hob die Augenbrauen und sah ihn in gespielter Verwunderung an.
„Wann habe ich dich das letzte Mal enttäuscht?“
Pearce lachte auf, schüttelte den Kopf und lehnte sich gegen den Wagen.
„Wie kommst du von hier aus weiter?“
„Das letzte Stück schaffe ich zu Fuß“, antwortete sie.
Pearce blickte in Richtung Meer, von wo aus sich der Sturm näherte.
„Ich kann ganz gut auf mich aufpassen“, kam sie ihm zuvor.
„Und wann sehe ich dich wieder?“, fragte er weiter.
„Gib mir ein bisschen Zeit“, sagte sie nach kurzer Pause. „Es gibt jetzt einiges zu tun. Aber keine Sorge. Das Gras hier wächst nicht nur schnell, sondern auch sehr, sehr hoch.“
Pearce lächelte. Er legte seine Hand um ihren Nacken, zog sie an sich heran und küsste sie. Wind kam auf, rauschte durch die hochgewachsenen Palmen und ließ die Temperatur fallen.
Aus wachen Augen beobachtete Lorraine, wie Pearce sich in der Berührung mit ihr verlor. Und wie er es nur langsam schaffte, sich wieder von ihr zu lösen. Er legte seinen Finger unter ihr Kinn und hob es leicht an.
„Was würde ich nur ohne dich tun?“, flüsterte er.

Die Antwort lag Lorraine auf der Zunge. Doch sie schluckte sie, geduldig, wie sie von Natur aus war, herunter. Ihre Augen aber wurden schmaler, was sie mit einem Lächeln gekonnt zu überspielen wusste.

ENDE​

 
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Als blutjunger Bursche verirrte ich mich mal irrtümlich in den Hollywoodschinken „Sieben gegen Chicago“, weil der pubertäre Friedel irrtümlich in seinem antiken Griechen-mythologischen-wahn eine amerikanische Variante der „Sieben gegen Theben“ dahinter vermutete und eine durchaus gelungene „Robin-Hood“-Parodie erlebte und daran wurd ich erinnert, als ich Deinen Text las. Und damit erst einmal

welcome to the pleasure dome,

Cabal,

begegnen wir uns doch das erste Mal und zwar schon allein wegen der Kennzeichnung der Erzählung als „Satire“. Und das ist Deine Räuberpistole sicherlich nicht, denn Satire muss beißen und weh tun und zugleich Gelächter erzeugen, das auch schon mal im Hals stecken bleiben darf. Das bissigste unter den Fleischfressern hierselbst aber ist der Alligator und der kann nix dafür, dass er seinen Trieben folgt.

Gleichwohl seh ich, dass Du schreiben kannst, aber an der Infektionskrankheit der Adjektivitis und Beschreibungssucht leidest. Am liebsten würdestu die Farbe des Lichtes bis hin zur Wellenlänge „ausmalen“ und aus den ca. 15 Normseiten einen Heftchenroman zaubern oder gar ein Filmmanuskript (das hingegen wäre dann wieder von Adjektivitis zu befreien). Dass Du auch ohne kannst, zeigen die trockenen Feststellungen

Die ersten Fischer rückten aus. Nicht mehr lange bis Sonnenaufgang.
und gleichzeitig der Beleg, dass Du mit Ellipsen arbeiten kannst – potentiell sprachliche Brandbeschleuniger.

Als passendes Übungsfeld als Streichkandidat biete sich der Antipode zu dem Beispiel an, wenn es heißt

Die ersten Fischerboote kehrten bereits von den frühen Fängen zurück.

Was noch auffällt beim Umfang der Geschichte ist die geringe Zahl an Flusen (ohne Ironie!), die aufzulesen wäre. Also:

Der Reihe nach und was da zunächst auffällt ist der verweigerte Genitiv insbesondere bei Zischlauten (nenn ich mal so) wie hier

Ohne dass sie sich noch einmal in Pearce[‘] Richtung umsahen, folgten sie …
(gilt auch für „Harris[‘])

Mit der Sonne kam auch die Hitze, die sich von nun an unaufhaltsam ausbreiten würde.
Warum denglish, wo das „would“ doch mehr Bedeutungen umfasst als der Konj. II unseres „werden“. Das schlichte Futur I ist in seiner binären Wertigkeit des "dass etwas werde" oder eben nicht schon unbestimmt genug

„Oooooouuuhhjjaaaahhhhh!“
Comic? Aber wie spricht man das aus? Schreib mal in Lautschrift ...

Sie durchquerten das Wohnzimmer, das Herzstück des Hauses[,] welches ohne Probleme Platz für eine Herde Rinder geboten hätte.
Relativsatz!
Und weiter unten noch‘n Komma, weil der Infinitivsatz allein schon mit „um“ beginnt, nämlich hier
„Gekommen[,] um es auf die harte Tour zu lernen.“
was natürlich den Branbeschleuniger ausbremst ...

Ein anderer Bereich dagegen war dem Tod gewidmet worden
Warum so gezwirbelt „war gewidmet worden“? Ist das noch mal umgewidmet worden? Weg mit dem „worden“!

Nicht eine Sekunde später wühlte sich das Wasser hinter Harris auf und entfesselte zwei riesige Kiefer, deren Zähne sich in seine Schulter schlugen und ihn vom Beckenrand fort rissen.
„fortreißen“ ein Wort und

ein letztes Flüschen ohne Komm, dafür gefettet

Wind kaum auf, rauschte durch die hochgewachsenen Palmen und ließ die Temperatur fallen.

Naja, im Kino mag ein
angesagt sein, aber selbst mir ist nicht der Kopf vor Übermüdung nach vorne gefallen …

Schau‘n wir mal, was draus wird

Friedel

 

Guten Morgen @Friedrichard und danke dir für dein (unterhaltsam formuliertes) Feedback.

Ja, vielleicht liegt es ein wenig daran, dass ich beruflich viel mit dem Schreiben von Drehbüchern und Exposés für Filme zu tun habe, dass ich beim Schreiben von Prosa dann gerne mal ausschweifend werde.
Allerdings gab es (auch zu obiger Geschichte) Stimmen, die das sehr mochten. Deine Kritik, dass es bisweilen zu viel ist, habe ich aber vernommen, würde sie nur gerne noch mit ein-zwei mehr Stimmen abgleichen.

Du hast recht. Mit "Satire" habe ich es wohl zu gut gemeint. Habe es nun noch unter "Gesellschaft" verlinkt. Hoffe das passt besser ...

Da ich gerade auf dem Sprung bin, will ich mich deinen Bemerkungen zu Grammatik etc. des Sonntags widmen.

Grüße und ein gediegenes Wochenende

 

Hola @Cabal,

hab nur mal angelesen, bin aber (gern) drangeblieben. Die von Dir erwähnte Adjektivlastigkeit fand ich nicht störend, außer hier:

... drückte sie auf der naturbelassenen Steinplatte aus.
Da macht es keinen Sinn.

Vielleicht sollten wir viele Texte nicht nach der Menge der Adjektive beurteilen, sondern danach, ob der Autor diejenigen gewählt hat, die für eine gewisse Situation am besten passen.
MMn sind die ‚richtigen’ Adj. eine Bereicherung des Textes und Joker im Ärmel des Schreibers.

... ließ sich in den Sitz sinken und lauschte stattdessen dem Fahrtwind, ...
Mir ist nicht klar, was das ‚stattdessen’ sein könnte. Statt wessen lauscht er dem Fahrtwind – der Text verrät es nicht, oder?

Noch immer stoßend, entlud sich Quinton Harris nach zweistündiger Verausgabung in seine Frau

Nach dem Urwaldschrei. Aber nach zwei Stunden? Ne Nummer kleiner würde mir durchaus genügen, wenn man bedenkt, dass eine Stunde sechzig Minuten hat :sconf: . Außerdem: Harris ist massig, doch ein guter Hahn ist selten (niemals) fett.

Das Schwimmen gehen nach dem Sex ...

... schmiss Pearce zur Begrüßung ein Zähne freilegendes Lächeln zu.
Das schmeißt er ihm zu – hopp!
beim posieren

Harris führte sie aus dem Haus ins Freie ...

Wer sind sie? Ich zähle nur zwei: Harris und Pearce.

Mit nur einer Hand umklammerte er den Edelstahl und zog sich keuchend daran hoch.

Es fällt mit schwer, zu glauben, dass der Mann nach dieser Wahnsinnsattacke noch dazu in der Lage ist: mit nur einer Hand! Er muss ja mit dieser einen Hand die nächstfolgende höhere Sprosse der Leiter (Text) erwischen und seinen massigen Körper noch oben hieven.

Das verdirbt mir keineswegs den Lesespaß. Das muss man erst einmal so gut hinkriegen wie Du! Auf jeden Fall ein dickes Kompliment, die getaggte ‚Spannung’ hielt von Anfang bis Ende.

Natürlich kann man Deinen Text nicht mit Anfängertexten auf eine Stufe stellen; ich lese in Deinem Profil, dass Du professionell mit Texten zu tun hast. Ja, das merkt man deutlich.

Nur eines hab ich nicht verstanden:

Statt handelsüblicher Papiere jedoch, zog er einen großen, aus Leder und Stahlriemen bestehenden Maulkorb hervor und ließ ihn neben Harris Gesicht zu Boden fallen.

Wozu der benötigt wird, erschließt sich mir nicht. Entweder fehlt es mir an Humor oder an Aufmerksamkeit. Oder hatte der mit ‚Satire’ zu tun?

Weil die Geschichte gut und flüssig geschrieben ist, bin ich zufällig zum Krimi-Leser geworden, obwohl ich dieses Genre meide.

Sollten Krimi-Fans Dir schreiben, dann befürchte ich noch zwei, drei Fragen betreffs Logik – aber da zerbreche ich mir nicht Deinen Kopf:cool:.

Klasse Text – sehr gern gelesen!
José

 

Hallo @Cabal,

danke für deine schön makabere Geschichte! Ich finde deine Beschreibungen sehr gelungen. Musste sofort an Miami Vice denken - ewig her und peinlich zwar, aber diese schwüle Hitze, etc., hast du gut hinbekommen. Daher schließe ich mich auch @josefelipe an. Mir sind es nicht zu viele Adjektive.

Hier ein paar Anmerkungen:

Sie hätte es ohnehin demnächst ausziehen müssen.
Warum? Verstehe ich nicht, finde ich überflüssig.

Das Schwimmen gehen
Wird zusammen geschrieben, da Nominalisierung

beim Posieren
Nominalisierung: Groß schreiben

Nicht eine Sekunde später wühlte sich das Wasser hinter Harris auf und entfesselte zwei riesige Kiefer
Das Wasser entfesselt? Finde ich schief

zog er einen großen, aus Leder und Stahlriemen bestehenden Maulkorb hervor
Ein Alligator-Maulkorb?

„Offiziell habe ich die Nacht und den heutigen Morgen in einem Hotel verbracht.“
Sie kann nur hoffen, dass keine Spurensicherung kommt. Da gibt es doch viele Hinweise, oder?

Das Ende mit der klugen, geduldigen Spinne Lorraine bildet einen passenden Rahmen. Deine Geschichte habe ich gerne gelesen. Wie ein kleiner Fernsehkrimi.

Gruß Daeron

 

Guten Morgen @Daeron

Danke für dein Feedback. Freut mich erstmal, dass dir das Lesen Spaß gemacht hat. Danke auch für deine Anmerkungen.

Dass Lorraine ihr Nachthemd ohnehin ausziehen "muss" ist ein Hinweis auf den (geplanten) Sex mit Ehemann Harris später. Es ist etwas dezent, gebe ich zu, doch der Sex dient hauptsächlich der Ablenkung.

Was den Maulkorb angeht, entspringt dieser meiner Fantasie. Wobei ich mal gesehen habe, dass es ähnliche Konstruktionen gibt zum Fang von großen Reptilien, die aber auch eher Säcken ähneln. Oft kommen auch nur Seile zum Einsatz, um die Tiere beim Transport am Schnappen zu hindern. Das hat für mich jedoch kein starkes Bild ergeben ...

Pearce und Lorraine sind sich sicher genug, dass der Alligatorangriff als Unfall abgestempelt wird, was als wahrscheinlich gilt. Dein Einwand mit der Spurensicherung ist berechtigt. Würden die anfangen zu schnüffeln, könnte es Probleme geben. Doch soweit wird es in ihren Augen nicht kommen. Und ich hoffe es hat sich übertragen, dass, sollte sie in Schwierigkeiten geraten, ohnehin Pearce über die Klinge gehen lässt.

Grüße

 

Hallo @josefelipe

Auch dir danke für dein Feedback. Schön, dass du drangeblieben bist bis zum Ende:read:

Zu deinen Punkten:

Statt wessen lauscht er dem Fahrtwind – der Text verrät es nicht, oder?
Du hast recht. Das "Stattdessen" ist ein Überbleibsel einer vorigen Version, in der noch das Radio im Auto lief. Habe ich übersehen. Danke dir.

Dass mit dem "zweistündigen" Sex hatte ich extra dick aufgetragen, um nochmal zu verdeutlichen, dass Lorraine ihn so lange wie möglich ablenkt. Etwas "drüber", gebe ich zu aber die Logik habe ich bewusst hinten angestellt. Wie auch bei der von dir beschriebenen Szene, in der Harris sich nach dem Angriff aus dem Pool hievt. Ich habe viel herum probiert, hatte auch einmal eine Version, in der alles etwas "realistischer" war. An dieser Fassung hatte ich persönlich jedoch nicht mehr so viel Spaß und habe mich daher dafür entschieden, ein bisschen auf die Realismusbremse zu treten. Ein kleines Vorbild für mich war "Sin City".

Wozu der benötigt wird, erschließt sich mir nicht.
Den Maulkorb muss der Alligator während des Transports getragen haben, damit er nicht aus Versehen Pearce frisst, statt Harris.:D


Auf jeden Fall ein dickes Kompliment, die getaggte ‚Spannung’ hielt von Anfang bis Ende.

:schiel:Merci und ein schönes Wochenende

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Cabal,

Danach vernahm sie wieder das gewohnte, kehlige Schnarchen. Lorraine nahm
Die Lorraine kommt mir vor wie ein erzählerisches Überbrückungskabel, wie die schwarzen Fliesen (gleich mehr). Die bringt ja das Vieh in den Pool, wenn ich das richtig verstanden habe, aber über sie als Figur kann man wohl sagen, dass die Geschichte ohne eigentlich die selbe wäre.

und häutete sich aus dem seidenen Kleidungsstück,
Mir war der Begriff "Häuten" zunächst zu brachial, zu sehr Kontrast zu Seide. Dann habe ich mich gefragt, ob das Zufall ist, dass man an eine Schlange denkt.

sagte er und entledigte sich seiner Arbeitshandschuhe
zog sie aus, "entledigen" finde ich hier unnötig gestelzt.

in die von Hornhaut und harter Arbeit gezeichneten Hände
Hornhaut ist doch Folge der harten Arbeit.

die sich daraufhin mit einem langgezogenen Seufzer bei ihm bedankte.
"daraufhin" ist aber sowas von überflüssig.

als er sich schließlich von ihr herunterrollte.
Das ist sein Blickwinkel, er rollt sich also hinunter.

hatte er über die Jahre zu einer Art Ritual herangezüchtet.
Ein Ritual "heranzüchten" finde ich schief.

Zu sehr genoss er es, wenn die noch immer kribbelnden Lenden in das kalte Wasser eintauchten.
"Zu sehr" klingt, als würde dem jetzt schon real etwas entgegenstehen, aber das mit den gebrochenen Gliedern ist ja ein reines Gedankenspiel.

...

Wegen des Sumpfopenings denke ich bei Karnivoren an Alligatoren. Ich sage, Harris wird beim Schwimmen von einem solchen angegriffen. Bin gespannt.

„Nichts weiter“, sagte Pearce.
An einigen Stellen klingen die Dialoge nach Funk und Fernsehen. "Was hast du am Arm gemacht?" "Nichts weiter." Das sagt doch keiner. Ist so "Oh, it's nothing" durch die Synchro gejagt. "Ach, nichts" glaube ich noch am ehesten.

näherte sich einem kleinen Tisch und öffnete eine auf ihm ruhende Zigarrenkiste.
"darauf ruhende" ist eindeutiger als "ihm"

das Herzstück des Hauses welches
das Herzstück des Hauses, welches

bis hin zum offenen Meer boten
Meer. Offen, jetzt hier, wen interessiert's?

beinahe schon schwarz wirkendem Wasser.
Beinahe schwarzem Wasser. Klar ist das Wasser nicht schwarz, aber ich finde das irgendwie selbsterklärend. Meine Alligator-im-Pool-Theorie verfestigt sich.

„Und es klebt nur ganz wenig Blut daran.“
Harhar. Fand ich ein bisschen drüber. So Fu-Manchu-überzogen kam mir der Rest bis jetzt nicht vor.

Er war einer dieser Menschen, denen ein Lächeln unweigerlich etwas Teuflisches ins Gesicht schnitzte.
„Du kommst früh“, sagte er. „Ich wollte mich eben abkühlen gehen.“
„Es gibt Dinge, die will ein Mann einfach nur hinter sich bringen
Die Figur sagt etwas so, wie es kurz zuvor der Erzähler gesagt hat. Der Autor wird sichtbar. Eines von beiden muss raus.

„Du weißt, wie das Geschäft läuft“, antwortete Harris und balancierte die Zigarre zwischen seinen Zähnen. „Zumindest hast du das immer behauptet.“
Und da wäre auch das Motiv. Bleib gespannt.

Man nennt so was natürliche Rivalität unter Artgenossen
Kriegt er das gleich als zynischen Spruch zurückgepfeffert?

„Meine Investoren!“
Dieses Aufgeregte ist nicht ganz stringent, er ist bis hierher so der kühle Racheengel.

dass sie unter keinen Umständen hätten abschlagen können.“
Da hat man halt gleich den Paten im Ohr. Ich würde das anders verpacken.

Kannst gut mit Zahlen jonglieren und kennst den Markt wie deine eigenen Pinkelgewohnheiten?
"Pinkelgewohnheiten" klingt sehr verklemmt für so einen Typen.

Oder aber du wirst verschlungen,
Muahahahaha, wer hier wohl gleich verschlungen wird.

und entfesselte
Dass das Wasser die Kiefer entfesselt, auch als Metapher, halte ich für Quatsch.

Dann wurde es schwarz um Harris.
Das' ja noch gnädig. Ich glaube, da leidest du eigentlich länger. Würde das auch ruhig ein bisschen mehr auswalzen, nach all der Vorbereitung.

Nach Luft ringend, strampelte er panisch in Richtung Leiter.
Oh, da war ich etwas voreilig.

Harris Hand
Harris' Hand

Harris Gesicht
Dito.

Ein vorhersehbarer Spaß, aber trotzdem ein Spaß. Selbst die Klischees in den Dialogen ("Was hast du getan?") oder die flache Analogie - Raubtierkapitalismus - lassen mich eher lächeln, als dass sie mich nerven. Ich finde übrigens, wenn ein Businesstyp den anderen an einen Alligator verfüttert, kannst du ruhig Horror taggen, lebendig gefressen zu werden geht doch weit über so ein normales Maß an Spannung hinaus und wohl auch über das, was viele erwarten, wenn sie Krimi lesen. Abgesehen davon, dass der klassische Krimi ja nicht durch die Augen des Täters guckt.

Stärkstes Bild war für mich der Alligatorpanzer unterm Fuß, das brennt sich ein.

Eine relative Schwachstelle ist der schwarze Pool. Jeder halbwegs normal tickende Mensch findet das doch total unangenehm oder Schlimmeres, nicht sehen zu können, was unter ihm im Wasser passiert. Dass jemand das mit Absicht sucht, kommt einem halt vor wie so ein reingeprügeltes Element, damit die Story funktioniert.

Gleich zwei Dinge haben mich hier an King erinnert. In Duma Key gibt es ein leerstehendes Haus mit versifftem Pool, an dessen Oberfläche ein Alligator treibt. Weil das Wasser so dreckig ist, sieht der Prot ihn erst auf den zweiten Blick. Wichtiger ist aber die Story, wo der eine Geschäftsmensch den anderen in einen Dixie-Boiler sperrt und den dann umschmeißt, damit der andere im Sommer, in heißem Plastik eingeschlossen und in Scheiße schwimmend, verendet. Da ist es andersrum, man erlebt die Geschichte aus Sicht des Opfers, das zuvor den anderen ruiniert hat, wodurch man beide Seiten verstehen kann oder glaubt, es zu tun. Das hier ist schon etwas simpler, der Harris ist ja doch sehr klar der Bösewicht. Das gibt dem ganzen so einen comichaften Anstrich, weswegen dann auch die Klischees gar nicht so stören. Aber man hat es wegen der Schablone wohl auch etwas schneller wieder vergessen. (Außerdem musste ich übrigens an Tobe Hoopers Eaten Alive denken.)

Wie gesagt, bis auf den Fuß auf dem schuppigen Panzer natürlich. Brr.

Viele Grüße
JC

 

Hallo Proof.

Bitte entschuldige die späte Antwort auf dein Feedback. Corona und so :schiel: Danke dass du dir nochmal die Mühe gemacht hast, so detailliert durch den Text zu gehen. Die Punkte, die einfach verbessert werden können, korrigiere ich einfach. Auf gewisse Punkte versuche ich jetzt dann Mal einzugehen:

aber über sie als Figur kann man wohl sagen, dass die Geschichte ohne eigentlich die selbe wäre.
Den Alligator hat Pearce in den Pool gebracht. Sie hat Harris abgelenkt (der Sex), damit er das Tier platzieren kann. Lorraine war für mich eher eine Klammer für die Geschichte der beiden Männer. Am Ende wollte ich das Gefühl erwecken, dass auch Pearce Gefahr läuft, demnächst um die Ecke gebracht zu werden. Lorraine spielt ein doppeltes Spiel (kurze Szene in der sie eine zweite Mappe mit Verträgen aus ihrer Unterwäscheschublade holt) Jeder zerfleischt am Ende jeden. Das war die Intention hinter der Story.

Mir war der Begriff "Häuten" zunächst zu brachial, zu sehr Kontrast zu Seide. Dann habe ich mich gefragt, ob das Zufall ist, dass man an eine Schlange denkt.
Nein. Ist richtig, dass man an eine Schlange denkt;) wegen dem doppeltem Spiel, dass sie spielt.

Ein Ritual "heranzüchten" finde ich schief.
Begriffe wie "züchten" etc. habe ich bewusst gewählt, um der Story durch solche Begriffe etwas animalisches zu verleihen. So wie mit dem "schälen" aus dem Kleid.


Eine relative Schwachstelle ist der schwarze Pool. Jeder halbwegs normal tickende Mensch findet das doch total unangenehm oder Schlimmeres, nicht sehen zu können, was unter ihm im Wasser passiert. Dass jemand das mit Absicht sucht, kommt einem halt vor wie so ein reingeprügeltes Element, damit die Story funktioniert.
Auch ein Element, mit dem ich lange gerungen habe. In einer früheren Fassung gab es das nicht, jedoch habe ich selbst dann nicht mehr daran geglaubt, dass er den Alligator nicht sieht ... Dadurch, dass Lorraine die Farbe der Steine ausgesucht hat, hat es für mich noch am ehesten funktioniert. Habe dann selber erstmal googlen müssen, ob es schwarze Pools überhaubt gibt .. scheint aber tatsächlich Menschen zu geben, die sich sowas in den Garten bauen ..:susp:
Ich gebe dir aber Recht, dass es ein sehr "auffälliges" Element ist.

Ein gewisser comichafter Stil ist für die komplette Geschichte definitiv gewollt. Kleine Ausflüge und Zitate wie beispielsweise "...ein Angebot, dass sie nicht abschlagen konnten" augenzwinkernd gemeint ;) Je mehr man an einen "überzogenen" Film denkt, umso eher funktionierte die Geschichte für mich.

Nochmals vielen Dank für dein Feedback und nun erstmal schöne Ostern dir.

Viele Grüße,

Cabal

 

@Cabal

Ich weiß, was du meinst, du willst Vokabular aus den Bereichen Zoologie/Reptilien benutzen, aber für ein "herangezüchtetes Ritual" muss zumindest ich zu krass um die Ecke denken, und ich finde da hinter der Ecke auch nix, anders als bei der Frau, die sich aus ihrem Kleid häutet.

Und das Angebot, das man nicht ablehnen kann, auch oder vielleicht sogar gerade als Gag ist mir das echt zu ausgelutscht. Neulich auch so ein Meme: Sizilien macht dem Virus ein Angebot, das es nicht ablehnen kann. Jesus, ich hab fast mein Telefon an die Wand geschmissen.

 

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