- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 2
Katzen schlafen nie ganz
Ich habe gehört, dass du wieder hier bist. Sie haben dich reingebracht, heimlich, als ich noch nicht hier war.
Es ist lange her.
Den ganzen Tag schon höre ich Schritte von oben. Aufgeregte Stimmen, ab und an aufkommendes Gelächter. So schlimm kann es nicht sein.
Ich darf nicht zu dir, hab es mir selbst verboten. Auch die Blicke der anderen sprechen Bände. Bleib weg. Bleib weg von ihr. Sie kann dich jetzt nicht gebrauchen. Stimmt das? Denkst du das auch?
Müde spiele ich mit zwei übrig geblieben Reiskörnern herum. Ich will aufs Dach, das Verlangen ist groß, ich brauche das, dort oben kann ich atmen, Gedanken sortieren. Aber der Aufstieg ist oben, in dem Zimmer, in dem du liegst. Da kann ich nicht vorbei. Ich kann es nicht.
Im Fernseher bringen sie Nachrichten über eine Flutkatastrophe. Menschen, die weinen, Menschen, die schreien.
Alex steht plötzlich in der Türe. Er sagt kein Wort, sieht mich nur an, mit diesem Blick, dieser ‚ich verstehe alles, was in deinem Kopf vorgeht‘-Blick. Ich hasse ihn ein wenig dafür und, dass er wahrscheinlich wirklich weiß, was ich denke. Ich hasse ihn dafür, dass er nach oben darf.
„Ich will aufs Dach“, sage ich, er schüttelt den Kopf.
„Such dir ein anderes Dach, unseres ist fürs erste Tabu.“
„Ich gehe auf das Dach, auf das ich will.“ Ich springe auf. Er ist größer als ich, eine Haaressträhnenbreite. Es sieht aus, als lächele er auf mich hinab.
„Nicht auf dieses“, sagt er und fügt leise hinzu, „Und ich weiß, dass du nicht rauf gehen wirst, solange sie hier ist.“ Dann geht er wieder, als wäre er nur gekommen, um zu sehen, ob ich noch lebe.
Ich lebe tatsächlich noch, wüsste auch nicht, was dagegen spricht. Mir geht es gut.
Ich sehne mich nach dem Dach.
Heute habe ich dich lachen gehört. Geht es dir gut, da oben? Was ist passiert, seit wir uns das letzte Mal sahen?
Draußen ist es wärmer geworden. Ich liege auf der Veranda und blinzle in die Sonne. Eben erst habe ich das Haus umrundet. Die Fenster oben sind zugezogen. Schmerzt das Licht?
Ich schaue auf die leichte Schräge des Daches. Der Fleck, an dem ich immer sitze. Es sieht fast so aus, als habe das Dach genau dort eine kleine Delle, wie platt gesessen, schwer, wie ich bin, wenn ich dort oben voller Gedanken hocke.
Ich kneife die Augen zu, die Luft flimmert, malt bunte Schemen in den Himmel. Ich rolle mich auf die Seite. Im Sommer werde ich immer so müde. Rolle mich zusammen. Schlafe.
Also ich die Augen öffne, sitzt da wieder Alex.
„Geht es dir gut?“ Ich verstehe die Frage nicht und schüttel den Kopf. Erst dann bilden sich die Worte zu einem Satz, ich nicke. Das Licht ist orange, der Himmel violett.
„Kommst du…klar?“ Alex, Alex, woher all die Anteilnahme?
Ich nicke nochmal, will etwas erwidern, aber er steht bereits auf.
„Es gibt Essen.“
Fast erwarte ich, dass er sagt, dass du es gekocht hast. Dann fällt mir alles wieder ein. Ich schlucke.
Zikaden machen das Schlafen unmöglich. Das Zirpen kribbelt in meinen Ohren, dass es fast weh tut. Hörst du das auch? Oder schläfst du?
Ich sehne mich nach dem Dach und weiß doch, dass es nicht das Dach ist. Wie ein streunender Kater gehe ich auf der Veranda hin und her, umrunde das Haus, setze mich auf die niedrige Mauer am Tor. Ich verfluche die Zikaden und mich abwechselnd, horche.
Schließlich fasse ich einen Entschluss. Auf leisen Sohlen schleiche ich den Flur entlang, gehe die Treppe hoch (ja, ich weiß, wo die gefährlichen Stellen sind, die, die laut sind, die, die aufschreien und mich verraten, als Kind muss man diese Stellen lernen, und ich hab meine Hausaufgaben gemacht) und stehe vor der Türe. Fast kann ich dich atmen hören.
Ich habe Angst. Das gebe ich zu. Ich weiß nicht, was mich erwartet, weiß nur, dass ich irgendwo hier hinter dein Lachen gehört habe. Das beruhigt mich. Wenn du lachst, dann…kann es so schlimm nicht sein.
Ich öffne die Türe. Es ist so finster, die Wände schlucken für ein paar Sekunden selbst das Licht, das durch den Flur hineinfällt. Dann erkenne ich Schemen, den Schrank, einen Stuhl, ein Bett.
Ich schleiche, bin ein Dieb im Dunkeln und komme mir schrecklich dabei vor. In meinem Kopf der Plan, am Bett vorbei zur Luke zu gehen und dann aufs Dach. Dennoch: Als ich stehen bleibe, ist es an deinem Bett.
Du bist wach, siehst mich, hast mich wahrscheinlich schon gehört, als ich die Treppe lautlos hochgeklettert bin. Du wusstest immer besser, was in meinem Kopf vorgeht, wahrscheinlich hast du die Sekunden gezählt, bis ich an deinem Bett stand.
Lächelst du? Ich kann es nicht erkennen.
Deine Stimme ist wie raschelndes Laub, leise und brüchig. Dennoch ist es deine Stimme, die ich unter all den alten Blättern erkenne.
„Schön, dass du hier bist“, sagst du. Ich drehe und wende die Worte in meinem Kopf, aber der Sinn bleibt der gleiche. Alex hat gelogen.
Dann setze ich mich an den Rand des Bettes.
„Wie geht es dir?“ Ich flüstere, als ob laute Worte deine Stimme zerbrechen würden, oder gar deine ganze gläserne Existenz. Du bist nur ein Schatten, nur ein Schemen im fahlen Flurlicht und die Sorge, dich zu verlieren in dieser Dunkelheit ist so groß.
„Bleibst du heute hier?“ Die Frage kommt bestimmt, fester, fast eine Aufforderung. Ich weigere mich nicht, ihr nachzugehen.
Ich halte deine Hand. Du atmest, ich atme, wir atmen die gleiche Luft und sind zufrieden. Das Dach ist weit entfernt, genauso Alex und seine Lügen. Was, wenn er mich morgen hier sieht, neben dir liegend, schlafend, lächelnd?
„Er wird es verstehen“, sagst du, weit entfernt. Ich schlafe schon halb. Aber ich höre dein Atmen. Katzen schlafen nie ganz, hast du einmal gesagt. Ein Ohr ist immer wach.
Ich halte deine Hand. Sie ist warm.
Als ich das nächste Mal die Augen öffne, steht da Alex. Sein Schatten wirkt wie ein schmaler Strich im hellen Rechteck der Türe. Obwohl es finster ist, erkenne ich ein trauriges Lächeln.
Ich kann ihn verstehen. Ich bin nur eine Gestalt auf einem seit Wochen verstaubendem Bett. Nichts als dein Geruch ist geblieben.
Alex dreht sich um und geht, lässt mich und das leere Bett allein.