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Katzengift
Die Alte stand in der kleinen Küche und starrte nach oben. Der Vorleger starrte vor Schmutz und über dem vergessenen Topf mit von Fettaugen übersäte Fleischbrühe auf dem Herd hörte man das nervtötende Surren zahlreicher Schmeißfliegen. Ehemals weiße Vorhänge hingen schlaff vor dem schmalen Küchenfenster, durch dessen blindes Glas nur fahl das Licht hineinfiel. Sie blinzelte. Seit einer Woche nun war das Netz in der Küche in der Ecke über dem Herd. Und seit einer Woche saß die kleine schwarze Spinne auf dem gleichen Platz. Sie blinzelte erneut und legte den Kopf schief. Mit einem unwilligen Schnauben strich sie eine Strähne des grauen ungewaschenen Haares aus ihrem Gesicht. Ihre Augen waren so trübe, sie konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob die Spinne ihren Standort gewechselt hatte. Hörbar zog sie die Nase nach oben, spuckte aus und eine kleine La*che aus milchig-gelber Flüssigkeit landete knapp neben dem Vorleger auf dem speckigen Boden. Mit einem Grunzen drehte sie sich um und stapfte ins angrenzende Wohnzimmer. Dort ließ sie sich in dem alten Ohrensessel nieder. Ihr Blick fiel auf das Kreuz, das über der Türe hing. Langsam ließ sie ihren Blick durch das Zimmer schweifen, über die hässlichen vergilbten graugrünen Tapeten, die schon vor zwanzig Jahren hätten unbedingt erneuert hätten werden müssen und über die schäbigen dunkelbraunen Möbel. Und wieder blieb ihr Blick an dem Kreuz über der Tür kleben. Sie begann zu grübeln, was die Spinne mit ihrem Besuch bei ihr wohl bezweckte. Sie fragte sich, ob es der Tod oder der Teufel war, der sie nun mit sich holen wollte. Ihr fröstelte bei dem Gedanken, dass der Teu*fel in ihrer Wohnung sei. Sie schob diesen Gedanken weit fort und betrachtete wieder das Kreuz über ihrer Türe. Und während sie noch am Beten war, glitten ihre Gedanken weit fort. Langsam fie*len ihre Augen zu und wenige Zeit später konnte man ein leises Schnarchen in der Stube hören. In der Küche saß die kleine schwarze Spinne noch immer in ihrem Netz in der Ecke über dem Herd. Lautlos wartend saß sie dort, umsponnen aus feinen Seidenfäden. Nur ihr zarter Hinterleib wippte, kaum sichtbar doch unablässig, was den Ausdruck reger Geschäftigkeit und frohen Mutes erwe*cken können würde. Draußen trommelte der Regen gegen die milchigen Fensterscheiben und es begann zu dämmern. Lange Schatten zogen an den Wänden der Stube, in der die Alte noch immer in ihrem Ohrensessel schnarchte.
In der Küche streckte die kleine schwarze Katze ihre Pfoten weit von sich, erhob sich dann und machte einen Buckel. Behände sprang sie aus ihrem Korb, der unter dem Herd stand. Sie schüttelte sich ob der Flöhe in ihrem Fell. Ihre Beckenknochen stachen hervor und ihre Augen schienen das ganze Gesicht einzunehmen. Miauend lief sie ins Wohnzimmer, wo sie ob des Hungers um die Bei*ne der schlafenden Alten strich. Erst leise, dann immer lauter versuchte sie die Aufmerksamkeit der Alten auf sich zu lenken. Doch diese wurde nicht wach. Mit einem letzten Maunzen wand sie Katze sich ab und lief zurück in die Küche. Dort sprang sie auf den Schrank auf der Suche nach etwas Essbarem. Kurz nur streifte ihr Blick den Topf mit der alten Suppe. Vermutlich ist die Erinnerung an die glühenden Herdplatten, als sie dies das letzte Mal versucht hat, noch zu deutlich. Sie schnup*perte an leeren Tüten und einer alten Scheibe Brot. Die Katze blickte umher und sprang mit einem großen Satz auf den Tisch. Dort stand die Zuckerdose aus billigem Porzellan. Mit geschickten Pfo*ten gelang es der Katze, den Deckel herunter zu stoßen. Dieser fiel mit lauten Krach auf den steiner*nen Küchenboden, wo er in viele Scherben zersprang. Gierig begann die Katze den Zucker zu schlecken.
In der Stube schreckte die Alte aus ihrem Ohrensessel auf. Sie rieb sich die Augen und bemerkte, dass es dunkel geworden war. Sie stand langsam auf und knipste die Stehlampe an. Dann schlurfte sie in die Küche, wo ihre Augen das Geschehene erfassten. Auf ihrer Stirn entstand eine steile Falte und ihre Lippen pressten sich zu einem schmalen Strich. Sie ging zum Tisch und ergriff die Katze an Schwanz und Hinterpfoten, zog sie von der Zuckerdose weg und beförderte sie auf den Boden. Als diese aufkam, trat die Alte nach ihr. Laut miauend lief die Katze zur Haustüre, wo sie zu kratzen begann. Die Augen der Alten verengten sich und ihr Mund glich nunmehr einem Strich als sie sich in Bewegung setzte und die Tür öffnete. Noch immer miauend wischte die Schwarze ins dunkle Nass, bevor sich ihr Schwanz in der schließenden Tür eingeklemmt werden konnte. Die Alte rief ihr hinterher, schalt und schimpfte, dass sie der Satan sei und dass sie nicht mehr wiederkommen solle. Dann warf sie die Türe zu und ging zurück in die Küche. Sie brühte sich einen Tee und rührte einen Löffel Zucker hinein. Langsam ließ sie sich auf dem einzigen Küchenstuhl nieder und rührte ver*sunken in ihrer Tasse. Wieder fielen ihre Augen zu, als sie plötzlich aus ihren Gedanken hoch*schreckte. Ihr Blick glitt suchend durch die Küche und blieb schließlich an dem Netz in der Ecke über dem Herd hängen. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte die Spinne zu erkennen. Doch wieder ließen ihre Augen sie im Stich. Leise vor sich hin brummend stand sie auf und ging ins Schlafzimmer. Mit schwerfälligen Bewegungen zog sie den geblümten Kittel aus und tauschte ihn gegen ein verwaschenes weißes Nachthemd. Sie schlüpfte unter die Bettdecke und zog sie hoch bis ans Kinn. Sie schloss die Augen und begann gleichmäßig zu atmen. Nach kurzer Zeit öffnete sie ihre Augen und blickte im Zimmer umher. Unruhig flackerte ihr Blick und sie verweilte immer wie*der kurz an der Türe, als warte sie darauf, dass jemand eintreten könne. Sie setzte sich auf und kramte in der Nachttischschublade nach ihrer Brille. Als sie sie gefunden hatte, setzte sie sie auf und holte die Bibel hervor. Sie schlug sie auf und begann zu lesen. Doch nach kurzer Zeit fielen ihre Au*gen zu und ihr Kopf sank auf die Brust. Und wieder begann sie leise zu schnarchen. Die Decke hob sich lautlos auf ihrem Brustkorb, ein feucht modriger Geruch stieg in dem Zimmer empor und brei*tete sich in der ganzen Wohnung aus, als plötzlich das Atmen erlosch und das Schnarchen ver*stummte. Es war ganz still als die kleine schwarze Spinne aus dem Mund der Alten kroch.
Zur gleichen Zeit saß die kleine struppige Katze auf dem Fenstersims. Sie starrte mit großen gelben Augen ins Innere auf das Gesicht der Alten und begann leise zu schnurren.