Kehrtwende
Kehrtwende
Ich sah ihm in die Augen. Das konnte nicht ernst gemeint sein. Ich suchte nach den Anzeichen eines Schmunzelns. Irgendwas, das mir die Situation erklärte. Schweigen. Er zog sich langsam aus. Panik. Schnelles Abwägen. Langjährige Freundschaft oder schnelle Nummer. Was war wichtiger. Ich stellte mir diese Frage, während ich mich meiner Socken entledigte. Es war herrlich. Wir bekamen nicht genug voneinander. Stundenlang wälzten wir uns auf dem Bett hin und her. Berührten uns an intimsten Stellen. Lachten und fickten, was das Zeug hielt. Wir wollten alles, aber begrenzte körperliche Ressourcen ließen uns irgendwann schließlich ausgebrannt einschlafen.
Ich hatte nie geahnt, dass wir auf einen Nenner kommen würden. Ich hatte mir seine Vorstellung von Sex immer spießiger ausgemalt. Einfach nur blasen und fertig. So in der Art. Wenn ich nur überlegte, wo seine Zunge überall gewesen war. Stellen, die ich nicht mal anatomisch benennen konnte. Zugetraut hatte ich es ihm nicht.
Am Morgen ein gemütliches Frühstück, nachdem ich mich um seine störrische Morgenlatte gekümmert hatte. Traumhaft. Er hatte alles, was ich wollte. Er war geil, wenn ich es war, ließ es zu oder ergriff die Initiative. Sagte, was er wollte oder fragte mich danach. Wir redeten mittlerweile sehr viel darüber. Ihm gegenüber fiel auch das beschämende Gefühl, der Bruch des Tabus von mir ab.
Ich begann ihn in- und auswendig kennen zu lernen. Körper und Geist. Und ich wusste auch, dass ich nie die Kraft haben würde ihn aufzugeben, im Gegensatz zu ihm. Er war unfähig sich zu binden. Das hatten all seine Beziehungen gezeigt, wenn sie auch bisher heterosexueller Natur waren. Er wollte sich das nie eingestehen. Gab den Anderen die Schuld. Probierte es weiter.
Drei Wochen hielt er durch. Dann bandelte er mit jemand anderem an. Ich war ihm nicht wirklich böse. Ich hatte es geahnt und ich liebte ihn nicht. Es war eher wie Freundschaft mit Sex. Mit süchtigmachenden, verdammt guten Sex. Natürlich macht mich seine Wahl wütend. Er hat sich einen schlaksigen, devoten Kerl geangelt, der sich den ganzen Tag am liebsten quälen lassen würde. Der ihn nur „Meister“ nannte. Der sich ihm völlig hingab, Oskar war wirklich erbärmlich. Er ging mir dermaßen auf den Sack, dass ich es mir manchmal nicht verkneifen konnte, ihn zu schlagen, Ab und an.
Wenn ich mich mit seinem Meister getroffen hatte und er zusah. Und dann am Ende seine Streicheleinheiten abholte. Sein Meister dachte immer noch, er hätte mich zutiefst verletzt. Ich ließ ihn in dem Glauben. Wollte sein Ego nicht ramponieren. Ich lernte aber trotzdem an der Uni verschiedenste Leute kennen. Bei einigen landete ich im Bett, andere wurden zu Freunden. Gefühlsmäßig hielt ich es bei keinem lange aus. Aber es sollte anders kommen.
Ich traf völlig unvermittelt auf dem Campus den Mann meiner Träume: Lars. Er war von ähnlicher Größe wie ich, hatte tiefe, blaue Augen und dunkelblondes, ungezähmtes Haar. Allein dieser Kontrast der ruhigen Augen zu den wilden Haaren machte mich fertig. Sein Gesicht war markant. Doch wenn er lächelte, sah man auch seine weichen Züge. Er hatte ein zum Sterben schönes Lächeln. Eine große Nase, mit Charakter. Geradezu perfekt bis ins Detail. Er hatte Humor. Und teilte den Meinen. Er hatte Grips. Mit ihm zu reden war ein Privileg. Er konnte emotional und sensibel sein, oder logisch und berechnend. Er war verschlossen, trotzdem völlig versaut und tiefromantisch.
Als ich ihn traf unterhielten wir uns nur kurz. Ein Bekannter eines Bekannten machte uns bekannt. So banal kann es anfangen. Eine Woche später traf ich ihn zufällig. Und allein. Wir gingen nach der Uni essen. Verstanden uns supergut. Sein Geruch machte mich wahnsinnig. Benommen und versonnen. Wir tauschten Nummern. Verabredeten uns. Doch ich kam ihm nicht näher. Freundschaft schien für ihn das einzige zu sein, was uns verbinden konnte. Ich sendete Zeichen, doch er blieb distanziert. Man musste ihm alles aus der Nase ziehen. Jede Kleinigkeit seines Lebens schien ein Geheimnis zu sein. Ich erzählte ihm im Gegenzug so viel von mir, dass ich bald nichts mehr zu erzählen hatte. Es war zum Verzweifeln.
Und, was tut man, wenn man verzweifelt ist und kleine Zeichen nichts bringen? Mann nimmt die Sache in die Hand und geht den direkten Weg. Ich weiß, es ist fies, es auf diese Weise zu forcieren. Aber ich selbst hatte nur volltrunken den Mut, mich ihm zu offenbaren. Wir landeten völlig besoffen im Bett. Völlig verkatert musste ich mir am nächsten Morgen dann anhören, dass ich ihn nie wieder sehen dürfte, weil ich sein Vertrauen missbraucht hätte und er es nie soweit wollte kommen lassen und, und, und....
Wir sahen uns wirklich nicht wieder, denn er zog noch in der gleichen Woche um, was er mir bis dahin verschwiegen hatte. So wie auch noch andere Sachen, die ich an dieser Stelle nicht erwähnen möchte. Ich kam drüber hinweg. Mann verliert oft genug im Leben seinen Traummann. Todromantische Selbstopferung ist ein Weg damit fertig zu werden. Der andere führte zu meinem Freund und seinem schlechten Gewissen ins Bett. Und an schlechten Tagen schlug ich einfach Oskar.