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Keim der Erkenntnis

gox

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13.02.2004
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Keim der Erkenntnis

Grün! Endlich Frühling! In meinem Bauch kribbelt es und mein Geruchsinn nimmt frisches Gras wahr. Die Winterzeit mit klirrender Kälte und nebelgrauer Nässe ist überstanden. Ich schließe die Augen und atme tief ein. Glücksgefühle umtosen mich. Ich wünschte, dieser Zustand würde ewig andauern.

Kann es überhaupt unendliches Glück geben? Nein! Für Menschen nicht und für Frauen erst recht nicht. Ich sehe an mir herab und da ist es auch schon, das, was meinen Rausch brutal beendet, das Unsägliche. Meine Stirn wirft sich in Falten. Ich versuche, das Glücksgefühl Frühling nochmals zu erhaschen. Doch es ist vorbei. Ich kenne mein Problem genau, es ist sogar noch größer geworden in letzter Zeit. Unaussprechliche Not kriecht in mir hoch, als ich genauer hinsehe. Da ist es: mein Hüftgold!

All jene Leckereien, die sich zwischen Weihnachten und Neujahr angesammelt haben, tummeln sich an Hüfte, Bauch und Po. Gänsekeule, Marzipan und Honigmandeln. Frauenfeindliches Zeug. Die Hose kneift, als wollte sie mich an etwas erinnern. Nun gut, ich möchte nicht die gemütlichen Fernsehabende im Januar unter der Kuscheldecke mit Knabberteller und einem Gläschen Wein vergessen. Und das warme Brot mit Griebenschmalz, das meinen Gaumen kitzelte. Während mein Mann all diese Sünden straflos genießen kann und kein Gramm zunimmt, bin ich bald das Dickerchen an seiner Seite. „Guck mal“, werden die Nachbarn sich zuraunen, „siehst du den dünnen Mann mit der dicken Frau? Vermutlich seine Mutter.“
Jetzt ist es passiert: Ich fühle mich schlecht, die Frühlingsgefühle sind vollends verpufft. Ein anderes, gesünderes Leben muss her. Eines ohne Schlemmereien und ohne Kaskadenwülste an meinem Körper. Schluss mit nächtlichen Kühlschrankraubzügen und Gummibärchen kurz nach dem Aufstehen! Ich muss meine Lebenseinstellung ändern, meine Essgewohnheiten langfristig verbessern und schon werde ich wieder die schlanke Gattin am Arm des nicht minder schlanken Herrn mit grauen Schläfen sein. Essgewohnheiten langfristig verbessern? Langfristig. Welch ein Unwort. Ich will doch schnell wieder schlank sein, am liebsten schon gestern.

Meinen Mann Andreas quäle ich schon seit Tagen mit diesem selbstzerstörerischen Gedankengut. Kohlsuppendiät, Pulverdrinks, Reistage zur Entwässerung und Essen nach Punkten. Klare Ansage von ihm: Er tippt sich mit dem Zeigefinger an die Stirn und brummt so etwas wie „Weiber“. Andreas ist nämlich Hobbykoch. Seine leckeren Speisen gegen Kohlsuppe aus der Tüte zu tauschen wäre für ihn eine glatte Ohrfeige. Soll ich etwa die mehrfach reduzierte Sauce zum Rinderfilet in Punkte einsortieren und nach zwei Tröpfchen dieses köstlichen dunkelbraunen Nasses dankend abwinken? Kaum drei Stunden stünde er in der Küche, um das sensationelle Essen zu präsentieren. Nähme ich nur homöopathische Dosen zu mir, wäre der Ehekrach vorprogrammiert. Aus mit Punktezählerei. Aus mit Ehemann.

Dagegen die Pulverdrinks: Staubige Mahlzeiten anrühren. Eine schleimig-sämige Masse würde in meinem Bauch größer und größer werden, sich zu einem Brei mit dem Magensaft verbinden und mich ein für alle Mal sättigen. Allein der Gedanke daran macht mich schon satt.

Ich glaube, es ist sicher das Gesündeste, langsam abzunehmen, mit Verstand. Hier einen Salat, dort ein Mineralwasser. Langfristig Salat und Wasser, das klingt so verlockend wie bei Wasser und trockenem Brot zu bereuen. Aber ich will schließlich attraktiv für meinen Mann sein und bin gern bereit, dafür Opfer zu bringen. Schon heute werde ich energisch gegen meine Essorgien vorgehen.
Andreas sagt oft, er liebe jedes Gramm an mir. Und ich hasse diese Floskel. Ich hasse sie einfach. Sieht er denn nicht die mitleidig-gehässigen Blicke der Nachbarn?
„Grüßen sie ihre Mutter recht herzlich von uns.“ Ich weiß, was sie, versteckt hinter ihren weißen Spitzengardinen, über mich denken.

„Dicke,“ ruft Andreas von unten hoch, „Essen ist fertig!“
Dicke. Auch das noch. Seufzend trotte ich die Treppe hinunter. Würziger Duft dringt mir tief in die Nase. Er hat mein Lieblingsgericht gekocht. Oh Gott, wie gemein!
Gulasch mit Knödeln. In meinem Mund bilden sich Flüssigkeiten, ich schlucke.
„Gulasch mit Knödeln“, raunt mir eine innere Stimme zu, „ist ein Verbrechen an der weiblichen Menschheit.“
Ich setze mich an den liebevoll eingedeckten Tisch. Es ist eigentlich eine unendliche Gnade, einen Hobbykoch zum Ehemann zu haben. Warm umströmen mich betörende Essensgerüche. Ich schließe die Augen. Eine schmackhafte Mahlzeit ist wie Frühling auf dem Teller. Vielleicht sollte ich noch nicht heute mit dem Kasteien anfangen. Man darf so ein köstliches Essen doch nicht umkommen lassen.

Andreas dreht sich zu mir um, strahlt und hat einen Teller mit zwei prallen Semmelknödeln, saftigen Gulaschstückchen und einer angemessenen Menge dunkler Sauce in der Hand. Erwartungsvoll steigt meine Stimmung. Was genau ist eigentlich eine Kohlsuppendiät? Pulverdrink, wie schreibt man das?
Meine Augen werden größer. Doch mein lächelnder Mann stellt den Teller auf seiner Seite ab. Er will mich auf die Folter spannen, der Schlingel. Jetzt befüllt er den zweiten Teller, meinen! Aber viel zu schnell und zu freudig dreht er sich um. Verwirrt starre ich auf den Teller.
Mit einem ‚klack’ stellt Andreas ihn ab. Ich fokussiere das Mittagsmahl. Das darf doch nicht wahr sein! Ich schaue meinen Mann an, der grinst zurück.
„Wollest du doch, oder?“
Meine Ader an der Schläfe pulsiert. Ich kann das nicht glauben. Es überwiegt die Farbe grün. Welch eine Unfarbe. Salat! Ich hasse Salat mit Keimen und Sprossen! Nach nichts schmeckende Botanik. Im Garten, an Bäumen, im Frühling lasse ich mir die Farbe gefallen, kann sie sogar genießen. Aber nicht auf dem Teller, wenn die Welt nach Gulasch duftet.

„Ich will dir doch nur helfen, mein Schatz,“ entgleitet es Andreas niederträchtig. Ich hoffe, dass mir das Messer nicht gleich entgleitet. Meine Laune sinkt schlagartig auf den Tiefstpunkt. Nun, eigentlich wollte ich doch fasten mit Salat. Mein Magen sabotiert den Vorsatz und röhrt. Er hat das Gulasch im Blick. Ich starre erst auf den Knödelteller, dann auf mein Grün. Wäge ab. Kämpfe mit dem Stolz.
Andreas schaut hoch, schwingt das Messer. Ganz kurz sehe ich auf des Messers Klinge eine dicke Frau, die Mann und Messer angiert.
Er zerteilt vorsichtig einen Kloß und führt das in die Sauce getunkte Stückchen langsam zum Mund. Ich falle gleich um. Nein, zur Heldin bin ich nicht geboren und schiebe den Stolz beiseite. Den Teller ebenfalls.

„Ist für mich auch noch ein bisschen Gulasch da?“ Ich schaue meinen Mann mit Dackelblick an.
Er lächelt und streichelt meine Wange.
„Sieh mal, Schatz: Wer nicht zufrieden ist mit dem, was er hat, der wäre auch nicht zufrieden mit dem, was er haben möchte.“
Ich mag es, wenn der Mann mit den grauen Schläfen weise Dinge erzählt und mich dabei streichelt. Und ich lasse es mir schmecken, das Gulasch. Genusssüchtig schließe ich beim ersten Bissen die Augen. Unendliche Zufriedenheit kann so lecker schmecken ...

 

Hallo Gox,
deine Geschichte grenzt ja schon an Sadismus!

meine Lieblingsstelle:

Dagegen die Pulverdrinks: Staubige Mahlzeiten anrühren. Eine schleimig-sämige Masse würde in meinem Bauch größer und größer werden, sich zu einem Brei mit dem Magensaft verbinden und mich ein für alle Mal sättigen. Allein der Gedanke daran macht mich schon satt.


Da hast du ein paar gute Beobachtungen mitten aus dem Leben gegriffen. Was mich ein wenig verwirtt hat, war die Motivation der Frau: warum macht sie das alles fuer ihren Mann, wenn es ihm doch egal zu sein scheint, wie sie aussieht? Und meiner bescheidenen Erfahrung nach haben Maenner, die gern kochen, doch sowieso lieber eine Frau die mit isst, und nicht nur an Salatblaettern knabbert. Im Uebrigen muss ich sagen, dass ich jemandem, der mich "Dicke!" rufen wuerde, die selbstgemachten Knoedel um die Ohren hauen wuerde!

Ansonsten habe ich es gern gelesen,
gruss, sammamish

 

Hallo gox,

ganz unterhaltsam, deine kleine Tragödie. ;) Aber das Thema erschöpft sich natürlich rasch. Für die Länge des textes vollkommen in Ordnung und in meinen Augen auch lesenswert, aber der clou fehlt irgendwo.
Zudem erschließt sich mir nicht die hündische Vergötterung deiner Prota. Die Besonderheit des Mannes kommt bei mir nicht so recht rüber. Okay, die Oberflächlichkeit deiner Prota hast du schon irgendwo geltend gemacht, indem sie ihre eigene Figur hauptsächlich darübe definiert wie ihre Nachbarn darüber denken. Und ihr Mann ist eben ein toller Koch. Reicht eigentlich. Nur ... Weiß auch nicht, vielleicht vermisse ich schlicht den subtext, aber den muss es ja nicht immer geben. Wenn du nur kurzweilig unterhalten wolltest, hast du dein Ziel zumindest erreicht. An einigen Stellen musste ich schmunzeln.
2 Dinge noch auf die Schnelle:

„Grüßen sie ihre Mutter recht herzlich von uns“.
Punkt kommt in die wörtl. Rede
In meinem Mund bilden sich Flüssigkeiten, ich schlucke.
ist der Plural hier korreckt?

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo gox,

gerade vorgestern habe ich mich noch beschwert, dass es unter Alltag nicht genug Geschichten ueber Essen gibt. Und schon kommt eine. Bin ich jetzt gluecklich? Nein, gar nicht! Eine Frau versucht eine Diaet zu machen, haelt aber nicht durch. Da moechte ich mir Bridget Jones' Unterhose ueber die Augen ziehen. Da kreischt mir Susanne Froehlich "Nein, Abnehmen macht gar keinen Spass" ins Ohr und ich suche reflexartig nach einer Fernbedienung zum Wegzappen.
Wahrscheinlich ist das meine ganz persoenliche Phobie, aber wenn ich dann noch lese, das Suessigkeiten frauenfeindlich sind, denke ich, nee, Diaetgeschichten und die ganze freche-Frauen Abteilung in der Buchhandlung sind frauenfeindlich.

Tut mir leid, wenn das jetzt boeser klingt als ich es eigentlich meine, ich kann's jetzt aber auch nicht mehr glattbuegeln, weil ich Schokolade suchen muss, um meine Nerven zu beruhigen.

Entschuldigung und viele Gruesse
feirefiz

 

@ sammamish,

hab Dank für Deine Bemerkungen, Dicke!;-)
Ich verstehe es ja auch nicht - Frauen scheinen sich eher an anderen, schlanken Frauen zu messen, auch dann, wenn der eigene Gatte nicht auf Klettergerüste steht.

@weltenläufer,
Dank auch Dir. Du hast natürlich nicht Unrercht, aber die Geschichte wäre wohl doch zu umfangreich ausgefallen, wenn ich auch noch die Besonderheit des Mannes beschrieben hätte - außerdem braucht Liebe keine Gründe!;-)
Keinesfalls soll der Text nur kurzweilig sein, vielmehr soll er die Welt, insbesondere aber das Funktionieren der Frauen, dem geneigten Leser in einfachen Worten nahe bringen.
Plural ist richtig, Punkt wird verändert!

@
hehe,
da soll noch mal einer sagen, Literatur würde nichts bewirken! Hoffentlich hat die Schokolade gemundet und viel Spaß mit 'Moppel-Ich'!

Viele Grüße vom
gox

 

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