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Kein Mond und keine Sterne

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17.02.2008
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Kein Mond und keine Sterne

Gestern abend sass ich noch im Bus auf dem Weg von der Stadt nach Hause. Nur ein paar wenige Haltestellen später war sie mir aufgefallen, beim Einsteigen schon. Hochgewachsen war sie, Mitte zwanzig etwa, schlank. Die kurze Frisur mit auffälligem Rot gefärbt. Braune Brille im Gesicht mit rechteckigen Gläsern. Markantes Gesicht, kraftvoll Kinn und Kiefer. Ohne lange zu suchen fand sie ihren Platz. In der Sitzreihe direkt vor mir. Ziemlich weit hinten sass ich; wenn man von vorne den schmalen Gang im Bus durchläuft, auf der rechten Seite am Fenster über dem Radkasten. Sitze sind in Bussen immer paarweise montiert. Und ich sass in Fahrtrichtung direkt am Fenster. Ich mag es, während der Fahrt aus dem Fenster zu sehen. Sie aber setzte sich nicht ans Fenster. Auf den Sitz zur Gangseite hin setzte sie sich und vor meinen Augen tat sich auf der eigent-lich dunkelblonde Haarschopf, oberflächlich nur in dicken Strähnen rot zu sehen. Verwaschene Jeans und eine feuerrote Jacke trug sie noch. Vor mir sass sie nun und ich konnte von oben über ihre Schulter an ihr hinunter sehen. Nicht eigentlich auf den Sitz gesetzt hatte sie sich, sondern sie legte sich fast hinein, sass nur ganz vorne auf der Kante, ihren Körper fest an die Rückenlehne angelehnt. Ihre langen Beine hatte sie rechts und links weit von sich gestreckt. Mit sehr weit geöffneten Beinen lag sie nun so da. In den Schoss fielen ihre Hände, kamen zum Erliegen, ruhten ineinander. Es schien, als nestle sie manchmal noch an sich herum, und dabei fiel mir die Erzählung von einer Frau ein, die mit ihrer Freundin in der Disco war und plötzlich eine Hand zwischen ihren Beinen spürte. Mit wie viel Abscheu und Entsetzen sie davon berichtete. Eine ganze Menge Erinnerungen hatte dieser Bericht in mir wach gerufen von Männern, die Frauen unter Röcke greifen oder, sie bespannend, heimlich onanieren.
Ob es wohl leicht ist, diese Frau hier zu verführen?
Einladend scheint sie zu sein, voller Sehnsucht nach viel Zärtlichkeit. Ein kleines Lä-cheln huscht vorbei, ich habe zu viel Phantasie. Ziemlich leer ist der Bus, und hinter uns sitzt niemand mehr. Dunkel ist es draussen. Hin und wieder bewegt sie leicht den Kopf, verharrt ansonsten ganz in Stille. Der Bus passiert jetzt eine Haltestelle. Niemand will rein, niemand will raus, und schnell gleitet das Haltestellenschild draussen am Fenster vorbei. Mit einem Male bewegt sich der Arm in der feuerroten Jacke, streckt sich aus, hin zu einem Halteknopf. Ohne den Körper vorzubeugen reicht ihre Hand dort hin. Ein langer Arm. Grosse Frau, lange Beine, lange Arme. Sie drückt den Knopf, der Halte-wunsch blinkt auf. Am Ortseingang bei der selben Haltestelle will sie raus, wie ich auch und noch ein paar andere Leute. Als die Tür sich öffnet, tritt nur langsam sie ins Freie. Sie hat es nicht sehr eilig. Schnell laufe ich zum Fussgängerüberweg, drehe mich um, werfe hastig einen Blick über die linke Schulter. Noch bei der Haltestelle stehend lehnt sie an dem stählernen Geländer, das den Gehsteig begrenzt; eine Böschung fällt steil ab dahinter. Unterhalb dieses Geländers verläuft ein Fahrradweg entlang an einer wilden Wiese, führt dann eine Steigung hinauf und mündet nur wenige Meter hinter der Bushaltestelle bei dem Kiosk gegenüber dem Friseursalon in die Strasse oberhalb der Wiese ein. Hinter dieser Wiese das alte Bett des Schwarzen Wassers. Kanalisiert wurde der Fluss in den dreissiger Jahren, vielleicht sogar noch in den Zwanzigern. Weiter oben, flussaufwärts mit der Staustufe beginnt der Kanal, über die der Fussgängersteg hinüberführt. Meine Grosseltern gingen im Kanal spazieren, als er noch ganz trocken war. Hinter dem alten Flussbett erheben sich die Kanalwand aus Beton und die vielen Pappelbäume. Dahinter schwarz, bewaldet die Berge des Mittelgebirges, das hier seinen Anfang nimmt. Am Stahlgeländer lehnt sie, schaut auf die Bäume, auf das Wasser, auf die Wiese unterhalb. Der Abend ist mild. Stehen bleibe ich. Betrachte diese Frau. Selten nur bleibe ich genau dort stehen, wo sie jetzt lehnt. Dabei ist diese Landschaft hier ein ganz besonders schöner Anblick.
Einmal hatte ich meine Freundin genau an dieser Haltestelle abgeholt. Mitten in der Nacht war es damals und kalt in jenem Januar schon vor ein paar Jahren. Sternklar war die Nacht und hell, blass, leuchtend der Vollmond. Am Geländer blieb sie stehen damals, schaute sehnsuchtsvoll zum Mond. Und selbst stand ich ziemlich genau vor einem Jahr alleine an dieser Stelle dort, um den Frühling in mich einzusaugen, die frische, klare Luft. Sehr vertraut schien mir plötzlich zu sein, was sich jetzt in dieser Frau bewegen musste.
Lange schon hetze ich zwischen Terminen hin und her und nehme nie Auszeit. Doch wozu eigentlich?
Zurück schlenderten meine Beine und blieben bei ihr stehen. Es ist immer wieder ein bewegender Anblick, die höchste Erhebung dieser Gegend hier zu sehen, verziert mit ihren Funktürmen, rotleuchtend deren Spitzen in der Nacht, so rot wie ihre Haare, so rot wie ihre Jacke, so rot wie ihre Lippen, die ich jetzt erst sah. "Besonders bei Vollmond" ergänzen sich noch meine Worte. "Ja, bei Vollmond", wiederholt ihre klangvoll tiefe Stimme. Sie kam nicht von hier, war fremd, und noch nie zuvor war sie mir begegnet. Ein bisschen erzählte ich ihr von der Gegend hier, dass dort unten auf den Bänken in der Sommerzeit immer Irgendwelche hocken mit ihren Bierdosen und Flaschen, mit ihren Reden und ihren grossen Sprüchen. Dass man unten auf der Wiese im Sommer in der Sonne liegen und sich sonnen lassen kann. Ihr sehnsuchtsvolles Seufzen. Eine Weile standen wir noch so, wer weiss, wie lange. Dann setzten wir uns in Bewegung. Langsam nur. Schlenderten den Fahrradweg hinunter in die Wiese hinein, in der im Sommer wil-der Meerrettich wächst und blauer Storchschnabel blüht. Frühlingshaftes Gras, jetzt am so sehr späten Abend. Ihre grossen Hände mit den langen schlanken Fingern vergraben in den Jackentaschen. Es ist schön, das Wasser zu sehen, sie liebt es. Die Ruderboote, die Weiden vereinzelt am Ufer. Dort unten gibt es eine schöne Stelle ganz dicht an der Wasserlinie. Einen kleinen Hang muss man hinuntergleiten, vor dessen Kante steht ein alter Weidenbaum, etwas tiefer, schon am Wasser, noch ein anderer. Eine Erdstufe, in den Hang getreten, erleichtert wieder den Aufstieg. Ganz friedlich und still kann man da unten sitzen unter dem Dach der alten Silberweiden, wird eins mit dem Ufer, mit dem Wasser, mit dem ganzen Fluss. Wasserlilien wachsen dort, weiter draussen Seerosen. Im Spätsommer vor zwei Jahren erst habe ich diese Stelle entdeckt. Oft bin ich gesessen damals ganz unten zu Füssen des Flusses, habe die kleinen Fische schwimmen sehen, Blätter, die auf dem trägen Wasser vorbeigezogen kamen, Treibholz manchmal, Enten, die schwammen oder ganz dicht übers Wasser flogen, Libellen in der Luft, glitzerten im Sonnenlicht, auf Fischjagd die Reiher am anderen Ufer in den Sträuchern und den Bü-schen. Das Rauschen des Wassers in den kleinen Stromschnellen weiter weg. Meinen ersten Flusskrebs habe ich hier gesehen, in jener Zeit. Es war nachmittags, die Sonne warf golden ihre Strahlen durch das Dach der alten Weiden in das seichte Wasser am Ufer und erleuchtete den Grund. Steine sind zu sehen und die vielen kleinen Fische. Ein versunkenes Blatt hier und da. Aus einer Ritze zwischen zwei Steinen trat ganz vorsichtig hervor ein kaum zehn Zentimeter kleiner Krebs mit seinen Scheren, dunkel gefärbt, verharrte in Stille. Etwas muss ihn dann erschreckt haben und blitzschnell verschwand er rückwärts unter einem Stein. Nur noch eine Schere blieb von ihm zu sehen. Kühl war es dann geworden und sehr glücklich, einen Krebs gesehen zu haben, musste ich nach Hause.
Ihr erzählte ich davon, als wir an die Stelle kamen. Unter der Weide noch oberhalb des Wassers stehend schauten wir. Sie wollte auch dort unten sein. Hinab glitt ich und sie kam hinterher. Mit geöffneten Armen stand ich, um sie aufzufangen, um ihr Halt zu geben, falls sie ungeschickt abrutschen sollte. Ein wenig unsicher zwar, aber dennoch ganz leicht rutschte sie den kleinen Hang hinunter, lies sich fangen, blieb eng bei mir stehen. Ihren Atem höre ich noch von der kleinen Anstrengung. Beide stehen wir nun auf der terrassenartigen kleinen Ebene ganz unten am Wasser, über uns die Silberweiden, deren zartes Grün sich schüchtern zeigt. Nur ein ganz klein wenig frischer ist es hier als oben. Kirschen blühen gegenüber. Zu mir dreht sie sich und es funkeln ihre Augen hinter Brillengläsern. Ihre Hände haben längst schon die Jackentaschen verlassen und sind darin nicht mehr eingetaucht, finden meine Hände und sie greifen ineinander. Sehnsuchtsvoll, erwartungsvoll einladend öffnet sich ihr Mund. Sanft finden unsere Lippen sich im seichten Gurgeln des vorbeiziehenden Wassers. Es streichen meine Hände über ihre Arme und um meine Taille gleiten nun die ihren, unter meine Jacke, entlang an meinen Lenden, umfassen bald meine Hüften. Gierig und forsch nun bohrt sich ihre Zunge tief in meinen Mund. Nach Luft schnappend in Erregung steh ich da, hör kein Wasser mehr, nur noch Pulsieren und Rauschen in den Ohren. Ihre Lippen lö-sen sich von meinem Mund, gleiten am Hals entlang, saugen zärtlich hier und da und Schauer überfallen mich. Feucht keucht ihr Atem und schmiegt sich an mich an. Dabei gleiten ihre Hände nun forsch an mir voran, greifen nach dem Gürtel, machen sich zu schaffen an der Knopfleiste meiner Jeans. "Hey, was machst Du da", bricht es leise aus mir hervor und schon spüre ich ihre Hände auf meiner nackten Haut, enthüllen volle, pralle Erregung. Tief hinab gleitet sie an mir, sinkt nieder auf die Knie, und ihre Lippen schnappen nach der Männlichkeit, nehmen sie gierig in sich auf, saugen sie ganz tief ein, geben einen Teil dann wieder frei und saugen sie von neuem ein, lassen dann kurz ab davon und weiten sich zu einem Lächeln, dabei schaut sie zu mir hoch mit einem Grinsen im Gesicht. Und wieder spüre ich die Zunge, bald gefolgt von ihren Lippen, ihrem aufnehmenden, begehrenden, saugenden Mund. Ihre Hände eilen dazu herbei, erst die eine, dann die andere.
Willenlos schmelze und zerrinne ich dort am Wasser unter Weiden, weit unterhalb der Strasse, noch unterhalb der Wiese, und kein Mond und keine Sterne schauen zu.
Diese wilde Wiese oberhalb des Ufers. Und immer wieder diese wilde Wiese.
Eine Flugzeugabwehrkanone stand einmal dort. Damals noch als junger Mann war er desertiert und lief so weit die Füsse trugen, mit ein paar Kammeraden von Moskau bis hier her und vielleicht sogar von noch viel weiter. Was muss das für ein Schock, ein Trauma gewesen sein, was für eine Depression, vom Krieg nach Hause zurückzukehren und zerstört und zerbombt die Heimat wiederzufinden. Diese Stadt hier blieb verschont, nur ein oder zwei Bomben fielen hier, vermutlich nur versehentlich. Über diese Wiese kam er gelaufen, als ihn am hellichten Tag Jagdflieger überraschten. Sofort warf er sich hin und die Flieger flogen weiter über ihn hinweg, trafen ihn nicht. Das Gras hat ihn beschützt. Angriffsziel war die Abwehrstellung gewesen, Zerstörung zum Schutze der Bomber, die nachts wieder ihre tödliche Ladung trugen, um sie weiter nördlich abzuwerfen. Eine Flugzeugabwehrstellung, bemannt mit ein paar Alten, Krüppeln oder Kin-dern. Dieser Mann, er lebt nicht mehr, vor kurzem erst gestorben, und auch mir wollen jetzt die Sinne schwinden, sammeln sich irgendwo im Hinterkopf, steigen am Rückgrat hinab, tauchen über Lenden nah am Steissbein in das Becken ein, schwellen an im Unterbauch und ergiessen sich so machtvoll zwischen die Lippen dieser Frau. Leises, nach Atem ringendes Aufschreien. Vibrieren, zittern, beben. Keuchen. Schnaufen. Kein Mond und keine Sterne schauen zu. Eine kurze Weile noch. Dann ist es vorbei. Die Sin-ne kehren wieder. In die Erdstufe des Hangs stemmt sich ihr Fuss und schon steht sie wieder oben, auf der Wiese über mir. Noch einmal drehte sie sich um. "Ich heisse Nadja", rief sie noch.

 
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Hallo Claus,

bevor ich jetzt nochmal ansetze, Deinen Text zu lesen, wuesste ich aus reiner Neugierde doch gerne einmal vorab, ob Du irgendwelche religioesen Vorbehalte dagegen hast, einen Satz mit einem Subjekt zu beginnen. Oder ist es einfach der Systemzwang deutscher Syntaxkonventionen, gegen die Du hier protestierst? ;)

Viele Gruesse und Herzlich willkommen

feirefiz

 
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Hallo feirefiz,
eine lustige Frage stellst Du da. Um auf sie einzugehen:
Nach Satz 2 folgen bereits drei Sätze, bei denen das Subjekt am Anfang steht.
Es stimmt aber schon, Inversionen und Elypsen sind ganz typisch für mich, da steckt keine tiefere Absicht, keine Revolte gegen Syntaxzwänge noch sonstwas dahinter. Ob man das mag, ist reine Geschmacksache. Es zu kritisieren ist daher kein Angriff auf religiöse Gefühle und wird von meiner Seite auch nicht als "Gegenrevolution" verstanden. Mich interessiert, wie das auf den Betrachter wirkt, das muss ich jetzt einfach einmal wissen. Deshalb hab ich den Text so zum Lesen angeboten und bin für Deine Frage besonders dankbar. Es gibt also keinen ... nein, anders herum:
DU hast also keinen Grund, Dich mit Kritik jeglicher Art zurückzuhalten. Und Dank für den Willkommensgruss

Claus

 

Hallo Claus,

Gebe zu, dass das eine etwas gemeine Frage zum Einstieg war. Zur Wiedergutmachung hier nun eine etwas ernsthaftere Rueckmeldung: Deine Landschaftsbeschreibung mit Flusskrebschen und Rueckblenden hat mir insgesamt gut gefallen. Die Ueberblendung von Gegenwart und Vergangenheit, von Ex und fremder Frau ist Dir auch gut gelungen.
Spielerischen Umgang mit Sprache mag ich grundsaetzlich. Wenn bestimmte Kunstgriffe wie der mit dem ungewoehnlichen Satzbau allerdings sehr haeufig eingesetzt werden, tritt beim Lesen, zumal eines doch eher langen und handlungsarmen Textes, rasch Ermuedung ein. Ausserdem verliert das Mittel bei solch inflationaerem Gebrauch auch schnell seine Wirkung und wird eher zur Masche. Wenn jeder Satz so offensichtlich etwas Besonderes sein will, wirkt das leicht etwas bemueht und wirklich schoene Saetze gehen leicht unter.
Ich hab mal ein paar Stellen rausgesucht, wo es sich fuer meinen Geschmack mit der Subjektverschiebung etwas zu sehr gehaeuft hat

Auf den Sitz zur Gangseite hin setzte sie sich und vor meinen Augen tat sich auf der eigent-lich dunkelblonde Haarschopf, oberflächlich nur in dicken Strähnen rot zu sehen. Ver-waschene Jeans und eine feuerrote Jacke trug sie noch. Vor mir sass sie nun und ich konnte von oben über ihre Schulter an ihr hinunter sehen. Nicht eigentlich auf den Sitz gesetzt hatte sie sich, sondern sie legte sich fast hinein, sass nur ganz vorne auf der Kante, ihren Körper fest an die Rückenlehne angelehnt. […] In den Schoss fielen ihre Hände

Ziemlich leer ist der Bus, und hinter uns sitzt niemand mehr. Dunkel ist es draussen.

Am besten befallen hat mir uebrigens dieser Satz, der gar nicht verdreht ist
Sitze sind in Bussen immer paarweise montiert.
Ist doch schoen wenn zwischendurch auch mal solche Wahrheiten festgestellt werden.

Eine Erdstufe, in den Hang getreten, erleichtert wieder den Aufstieg.

Auch schoen

Aus einer Ritze zwischen zwei Steinen trat ganz vorsich-tig hervor ein kaum zehn Zentimeter kleiner Krebs mit seinen Scheren, dunkel gefärbt, verharrte in Stille.

Den Krebs mochte ich sehr, diesen verschwurbelten Satz weniger.

Grosse Frau, lange Beine, lange Arme
Mochte ich auch, obwohl mich das ein bisschen an den boesen Satz “Keine Arme, keine Kekse” erinnert hat. Du siehst, ich bin auch kein Ellipsen-Feind. Allerdings gab's mir auch davon etwas zuviele bei der Beschreibung der Frau.

dabei fiel mir die Erzählung von einer Frau ein, die mit ihrer Freundin in der Disco war und plötzlich eine Hand zwischen ih-ren Beinen spürte.

vielleicht koenntest Du "Frau" hier durch "Bekannte" ersetzen.

Eine ganze Menge Erinnerungen hatte dieser Bericht in mir wach gerufen von Männern, die Frauen unter Röcke greifen oder, sie bespannend, heimlich onanieren.

Das hab ich nicht so recht verstanden. Wenn es als Erinnerung bezeichnet wird, hoert sich das an, als haette er das selbst erlebt/getan?

Zum Inhalt soll mal jemand anderes was sagen. Im Gegensatz zu Deinem Protagonisten, war der Oralsex am Ende fuer mich eher Antiklimax der Begegnung.

viele Gruesse
feirefiz

PS: Die Trennungsstriche sind doch wohl ein Umbruchsproblem oder? Obwohl es ja bei Nad-ja schon fast Sinn macht.

 

Hallo feirefiz,
das ist ja ganz fantastisch, was Du da schreibst. Du hast Dich ungeheuer intensiv damit auseinandergesetzt. Da muss ich mich jetzt erstmal ganz herzlich bedanken. Es kostet auch Zeit, sich so damit zu beschäftigen.

Die Stilistik:
Das ist nicht so sehr eine Stilfrage, sondern eher eine des Charakters und der Stimmung, in der ich mich gerade befinde und die mich dazu treibt, etwas quasi aus mir herauszuschreiben. Du stellst Deine Kritik schön dar, und ich kann sie gut nachvollziehen.
Zugegeben, manchmal denke ich viel über einen Satz nach, dass daraus aber eine solche Wirkung enstehen kann, überrascht mich jetzt doch sehr. Es ist wichtig, auch seine eigenen Sätze zu überdenken, denn vom Ausdruck hängt die Wirkung ab, die man im anderen erzielt. Auch wenn man mit seinem Ausdruck unabsichtlich Unangenehmes bewirkt, muss man doch damit leben, dafür kritisiert oder gar getadelt zu werden: Risiko, da kann man nix machen.

"Keine Arme, keine Kekse": ist doch interessant zu sehen, welche Phantasien man allein mit dem Satzbau mobilisieren kann. Dein Satz ist übrigens wirklich fies, ich kannte ihn bisher nicht.

"Die Bekannte": Ich hätte auch Freundin schreiben können. "Bekannte" ist hier sachlich und inhaltlich ganz falsch. Das hatte ich zuvor zwar ausprobiert, es passt auch gefühlsmässig nicht. Die Frau ist richtig anonym, und das soll sie auch sein; obwohl ich ihren Namen kenne und genau weiss, wer sie ist.

"Die Erinnerungen": Das sind tatsächlich meine eigenen Erlebnisse, die in diesen Erinnerungen anklingen. Wenn das genauso rüber kommt, wie Du das sagst, dann ist die Stelle gut gelungen.
Zur Irritation, die dabei entsteht:
Ganz oft schon musste ich Texte lesen, in denen mir eine solche Irritation begegnete. Man fragt sich: "Hä?!, was soll das sein?" Das sind die Momente, in denen man sich entscheiden muss, ob man weiterliest. Ich selbst hatte dann die Texte aus der Hand gelegt und damit erst einmal Distanz hergestellt. Dadurch entsteht Raum zum Nachdenken. Wenn mir öfters solche Stellen begegnen und trotz intensivem Nachdenken nix sinnvolles bei rauskommt, dann taugt der Text in meinen Augen nix und ich lege ihn ganz weg.
Du hast Dich ganz tapfer dazu entschieden, weiterzulesen und hast herausgefunden, dass Dir der Krebs gut gefallen hat; das freut mich. Somit ist das Experiment gelungen. Du hättest auch abspringen können, dann wäre es eben nicht gelungen.
Solche "Experimente" müssen sich auch meine Freunde gefallen lassen. Im Grunde zwar eine Frechheit, die aber nur so nebenher passiert, und bei ihnen darf ich doch heimlich darauf vertrauen, dass sie diese Schritte mitmachen.
Bei Dir ist das nicht so, von einem Fremden kann ich soviel Wohlwollen nicht erwarten. Umso schöner, das es doch geklappt hat, und umso wertvoller die Kritik, die gerade auf mich zugekommen ist.

"Antiklimax der Begegnungen", ein ganz fanstastischer Ausdruck, den heb ich mir mal auf. Wir müssen nicht fragen, ob sich das alles wirklich en detail so zugetragen hat. Ich selbst aber empfinde eine grosse Traurigkeit in der Flüchtigkeit der Begegnungen, die sich in diese Abschlussszene widerspiegelt. Eine kurze schnelle Begegnung zum Befriegigen eines Heisshungers, zum Stillen einer Sehnsucht. Die beiden haben sich nichtmal nach ihren Namen gefragt. Und jetzt erkenne ich auch, warum die Frau oben keine Bekannte und keine Freundin sein darf: Eine Bekannte ist nicht mehr anonym.; sie könnte mit "Nadja" nicht mehr korrespondieren, weil eine Bekannte (oder Freundin gar) die Tristess durchbricht, in der ich mich damals befunden hatte. Und wenn wir dem Pfad jetzt so weiterfolgen, dann begreifen wir vieleicht auch, wieso "Nadja" zum Schluss doch noch ihren Namen rufen muss, bevor sie ganz verschwindet.

Mit einer solchen Stimmung kam ich damals tatsächlich nach Hause und musste das einem Freund erzählen. Irgendwann hab ich mal angefangen, das so zu machen, ein schleichender Prozess, der sich verselbständigt hat. Diese Art, Freunden was mitzuteilen ist geblieben. In Momenten ungreifbarer Stimmungen entstehen oft ganz eigenartige Dinge, gegen die ich nix anderes machen kann, als ihnen freien Lauf zu lassen. Die Naturbeschreibung mit dem Krebs fand er übrigens ganz unglaublich, er selbst fand sich beim lesen plötzlich unten am Wasser sitzen. An den krebs denke ich heute noch, er ist mir begegnet in einer Zeit, in der es mir verdammt dreckig ging, in der es auch kaum noch Licht gab. Vielleicht spielen Krebs, Weiden und die Sonne und die ganze Szene dort am Wasser deshalb eine besondere Rolle.


Soweit erstmal.
Deine Kritik heb ich auf und werde sie zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal lesen.

In diesem Sinne,
ein Gruss aus der Stadt des Schwarzen Wassers

Claus

PS: Die Striche, natürlich. Die Silbentrennung wird beim Kopieren zwar übernommen, beim Einfügen werden sie aber nicht korrigiert. Sollte ich vielleicht nachholen, oder?

 
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Hallo Claus
bei einem solchen Text kann ich mich gar nicht zurück halten. Erstmal soltest du nicht soviel understatement betreiben. Wer nadja kennt, kennt sie als naiade noyée, wer aus sich selbst schreibt, schreibt in der écriture automatique der Surrealisten. Auch das ungreifbare Subjekt deiner Sätze, sein Zerfließen, läßt den Kenner erahnen. Die Penetrationsphantasien sind ganz nett, das Explizit werden wäre gar nicht nötig. Im Grunde das altebekannte Klischee vom Mann mit zivilisatorischer Mission im Kanalisieren der Natur und Auffangen der Weiblichen, sein Abdriften in die Natur, Frau und Absturz auf einer Ebene, ein aufgefangen werden durch ein finanzielles Polster, eine Syntheseleistung der Silberweiden, ein bisschen Polygamie im Denken an eine andere. Soweit, so bekannt. Der Clou ist die Koppelung dieses Klischees an seine in den Krieg umkippende Form. Gefällt mir.
Gruß Claudio

 
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Ciao Claudio,
herzlichen Dank für dieses Kompliment.
Claus

 

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